Greenpeace-Gutachten zu den Haltungsvorgaben für Mastschweine

von Prof. Dr. Jose Martinez, veröffentlicht am 09.05.2017

Derzeit sorgt in der Agrarwelt ein Gutachten von Greenpeace für Wirbel, das die Vereinbarkeit der konventionellen Mastschweinehaltung in Deutschland, wie sie die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vorschreibt, mit dem Tierschutzgesetz prüft. Das 62-seitige Rechtsgutachten wurde von Rechtsanwältin Davina Bruhn, Vorstandsmitglied der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht e.V. (DJGT), und Dr. Ulrich Wollenteit erstellt.

Die Ergebnisse des Gutachtens lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Die derzeit nach der Nutztierhaltungsverordnung zulässige Haltungsform verstößt gegen das Tierschutzgesetz (insbesondere § 2 TierSchG) und gegen die Staatszielbestimmung nach Art. 20a GG, wonach der Staat die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere schützt.

2. Die genannten Regelungen begründen zwingend eine Handlungspflicht des Staates hin zu einer Verschärfung der Haltungsbedingungen. Insbesondere genügen freiwillige Tierwohl-Initiativen nicht den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Vorgaben, da sie zu keinen signifikanten Verbesserungen der Haltungsbedingungen führten.

3. Weder das Verfassungs- noch das Europarecht stehen einer Verschärfung im Wege.

Greenpeace fordert auf Basis des Gutachtens eine Verschärfung  der Nutztierhaltungsverordnung durch das zuständige BMEL. Anderenfalls soll eine Normenkontrollklage eingereicht werden. Eine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht kann nur die Bundesregierung selbst, eine Landesregierung oder ein Viertel der Mitglieder des Bundestages anstreben. Deshalb ist Greenpeace mit Landesregierungen im Gespräch.

Das Gutachten zeigt zutreffend strukturelle Probleme des Tierschutzes im Nutztierbereich auf, verdeutlicht zugleich aber auch Defizite im Tierschutzdiskurs. 

Deutschland ist europäischen Vergleich bei der Fest- und Umsetzung von Nutztier-Tierschutzstandards nur im Mittelfeld. Zweifelsfrei besteht daher Optimierungsbedarf bei der Nutztierhaltung, insbesondere bei nicht-kurativen Maßnahmen. Der Begriff „Optimierungsbedarf“ ist hier nicht als Euphemismus zu verstehen, der die bestehenden Defizite kleinreden will. Der Begriff knüpft vielmehr an die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung im Legehennen-Urteil an, in der das BVerfG die Hennenhaltungsverordnung unter anderem mit der Begründung für nichtig erklärte, das Tierschutzgesetz verpflichte den Verordnungsgeber auf die Vorstellungen eines ethisch begründeten Tierschutzes und könne nicht als Minimalprogramm entwickelt werden. Vielmehr müsse er diesen begründeten Tierschutz bis an die Grenze des Übermaßverbots fördern (BVerfG, Urteil vom 6. 7. 1999 -– 2 BvF 3/90, BVerfGE 101,1, Rn.  Rn.  111). Dadurch wird die Verfassungsdimension des Tierschutzes insbesondere im Nutztierbereich unterstrichen.

Um aber von dieser Verfassungsdimension auf eine Verfassungswidrigkeit und auf eine Handlungsfplicht des Gesetzgebers zu schließen, bedarf es noch zahlreicher Zwischenschritte, die in dem genannten Gutachten unsachgemäß verkürzt und zum Teil übersprungen werden. Sie können im Folgenden im Lichte des Bog-Formats nur stichwortartig aufgezeigt werden:

1. Ausgangspunkte jeder rechtlichen Wertung ist ein belastbarer Sachverhalt. Aussagen wie „Es dürfte mittlerweile als erwiesen gelten, dass diese Haltungsbedingungen als eklatant tierschutzwidrig zu bezeichnen sind“, die nur mit zwei Belegen nachgewiesen werden, erfüllen nicht diese Voraussetzungen. Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim BMEL, dem der Verfasser angehört, hat über zwei Jahre versucht, auf der Grundlage der bestehenden, insbesondere ethologischen Erkenntnisse belastbares Material zusammenzutragen. Dieses hat sich sowohl im Hinblick auf die Art der Tierwohlverletzungen als auch auf die Feststellung der Haltungsbedingungen in Deutschland mangels ausreichender empirischer Studien als nur bedingt machbar erwiesen. Das Greenpeace-Gutachten indes beschränkt sich auf einige wenige Kommentierungen und Studien. Die Ergebnisse sind damit nicht ausreichend differenziert und belegt und bewegt sich somit im spekulativen Raum. Das ist typisch für den Diskurs im Tierschutzrecht – übrigens auf beiden Seiten.

2. Bestehende Tierschutzdefizite sind in der Regel nicht auf defizitäre Normen zurückzuführen, sondern auf einen defizitären Normenvollzug. So ist das  Schwänze kupieren bereits heute nach dem Tierschutzgesetz grundsätzlich nicht zulässig. Nur in Ausnahmefällen soll nach dem Willen des Gesetzgebers mit vorheriger Genehmigung  dies möglich  sein. Problematisch ist aber, dass derartige Ausnahmegenehmigungen in der Praxis an eine weit überwiegende Mehrheit der Betriebe erteilt wird. Das dem zugrundeliegende Vollzugsdefizit erweist sich damit als Kernproblem des Tierschutzes. Die Kontrolldichte ist zu niedrig So wurden 2012 bei den hauptsächlich in Deutschland gehaltenen Nutztierarten zwischen 2,0 % und 9,1 % aller nutztierhaltenden Betriebe kontrolliert. Außerdem stellt für die zuständigen Behörden, die meist über die Tierschutzkontrollen hinaus noch viele weitere Zuständigkeiten im Veterinärwesen haben, die rechtliche und fachliche Durchdringung der Materie eine erhebliche Herausforderung dar. Darüber hinaus beklagt der Bundesrechnungshof in seinem Gutachten 2011 eine Überforderung der dezentralen Strukturen, die den zunehmend komplexen und internationalen Wertschöpfungsketten nicht mehr entsprechen. Jede Forderung nach höheren Standards muss sich im Lichte der Verhältnismäßigkeit die Frage stellen, ob und wie sich diese durchsetzen lassen.

3. Die Staatszielbestimmung fordert vom Gesetz-/Verordnungsgeber, den Tierschutz an die sich verändernden technischen und  wissenschaftlichen Erkenntnisse und gesellschaftlichen Erwartungen anzupassen. Dabei ist das Recht und insbesondere das Ordnungsrecht nur ein Instrument von vielen. Das Tierschutzziel muss erst recht nicht mit dem scharfen Schwert des Ordnungsrechts durchgesetzt werden. Freiwillige Maßnahmen, die sich als ebenso wirksam erweisen, mögen insoweit sogar eher naheliegen, wie der Vertrags-Naturschutz verdeutlicht. Um die Effizienz derartiger Maßnahmen zu prüfen, steht dem Gesetz-/Verordnungsgeber ein zeitlicher Rahmen zur Verfügung. In der Tat war die Position des BMEL in diesem Bereich in den letzten Jahren trotz entgegenstehender Empfehlungen aus der Wissenschaft und Praxis sehr zurückhaltend. Dies ändert sich jetzt. Im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mag daher bezweifelt werden, ob diese Probephase bereits temporär abgelaufen ist. Eine Verfassungswidrigkeit hieraus ableiten zu wollen, überdehnt die Steuerungswirkung der Staatszielbestimmung, die bewusst nicht als subjektives Recht und damit eben nicht schutzpflichtauslösend gestaltet worden ist.

4. Die im Gutachten geforderte Erhöhung der Standards wäre begleitet von einem Rückgang der Tierhaltung in Deutschland, vorrangig der kleinen und mittleren Betriebe. Dies löst aber eine weitere verfassungsrechtliche Wertung aus, auf die im Gutachten nicht eingegangen wird:  Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG muss der Gesetzgeber das besondere öffentliche Interesse an dem Erhalt leistungsfähiger landwirtschaftlicher Betriebe und damit des Wirtschaftsbereichs Landwirtschaft besonders beachten. Die Landwirtschaft ist ein besonderes Rechtsgut, das aufgrund seiner faktischen Einzigartigkeit einen funktionalen Verfassungsrang hat. Die Rechtsprechung hat daher mangels gesetzlicher Vorgaben das abstrakte Konzept des leistungsfähigen landwirtschaftlichen Betriebs entwickelt. Als Folge dessen trifft den Verfassungsstaat eine Förderpflicht zu Gunsten der Landwirtschaft, die sich zumindest zu einer institutionellen Garantie der Landwirtschaft als privat organisierte Bewirtschaftung von landwirtschaftlich genutzten Grundstücken verdichtet. Die Landwirtschaft wird somit durch das Grundgesetz nicht nur gefördert, sondern - unausgesprochen - auch in ihrer Institution als solches geschützt. Allerdings kann aus einer derartigen verfassungsrechtlichen Interpretation nicht der Schutz einer spezifischen landwirtschaftlichen Betätigung entnommen werden. Anders ausgedrückt: Das Verfassungsrecht schützt die Landwirtschaft, nicht eine bestimmte landwirtschaftliche Nutzung oder Betriebsform.

Die Tierhaltung nimmt an dieser Förderpflicht teil, soweit sie den Bodenbezug aufweist, der für die Landwirtschaft charakteristisch ist. Intensivtierhaltungsanlagen weisen diesen Flächenbezug notwendigerweise nicht auf. Sie sind daher weder im baurechtlichen Sinne als Landwirtschaft zu verstehen, noch besteht ein besonderes öffentliches Interesse am Erhalt dieser spezifischen Betriebsformen und -größen. Eine besondere Berücksichtigung im Rahmen der Interessenabwägung bei künftigen Reformen ist daher jenseits der grundrechtlichen Dimension nicht geboten.

Der Gesetzgeber ist aber angehalten, bei gebotenen Reformen des Tierschutzrechts die wesentlichen Elemente einer mit Gewinnerzielungsabsicht erfolgten bodengeprägten Tierhaltung in kleinen und mittleren Betrieben zu berücksichtigen. Zeitlich folgt daraus, dass für künftige Erhöhungen der Schutzstandards den Tierhaltern sowohl durch den Gesetzgeber als auch die Verwaltung und die Gerichte eine angemessene Übergangsfrist und /oder finanzielle Kompensationen eingeräumt werden müssen, um das Überleben der mittleren und kleinen Betriebe zu sichern.

Zum Download des Greenpeace-Gutachtens:  http://gpurl.de/nWttn

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1 Kommentar

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Vom Schreibtisch aus lassen sich Falschbehauptungen wie unter Punkt 1. halt leicht treffen, gelle Herr Jurist?

Die traurige Realität widerlegt Sie: Zwei Drittel aller kontrollierten Schlachthöfe in Bayern betäuben nicht richtig (SZ)

Auch unter 3. müssen Sie Ihren Beitrag unter dem Drei-Affen-Motto verfasst haben. Wenn Landkreise als stiller Teilhaber vom Gewinn eines Schlachthofs profitieren, wie intensiv werden dann Kontrollen sein und wie hoch eventuelle Bußgelder? Wie wird die Motivation sein, freiwillig kostenintensive Maßnahmen zur Einhaltung der Standards durchzusetzen? Der Kandidat hat einen Joker-Anruf frei.

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