OLG München: Fusion von Linde und Praxair

von Dr. Klaus von der Linden, veröffentlicht am 25.06.2021

Schon länger war zu hören, dass die in München erhobene Feststellungsklage in Sachen „Linde/Praxair“ auch in zweiter Instanz nicht durchdringen konnte. Nunmehr liegt tatsächlich das Urteil vor: OLG München v. 14.10.2020 – 7 U 448/19, BeckRS 2020, 48212.

Merger of Equals

Im Mittelpunkt des Rechtsstreits steht der Merger of Equals zwischen der früheren Linde AG und der Praxair, Inc. Das vorbereitende Business Combination Agreement, kurz: BCA, wurde im Juni 2017 geschlossen. Es sah vor, dass beide Unternehmen sich unter einer gemeinsamen neuen Holding vereinen: der Linde plc mit Sitz in Dublin. Zur Umsetzung unterbreitete die Linde plc den Aktionären der Linde AG ein öffentliches Tauschangebot nach dem WpÜG. Es besagte, dass jeder Aktionär bei der Linde AG „aussteigen“ und stattdessen bei der Linde plc als neuer Obergesellschaft „einsteigen“ konnte – ganz nach individuellem Belieben. Dieses Angebot fand auch breiten Zuspruch. Nur rd. 8% der Aktien verblieben in den Händen von Minderheitsaktionären, und dies auch nur bis zum Squeeze-out, der Ende des Jahres 2018 mit den Stimmen der neuen Hauptaktionärin Linde plc in einer außerordentlichen Hauptversammlung beschlossen wurde.

Mit oder ohne Hauptversammlung?

Nur der letzte Schritt, d.h. der Squeeze-out, war Gegenstand eines Hauptversammlungsbeschlusses der Linde AG. Nicht befasst wurde die Hauptversammlung hingegen mit den früheren Schritten, also mit dem BCA und dem Tauschangebot. Dagegen wandten sich Aktionäre unter Federführung der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) – nachträglich – mit einer Feststellungsklage. Ihre Kernthese lautete, wegen der wirtschaftlichen Tragweite des Zusammenschlusses und der (angeblich nachteiligen) Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Aktionäre sei eine neue ungeschriebene HV-Kompetenz anzuerkennen. Das LG München I ist dem jedoch nicht gefolgt. Es hat die Klage zwar als zulässig, aber unbegründet erachtet. Dies sei Folge der besonderen Transaktionsstruktur, die nun einmal keine „klassische“ Verschmelzung vorsehe (s. hierzu meinen Beitrag im Beck-Blog vom 29.1.2019).

Kein Feststellungsinteresse

Die Berufung hiergegen blieb erfolglos, jedoch mit abweichender Begründung. Der Senat erachtet die Klage schon als unzulässig, und zwar mangels Feststellungsinteresses:

Ein solches Interesse könne nicht daraus abgeleitet werden, dass eine etwaige Verletzung der Mitwirkungsrechte der Hauptversammlung in das Mitgliedschaftsrecht der Aktionäre eingreife. Dies komme nur bei tiefgreifenderen Grundrechtseingriffen in Betracht.

Eine Verhinderung oder Rückabwicklung der Maßnahme sei nicht Ziel der Kläger. Auch hieraus könne sich damit kein Feststellungsinteresse ergeben. Ebenso wenig komme eine Wiederholungsgefahr in Betracht.

Eine Auswirkung der beantragten Feststellung auf sekundäre Rechte (z.B. Schadensersatzansprüche oder Anträge auf Abberufung oder Versagung der Entlastung) ergebe sich nicht. Denn in der Beteiligung der großen Mehrheit der Aktionäre am Aktientausch liege zugleich eine Zustimmung zum Zusammenschluss und eine Billigung des BCA.

Etwaige Schadensersatzansprüche der Gesellschaft seien zudem abschließend im bereits anhängigen Spruchverfahren zu klären. Eine Klärung per Feststellungsklage führe zu einer Doppelung der Verfahren, da die Feststellung auch keine unmittelbare präjudizielle Wirkung für das Spruchverfahren entfalte.

Keine Ersatzansprüche ersichtlich

Ergänzend merkt der Senat an, dass die in den Raum gestellten Schadensersatzansprüche der Gesellschaft nicht ersichtlich seien. Denn selbst wenn das Handeln der Organmitglieder objektiv kompetenzwidrig gewesen wäre, fehle es jedenfalls an einem Verschulden. Das gewählte Vorgehen sei nach der damaligen Beratungspraxis weitgehend gesicherte Transaktionspraxis gewesen, die Frage der Hauptversammlungskompetenz bis heute umstritten und höchstrichterlich ungeklärt.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

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