OLG Köln: Zur Beweislastverteilung bei Organhaftungsansprüchen gegen den Erben eines verstorbenen Vorstandsmitglieds

von Dr. Cornelius Wilk, veröffentlicht am 13.01.2020

Das OLG Köln hat mit Urteil vom 1. Oktober 2019 (18 U 34/18, BeckRS 2019, 29423) zur Frage Stellung genommen, ob die in § 93 Abs. 2 S. 2 AktG normierte Beweislastverteilung auch dann gilt, wenn die Gesellschaft Ansprüche gegen den Erben eines Vorstands geltend macht.

Beweislastverteilung gemäß § 93 Abs. 2 S. 2 AktG

Nach § 93 Abs. 2 S. 2 AktG muss ein Vorstand, gegen den Schadensersatzansprüche aus § 93 Abs. 2 S. 1 AktG geltend gemacht werden, beweisen, dass er die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewendet hat. Die Gesellschaft muss zunächst nur die mutmaßlich pflichtwidrige Handlung darlegen. Das Vorstandsmitglied hat dann die fehlende Pflichtwidrigkeit, Schuldhaftigkeit und ggf. Schadenskausalität der Handlung zu beweisen. Nach überwiegender Literaturansicht ist die Vorschrift teleologisch zu reduzieren, wenn Ansprüche gegen den Rechtsnachfolger eines Vorstandsmitglieds geltend gemacht werden. Die Gesellschaft soll dann die volle Darlegungs- und Beweislast tragen.

Vorinstanz bekräftigt Literaturansicht

Vorliegend war der Sachverhalt in großen Teilen aufgeklärt. In Bezug auf einzelne, den Ex-Vorstand entlastende Gesichtspunkte waren jedoch Zweifel verblieben. Die erste Instanz schloss sich daraufhin als – soweit ersichtlich – erstes Gericht der überwiegenden Literaturansicht an und wies die Klage in den betroffenen Punkten mit der Begründung ab, die Gesellschaft sei ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen (LG Aachen vom 9. Februar 2018, 42 O 139/15, unveröffentl.).

OLG Köln: Sekundäre Beweislast des Vorstandserben für negative Tatsachen

Das OLG Köln dagegen gibt in seiner Entscheidung dem Klageantrag umfassend statt. In Bezug auf mögliche entlastende Gesichtspunkte sei der Erbe beweisbelastet. Dies ergebe sich bereits aus allgemeinen Gesichtspunkten. Habe eine primär darlegungspflichtige Partei eine negative Tatsache zu beweisen, so wechsele die Darlegungslast zum Gegner, der die konkreten Umstände dann als sekundär behauptungspflichtige Partei darzulegen habe. Es bleibe daher bei einer Darlegungslast des Erben, soweit sich aus dem unstreitigen Sachverhalt ohne weitere rechtfertigende Umstände eine Pflichtverletzung ergebe. Auf die Anwendbarkeit von § 93 Abs. 2 S. 2 AktG komme es nur an, wenn im Anschluss an hinreichend konkrete Darlegungen beider Seiten die Frage der Beweislast zu beantworten sei.

Anspruch des Vorstandserben auf Einsichtnahme in Geschäftsunterlagen

Die Darlegungslast des Erben sei auch vor dem Hintergrund gewisser Schwierigkeiten bei den nötigen Darlegungen gerechtfertigt. Als Rechtsnachfolger des Vorstands habe der Erbe gegen die Gesellschaft aus nachwirkender Treuepflicht und/oder § 810 BGB Anspruch auf Einsicht in relevante Geschäftsunterlagen. Überdies könne der Erbe die Haftung gemäß § 1990 BGB auf den Nachlass begrenzen. Ein weiterer Schutz im Rahmen der Beweislast sei nicht geboten.

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