" Zivilcourage " bei der Rechtsanwendung

von Dr. Hans-Jochem Mayer, veröffentlicht am 27.11.2008

Der 1. Zivilsenat des Kammergerichts hat in einem bemerkenswerten Beschluss vom 23.10.2008 - 1 W 375/07 - nochmals zur Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr Stellung genommen. Zu entscheiden war die Frage, ob die Kostenregelung in einem Prozessvergleich, dass die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits und die des Vergleichs trägt, so zu verstehen ist, dass die volle Verfahrensgebühr zum erstattungsfähigen Prozessaufwand des Klägers zählt ohne Rücksicht darauf, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers wegen desselben Gegenstands bereits vorgerichtlich tätig geworden ist und aus diesem Grund seinem Mandanten die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG nur in verminderter Höhe, nämlich nach Abzug der hälftigen Geschäftsgebühr, in Rechnung stellen darf. Der 1. Zivilsenat des Kammergerichts bleib seiner bisherigen Linie treu und billigte im Rahmen der Kostenfestsetzung die Erstattungsfähigkeit der vollen Verfahrensgebühr zu. Zu dem Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleichs sei die anderslautende höchstrichterliche Rechtsprechung noch nicht absehbar gewesen. Auch betonte der Senat nochmals, dass er an seinen Entscheidungen vom 31.03.2008 - 1 W 111/08 - und vom 24.06.2008 - ebenfalls 1 W 111/08 - ausdrücklich festhält; in den genannten Entscheidungen ist der Senat der Auffassung des BGH in der Frage der Auswirkungen der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nicht gefolgt

 

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5 Kommentare

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Nach meiner Einschätzung hat der 1. Zivilsenat ergebnisorientiert und nicht ganz unelegant eine Anrechnungsaltlast beseitigt. Da es sich aus Sicht des Senats um eine Einzelfallentscheidung handelt, brauchte er dagegen keine Rechtsbeschwerde zuzulassen.
Unabhängig davon haben sich der 2. und der 27. Zivilsenat inzwischen von der beharrenden Rechtsprechung des 1. Zivilsenats in dieser Frage abgewandt.
Der 2. Zivilsenat formuliert dies in seinem "bemerkenswerten" Beschluss vom 20.10.2008 in 2 W 182/08, juris, wie folgt:
"Dieser Rechtsauffassung hat sich der Senat in Abweichung von seiner früheren Rechtsprechung angeschlossen und nimmt für die weitere Begründung dieser Rechtsauffassung auf den zitierten Beschluss des Bundesgerichtshofes Bezug. Inzwischen haben sich dieser Rechtsauffassung der 3. Zivilsenat (Beschluss vom 30.4.2008 – III ZB 8/08 - MDR 2008, 886), der 6. Zivilsenat (Beschluss vom 3.6.2008 – VI ZB 55/07 -) und der 4. Zivilsenat (Beschluss vom 16.7.2008 – IV ZB 24/07) des Bundesgerichtshofes angeschlossen. Der 8. Zivilsenat hat seine Auffassung in einem weiteren Beschluss (3.6.2008 – VIII ZB 3/08 -) bekräftigt. Maßgebend ist dabei, dass § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO, auf den allein abzustellen ist, für eine Kostenerstattung an die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts und darüber unmittelbar an die Anrechnungsbestimmung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Nummer 3100 VV RVG anknüpft, sodass diese Bestimmung auch unmittelbar im Kostenfestsetzungsverfahren zu beachten ist. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der unmissverständlichen Formulierungen des Gesetzes vermochte sich der Senat auch nicht der abweichenden Auffassung des 1. Zivilsenat des Kammergerichts (Beschluss vom 31.3.2008 – 1 W 111/08 - AGS 2008, 216) anzuschließen. In Anbetracht der insoweit eindeutigen Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofes erscheint es auch nicht mehr erforderlich, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in derartigen Fällen die Rechtsbeschwerde zuzulassen."

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Und noch ein "bemerkenswerter" Beschluss des 1. Zivilsenats des Kammergerichts, B. v. 04.11.2008 in 1 W 395/08, juris.
Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen.

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Die ausgefeilte Begründung des 1. Zivilsenats des KG in seinem Beschluss vom 04.11.2008 in 1 W 395/08 - quasi als Gegenentwurf zu der gefestigten Auffassung des BGH in der Anrechnungsfrage - beruht m.E. auf einem gravierenden Mangel, der Nichtbeachtung eines der zentralen Grundsätze der Kostenfestsetzung:

„Es gehört zum gesicherten Standard der Kostenfestsetzung (vgl. RGZ 35, S. 427 (428); Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., Anm. A II b zu § 104) und versteht sich von selbst, daß keinesfalls höhere Kosten als erstattungsfähig festgesetzt werden dürfen, als dem Berechtigten entstanden sind.“ aus BVerfG, B. v. 03.11.1982 in 1 BvR 710/82, juris.

Dem Erstattungsberechtigten sind in dem von dem KG entschiedenen Fall für die gerichtliche Rechtsverfolgung Anwaltskosten entstanden, die sich nach dem RVG berechnen. Festsetzbar ist nach dem vorstehenden Grundsatz daher allenfalls die Vergütung, die der Anwalt seinem Mandanten für die gerichtliche Rechtsverfolgung nach dem RVG berechtigterweise in Rechnung stellen darf. Dieses ist in dem von dem KG beurteilten Fall jedoch nicht die entstandene sondern lediglich die anrechnungsgeminderte Verfahrensgebühr.

„Ob bereits die Verkennung solcher selbstverständlicher Grundsätze ein verfassungsgerichtliches Eingreifen gebieten würde, kann angesichts der strengen Voraussetzungen für ein solches Eingreifen zweifelhaft sein. Jedenfalls ist es nicht mehr verständlich, daß eine Korrektur der fehlerhaften Kostenfestsetzung unterblieb, obwohl die erstattungsberechtigte Privatklägerin auch ihrerseits die Berechnung beanstandet hatte.“ ebenfalls aus BVerfG, B. v. 03.11.1982 in 1 BvR 710/82, juris.

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Nach dem Beschluss des VIII. Zivilsenats vom 11.11.2008 in VIII ZB 24/08 ist die Frage der Anrechnung der Geschäftsgebühr zumindest für einen am 21.06.2007 geschlossenen Vergleich anders zu beantworten als der von dem KG entschiedene Fall.

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Das OLG Stuttgart befasst sich mit dem Thema in seinem Beschluss vom 05.02.2009 in 8 W 42/09, juris.
Aus den Gründen:
"Die vom Klägervertreter zitierte Entscheidung des KG Berlin vom 23. Oktober 2008, Az. 1 W 375/07, befasst sich im übrigen mit der Auslegung der Kostenregelung eines Prozessvergleichs aus dem Jahr 2006, während der vorliegende am 25. September 2008 geschlossen wurde und damit zu einer Zeit, als die Rechtsprechung des BGH längst bekannt und die frühere Rechtsauffassung des Senats, der in den vom Klägervertreter zitierten Entscheidungen (OLG Stuttgart JurBüro 2008, 23 und AGS 2008, 43) jeweils die Rechtsbeschwerde zum BGH zuließ, überholt war."

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