Vorgetäuschter Eigenbedarf - und 54.000 Euro Geldstrafe, über 330.000 Euro Wertersatz

von Dr. Michael Selk, veröffentlicht am 16.06.2024

Eigenbedarfskündigungen nehmen in der Praxis zu - und ab und zu müssen sich die "schwarzen Schafe" unter den Vermietern, die Eigenbedarf vortäuschen oder auch den mittlerweile weggefallenen Eigenbedarfswunsch nicht rechtzeitig mitteilen, vor den Strafgerichten erklären.

Ein aktuelles Beispiel ist die Entscheidung des AG Hamburg-Bergedorf vom  29.5.2024, 412 Ds 25/23, BeckRS 2024, 13093. Das Amtsgericht - hier ist nicht bekannt, ob die Entscheidung rechtskräftig geworden ist - verurteilte eine Vermieterin wegen Betrugs durch Unterlassen gem. §§ 263, 13 StGB. Sie habe, so das Amtsgericht, die Mieter  nicht davon unterrichtet,  dass ihr Wunsch, das Objekt selbst nutzen zu wollen weggefallen war. Die Kündigungsfrist lief am 31.7.2017 ab. Nachdem das Amtsgericht (Zivilsache) der Räumungsklage stattgegeben hatte, schlossen die Parteien beim Landgericht einen Räumungsvergleich, wonach die Mieter zum 30.6.2020 räumen sollten. Zwischenzeitlich hatte die Vermieterin einen neuen Freund kennengelernt, ihre Pläne aufgegeben, davon aber die Mieter nicht unterrichtet. Sie veräußerte das Objekt; hier blieb ein Gewinn von etwas mehr als 330.000 Euro nach. Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen im Urteil hatte sie spätestens im Oktober 2019 ihre Pläne aufgegeben. Das Amtsgericht meint, die Angeklagte hätte die Mieter selbst noch vor dem Auszug dann 2020 von der Änderung der Situation unterrichten müssen und sieht hier ein strafrechtlich relevantes Unterlassen. 90 Tagessätze zu je 600 Euro Geldstrafe und dann auch noch der angeordnete hohe Wertersatz als einzuziehender Betrag sind die Konsequenz.

Das Amtsgericht hat ausführlich in der Urteilsbegründung auf bislang im Strafrecht veröffentlichten Entscheidungen sowie auf die Kommentarstellen verwiesen und sich hier durchaus Mühe gegeben, auch dogmatisch sauber zu argumentieren (vgl. etwa die Hinweise im Urteil auf BayObLG NJW 1987, 1654 dort und die nachfolgende, im Wesentlichen bestätigende Rechtsprechung und Lehre, die eine Aufklärungspflicht des Vermieters "bis zum bitteren Ende hin" bejaht). Indes korrespondiert diese strafrechtliche Rechtsauffassung (dort herrschend) nicht mit der ziviilrechtlichen: dort ist weitgehend anerkannt, dass der Vermieter über veränderte Umstände nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist (hier also 31.7.2017) hinweisen muss, der Eigenbedarfswunsch danach keine Rolle mehr spielt, insbesondere nicht bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen müsse (vgl. nur BGH NJW-RR 2019, 972 mwN). 

Für diese massive - und hier relevante - Divergenz zwischen der straf- und zivilrechtlichen Linie gibt es letztlich nur die Erklärung, dass seit dem Rechtsentscheid des BayOblG 1987 man dort schlichtweg nicht auf die sich später entwickelnde differierende Linie des VIII. Zivilsenats des BGH geachtet hat - und auch heute sieht das Strafgericht nicht auf das Zivilrecht. Das sollte sich ändern. Im Fall des Amtsgerichts Bergedorf etwa erscheint die Verurteilung trotz des in der Tat durchaus krass anmutenden Sachverhalts unrichtig: zum einen finden sich keine Feststellungen dazu, was die Vermieterin exakt noch am 31.7.2017 plante, also dem insofern allein relevanten Tag und ob sie bis dahin ihre Absichten bereits aufgegeben hatte. Vielmehr stellt das Amtsgericht insofern aus zivilistischer Sicht fehlerhaft auf den drei Jahre späteren Auszugszeitpunkt ab. Zum anderen fragt es sich, ob angesichts der zivilrechtlichen Linie, die immerhin vom BGH dort vertreten wird, nicht ggf. ein tatbestandsausschließender Irrtum gem. § 16 StGB oder ggf. ein Verbotsirrtum gem. § 17 StGB vorgelegen haben könnte. Denn die Angeklagte könnte ja auch die zivilrechtliche Rechtsprechung vertraut haben, wonach es auf Änderungen des Eigenbedarfswunsches nach dem 31.7.2017 nicht mehr ankam.

Ob die zivilrechtliche Auffassung, der Ablauf der Kündigungsfrist sei allein maßgeblich, zutreffend ist oder nicht, sei an dieser Stelle dahingestellt. In der zivilrechtlichen Praxis mutet es merkwürdig an, wenn Vermieter oder Zeugen in der mündlichen Verhandlung bzw. Beweisaufnahme mitteilen, sie würden gar nicht mehr in das vermietete Objekt einziehen wollen, das habe sich erledigt - und dies dann für die Entscheidung des Gerichts praktisch keine Rolle mehr spielen soll (Abwägungsfragen hier einmal außer Acht gelassen). Das dogmatische Argument, der Mieter würde ja nach Ablauf der Kündigungsfrist unrechtmäßiger Besitzer sein, das Mietverhältnis sei beendet, ist jedenfalls dann nicht zwingend, wenn ggf. später relevante Härtegründe gem. § 574 BGB festgestellt werden und das Mietverhältnis dann sogar gem. § 574a BGB vom Gericht festgestellt fortgesetzt wird. Das alles ist indes für das Strafrecht momentan nicht von Relevanz, muss dieses sich doch erst fragen, ob es nicht den vom VIII. Zivilsenat vertretenen Grundsätzen dazu folgen will. Alles andere wird man dann später sehen.

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