Großes Lob der KI: von Politik und Übersetzen

von Peter Winslow, veröffentlicht am 23.11.2023

Am 10. November 2023 erreichte die deutsche Politik ihren Höhepunkt. Auf Xitter lobte das ehemalige AfD-Mitglied und das heutige Mitglied des Deutschen Bundestages Frau Joana Cotar die Künstliche Intelligenz:

Was die Künstliche Intelligenz mittlerweile alles möglich macht, zeigt dieser Thread. Dort spreche ich im Bundestag Englisch, Portugiesisch, Spanisch, Französisch, Indonesisch und sogar Chinesisch. […]

Wunderbar. Je mehr Menschen hören, dass #CBDCs gefährlich sind, desto besser.

Der Thread wurde von Swan.com gepostet. Er enthält ein gekürztes Video der Rede, die Frau Cotar am 8. November 2023 im Bundestag hielt. Nur das stimmt nicht ganz. Das gekürzte Video ist kein Video ihrer Rede im herkömmlichen Sinn, auch wenn Frau Cotar unverkennbar zu sehen ist. In Wahrheit hat Frau Cotar die im Video enthaltenen Worte nie und nie so gesprochen. Der Hinweis »English […] via AI translation«, der über dem Video steht, deutet darauf hin, dass Audio und Inhalt künstlich sind. Fair enough. Nur das stimmt auch nicht ganz. Denn nicht nur Audio und Inhalt sind künstlich. Auch das Video selbst ist nicht unkünstlich. Frau Cotar spricht KI-Englisch. Da stimmen ihre Mund- und Lippenbewegungen mit den KI-englischen Wörtern überein.

Per Bot haben dann andere das von Swan.com gepostete Video aus dem KI-Englischen in andere KI-Sprachen übersetzen lassen. Wie Frau Cotar schreibt, gibt es etwa Videos in KI-portugiesischerKI-spanischer und KI-französischer Sprache. Ein Herr hat sich sogar nicht enthalten können, das KI-englische Video ins KI-Deutsche zurückübersetzen zu lassen. Was kann man dazu sagen? Frau Cotar hat Recht. Was die KI mittlerweile alles möglich macht, zeigt dieser Thread. Die KI macht das Unnötige möglich.

Wie der Post von Frau Cotar, sind die meisten Antworten im Thread unkritisch und lobend. Deprimierend sind sie aber alle: »Great statement«, »Epic«, »This gives me hope«, »Germany for the win« etc. Die meisten Antworten stammen, wie im KI-Zeitalter vielleicht zu erwarten, von Bitcoin-Stans, die sich etwa als @Kevinne_0815 und »Energy Practitioner« ausgeben. Doch: Von all den Menschen, die auf den Post von Swan.com geantwortet haben, gibt es – bis dato und soweit ersichtlich – nur einen einzigen, der die Richtigkeit der KI-Übersetzung infrage stellte:

The lady hasn’t given a speech in parliament in english. This video is AI generated and some sentences in this video were just fictional! She never spoke them… We ain’t like #CBDC or #digital_Euro , but this is the wrong way to defend the cause!

Auf diese Kritik hin wurde pauschal die Übersetzung gelobt, die Unrichtigkeit geleugnet, ohne dass man sich mit der Kritik auseinandersetzt. Zu den Beispielen gehören: »The translation is ok. […]« und »What was fictional? It was quite a good translation Imho […]«.

Gut: Wer pauschale Kritik ausübt, darf pauschale Antworten erwarten. Und das ist schön und gut. Aber die ganzen Antworten haben auch einen Hauch der Sektenhaftigkeit an sich. Die Bitcoin-Stans dulden keinen Widerspruch. Sie glauben zutiefst an die Richtigkeit der KI. Sie beben beim Gedanken, dass die Kritik begründet sein könnte. Und sie ist begründet. Sie birgt vier ernstzunehmende Sorgen: (1) dass man sich die KI unkritisch und ohne Verständnis bedient; (2) dass man die KI unkritisch und ohne Verständnis lobt; (3) dass die KI die Botschaft unrichtig wiedergibt; und (4) dass man vielleicht daher die Richtigkeit einer Botschaft bestätigt, ohne zu wissen, worin die Botschaft besteht.

Das jedenfalls ist die wohlwollende Interpretation der pauschalen Kritik. Eine im Einzelnen begründete Kritik sieht anders aus. Sie führt zu der nüchternen Erkenntnis, dass die Bitcoin-Stans, um mir ein Bild von Karl Kraus zu bedienen, nur auf den Mund schauen und die Größe der KI-Leistung nur an der Übereinstimmung der Mund- und Lippenbewegungen messen. Sie sind von der KI-technischen Leistung dieser Bewegungen beeindruckt und schließen von der KI-technischen Leistung auf die Richtigkeit des übersetzten Inhalts. Sie verwechseln die KI-technische Leistung mit der inhaltlichen Richtigkeit der Übersetzung.

Es gibt keine andere Erklärung. Denn der KI-englische Inhalt der Rede von Frau Cotar stimmt nicht mit dem Inhalt der eigentlichen Rede von Frau Cotar überein. Als Übersetzung ist der KI-englische Inhalt weder richtig noch vollständig. But let me count the ways.

Beim KI-englischen Video

  • wurden die ersten paar Sätze der Rede von Frau Cotar einfach ausgelassen, ohne dass diese Auslassung kenntlich gemacht wird. Es fängt mitten im ersten Absatz an (siehe unten). Ein Teil des Zusammenhangs wird uns ohne Hinweis vorenthalten.
  • wurde die Wendung »genug vom« mit der Wendung »tired of« übersetzt. Diese Wortwahl ist nicht falsch, aber sie ist hier auch nicht unfraglich. Denn: Während die Wendung »tired of« ausschließlich auf einen subjektiven und emotionalen Zustand hindeutet, kann die Wendung »genug vom« auf einen neutralen, subjektiven, emotionalen oder gar objektiven Zustand hindeuten. Und Englisch kennt eine solche Wendung. Wenn man untersuchen wollte, ob diese KI Vorurteile widerspiegelt, könnte man hier anfangen: Gibt das KI-englische Video ein etwas frauenfeindliches Bild? Legt es Frau Cotar eine emotionale und subjektive Wendung in den Mund, die sie nie gesprochen hat? Etc.
  • wurde aus »einer EZB« »the ECB« gemacht. Somit wird die Bedeutung der Aussage insgesamt geändert. Zwar kennt die Übersetzungspraxis Fälle, in denen unbestimmte Artikel mit bestimmten Artikeln übersetzt werden und bestimmte mit unbestimmten, aber dies ist kein solcher Fall. Für Frau Cotar könnte es – wenn nur aus rhetorischen Gründen – eine EZB mit anderen Interessen geben. Für die KI gibt es nur die EZB in der von Frau Cotar getadelten Form. Ich will sagen, dass Frau Cotar in konkreter Art und Weise mit unserem Hoffnungsgefühl spielt. Die KI rafft es nicht.
  • haben Politiker:innen eine andere Agenda. Bei der Rede von Frau Cotar haben diese keine andere Agenda. Sie haben etwas anderes im Sinn. Egal was man von dieser Rede hält, muss man hier einsehen, dass die Wortwahl von Frau Cotar eine rhetorische Kraft entfaltet, die dem KI-englischen Video fehlt. Dadurch, dass Frau Cotar der unparteilichen Wendung »etwas anderes im Sinn haben« die parteiliche Wendung »nämlich die totale Überwachung der Bürger« gegenüberstellt, hören – ja, spüren die Hörer:innen die Pointe ihrer Worte klar und deutlich. Das Stichwort hier ist die rhetorische Verfremdung. Die KI rafft es nicht.

Was macht die KI mittlerweile alles möglich? Sie verleitet zu einer nicht stichhaltigen Schlussfolgerung, zu einer unerklärlichen Verwechslung. Aber mehr als das. Sie gewährt uns eine einzige, eine fürchterliche Gewissheit. Das KI-Zeitalter leidet, um eine Phrase von G.K. Chesterton neu zu interpretieren, unter einer »unheilbaren Düsterkeit«, einer Gleichgültigkeit den Tatsachen gegenüber.

Gilt das auch für Frau Cotar? Ich habe meine Vermutungen. Aber wissen tue ich’s nicht. Gewiss ist: Sie findet es verständlicherweise wunderbar, dass so viele Menschen ihre Botschaft hören. Trotzdem häufen sich Fragen.

Findet Frau Cotar es auch wunderbar, dass die Übersetzung ihrer Botschaft mit Fehlern behaftet ist, die Namen haben: Auslassung, fragliche Wortwahl, Fehlübersetzung, Verkennung der Rhetorik? Findet sie es auch wunderbar, dass sich diese Fehler nur im ersten Absatz ihrer Rede befinden? Dass die weiteren Absätze nicht besser sind? Findet sie es wunderbar, dass ihr die KI sogar Unsinn in den Mund legt, den sie nie von sich gab? Gehören etwa diese vier Sätze ernsthaft zu ihrer Botschaft?

Like state control book another flight CO2 budget depleted, donating to inconvenient orgs. Impossible. Dining out unvaccinated in a pandemic. The funds will not be released.

Findet sie es auch wunderbar, dass sich diese Botschaft so anhört, als ob die der KI zugrundeliegenden Daten die Reden und Interviews von Donald Trump sind. Findet sie die unbekannte Anzahl von Menschen wirklich wunderbar, die heute falsch denken, dass sie so unverständlich daher redet wie ein Donald Trump? 

Vielleicht meinen Sie, ich übertreibe? Schauen Sie selbst nach, wie die KI die Rede von Frau Cotar falsch übersetzt.

***

Die Rede von Frau Cotar: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht (Seite 16749)

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Niemand braucht den digitalen Euro: nicht die Banken, nicht die Firmen und schon gar nicht die Bürger. Wer elektronisch bezahlen will, macht das schon heute. Wer seine Privatsphäre bewahren will, benutzt Bargeld. Wer genug vom Fiatgeld hat und sich mit gesundem Geld beschäftigt, hat Bitcoins in seiner Wallet. Niemand braucht den digitalen Euro außer einer EZB und Politikern, die etwas anderes im Sinn haben, nämlich die totale Überwachung der Bürger.

Ich weiß, es wird viel versprochen: Datenschutz, alles sicher, niemand hat die Absicht, jemanden auszuspionieren. – Das ist alles so glaubwürdig wie die großartigen Versprechen bei der Euroeinführung: No-bailout-Klausel, 3-Prozent-Regel, Verbot monetärer Staatsfinanzierung. Heutzutage macht die EZB nichts anderes, und der Maastricht-Vertrag ist Altpapier.

Heute verspricht die EZB höchste Datenschutzstandards beim digitalen Euro, und morgen wird jede Transaktion überwacht und der Bürger vollkommen transparent. In China werden die Menschen mit dem digitalen Zentralbankgeld sehr wirksam kontrolliert. Wer sich staatskonform verhält, hat Zugang zum Geld. Wer das nicht tut, hat leider Pech gehabt. „Social Scoring“ nennt sich das. Das ist mit dem digitalen Euro problemlos auch hier möglich, genauso wie die staatliche Steuerung: Schon wieder einen Flug buchen? CO2-Budget aufgebraucht. Spenden an unbequeme Organisationen? Kommt nicht infrage. Ungeimpft essen gehen während einer Pandemie? Das Geld wird nicht freigegeben.

(Alois Rainer [CDU/CSU]: So ein Schmarrn! So ein Unsinn!)

Ein digitaler Alptraum. Und deshalb brauchen wir keine verbindliche Abstimmung über das Wie. Wir brauchen den gesamten digitalen Euro nicht. Und genau dafür muss sich die Bundesregierung einsetzen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

***

Die KI-englische Version der Rede von Swan.com: Video hier, transkribiert vom Verfasser dieses Beitrags

[Die ersten Sätze ausgelassen] Whoever is tired of fiat money and is interested in sound money has bitcoins in his wallet. No one needs the digital euro except for the ECB and politicians with a different agenda, namely the total surveillance of citizens.

I know, much is promised – data protection. Everything’s secure. No one intends to spy on anyone. This is as credible as the promises made during the euro introduction. No bailout, 3% rule, prohibition of monetary state financing. Now the ECB does nothing else and the Maastricht treaty is waste paper.

Today the ECB promises top data protection for the digital euro and tomorrow every transaction will be monitored. Citizen fully transparent. In China, people are controlled with digital central bank money. Those who comply with the state have access to money. Those who don’t do that unfortunately had bad luck. Social scoring is what it’s called. With the digital euro, easily possible. Like state control book another flight CO2 budget depleted, donating to inconvenient orgs. Impossible. Dining out unvaccinated in a pandemic. The funds will not be released.

[ausgelassen]

A digital nightmare. And that is the reason why we do not require a binding vote on how or don’t need the full digital euro. That’s what the federal government must aim for.

Thank you so much.

[ausgelassen]

 

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2 Kommentare

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Sehr geehrter Herr Winslow,

Ihr Artikel "Großes Lob der KI: von Politik und Übersetzen" hat uns als Online-Marketing-Agentur besonders angesprochen. Ihre kritische Auseinandersetzung mit der Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Politik und deren Übersetzungsqualität ist ein brisantes und hochaktuelles Thema.

Die von Ihnen geschilderte Situation um Frau Joana Cotar und die KI-gestützten Übersetzungen ihrer Rede im Bundestag zeigt deutlich, wie wichtig es ist, technologische Entwicklungen nicht nur zu bewundern, sondern auch kritisch zu hinterfragen. Die KI hat zweifellos das Potenzial, Kommunikationsbarrieren zu überwinden und Inhalte einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Allerdings ist der Vorfall ein anschauliches Beispiel dafür, dass die technische Fähigkeit der KI, Lippenbewegungen und gesprochene Worte zu synchronisieren, nicht gleichbedeutend mit inhaltlicher Korrektheit und Vollständigkeit ist.

Ihre Analyse legt offen, dass die KI-Übersetzung nicht nur Unstimmigkeiten und Auslassungen aufweist, sondern auch inhaltliche Verzerrungen und Fehlinterpretationen produzieren kann. Dies ist besonders problematisch in einem Kontext wie der politischen Rede, wo jede Nuance und jedes Wort Gewicht hat. Es zeigt, dass wir, trotz aller technologischen Fortschritte, noch weit entfernt sind von einer KI, die die Feinheiten menschlicher Sprache und Rhetorik vollständig erfassen und wiedergeben kann.

Als Marketing-Agentur sehen wir hier eine wichtige Lehre: Technologie kann und sollte menschliche Arbeit unterstützen, aber sie kann sie nicht ersetzen, vor allem nicht in Bereichen, die ein tiefes Verständnis für Sprache, Kontext und menschliche Emotionen erfordern. Wir müssen stets kritisch bleiben und dürfen nicht zulassen, dass die Faszination für die technische Leistungsfähigkeit der KI uns davon abhält, ihre Ergebnisse zu hinterfragen.

Vielen Dank für diesen aufschlussreichen Beitrag. Er regt zum Nachdenken an und erinnert uns daran, dass wir die KI als Werkzeug nutzen sollten, das uns unterstützt, aber nicht unkritisch als allwissende Quelle akzeptieren dürfen.

Mit freundlichen Grüßen aus Neuss,

Šukri Jusuf

Geschäftsführer der Sumasearch®

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Sehr geehrter Herr Jusuf,

vielen Dank für Ihre freundlichen Worte.

Mit freundlichen Grüßen
Peter Winslow

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