Das Einmaleins der Rechtsfolgen in Betäubungsmittelsachen – Teil 4: Aktuelle BGH-Entscheidungen

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 20.11.2021

Der BGH hat sich in den letzten Wochen wie folgt mit den Rechtsfolgen in Betäubungsmittelsachen befasst:

1. BGH Beschl. v. 19.10.2021 – 1 StR 332/21, BeckRS 2021, 34208 zur Prüfungsreihenfolge beim Zusammentreffen von minder schwerem Fall und vertyptem Milderungsgrund und zum Gewicht der Beihilfehandlung:

„Hingegen hat der Strafausspruch keinen Bestand, weil die Bestimmung des Strafrahmens für die Einzelstrafen - bei dem das Landgericht den nach § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG (Strafrahmen von sechs Monaten bis elf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe) zugrunde gelegt hat - sich als rechtsfehlerhaft erweist.

a) Das Landgericht hat zwar rechtlich unbedenklich bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall gemäß § 30 Abs. 2 BtMG vorliegt, zunächst die allgemeinen Strafzumessungserwägungen in den Blick genommen und hierbei auch zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er zu den Taten lediglich einen unterstützenden Beitrag geleistet hat.

b) Es hat aber die Annahme eines minder schweren Falls mit einem Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe sogleich verneint, ohne jedoch in die Prüfung einzustellen, ob zusätzlich der vertypte Milderungsgrund der Beihilfe (§ 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB) zur Annahme eines minder schweren Falls führen kann.

c) Diese Prüfungsreihenfolge (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 10. August 2021 - 1 StR 250/21 Rn. 4 mwN) ist rechtsfehlerhaft. Entgegen den Ausführungen des Generalbundesanwalts ist der im Rahmen der allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkte angeführte Umstand, dass der Angeklagte lediglich einen unterstützenden Beitrag zu den Einfuhrtaten geleistet hat, nicht ausreichend, um eine Berücksichtigung im Rahmen der Prüfung eines minder schweren Falls annehmen zu können. Es kommt hinzu, dass vorliegend eine ausdrückliche Prüfung dieses Umstands mit Blick auf das geringe Gewicht der Beihilfehandlungen des Angeklagten in Bezug auf den Einfuhrvorgang veranlasst war (vgl. zum Ganzen auch BGH, Beschluss vom 7. September 2021 - 1 StR 302/21 Rn. 3 mwN).“

2. BGH Beschl. v. 23.9.2021 – 1 StR 173/21, BeckRS 2021, 32624 zur Berücksichtigung weiterer Taten:

„Jedoch weist die Strafzumessung Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Das Landgericht hat bei der Strafrahmenbestimmung zwar auch hier die erforderliche Gesamtabwägung vorgenommen, dabei aber zu Lasten des Angeklagten eingestellt, dass der Angeklagte M. und die Mitangeklagten B. und H. auch nach der Tat vom 26. Februar 2019 weiter mittels Body-Packer/innen versuchten, Betäubungsmittel von V. nach Deutschland zwecks späterer gewinnbringender Weiterveräußerung einzuführen (UA S. 115). Bei der Strafzumessung im engeren Sinne hat die Strafkammer zum Nachteil des Angeklagten M. gewertet, dass er sich nach der Festnahme der Zeugin T. nicht von der weiteren Einfuhr von Betäubungsmitteln aus Südamerika distanziert habe, vielmehr weitere entsprechende Taten geplant und zu diesen auch unmittelbar angesetzt habe bzw. diese durchgeführt worden seien (UA S. 119). Entsprechende Taten der versuchten Einfuhr von Betäubungsmitteln hat die Strafkammer jedoch nicht prozessordnungsgemäß festgestellt und belegt. Im Übrigen setzt die strafschärfende Berücksichtigung neuer Straftaten voraus, dass sie nach ihrer Art und nach der Persönlichkeit des Täters auf Rechtsfeindschaft, Gefährlichkeit und die Gefahr künftiger Rechtsbrüche schließen lassen; nur unter diesen Voraussetzungen kann eine weitere Strafbarkeit Hinweise auf den Unrechtsgehalt der früher begangenen Tat und die innere Einstellung des Täters zu ihr geben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 1998 - 4 StR 16/98 Rn. 5 mwN und vom 16. September 2009 - 5 StR 348/09 Rn. 3). Dieses zusätzliche Erfordernis hat das Landgericht übersehen.“

3. BGH Beschl. v. 31.8.2021 – 5 StR 220/21, BeckRS 2021, 26657 zur Berücksichtigung, dass die Betäubungsmittel in den freien Verkehr gelangt sind:

„Anders als der Generalbundesanwalt versteht der Senat die zur Strafzumessung im unmittelbaren Anschluss an die „große Menge“ des Kokains angeführte Erwägung, dass dieses in den freien Verkehr gelangt sei, als Beschreibung der von der Menge des Betäubungsmittels und der vielfachen Überschreitung des Grenzwertes zur nicht geringen Menge ausgehenden erhöhten Gefahr. Mit diesem Inhalt begegnet die Erwägung im Hinblick auf § 46 Abs. 3 StGB keinen Bedenken.“

Ergänzende Bemerkung: Bei diesem Strafzumessungsgesichtspunkt ist Vorsicht geboten. Denn die strafschärfende Berücksichtigung, dass die Betäubungsmittel zum großen Teil oder ganz in den Markt gelangt sind, ist grundsätzlich fehlerhaft, da dies Umstände des Normalfalles sind und das Fehlen eines besonderen Strafmilderungsgrundes wie das Nichterreichen des Drogenmarktes wegen Sicherstellung nicht strafschärfend gewertet werden darf (Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Auflage, Vor § 29 ff. Rn. 106, erscheint Mitte Dezember 2021).

4. Noch eine passende Entscheidung außerhalb des Betäubungsmittelrechts –BGH Beschl. v. 26.10.2021 – 4 StR 349/21, BeckRS 2021, 35069 zur strafschärfenden Berücksichtigung, dass ein Straftatbestand mit erhöhter Mindeststrafe verwirklicht wurde:

„Der Senat vermag ungeachtet der maßvollen Einzelstrafe von einem Jahr und vier Monaten ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler nicht gänzlich auszuschließen. Er setzt sich auch darin fort, dass die Strafkammer dem Angeklagten zugleich angelastet hat, einen Straftatbestand mit erhöhter Mindeststrafe verwirklicht zu haben. In dieser strafschärfenden Berücksichtigung des anwendbaren Strafrahmens des § 114 Abs. 1 StGB liegt ein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB. Denn das Landgericht wertet damit zu Lasten des Angeklagten, dass er diese Tat überhaupt begangen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Februar 2021 - 4 StR 495/20 Rn. 9; vom 6. Dezember 2018 - 1 StR 186/18 Rn. 8; vom 25. April 2017 - 3 StR 81/17 Rn. 5; vom 10. Mai 2016 - 1 StR 669/15 Rn. 6 und vom 9. Dezember 2014 - 3 StR 502/14 Rn. 3).“

 

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