Cannabismedizin und Fahrerlaubnis

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 04.12.2019

Darf einem Konsumenten von Medizinalcannabis eine Fahrerlaubnis erteilt werden? Mit dieser Frage hat sich jüngst das Verwaltungsgericht Düsseldorf in einem Fall befasst, dem folgender Sachverhalt zugrunde lag: Der Kläger, dem im September 2016 vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gem. § 3 Abs. 2 BtMG die Erlaubnis zum Erwerb von Medizinal-Cannabis erteilt wurde, beantragte im März 2017 die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, welche ihm zuvor wegen des Führens eines Fahrzeuges unter Cannabiseinfluss im Jahr 2015 entzogen worden war. Im April 2018 lehnte die zuständige Führerscheinstelle die begehrte Neuerteilung der Fahrerlaubnis ab, auch weil ein in Auftrag gegebenes medizinisch-psychologische Gutachten zu dem Ergebnis gekommen war, dass der Kläger den Konsum von Cannabis und das Führen von Kraftfahrzeugen nicht trennen könne.

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf gab der hiergegen gerichteten Klage statt, hob den angefochtenen Bescheid auf und verpflichtete die Führerscheinstelle, dem Kläger die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen der Fahrerlaubnisklassen B, M, L und S zu erteilen. Zur Begründung führte es u.a. Folgendes aus (Urt. v. 24.10.2019, 6 K 4574/18):

Nach § 2 Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 Straßenverkehrsgesetz (StVG), der gemäß § 20 Absatz 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) auch bei der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung Anwendung findet, setzt die Erteilung einer Fahrerlaubnis für die jeweilige Klasse unter anderem voraus, dass der Bewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Dies ist gemäß § 2 Absatz 4 Satz 1 StVG und § 11 Absatz 1 Satz 1 FeV der Fall, wenn er die körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen hat.

Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger. Dem Erteilungsanspruch des Klägers steht nicht entgegen, dass das medizinisch-psychologische Gutachten der amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung der J. GmbH vom 16. Januar 2018 zu dem Ergebnis gelangt, dass davon auszugehen ist, dass der Kläger den Konsum von Cannabis und das Führen von Kraftfahrzeugen nicht trennen kann. Denn mit Blick auf die ärztliche Verordnung von Medizinalcannabis kommt es hierauf gar nicht (mehr) an. Im Einzelnen:

Aus der Nummer 9 der Anlage 4 der FeV folgt, dass bei der Beurteilung der Fahreignung zu unterscheiden ist zwischen der Einnahme von Betäubungsmitteln, zu denen auch Cannabis zählt, anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen und Arzneimitteln. Bei der Einnahme von Arzneimitteln, die Stoffe enthalten, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, kann die fehlende Fahreignung nicht schon aus der Einnahme von Betäubungsmitteln nach den Nummern 9.1 oder 9.2.1 der Anlage 4 der FeV hergeleitet werden, da insoweit die in den Nummern 9.4 und 9.6.2 der Anlage 4 der FeV definierten Eignungsmängel speziellere Anforderungen normieren. Die Beurteilung der Fahreignung bei bestimmungsgemäßem Konsum von für einen bestimmten Krankheitsfall ärztlich verordnetem Cannabis ist als Dauerbehandlung mit Arzneimitteln (Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV) einzuordnen. [es folgen Fundstellen]

Danach ist die Fahreignung dann nicht gegeben, wenn eine Vergiftung (Nr. 9.6.1 der Anlage 4 zur FeV) oder eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß (Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV) besteht. […]

Der eignungsrelevante Unterschied zwischen bestimmungsgemäß eingenommenen Arzneimitteln und Drogen liegt in der unterschiedlichen Wirkung der Substanzen als Therapeutikum bei der Einnahme nach ärztlicher Verordnung und bei missbräuchlichem Konsum. Während ein Drogenkonsument eine Substanz zu sich nimmt, um berauscht zu sein, nimmt ein Patient eine Substanz zu sich, um sein Leiden zu lindern. Bei bestimmungsgemäßer Einnahme fahren Cannabispatienten gerade nicht in einem berauschten Zustand. Erst durch die Einnahme von Cannabismedizin sind sie überhaupt in der Lage, sicher am Straßenverkehr teilzunehmen. Dabei ist insbesondere von Bedeutung, dass Patienten anders als Drogenkonsumenten in der Regel über eine hohe Zuverlässigkeit und Verantwortlichkeit verfügen. Sie verhalten sich eher regelkonform und sind achtsam im Umgang mit der Medikation und den Nebenwirkungen. [es folgen Fundstellen]

Da die Dosis jeweils individuell ist, gibt es auch keine Grenzwerte für die Einnahme von Medikamenten. Stattdessen gilt der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit. Danach muss ein Kraftfahrer ärztliche Anweisungen befolgen und die Gebrauchsanweisung des eingenommenen Medikaments beachten. Er ist insoweit verpflichtet, sich über mögliche Auswirkungen auf seine Fahrtüchtigkeit zu informieren und notfalls, sofern eine eindeutige Beurteilungsgrundlage nicht zu erlangen ist, durch Abstandnahme von der Fahrt sicherzustellen, dass er nicht im fahruntüchtigen Zustand ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führt. [es folgen Fundstellen]

Hält sich ein Kraftfahrer an diese Vorgaben, begeht er nach § 24a Absatz 2 Satz 2 StVG in Ausnahme zu Satz 1 auch keine Ordnungswidrigkeit, da die Substanz dann aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt. Grundsätzlich wird nach alldem nicht allein durch die Behauptung, einen nicht ärztlich verordneten regelmäßigen Cannabiskonsum durch einen ärztlich verordneten ersetzt zu haben, die Fahreignung wiedererlangt. Ausgehend von der Handlungsempfehlung der Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation setzt dies vielmehr voraus, dass der Betroffene Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung einnimmt, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind und die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt; zudem darf nicht zu erwarten sein, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird. Erforderlich ist eine einzelfallorientierte Beurteilung der Fahreignung. [es folgen Fundstellen]

Ausgehend von diesen rechtlichen Maßstäben hat der Kläger im vorliegenden Einzelfall durch Vorlage des medizinisch-psychologischen Gutachtens der J. GmbH nachgewiesen, seine Fahreignung wiedererlangt zu haben.

Im Rahmen der Untersuchung vom 16. Januar 2018 führten die beiden Gutachter, Facharzt für Innere Medizin Dr. C. und Dipl. Psychologe T1. , an deren Sachkunde keine Zweifel bestehen, einen Leistungstest sowie eine medizinische und eine psychologische Untersuchung beim Kläger durch. […]“

Zusammenfassend ist festzustellen, dass es bei der Frage, ob der Konsum von Cannabismedizin zum Verlust oder zur Nichterteilung der Fahrerlaubnis führt, auf den Einzelfall ankommt. Keine Auswirkung auf die Fahrerlaubnis hat es, wenn der Betroffene das Medizinalcannabis zuverlässig nach der ärztlichen Verordnung einnimmt und keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind.

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