Deutsches Besteuerungsrecht, ja oder nein - bei mobilen Steuerpflichtigen ist das schwierig (FG Münster vom 9.12.2022 - 4 K 1701/18)

von StB Dr. Martin Weiss, veröffentlicht am 31.07.2024
Rechtsgebiete: Steuerrecht|3359 Aufrufe

Wohnsitz oder nicht? Gewöhnlicher Aufenthalt oder nicht? Für natürliche Personen hängt daran eine ganze Menge. Wer einen seiner vielen Wohnsitze (auch ein „unwichtiger“ zählt, BFH v. 23.10.2018 – I R 74/16, BeckRS 2018, 40238) oder den einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, ist unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG). Dann ist nicht nur das „Welteinkommen“ (§ 2 Abs. 1 Satz 1 EStG) einkommensteuerlich zu erfassen. Es gibt auch zahlreiche Vergünstigungen, wie die Zusammenveranlagung (§ 26 Abs. 1 EStG) oder auch diverse Abzugsbeträge (§ 50 Abs. 1 EStG), die beschränkt Steuerpflichtigen grundsätzlich nicht zugestanden werden. In gewissen Grenzen ist daher sogar eine Option zur unbeschränkten Einkommensteuerpflicht für beschränkt Steuerpflichtige vorgesehen (§ 1 Abs. 3 EStG).

So auch in einem Urteil des FG Münster vom 9.12.2022 (4 K 1701/18, BeckRS 2022, 56750, rkr.), in dem genau diese Fragen streitig wurden. Wer Munition für seinen Schriftsatz für die Frage „Wohnsitz ja oder nein?“ sucht, wird hier ganz sicher fündig. Der Kläger bezog in den Streitjahren 2014 und 2015 Einnahmen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung einer inländischen Lebensversicherungsgesellschaft. Diese stellen sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG, die mit dem Besteuerungsanteil der Besteuerung unterliegen, unter Abzug jedenfalls eines Pauschbetrags für Werbungskosten (§ 9a Satz 1 Nr. 3 EStG). Die unbeschränkte oder beschränkte Einkommensteuerpflicht des Empfängers ist hierfür nicht entscheidend, da § 49 Abs. 1 Nr. 7 EStG sonstige Einkünfte im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG, die u.a. von inländischen Versicherungsunternehmen gewährt werden, als inländische Einkünfte definiert. Und auch der Werbungskostenpauschbetrag des § 9a EStG wird beiden Gruppen gewährt.

Allerdings geht mit einer Verlagerung des wesentlichen Wohnsitzes aus dem Inland ins Ausland nicht zwingend das Ende der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht, aber doch meist die „Ansässigkeit“ im anderen Vertragsstaat unter den DBA einher. Die nach § 1 Abs. 1 EStG aufgrund eines inländischen Wohnsitzes weiterbestehende unbeschränkte Einkommensteuerpflicht wird dann häufig aufgrund des vorrangigen DBAs (§ 2 Abs. 1 AO) im Ergebnis ausgehöhlt: Die DBA können zwar steuerliche Pflichten nicht begründen, aber eine vorhandene Doppelbesteuerung vermeiden (BFH v. 4.11.2021 – VI R 22/19, BeckRS 2021, 48140 Rn. 41). Der „tie-breaker“ schiebt die Ansässigkeit der natürlichen Person dann meist in den anderen Vertragsstaat (Art. 4 Abs. 2 OECD-MA), so dass deutsche Besteuerungsrechte häufig nur noch eingeschränkt ausübbar sind.

Bis 31.7. des Streitjahres 2014 findet das FG Münster jedenfalls keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers im Inland, so dass das deutsche Besteuerungsrecht aus § 49 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu beurteilen ist. Besonders „effizient“ wird die Vermeidung der drohenden Doppelbesteuerung im Verhältnis zum anderen Staat, wenn das DBA – wie hier das DBA Liechtenstein (in den Streitjahren zeitlich anwendbar, BMF v. 15.1.2024, BeckVerw 633135) – das Besteuerungsrecht nur dem Ansässigkeitsstaat überträgt („geschlossene Rechtsfolge“). Ob das hier durch Art. 17 Abs. 1 DBA LIE oder durch den „Auffangartikel“ der „anderen Einkünfte“ in Art. 21 DBA LIE geschieht, entscheidet das FG Münster gar nicht erst. Jedenfalls wird das deutsche Besteuerungsrecht in beiden Fällen ausgeschlossen. Da der Kläger nach Auffassung des FG ab 1.8.2014 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig wurde, müssten diese steuerfreien Einkünfte jedenfalls wegen „zeitweiser unbeschränkter Einkommensteuerpflicht“ dem Progressionsvorbehalt unterliegen (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG).

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