Ist die Tötung Osama bin Ladens der Folter zu verdanken?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 04.05.2011

Es ist aus meiner Sicht eine fast schon gespenstische Debatte, die heute in den USA geführt wird.

Noch ist nicht klar, wie die Tötung Osama bin Ladens genau geschah. Es gibt dazu widersprüchliche Berichte aus nur einer Quelle (er war "bewaffnet"/"unbewaffnet"; "Frau als Schutzschild"; "keine Frau als Schutzschild"; "nach Widerstand gegen geplante Festnahme getötet"; "in kill mission erschossen") und ob sie völkerrechtlich gerechtfertigt werden kann, wird unterschiedlich bewertet. Dass irgendjemand die Umstände der Tötung unabhängig untersuchen kann, haben die Verantwortlichen dadurch verhindert, dass sie den Leichnam in kürzester Zeit ohne Not an unbekannter Stelle im Meer versenkt haben. Die These, man habe dadurch islamischen Bräuchen genügen wollen, halte ich für wenig glaubhaft. Aber all das wird verdeckt von der "Freude", diesen Verbrecher endlich erwischt zu haben. Ein in den USA unbestrittener Erfolg insbesondere Präsident Obamas.

Aber nun meldet sich ein früherer Advokat der Bush`schen Folterpolitik aus der Versenkung und meint, es sei dieser Folterpraxis  zu verdanken, dass man Osama bin Laden in Pakistan überhaupt aufgespürt habe (Quelle).

John Yoo, der vor einigen Jahren in einer öffentlichen Diskusion bestätigte, dem US-Präsidenten sei es unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, Kinder von Terroristen zu foltern (Quelle), sagt, Präsident Obama habe von der Folter profitiert:

According to anonymous government sources quoted in the press today, it was the interrogation of al-Qaeda leaders that led to the identification of the courier, who led us to bin Laden’s hiding place. Reports suggest that Khalid Sheikh Mohammed himself may have given up the identity of the courier. Imagine what would have happened if the Obama administration had been running things back in 2002–2008. It would have given Miranda warnings and lawyers to KSM and other al-Qaeda leaders. There would have been no Gitmo, no military commissions — instead civilian trials on U.S. soil with all of the Bill of Rights benefits for terrorist defendants. There would have been no enhanced-interrogation program, no terrorist-surveillance program, and hence no intelligence mosaic that could have given us the information that produced this success.

Zwei Antworten gibt es dazu:
1. Dass KSM, der fast 200mal der waterboarding-Prozedur ausgesetzt wurde, den Namen des Kuriers verraten hat, wird von anderen Informanten bestritten. Vielmehr habe er seine Vernehmer auch unter der Folter getäuscht uind kaum verwertbare Informationen geliefert . Ein anderer Report zur Vernehmung von KSM  legt nahe, dass es nicht die Folter, sondern gerade Techniken des Rapport-Building waren, die den Mann zu einer begrenzten Kooperation brachten.(Quelle)

2. Yoo gibt eine falsche Alternative an, wenn er meint, statt zu foltern hätte man seitens Obama wohl  "nur" einen regulären Strafprozess durchgeführt. Selbstverständlich haben  Verhörexperten andere - nicht gewaltsame - Methoden der Vernehmung, die sogar wesentlich erfolgreicher sind darin, Gefangene zur Kooperation zu bringen und wahrheitsgemäße Informationen zu erhalten. Folter ist weniger dazu geeignet, Informationen zu bekommen, als vielmehr dazu, Persönlichkeiten zu brechen und  "Geständnisse" zu erpressen.

Weiteres zur Debatte in der  New York Times

 

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10 Kommentare

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Ich halte eine solche Äußerung Yoos für einen fadenscheinigen Versuch, seine damaligen (und heutigen?), äußerst fragwürdigen juristischen Ansichten im Lichte von Obamas Erfolg zu rechtfertigen:

"In the Justice Department, Yoo's expansive view of Presidential power led to a close relationship with the office of Vice President Dick Cheney. Yoo played a significant role in developing a legal justification for the Bush Administration's policy in the War on Terrorism, arguing that prisoner of war status under the Geneva Conventions does not apply to "enemy combatants" captured during the War in Afghanistan and held at the Guantánamo Bay detention camp, asserting executive authority to undertake waterboarding and other "enhanced interrogation techniques" regarded as torture by the current Justice Department. Yoo furthermore argued that the President was not bound by the War Crimes Act, and provided a legal opinion backing the Bush Administration's warrantless wiretapping program." Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/John_Yoo

Man muss Obama jedenfalls hoch anrechnen, dass die "Angelegenheit" nicht durch eine Drohne erledigt wurde, sondern durch eine hoch riskante Kommandoaktion. Auch dass Bilder aus dem "war room" veröffentlicht wurden und zugegeben wurde, dass Obama unbewaffnet war, spricht für eine bisher nicht bekannte Transparenz bei derartigen Operationen. Es gab eigentlich keinen Grund, die anfangs verbreitete Version abzuändern (außer der Anzahl der Mitwisser).

Ob diese Transparenz jemals so weit geht, dass die in die USA übertragenen Bilder vom Einsatz veröffentlicht werden, ist allerdings fraglich. Dass sich ein bin Laden widerstandslos festnehmen lässt ist allerdings genauso wahrscheinlich wie ein Navy SEAL, der bei einem solchen Einsatz geduldig abwartet, ob sich sein Gegenüber nach dem Kommando "Freeze!" vielleicht doch nur unter der Achsel kratzt und dann erst abdrückt.

Dass es gegen bin Laden genug Verdachtsmomente für eine Anklage gab ist unbestritten - so unbestritten wie die Tatsache, dass es wohl nie einen rechtsstaatlich einwandfreien Prozess gegen ihn gegeben hätte, so lange er sich in Afghanistan oder Pakistan aufgehalten hätte. Auch die Entführung Adolf Eichmanns nach Israel war zweifellos völkerrechtswidrig, und dennoch wurde durch sie und mit dem anschließenden Prozess dem Gerechtigkeitsempfinden zahlloser Menschen Genüge getan. 

Nach wie vor empfehlenswert ist "Der Tod wird euch finden"/"The Looming Tower" von Lawrence Wright. Und wer wegen Al-Quaida den Islam verteufelt, sollte sich vergegenwärtigen, dass die Ansichten bin Ladens etwa so weit von den Vorschriften des Korans entfernt sind wie das Unfehlbarkeitsdogma des Papstes (der dem deutschen Staat immer noch vorschreiben kann, wer trotz Freiheit der Forschung und Lehre an deutschen Unis wegen unliebsamer Meinungen auf Steuerzahlerkosten nicht mehr unterrichten darf) von der Bergpredigt. "Taliban" gibt es nicht nur in Afghanistan ...

 

 

Lieber "Mein Name", diese scheinbare Transparenz kann aber auch dazu dienen, den Konflikt aufrecht zu erhalten, denn der wird schließlich benötigt, um weiterhin zu kriegen, Bodenschätze- und Absatzmärkte zu sichern.

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Ich sehe nicht das Bemühen um Transparenz, sondern den Versuch, durch das Schaffen immer neuer ungeheuerlicher Fakten das Völkerrecht zu ändern.  Was Krieg im Sinne des Völkerrechts ist und was völkerrechtlich erlaubt ist, versuchen die USA seit 10 Jahren im Alleingang zu bestimmen. An Beifall fehlt es nie.  Und aus der völkerrechtlichen Sicht des 18. und 19. Jahrhunderts ist es ja auch völlig in Ordnung, wenn aus der staatlichen Souveränität das Recht abgeleitet wird, überall und gegen jeden nach eigenem Gutdünken Krieg zu führen. Man darf sich dann allerdings nicht wundern, wenn auch andere Staaten zu diesem Souveränitätsbegriff zurückwollen.  Das moderne Völkerrecht ist ja aus bestimmten negativen Erfahrungen geschaffen worden. Wenn man jetzt schleichend zu einem allgemeinem ius ad bellum zurückkehren will, ist das zwar völkerrechtlich hinzunehmen; denn das Völkerrecht unterliegt wie alle Rechtsordnungen dem steten Wandel. Ob es politisch klug ist und wohin das langfristig führen wird, ist eine andere Frage.

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Erstens muss ich sagen, dass mir das ein paar Zufälle zu viel sind.

Er lebt da 5 oder 6 Jahre in einem Luxus Anwesen in einer Stadt wo es von Militär und Geheimdienst nur so wimmelt und weder die Amerikaner noch die Pakistanis wollen das mitbekommen haben.

Sehr unwahrscheinlich. Ich denke eher, dass Amerika ganz genau wusste wo er war und zwar seit Jahren. Doch wieso soll man sich um ein praktisches Feindbild bringen, wenn dieses relativ harmlos vor sich hin existiert. Die jetzige Entscheidung verdanken wir wohl eher Obamas Druck Erfolge zu präsentieren.

Und dann soll das ganze auch noch ausgerechnet durch Folter in dem Gefängnis, dass er eigentlich schliessen wollte ermöglicht worden sein: Definitiv ein Zufall zu viel.

Davon abgesehen, ihn nach 10 Jahren finden ist jetzt nich so überragend erfolgreich, dass man deshalb seine angeblich kleinliche Kritik an der Folterpraxis überdenken soll.

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Ein erhellender Artikel von Conor Friedersdorf in der amerikanischen Zeitschrift The Atlantic:

Die neue Debatte zeige, dass die Folterbefürworter offenbar meinen, ihr bisheriges Standardargument (das "Ticking Bomb Scenario") nicht mehr bemühen zu müssen. Denn jetzt sagten sie,  Folter sei nicht nur gerechtfertigt, wenn Terroristen eine Zeitbombe gezündet haben, um diese rechtzeitig entschärfen zu können. Folter solle jetzt sogar gerechtfertigt sein, wenn irgendwann in ferner Zukunft aufgrund irgendeiner durch Folter erlangten Information im Zusammenwirken mit vielen weiteren Ermittlungen und Spuren möglicherweise  ein Terroristenführer in Pakistan erschossen werden kann. Friedersdorf:

Ticking time bomb scenarios happen rarely, if ever. The price of obsessing over them, rather than seeing the wisdom in an outright ban? It's going from "torture rarely, if ever" to "torture whenever it might help kill Al Qaeda's leader in the distant future" in less than a decade. This is exactly what torture opponents predicted.

 

Aus meiner Sicht: Diese Männer: Yoo, Bybee, Rumsfeld, Cheney und Co. gehören (nach einem fairen Prozess!) wegen ihrer Straftaten verurteilt, notfalls in Deutschland. Die hiesige Bundesanwaltschaft hatte ein Strafverfahren in Deutschland abgelehnt, da gegen den "war council", der die Folter in den USA gebilligt und angeordnet hatte, vorrangig in den USA selbst zu ermitteln sei. Offenbar bestehen aber seit etlichen Monaten überhaupt keine Anzeichen dafür, dass dies jemals geschehen wird (vgl. auch noch hier im Blog), im Gegenteil: Obama lädt seinen Vorgänger auch noch zur "Siegesfeier" nach Ground Zero ein. .

Zum Hintergrund:

H.E. Müller: Staatsführungen als Tätergemeinschaften am Beispiel der Gefangenenmisshandlungen und Folter in Guantanamo und Abu Ghraib, in: Müller, Sander, Válkova (Hrsg.): Festschrift für Ulrich Eisenberg zum 70. Geburtstag, München 2009, S. 83 - 118   i

 

Vielleicht haben die USA noch nicht erkannt, welche Bedeutung es hat, den Kampf gegen den Terrorismus nicht als Strafverfolgung und präventivpolizeiliche Maßnahme zu begreifen, sondern zum Krieg im völkerrechtlichen Sinne zu erklären.  Im Gegensatz zum Straf- und Polizeirecht kennt der völkerrechtliche Krieg legitime Gewaltanwendung nicht nur von einer Seite, sondern von beiden Seiten. Wenn sich die USA in einem Krieg gegen Al Qaida wähnen und glauben, die Tötung von Terroristen (ggf. auch deren Frauen, Kindern, Nachbarn, etc.) sei kriegsrechtlich erlaubt, dürfen die Terroristen zu den gleichen Mitteln greifen. Das ist im Krieg nun einmal beiden Seiten gestattet.

 

Was völkerrechtlich nicht geht, ist, einen einseitigen Krieg auszurufen, die eigenen Maßnahmen für kriegsrechtlich legitimiert zu erklären und die Gegenaktionen des Feindes als Terrorismus zu bezeichnen.

 

Da es aber seit Jahrzehnten schon keine Kriegserklärungen und Friedensverträge mehr gibt, jeder vielmehr nach eigenem Gutdünken zuschlägt, wie er es gerade für richtig hält und sich dabei in völliger Übereinstimmung mit seiner Lesart der völkerrechtlichen Regeln sieht, scheint das geschriebene Kriegsvölkerrecht ohnehin nur noch ein Fall für das Antiquariat zu sein.

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Der Streit geht in die nächste Runde, nachdem der ehemalige Präsidentschaftskandidat der Republikaner McCain, der selbst in Kriegsgefangenschaft gefoltert wurde, bestritten hat, waterboarding sei bei der Aufspürung Bin Ladens hilfreich gewesen:

"Not only did the use of enhanced interrogation techniques on Khalid Sheikh Mohammed not provide us with key leads on bin Laden's courier, Abu Ahmed, it actually produced false and misleading information," McCain said. (Quelle)

Nun sagt der Republikaner Santorum - ein möglicher Kandidat gegen Obama  - McCain habe keine Ahnung von den modernen Foltertechniken.

"I mean, you break somebody, and after they're broken, they become cooperative. And that's when we got this information. And one thing led to another, and led to another, and that's how we ended up with bin Laden," said Santorum. (Quelle)

Man bewahre uns vor einem Präsidentschaftskandidaten, der Folter schon im Vor-Wahlkampf als sinnvoll anpreist

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