Widerlegung einer indizierten Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 05.08.2024
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|1328 Aufrufe

Der Arbeitgeber kann die Vermutung einer Benachteiligung eines abgelehnten schwerbehinderten Bewerbers unter anderem durch den Beweis, dass das Stellenbesetzungsverfahren zum Zeitpunkt des Eingangs der Bewerbung des abgelehnten Schwerbehinderten bereits beendet war, widerlegen. Denn ist ein Bewerbungsverfahren beendet, bevor die Bewerbung eines Schwerbehinderten eingeht, kann dieser nicht mehr kausal durch die bereits zeitlich früher getroffene Auswahlentscheidung wegen der Behinderung benachteiligt worden sein.

Das Stellenbesetzungsverfahren ist beendet, wenn die finale Besetzungsentscheidung durch den Arbeitgeber getroffen wurde. Die interne, aber endgültige Entscheidung ist maßgeblich, ihr Zeitpunkt ist durch den Arbeitgeber ggfs. zu beweisen. Die Kommunikation nach außen sowie die nachfolgende Vertragsausfertigung und -unterzeichnung betreffen nur noch Umsetzungsakte.

Das hat das LAG Düsseldorf entschieden.

Der mit einem GdB von 80 % schwerbehinderte Kläger hatte sich bei der Beklagten, einer privaten Arbeitgeberin (die nicht den strengen Förderpflichten des § 165 SGB IX unterliegt), als "Scrum Master / Agile Coach" beworben. Seine Bewerbung hatte keinen Erfolg. Er begehrt Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von mindestens 1,5 Monatsgehältern (je rund 5.800 Euro). Das ArbG Essen hat die Klage durch zweites Versäumnisurteil abgewiesen. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Zwar sei auch ein privater Arbeitgeber verpflichtet, jede Stellenausschreibung gemäß § 164 Abs. 1 SGB IX nicht nur der Arbeitsagentur, sondern auch der nach § 187 Abs. 4 SGB IX dort eingerichteten besonderen Stelle für die Vermittlung schwerbehinderter Menschen zu übermitteln (so bereits für öffentliche Arbeitgeber BAG, Urt. vom 25.11.2021 - 8 AZR 313/20, NZS 2022, 638). Ein Verstoß gegen diese Obliegenheit begründe die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung iSv. § 22 AGG.

Diese Vermutung habe die Beklagte aber widerlegen können. Ausweislich des vorgelegten E-Mail-Verkehrs und der Zeugenaussagen sei die Entscheidung, die Stelle mit einem anderen Bewerber zu besetzen, am 24.8.2021 um 11.09 Uhr gefallen. Die Bewerbung des Klägers sei am gleichen Tage erst um 12.30 Uhr bei der Beklagten eingegangen. Dass diese den bestplatzierten Bewerber erst um 15.39 Uhr über die am Vormittag getroffene Entscheidung informiert habe, sei unerheblich. Die Schwerbehinderung des Klägers habe auf die Entscheidung keinen Einfluss mehr haben können, sodass das Indiz widerlegt sei.

LAG Düsseldorf, Urt. vom 23.4.2024 - 3 Sa 556/22, BeckRS 2024, 16481

Die zugelassene Revision ist beim BAG unter 8 AZR 123/24 anhängig.

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