Referentenentwurf zu dauerhafter Regelung für virtuelle Hauptversammlungen im AktG

von Dr. Cornelius Wilk, veröffentlicht am 19.02.2022

Das Bundesjustizministerium hat am 10. Februar 2022 den Referentenentwurf (RefE) für eine dauerhafte Regelung des virtuellen Hauptversammlungsformats veröffentlicht. Mit der geplanten Neuregelung würden die entsprechenden Passagen aus § 1 COVMG mit verschiedenen inhaltlichen Änderungen ins AktG verschoben.

Gesondertes Veranstaltungsformat neben der physischen Hauptversammlung

Konzipiert ist die virtuelle Hauptversammlung nach dem RefE weiterhin als Versammlung, an der nur Verwaltungsmitglieder physisch teilnehmen, während die Aktionäre und ihre Bevollmächtigten auf eine elektronische Teilnahme beschränkt sind (§ 118a AktG-E). Das Format soll weiterhin Gesellschaften in AG-, SE-, KGaA- und VvAG-Rechtsform offenstehen. Zu den Voraussetzungen gehören unverändert:

  • Live-Videoübertragung (§ 118a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AktG-E)
  • Stimmrechtsausübung per Briefwahl, elektronischer Kommunikation oder Bevollmächtigung (§ 118a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AktG-E)
  • Elektronische Möglichkeit eines Widerspruchs zur Niederschrift (§ 118a Abs. 1 S. 2 Nr. 8 AktG-E)

Unberührt bleibt ferner das Nebeneinander mit der schon vor dem COVMG existierenden Möglichkeit, Aktionären in Bezug auf eine Präsenzversammlung die Gelegenheit zu geben, ihre Rechte auf elektronischem Weg auszuüben (§ 118 Abs. 1 S. 2 ff., Abs. 2 AktG).

Aktionärsanträge und Wahlvorschläge

Gegenanträge und Wahlvorschläge sollen Aktionäre bis zum Ablauf der 14-Tage-Frist aus § 126 Abs. 1 AktG stellen können, in der Hauptversammlung selbst allerdings nur dann, wenn dies in der Einberufung gestattet wird (§ 126 Abs. 4 AktG-E). Dagegen sollen „Anträge, die keine Gegenanträge nach § 126 sind“ – gemeint sind „etwa Anträge zur Geschäftsordnung oder zur Abwahl des Versammlungsleiters“ (RefE, S. 24) – stets auch in der Versammlung möglich sein (§ 118a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AktG-E).

Stärkeres Fragerecht der Aktionäre

Aktionären steht bei Wahl des virtuellen Formats weiter ein Fragerecht im Wege elektronischer Kommunikation zu (§ 118a Abs. 1 S. 2 Nr. 4, § 131 Abs. 1a AktG-E). Gegenüber den bisherigen Regelungen enthält der RefE hier verschiedene Abweichungen und Klarstellungen, in denen sich teilweise die bisherige Marktpraxis widerspiegelt, insbesondere:

  • Obligatorische Vorabeinreichung von Fragen bis spätestens vier Tage vor der Versammlung auf Verlangen des Vorstands (§ 131 Abs. 1a AktG-E; bisher ein Tag vor der Versammlung gemäß § 1 Abs. 2 S. 2 COVMG); Fristberechnung nach § 121 Abs. 7 AktG
  • Mögliche Beschränkung des Fragerechts auf einen angemessenen Umfang und auf angemeldete Aktionäre (§ 131 Abs. 1b AktG-E)
  • Obligatorisches Zugänglichmachen eingereichter Fragen an andere Aktionäre (§ 131 Abs. 1c AktG-E)
  • Obligatorisches Nachfragerecht in der Versammlung (§ 131 Abs. 1d AktG-E)

Stellungnahmen und Redebeiträge von Aktionären

Ganz ohne Vorbild im COVMG sind die RefE-Passagen zum Stellungnahme- und Rederecht der Aktionäre. Danach ist den Aktionären zunächst bis spätestens vier Tage vor der Versammlung die Möglichkeit zu geben, eigene Stellungnahmen zur Tagesordnung einzureichen, die die Gesellschaft dann den anderen Aktionären zugänglich zu machen hat (§ 130a Abs. 1-3 AktG-E). Ebenfalls bis spätestens vier Tage vor der Versammlung können Aktionäre eigene Live-Redebeiträge anmelden, die dann in der Versammlung über das von der Gesellschaft angebotene Videokommunikationssystem gehalten werden können (§ 130a Abs. 4-6 AktG-E). Live-Fragen oder -Anträge im Rahmen eines Redebeitrags sollen allerdings nicht statthaft sein (§ 130a Abs. 7 AktG-E).

Anfechtungsausschluss und weitere virtuelle Besonderheiten

Auch einige weitere Anforderungen an das virtuelle Format sind ersichtlich von der bisherigen Praxis inspiriert, und zwar insbesondere:

  • Obligatorisches Zugänglichmachen des Vorstandsberichts wenigstens in Grundzügen spätestens sechs Tage vor der Versammlung (§ 118a Abs. 1 S. 2 Nr. 5 AktG-E)
  • Ergänzung der Einberufungsinformationen nach § 121 Abs. 3 AktG um spezifische Anleitungen etwa zum Fragerecht und zur Stimmabgabe (§ 121 Abs. 4b AktG-E)
  • Aufnahme aller zugeschalteten Aktionäre und Aktionärsvertreter ins Teilnehmerverzeichnis (§ 129 Abs. 1 S. 2 AktG-E)
  • Zwingende physische Anwesenheit des Notars (§ 130 Abs. 1a AktG-E)

Ein weitreichender Anfechtungsausschluss soll im virtuellen Format für Rechtsverletzungen gelten, die durch technische Störungen verursacht werden (§ 243 Abs. 3 AktG-E). Der bisherige, noch weitergehende Anfechtungsausschluss nach § 1 Abs. 7 COVMG wird damit in die Systematik des § 243 Abs. 3 AktG eingepasst.

Satzungsgrundlage und Übergangsregelung

Anders als bisher soll eine virtuelle Hauptversammlung künftig grundsätzlich nur noch mit einer auf längstens fünf Jahre zu befristenden Gestattung in der Satzung möglich sein (§ 118a Abs. 1, Abs. 3-5 AktG-E). Allerdings sollen Hauptversammlungen, die bis 31. August 2023 einberufen werden, vom Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats auch ohne Satzungsgrundlage als virtuelle Hauptversammlungen einberufen werden können (§ 26m Abs. 1 EGAktG-E). Damit soll den Gesellschaften die Gelegenheit gegeben werden, die Satzungsgrundlage für das virtuelle Format auch nach Auslaufen der COVMG-Regelungen am 31. August 2022 noch in einer virtuellen Versammlung zu beschließen (RefE, S. 40).

Keine Fortführung der übrigen gesellschaftsrechtlichen Teile des COVMG

Weder dauerhaft noch zeitweise fortgeführt werden im RefE schließlich die übrigen, nicht auf die virtuelle Hauptversammlung bezogenen aktien-, GmbH- und umwandlungsrechtlichen Teile des COVMG. Dazu gehören insbesondere das fakultativ abgekürzte Fristenregime für die Vorbereitung (§ 1 Abs. 3 COVMG), die erleichterte Abschlagsdividende (§ 1 Abs. 4 COVMG), die fakultative Verlegung der Jahreshauptversammlung in die letzten vier Monate des Geschäftsjahres (§ 1 Abs. 5 COVMG), die Erleichterungen für präsenzlose GmbH-Gesellschafterbeschlüsse (§ 2 COVMG) sowie die längere Verwendbarkeit der Bilanz für Verschmelzungen und Spaltungen (§ 4 COVMG).

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