Richtungsweisend: 1. Strafsenat will das gesamte Cannabis einziehen, wenn die straflose Besitz- oder Erwerbsmenge überschritten wird

von Prof. Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 15.08.2024

Seit Inkrafttreten des KCanG wird diskutiert, wie sich die im neuen Gesetz geregelten Freimengen auf die Einziehung von Tatprodukten nach § 37 KCanG, § 74 StGB auswirken müssen. Darf bei Erreichen der strafbaren Besitzmengen von mehr als 30 g Cannabis außerhalb des Wohnsitzes/gewöhnlichen Aufenthalts oder von mehr als 60 g am Wohnsitz/gewöhnlichen Aufenthalt oder von mehr als 3 Pflanzen nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG oder bei Erreichen der strafbaren Erwerbmengen von mehr als 25 g pro Tag oder mehr als 50 g pro Kalendermonat gem. § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG die gesamte Menge eingezogen werden, oder ist nur die Menge zu berücksichtigen, die die genannten Freimengen überschreitet?

Mit dem 1. Strafsenat hat nun erstmals ein BGH-Senat die Frage beantwortet (BGH Beschl. v. 12.6.2024 – 1 StR 105/24, BeckRS 2024, 17878):

Die in § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG normierten Einschränkungen der Strafbarkeit des Besitzes, Anbaus und Erwerbs von Cannabis stellen Freigrenzen dar. Dies hat zur Folge, dass bei Überschreiten derselben die Handlung hinsichtlich des gesamten besessenen, angebauten oder erworbenen Cannabis strafbewehrt ist und das Cannabis als Bezugsgegenstand auch vollständig der Einziehung unterliegt (§ 37 KCanG, § 74 Abs. 2 StGB).

aa) Für dieses Verständnis ist zunächst der Wortlaut des § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG heranzuziehen. Denn die Formulierung „mehr als“ … „besitzt“, „anbaut“ oder „erwirbt“ bedeutet lediglich, dass eine Strafbarkeit nur dann in Betracht kommt, wenn die jeweils genannte Menge überschritten ist. Dass die „erlaubten“ Mengen in jedem Fall aus der Strafbarkeit ausgenommen sein sollen, ergibt sich hieraus indes nicht. Aus der Bezugnahme auf § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG folgt nichts Anderes. Nach § 2 KCanG ist der Umgang mit Cannabis grundsätzlich verboten.

bb) Auch die Systematik des Konsumcannabisgesetzes und der Wille des Gesetzgebers sprechen hierfür; insbesondere führt die Entscheidung des Gesetzgebers, bestimmte Besitzmengen in §§ 3, 4 KCanG von dem in § 2 KCanG normierten Verbot des Umgangs mit Cannabis auszunehmen, zu keiner anderen Bewertung. Der Normgeber hat in §§ 3, 4 KCanG infolge einer „geänderten Risikobewertung“ von Cannabis für Erwachsene den Besitz bestimmter Mengen zum Eigenkonsum von dem grundsätzlichen Umgangsverbot des § 2 KCanG ausgenommen (BT-Drucks. 20/8704, S. 93). Zwar teilt die Gesetzesbegründung nicht mit, von welchen Erwägungen sich der Gesetzgeber bei der Festlegung der Mengen konkret hat leiten lassen. Angesichts dessen, dass das Konsumcannabisgesetz nach seiner Präambel einen verbesserten Gesundheitsschutz und die Stärkung eines „verantwortungsvolle[n] Umgang[s] mit Cannabis“ (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 1) zum Ziel hat, ist jedoch davon auszugehen, dass sich die festgesetzten Mengen hieran orientieren und das äußerste Maß dessen darstellen, was mit Blick auf die – auch aus der Sicht des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks. 20/8704, S. 1) – grundsätzlich weiterhin gegebene Gefährlichkeit von Canna- bis vor dem Hintergrund des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung noch verantwortet werden kann. Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber den gleichzeitigen Besitz größerer als in §§ 3, 4 KCanG genannter Mengen als gefährlich angesehen und daher verboten hat (vgl. dazu BT-Drucks. 20/8704, S. 131: „erst bei Überschreiten … strafbar“). Da die Straftatbestände des § 34 KCanG der Durchsetzung der gesetzgeberischen Wertungen – mithin auch dem strikten Verbot, mehr als die in §§ 3, 4 KCanG genannten Mengen zu besitzen – dienen sollen, sind die Regelungen des § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG als Freigrenzen zu verstehen.

c) Der geänderten Bewertung des Umgangs mit Cannabis durch den Gesetzgeber ist jedoch auf der Strafzumessungsebene Rechnung zu tragen. Denn die Wertung des Normgebers, den Besitz von Cannabis zum Eigenkonsum in einem bestimmten Maß zu erlauben und damit einhergehend den Besitz, Anbau und Erwerb zum Eigenkonsum nur bei Überschreiten bestimmter Grenzen unter Strafe zu stellen, wirkt sich auf den Schuldumfang aus (vgl. BGH, Beschluss vom 30. April 2024 – 6 StR 536/23 Rn. 27). Die in § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG genannten Freigrenzen sind daher innerhalb der Straftatbestände des Besitzes, Anbaus und Erwerbs von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG) bei der Bemessung der Strafe zu berücksichtigen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO).

Gleiches gilt für die innerhalb der Strafzumessungsregelung des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG zu bestimmende „nicht geringe Menge“. Der 1. Strafsenat schließt sich insoweit den Erwägungen des 6. Strafsenats in seiner Entscheidung vom 30. April 2024 (6 StR 536/23 Rn. 29 f.) an, wonach in Bezug auf die Besitztatbestände des § 34 KCanG die nicht unter Strafe gestellten Mengen von 60 bzw. 30 Gramm oder – im Zusammenhang mit Anbauvereinigungen – von 25 bzw. 50 Gramm im Monat bei der Berechnung der „nicht geringen Menge“ außer Betracht bleiben müssen. Diese Wertung ist auf den Erwerbstatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG zu übertragen.

Ich vertrete nach wie vor die Auffassung, dass die Freimengen des § 2 Abs. 3 KCanG bei der Einziehung von Tatprodukten berücksichtigt werden müssen, da das Recht zum Besitz der erlaubten Mengen m.E. nicht verloren geht, wenn ein Täter eine strafbewehrte Menge nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG besitzt oder nach § 34 Abs. 1 Nr. 12 entgegennimmt. Das steht der Entscheidung des 1. Strafsenats auch nicht entgegen, denn ich schlage vor, die Freimenge, die eine Person nicht nach § 2 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 KCanG legal besitzen/entgegennehmen darf, aus Verhältnismäßigkeitsgründen im Wege der fakultativen Einziehung nach § 37 KCanG unberücksichtigt zu lassen (§ 74f Abs. 1 S. 1 StGB; s. dazu Patzak/Fabricius, BtMG 11. Auflage 2024, § 37 KCanG Rn. 1).

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