She pulled a bear on him: DeepL liegt ein Trugschluss zugrunde

von Peter Winslow, veröffentlicht am 20.02.2020

Ab und an hört oder liest man persönliche Begutachtungen von DeepL, die etwa so lauten:

Deepl kann ich persönlich sehr empfehlen. Man muss zwar manchmal etwas verbessern, aber vergleichsweise selten. Ein Muttersprachler mag das kritischer sehen, aber selbst die Juristen, die länger im anglo-amerikanischen Raum gelebt haben oder primär auf Englisch arbeiten, sind ganz zufrieden. […] Deepl sitzt in Köln - was schon ein großes Plus ist- und liefert ziemlich gute Resultate (hier).

Ein Muttersprachler sieht das kritischer und ist der Ansicht, dass die Wörter »aber selbst die Juristen, die länger im anglo-amerikanischen Raum gelebt haben oder primär auf Englisch arbeiten, sind ganz zufrieden« nicht für DeepL, sondern gegen diese Juristen sprechen. Es ist eine harte Tatsache des Lebens, dass DeepL keine brauchbaren Übersetzungen liefert. Denn DeepL liefert keine Übersetzungen, sondern eine Art Ersatzergebnis. Bei DeepL erhält man nämlich »Übersetzungen«, die sich wie wörtliche Wiedergaben von Redewendungen lesen. Aber dies ist grundsätzlich fehl am Platz:

Der Satz Sie hat ihm einen Bären aufgebunden ist nicht verständlich, wenn man versucht, seine Bedeutung »wörtlich«, also aus der Kombination der Bedeutungen seiner einzelnen Wörter, zu erschließen. Nur wenn man weiß, dass die Wortgruppe jemanden einen Bären aufbinden in ihrer Gesamtheit eine bestimmte Bedeutung hat, und wenn man diese Gesamtbedeutung kennt, versteht man den Satz richtig: Sie hat ihn dazu gebracht, etwas Unwahres zu glauben (Duden Redewendungen, Seite 9).

Bei DeepL werden nur die einzelnen ausgangstextlichen Wörter und Phrasen durch zieltextliche Entsprechungen ersetzt; durch dieses Ersetzen wird versucht, Übersetzungen aus der Kombination der Bedeutungen der einzelnen Wörter und Phrasen des Ausgangstextes zu erzeugen, als stellte eine solche Ersatzaktion nicht den Trugschluss der Komposition dar. Selbst wenn diese Wörter und Phrasen richtig ersetzt werden, ergibt sich daraus keine richtige Übersetzung; was für die einzelnen Elemente gilt, gilt nicht für die Gesamtheit. Beweis: Wenn man die Redewendung Sie hat ihm einen Bären aufgebunden bei DeepL eingibt, ist das Resultat lachhaft: She pulled a bear on him. Diese »Übersetzung« könnte höchstens als witziger Unsinn bzw. als Verballhornung einer von Shakespeares bekanntesten Bühnenanweisungen – »Exit, pursued by a bear« (The Winter’s Tale) – gelten.

Bei juristischen Fachtexten schneidet DeepL nicht besser ab. Schauen wir uns die nachstehende Passage aus dem Urteil des OLG Düsseldorf vom 22. März 2019 (I-2 U 31/16, Rdnr. 205) an:

Es liegt in der Natur der Sache, dass die Standardsetzung technologischen Wettbewerb unterbindet, weil jede konkurrierende technische Lösung, die nicht in den Standard aufgenommen wird, im Wettbewerb auf dem Produktmarkt mangels Kompatibilität chancenlos ist. Die freiwillige Bereitschaft aller durch die Standardsetzung privilegierten SEP-Inhaber, Konkurrenz dadurch zu ermöglichen, dass jedem an der standardessentiellen Technik Interessierten eine Benutzungserlaubnis zu FRAND-Bedingungen eingeräumt wird, stellt von daher eine tragende Säule der technischen Standardsetzung und ihrer rechtlichen Zulässigkeit dar.

Hier mal die »Übersetzung« von DeepL, die heute Morgen rausgespuckt wurde:

It is in the nature of things that standard-setting prevents technological competition, because any competing technical solution which is not included in the standard has no chance of competing on the product market due to lack of compatibility. The voluntary willingness of all SEP holders privileged by the standard-setting process to enable competition by granting a licence for use on FRAND terms to anyone interested in the technology essential to the standard is therefore a mainstay of technical standard-setting and its legal admissibility.

Diese »Übersetzung« stellt nichts anderes als einen Wort-für-Wort- und Phrase-für-Phrase-Ersatz dar. Im Einzelnen wurden etwa

  1. in der Natur der Sache durch in the nature of things
  2. unterbindet durch prevents
  3. Standardsetzung durch standard-setting
  4. technologischen Wettbewerb durch technological competition
  5. die nicht in den Standard aufgenommen wird durch which is not included in the standard
  6. mangels Kompatibilität durch due to lack of compatibility
  7. chancenlos durch no chance
  8. Die freiwillige Bereitschaft durch The voluntary willingness
  9. aller durch die Standardsetzung privilegierten SEP-Inhaber durch of all SEP holders privileged by the standard-setting process
  10. Konkurrenz dadurch zu ermöglichen durch to enable competition by
  11. eine Benutzungserlaubnis eingeräumt wird durch granting a licence for use
  12. jedem an der standardessentiellen Technik Interessierten durch to anyone interested in the technology essential to the standard
  13. zu FRAND-Bedingungen durch on FRAND-terms
  14. eine tragende Säule durch a mainstay
  15. der technischen Standardsetzung und ihrer rechtlichen Zulässigkeit durch of technical standard-setting and its legal admissibility

jeweils – teilweise überwörtlich, teilweise richtig, teilweise falsch – ersetzt, und zwar mehr oder minder der Reihe nach. Die Wörter und Phrasen, die nicht an derselben Stelle stehen wie im Ausgangstext, wurden nur aus Gründen des Satzbaus geändert und tragen weder zur Verständlichkeit noch zur professionellen Prosa bei. Also: Dieses Ersatzverfahren stellt lediglich eine Aneinanderreihung von Wörtern und Phrasen dar, die man noch weniger lesen möchte als anwaltliche Arbeitsergebnisse. … Selbst wenn man die Sätze versteht, die DeepL rausspuckt, will man diese nicht lesen. Wenn diese nicht unsinnig sind, ist das Englisch grottenschlecht.

Um Klartext zu reden: Dieses Ersatzverfahren zum Rausspucken von Aneinanderreihungen basiert auf dem Trugschluss der Komposition und hat nichts und wieder nichts mit Übersetzen zu tun. Der erste Satz enthält mindestens eine in diesem Zusammenhang unsinnige Wendung (in the nature of things) und liest sich im Übrigen wie ein Satz aus einer Ersti-Hausarbeit, die vom viertbesten Streber geschrieben wurde. Der zweite Satz ist ein grammatikalischer Wirrwarr, der gegen sämtliche rules of composition verstößt: Subjekt und Verb sind zu weit auseinander, there is no organization of thought, es fehlen notwendige Kommata, der Satz ähnelt einem Bandwurmsatz ein bisschen zu sehr, auch er enthält mindestens eine unsinnige Wendung (a mainstay of technical standard-setting and its legal admissibility), der englische Satzbau widerspiegelt den deutschen Satzbau und so weiter und so fort. Erschwerend hinzu kommt, dass das deutsche Wort »Standardsetzung« durch DeepL nicht einheitlich ersetzt wird. Das heißt: DeepL hält nicht einmal eine Grundregel der Fachübersetzung ein, nämlich: Einheitlichkeit.

DeepL will uns glauben machen, dass der »richtige« Ersatz der ausgangstextlichen Wörter und Phrasen zu einer richtigen Übersetzung nicht nur führen kann, sondern auch führt. Das ist natürlich Unsinn, den man außerhalb des Internets niemals so glauben würde. Unsinn ist schließlich Unsinn. Glauben wir ihn auch nicht im Internet.

  Falls Sie sich dafür interessieren

Es gibt eine englische Übersetzung der vorstehenden Passage aus dem Urteil des OLG Düsseldorf. Diese wurde in einem im Sommer 2019 erschienen Aufsatz zitiert, der wiederum im Dezember 2019 in englischer Übersetzung erschien. Daher können wir die von DeepL rausgespuckten Aneinanderreihungen mit einer richtigen Übersetzung vergleichen:

It is in the very nature of the standard-setting process that it hamstrings competition in the technological arena, because a lack of compatibility will render every competing technical solution not incorporated into the standard void of any competitive prospects on the product market. Hence, a pillar of the technical standard-setting process, and of its lawfulness, is the voluntary willingness of all SEP proprietors privileged by the standard-setting process to facilitate competition by granting, on FRAND terms, licenses to any party interested in the standard-essential technology (Seite 964 des Oxford Journal of Intellectual Property Law & Practice).

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