Keine kurze Freiheitsstrafe für Wiederholungstäterin? "Sie verhält sich in strafrechtlicher Hinsicht jenseits des § 265a StGB seit Jahren rechtstreu."

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 16.12.2015

Na - so hatte das LG seinen Verzicht auf eine kurze Freiheitsstrafe bei einer notorischen Schwarzfahrerin begründet. Das OLG fand das nicht so toll. Überhaupt waren dem OLG die Strafen "etwas" zu milde:

Bei den von der Strafkammer festgesetzten Einzelgeldstrafen von 10 Tagessätzen für die Fahrt vom 15.07.2014 und von jeweils 12 Tagessätzen für die beiden Fahrten vom 02.08.2014 handelt es sich um unvertretbar milde Strafen, die bei zutreffender Gewichtung der zu berücksichtigenden gravierenden Strafschärfungsgründe nicht mehr vertretbar sind. Denn sie stehen in keinem angemessenen Verhältnis zum Unrechtsgehalt und zum Grad der persönlichen Schuld der Angeklagten; insoweit unterschreiten sie den dem Tatrichter bei der Strafzumessung eingeräumten Spielraum.

Zwar hat die Strafkammer im Zusammenhang mit den gegen die Angeklagte sprechenden Strafzumessungserwägungen ihr Vorleben und dabei insbesondere den Umstand berücksichtigt, dass sie sich bereits mehrfach wegen identischer Delikte strafrechtlich zu verantworten hatte und zuletzt wegen entsprechender Taten drei Mal zu Freiheitsstrafen verurteilt wurde, deren Vollstreckung jeweils zur Bewährung ausgesetzt wurde, die sämtlich zum Zeitpunkt der letzten Tat noch offen waren. Auch hat die Kammer ausdrücklich nicht verkannt, dass die Angeklagte die bislang gegen sie ergangenen strafrechtlichen Verurteilungen nicht in der Weise ernst genommen hat, dass sie von der Begehung weiterer gleichgelagerter Straftaten abgesehen hat, wobei ihre Rückfallgeschwindigkeit hoch ist.

Diese zutreffend erkannten Umstände hat die Kammer sodann jedoch nicht hinreichend gewichtet. Sie lassen – unter ansonsten gleichbleibenden Umständen - allein den Schluss zu, dass die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf die Angeklagte unerlässlich im Sinne des § 47 Abs. 1 StGB ist.

Es entspricht der dargestellten Rechtsprechung, dass es nicht gegen das verfassungsrechtliche Prinzip schuldangemessenen Strafens verstößt, dass das Gesetz - wie etwa in § 265a StGB – die Begehung von Straftaten, die sich auf eine geringwertige Sache oder Leistung (§§ 265a Abs. 3, 248a Abs. 3 StGB) beziehen, wahlweise mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bedroht. Der Umstand, dass es sich – ebenso wie bei den beiden weiteren Fahrten mit einem jeweils ersparten Fahrpreis von 6,20 € - auch bei der ersten Fahrt vom 02.08.2014 von L nach L2 um eine Straftat handelt, die mit dem (ersparten) Fahrpreis von 20,00 € noch dem Bagatellbereich zuzuordnen ist, steht der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nach den aufgeführten Grundsätzen daher nicht entgegen. In der Verhängung einer solchen Sanktion liegt in Ansehung der sonstigen für die Strafzumessung relevanten Umstände entgegen der Auffassung der Strafkammer auch keine offensichtliche Verletzung des Übermaßverbots. Soweit die Kammer in diesem Zusammenhang berücksichtigt hat, dass sich die Angeklagte in einer schweren Lebenskrise befindet und handelte, um ihre Kinder zu sehen, trifft das für die Taten vom 02.08.2014, die anlässlich eines „Ausfluges“ mit Bekannten nach L begangen wurden, allenfalls mittelbar in dem Sinne zu, dass die Angeklagte um Konsequenzen angesichts ihrer Begleiter und deren Betäubungsmittelkonsum fürchtete. Der Ausflug selbst und die Auswahl der Begleiter erfolgten demgegenüber ohne jeden Zusammenhang zu dem Bestreben, den Umgang mit ihren Kindern auszuweiten und diese in ihren Pflegefamilien zu besuchen. Soweit die Kammer trotz der einschlägigen Vorverurteilungen, die bereits wiederholt zur Verhängung von Freiheitsstrafen geführt haben, ohne dass dies die Angeklagte davon abgehalten hätte, erneut und mit hoher Rückfallgeschwindigkeit Straftaten nach § 265a StGB zu begehen, keine besonderen Umstände in der Person der Angeklagten erkennt, die hier die Verhängung einer Freiheitsstrafe gebieten, begegnet diese Annahme und ihre Begründung durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellung, dass die Angeklagte aufgrund ihrer Antriebslosigkeit offensichtlich keinen besseren Weg fand, um die Kontakte zu ihren Kindern aufrecht zu erhalten, ist schon im Ansatz nicht nachvollziehbar. „Antriebslosigkeit“ erklärt weder konkret die Fahrt nach bzw. die Rückfahrt von L noch allgemein den Entschluss, neuerliche Straftaten nach § 265a StGB zu begehen. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe ist schließlich auch nicht aufgrund der damit zwangsläufig drohenden weiteren Konsequenzen „völlig unangemessen“, da ein etwaiger Widerruf der noch offenstehenden Bewährungen aus zwei gleichgelagerten Vorverurteilungen Folge und Konsequenz des Bewährungsversagens der Angeklagten wäre. Die in diesem Zusammenhang herangezogene Erwägung, dass bei einer „Vollstreckungsbündelung“ die auch den rechtskräftig gewordenen Vorverurteilungen zugrunde liegende kritische Handhabung des § 47 Abs. 1 StGB erneut manifest werde, ist der Strafkammer im Übrigen aufgrund der Rechtskraft der Entscheidungen verwehrt.

Die im strafrechtlichen Werdegang der Angeklagten begründeten Gesichtspunkte rechtfertigen und erfordern es, die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf die Angeklagte als unerlässlich im Sinne des § 47 StGB anzusehen.

Es kann im Hinblick darauf dahinstehen, ob die Verhängung einer Freiheitsstrafe gegen die Angeklagte auch zur Verteidigung der Rechtsordnung geboten ist im Sinne des § 47 StGB. Die diesbezüglichen (rechtspolitischen) Ausführungen unter Ziffer D. 3. a) der Urteilsgründe lassen nach Auffassung des Senats besorgen, dass bei der Frage der Unerlässlichkeit auch insoweit ein unzutreffender Maßstab angelegt wurde.

Oberlandesgericht Köln, Beschl. v. 3.11.2015 - 1 RVs 166/15

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2 Kommentare

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So bekommt man die Knäste natürlich auch voll! Ich frage mich, ob das gesellschaftlich sinnvoll ist, sowohl was die erheblichen Kosten für die Inhaftierung (ca. 120,- pro Tag) als auch die sozialen Folgekosten (Verlust von Job - hier wohl eher nicht - , Wohnung, Kontakten etc.) betrifft. Natürlich ist die Auslegung des OLG vertretbar und der Wille des Gesetzgebers steht ihr in diesen Fällen auch nicht entgegen, weil er bisher in Kenntnis der tagtäglichen Rechtsanwendung weder § 265a StGB noch § 47 StGB geändert hat. Und jeder weiß, dass bei kurzen Freiheitsstrafen, wozu praktisch alles unter 2 Jahren zählt, im Vollzug wenig in die Resozialisierung investiert wird.

Im Ergebnis führt diese Art von Rechtsprechung dazu, dass arme und sozial benachteiligte Menschen inhaftiert werden. Der Mittel- und Oberschicht passiert so etwas nicht. Hier im Rhein-Main-Gebiet werden übrigens von Schwarzfahrern, die sofort 60,- bezahlen, nicht einmal die Personalien aufgenommen...

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die Justiz sollte oder müsste eigentlich zwischen einer Straftat und einer Haftungsfrageverlagerung unterscheiden können,denn eine sogenannte Leistungserschleichung kann nur gelingen wenn dabei auf einer Seite ein Versäumnis entsteht.Dieses Versäumnis kann ganz klar dem Kontrolleur zugeordnet werden.

Im Ergebnis steht damit fest das es bis zur Kontrolle des Kontrolleurs überhaupt keine Leistungserschleichung gegeben haben kann,denn das rückwirkende behaupten eine leistungserschleichende Handlung bewirkt zu haben ist eine unbewiesene Behauptung,denn ein Erschleichen einer Leistung setzt voraus das der Begriff etwas zu erschleichen wollen.Das ist hier nicht gegeben.Erst wenn der Schwarzfahrer den Anweisungen des Personals ,hier dem Kontrolleur , nicht Folge leistet beginnt die Erschleichung einer Leistung.

Wenn jemand es also schafft ohne Kinokarte den Film kostenlos zu sehen, dann beruht das auf ein Versäumnis derer die nicht kontrolliert haben.

Und nun sollte mir mal jemand den Straftatbestand nennen der nach dem Gesetz zu einer Verurteilung des Schwarzfahrers führen könnte.Der §265a StGB scheint da eher kein Gesetz als mehr eine Bekanntmachung zu sein und sollte dementsprechend auch so behandelt werden

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