Die Filesharing-Debatte: Soll die Internetnutzung (staatlich bzw. privat) überwacht werden, um Urheberrechtsverstöße zu verhindern?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 13.12.2009

Auf Zeit-Online findet sich ein lesenwerter Beitrag von Sandro Gaycken zum Thema Filesharing und Demokratie.

Er argumentiert, dass weder eine staatliche Überwachung noch die nunmehr durch das ACTA (vgl. dazu zuletzt  Axel Spies hier im blog) beabsichtigte Überwachung durch die Provider im Vergleich zum Wert  einer freien und offenen Meinungsäußerung im Internet verhältnismäßig sei. Zumal die von der Musikindustrie behaupteten Schäden durch filesharing bestritten werden könnten.

Sein Fazit:

"Die freiheitsrechtlichen Kosten stehen in keinem Verhältnis zu ihrem Nutzen. (...), weil dieser Nutzen die Abwendung von finanziellen Schäden einer Minderheit ist. Die Wahrung wichtiger Menschen- und Grundrechte sollte dagegen immer schwerer wiegen."

Daher sei auch die Haltung der Politik, die solche Bestrebungen der Musiklobby unterstütze (3-strikes Regel u.ä.)  fragwürdig.

Allerdings stellt Gaycken sich keineswegs hinter das Filesharing selbst:

"Es hat keinen nachweisbaren politischen Hintergrund und keinen politischen Wert. Es ist primär eine marktwirtschaftlich illegale und keine politische Handlung. Dagegen vorzugehen ist gesellschaftlich geboten."

Nun fällt ihm für dieses "dagegen Vorgehen" auch keine Lösung ein. Jedes individuelle Vorgehen (Strafrecht wie Zivilrecht) gegen Filesharer setzt ja gerade die von ihm beklagte Überwachung voraus. Eine folgenlose gesellschaftliche "Ächtung" des Filesharing bringt aber wohl auch nichts.

Also doch eine Kulturflatrate a la GEZ für alle Internetnutzer?

 

 

 

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9 Kommentare

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Eine Kulturflatrate ist eine potentielle Möglichkeit.

Meine Argumentation ist schon seit jeher im ersten Teil ähnlich der von Gaycken und war vor Jahren meine Motivation die Piratenpartei mit zu gründen.

Rechte - auch und gerade gerade Immaterialgüterrechte - existieren nicht als Selbstzweck sondern hauptsächlich aus der Überzeugung das daraus ein Nutzen für die Allgemeinheit erwächst. Urheberrecht wie Patentrecht habe aus diesem Grunde ursprünglich auch eine Begrenzung. Im Urheberrecht ist diese teilweise schon Makulatur. Siehe den Disney-Act oder auch die derzeitigen hauptsächlich aus GB nach Europa getragenen Bemühungen zu verhindern das die Beatles oder die Rolling Stones jemals frei verfügbar sein werden (erst einmal ein verlängern - dann weitersehen wie in den USA ebenfalls).

Bei Patenten kann man schön anhand der Debatte um das IQUiG und Sawickis sehen wie so etwas (nicht nur) bei Pharma-Patenten gemacht wird. Da man Patentlaufzeiten nicht so leicht wie das Urheberrecht ändern kann wird dort eben eine Scheininnovation ohne Wirkungsverbesserung patentiert und diese gefördert.

Ebenso selbstverständlich wie man bei Patenten und den Scheininnovationen "entrüstet" ist wird die Argumentation der Content-Industrie das man nahezu unendliche Laufzeiten bräuchte geschluckt. Eine Debatte darüber welche Laufzeiten man überhaupt sinnvollerweise "genehmigen" sollte wird nicht geführt. Und - in Addition - eine Diskussion wie man den gesellschaftlich erwünschten Zweck ggfs. mit einem milderen oder anderen Mittel erreichen kann wird ebenfalls nicht geführt.

Eine Kulturflatrate ist jedoch wie ein Mindestlohn und ist auch wie die von der Koalition nun geprobten Leistungsschutzrechte für Verlage. (nach VG Wort eine VG Zeitung). Es sind nämlich nicht die (zweckgeprüften) Mindestanforderungen welche damit erfüllt werden sondern die Forderungen der Urheber. Ich glaube der Umsatz(!) der Musikindustrie liegt bei 1,7Mrd Euro(1). Davon ein großer Teil auch durch CD´s (also Hardware) verursacht. Würde man annehmen das keine CD mehr verkauft und damit auch keine mehr gekauft werden müssten wären vielleicht effektiv 1Mrd zu ersetzen (Umsatz... nicht Gewinn). Teilt man 1Mrd Euro durch 55mio Haushalte/Telefonanschlüsse kommt man auf 20 Euro pro Haushalt. Durch 12 geteilt hätte man etwa 1,70 im Monat zu zahlen. Dann wäre der komplette(!) Umsatz der Musikindustrie (abzgl. Hardware, inkl. Gewinn) ersetzt und kein Musiker hätte weniger als davor und das Urheberrecht auf Musikstücke wäre mithin obsolet.

Macht man Differenzierungen wie eine Freigabe lediglich für Privatkopien dann reicht sicher auch 1 Euro pro Monat und Haushalt/Telefonanschluss aus. Volkswirtschaftlich gesehen ist die Musikindustrie ein Witz.

Frage: welcher Musikindustrielle bzw. welche MI-GEZ würde sich mit einem Euro pro Monat zufrieden geben? Mit im Schnitt 3 Euro pro Monat könnte man Filme und Software vermutlich ebenfalls einbeziehen und wären abgegolten.

Grüße
ALOA

(1) http://de.wikipedia.org/wiki/Musikindustrie#Krisen

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....und wie bemessen wir dann den Umfang? Oder geht es bloß um die Ausfinanzierung einer öffentlich-rechtlichen Kulturanstalt, die dann zukünftig auch die Nachfolger der "No Angels" produziert? Oder eine Art Kopierabgabe auf Internetanschlüsse (analog den Verwertungsgesellschaften, nicht unbedingt der GEZ)?

Und natürlich müsste dann an die Urheber ausgeschüttet werden, nicht an die Produzenten und Vermarkter... In den Absprachen zwischen Produzenten und Verwertern liegt dann noch ein besonderes Risiko, dass quasi Kosten künstlich generiert werden.

Wie bestimmen wir die Quote? Per TED? Viele (Verkaufs-, Zuschauer-, Zuhörer-)Quoten sind ja eh ziemlich halbseiden (vgl. Diskussion zu Media Control Charts, Radioquoten).

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Weder eine Überwachung der Internetnutzung, noch ein Internetverbot in den Fällen der downloads oder eine Kulturflatrate sind taugliche Ansätze, vielmehr ein trauriges Zeichen untauglicher Lösungsansätze. Wenn insbesondere die Marketing-, Management-, Verwaltungs-, Produktionskosten in der Musikbranche endlich auf ein realistisches Mass reduziert würden, könnte man auch realistische Preise für Medienprodukte kalkulieren, es würde sich wieder Qualität durchsetzen, anstatt sehr oftmals minderqualitative dafür umso intensiver beworbene Produkte.

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Sehr geehrter Herr Karl,

besten Dank für Ihren langen Diskussionsbeitrag! Sie verweisen auf ein Problem, das uns in der Wissenschaft leider immer öfter begegnet: Studienergebnisse, die von bestimmten Lobbies (Sie werden sicher zustimmen, dass dies keineswegs nur die eine Seite betreibt, sondern etwa auch Teile der Musikindustrie) werden der Presse vorab mitgeteilt, ohne dass sie vorab auf Einhaltung wissenschaftlicher Standards getestet werden konnten, ja, ohne dass man sie überhaupt nachlesen kann. Ihr Beispiel ist nur eines von Vielen. Die Medien greifen gern auf solche "Studien" zurück, es macht halt wenig Arbeit bei der Recherche, wenn dies alles schon mundgerecht serviert wird.
Gegenrecherche ist sehr mühevoll, zumal in Norwegen. Der Leser muss gerade bei solchen Mitteilungen skeptisch bleiben.

Mir war diese "Studie" allerdings nicht bekannt und ich hätte sie auch nicht sonderlich ernst genommen: Selbstverständlich gibt es viele Jugendliche, die früher (wie auch ich) mit dem "Casi" alle bei Freunden und Bekannten und im Radio erreichbaren Musikstücke aufgenommen hätten (ich hatte z.B. genau eine bezahlte LP von den Beatles, alles andere von den fabulösen vier "kostenfrei" auf C90 Cassetten), dies heute noch viel effektiver im Internet "tauschen und teilen". (Allerdings: Hätte ich das früher nicht gekonnt, würde ich heute mit Sicherheit nicht immer noch ein regelmäßiger Käufer gerade der von VUT-Unternehmen produzierten Musik sein).

Das kostenfreie Musikhören und -tauschen auf Cassetten war - bis auf die Technik - dasselbe Verhalten wie das heutige filesharing und m.E. ist das Strafrecht hier einfach unangebracht. Das überzogene Gerede von "Raubkopien" hat in meinen Augen den Interessen der Musikindustrie mehr geschadet als genützt - ich jedenfalls kann das nicht ernst nehmen.

Es ist sicherlich nicht plausibel, dass "Piraten" mehr Musik kaufen als "Nichtpiraten" und daher das filesharing für den Verkauf geradezu nützlich sei. Selbstverständlich kaufen dieselben Jugendlichen, die Musik tauschen auch gelegentlich Musik (oder sie werden von Verwandten mit CDs oder itunes-Gutscheinen beschenkt). Für Pop und Rockmusik sind eben Jugendliche trotz ihres klammen Geldbeutels die Hauptzielgruppe und waren es auch früher. Aber die Digitalisierung, die zunächst der Industrie einen Riesenumsatz gebracht hat, weil alle die Musik auf CD noch einmal kaufen "mussten", hat sicherlich später wegen der leichten und verlustfreien Kopierbarkeit zu Umsatzverlusten beigetragen: Das wird heute niemand ernsthaft leugnen können (wenn auch VUT-Unternehmen nicht so hart betroffen sind, s.u.). Die Musikindistrie hat hier auch einiges zum (eigenen) Schaden beigetragen, aber auch die Kostenlos-Mentalität im Internet ist verantwortlich, und dieser hängen nicht nur mehr Jugendliche an.

Dass das Internet allerdings nicht nur von Übel ist, zeigen gerade die in der VUT zusammengeschlossenen Unternehmen: Ohne Internet würde sich Vieles aus dem independent-Bereich gar nicht vermarkten lassen, wie diese VUT-Mitgliederbefragung aus dem Jahr 2005 zeigt (Titel: "Wachstum gegen den Trend"):
http://tinyurl.com/y9kqbwf

Eine richtig "schlaue" Lösung, die ohne Überwachung auskommt und trotzdem den Kreativen und Produzenten ihren fairen Anteil garantiert, sehe ich allerdings auch noch nicht.

Besten Gruß
Henning Ernst Müller

Aber auch eine Kulturflatrate wäre keine Lösung, denn viele Menschen nutzen diese Unterhaltungsformen nicht in relevantem Maß, haben daran kein Interesse oder beruflich keine Zeit. Hier wir von der Industrie ein Bedürfnis nach exzessiver Unterhaltung suggeriert, dass die meisten Menschen garnicht haben, lediglich vielleicht einige reifende teens und für die braucht es eben auch keine Pauschallösungen, schon gar keine Internetüberwachung.

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via nerdcore komme ich auf diesen Artikel

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40915958.html

aus einer fernen Vergangenheit. Er stammt aus dem Jahr 1977. Damals wird die große Krise der Musikindustrie beklagt: Leerkassetten machen der Musikkultur den Garaus. Schulklassen kaufen nur noch eine LP und kopieren sie dann schamlos mit dem Kassettenrecorder. Oder die Konsumenten tun das ganz kostenlos, indem sie Radiosendungen einfach mitschneiden! Unerhört! Die Musikindustrie schäumt: Die moderne Kassettentechnik bedeutet spätestens 1990 den Untergang... aber lesen Sie selbst.

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