BGH: Relative Fahruntüchtigkeit ist bei Drogen zu begründen...nur Drogenkonsum und Unfall reicht nicht

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 20.07.2024
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1222 Aufrufe

Ein Klassiker: Was muss eigentlich geschrieben werden im tatrichterlichen Urteil, wenn die Fahruntüchtigkeit nach Drogenfahrt festgestellt werden soll? Antwort: Es müssen Ausfallerscheinungen aufgrund der konsumierten Drogen dargestellt werden. Das LG war da etwas leichtfüßig durch die Urteilsbegründung geschritten und hatte wohl gedacht, dass ein Unfall sicher schon ausreichen könne:

 

 

....hat der Schuldspruch wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs keinen Bestand.

 a) Das Landgericht hat, soweit hier von Bedeutung, festgestellt: Der über keine Fahrerlaubnis verfügende Angeklagte führte am 2. September 2019 im öffentlichen Straßenverkehr seinen Pkw, an dem er amtliche Kennzeichen, die für ein anderes Fahrzeug zugelassen waren, angebracht hatte. Vor Fahrantritt hatte er Marihuana und Amphetamine konsumiert. Aufgrund dessen übersah er einen an einer roten Ampel wartenden Pkw und fuhr auf dessen Heck auf, wodurch dem Geschädigten ein Schaden in Höhe von über 4.000 € entstand. Seine Fahruntüchtigkeit hätte der Angeklagte bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen können und müssen. Der Geschädigte sprach ihn nach dem Aussteigen darauf an, was denn passiert sei, er werde die Polizei rufen. Der Angeklagte reagierte zunächst nicht, wirkte im weiteren Gesprächsverlauf schläfrig und hatte eine langsame Aussprache. Er bat den Geschädigten davon abzusehen, die Polizei hinzuzuziehen, worauf sich dieser angesichts des oberflächlich nur leichten Schadens zunächst einließ. Der Angeklagte ermöglichte die Feststellung seiner Personalien, indem er seinen Personalausweis übergab (Fall II.1 a) der Urteilsgründe). Als der Geschädigte mangels von ihm weiter erbetener Herausgabe eines Führerscheins durch den Angeklagten doch die Polizei einschalten wollte, fuhr dieser mit seinem Pkw davon (Fall II.1 b) der Urteilsgründe). Wenig später wurde er an seiner Wohnanschrift am Steuer des Fahrzeugs sitzend von der Polizei angetroffen, nachdem er soeben einen Joint konsumiert hatte. Die Polizei eröffnete ihm, ohne Fahrerlaubnis gefahren zu sein, woraufhin er unsinnige Bemerkungen abgab wie „Ja, und wer bestimmt das? Wem gehört die Schwerkraft?“.

 b) Diese auch den Schuldspruch nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2 StGB im Fall II.1 a) der Urteilsgründe tragenden Feststellungen hat das Landgericht nicht rechtsfehlerfrei belegt.

 aa) Anders als bei Alkohol kann der Nachweis einer rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden. Es bedarf daher neben dem Blutwirkstoffbefund noch weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des betreffenden Kraftfahrzeugführers so weit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 4 StR 597/16 Rn. 10; Beschluss vom 2. Juni 2015 – 4 StR 111/15 Rn. 9; Urteil vom 15. April 2008 – 4 StR 639/07 Rn. 10 ff.; Beschluss vom 3. November- 4 StR 395/98, BGHSt 44, 219, 221 ff.). Dies hat das Tatgericht anhand einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände zu beurteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2022 – 4 StR 231/22 Rn. 8; Urteil vom 22. April 1982 – 4 StR 43/82, BGHSt 31, 42, 44 ff.).

 bb) Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Das Landgericht hat die Fahruntüchtigkeit des Angeklagten allein mit „dem in der Hauptverhandlung verlesenen chemisch-toxikologischen Gutachten“ sowie „den bestätigenden glaubhaften Angaben“ des Geschädigten begründet, der den Angeklagten als schläfrig, langsam sprechend und reaktionsarm beschrieben habe. Diese Beweiswürdigung ist in mehrfacher Hinsicht unzureichend. Mangels Mitteilung des Ergebnisses des chemisch-toxikologischen Gutachtens und der ihm zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen ist ungeachtet der Zeugenaussage schon nicht in einer für den Senat nachvollziehbaren Weise belegt, dass der insoweit nicht geständige Angeklagte unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stand. Zudem wäre hinsichtlich des Blutwirkstoffbefundes zu bedenken gewesen, dass der Angeklagte den Feststellungen zufolge noch nach dem Tatgeschehen Cannabis konsumierte.

 Darüber hinaus hätte die Strafkammer näher darlegen und begründen müssen, welche Beweisbedeutung sie dem insgesamt festgestellten Nachtatverhalten des Angeklagten für dessen betäubungsmittelbedingte Fahruntüchtigkeit beigemessen hat. Im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung hätte das Landgericht zudem bedenken müssen, ob auch die Fahrweise des Angeklagten auf seine relative Fahruntüchtigkeit schließen ließ (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 – 4 StR 597/16 Rn. 10). Insbesondere mit den näheren Gegebenheiten des Unfallereignisses und seines Zustandekommens hat sich die Strafkammer nicht auseinandergesetzt. Dies wäre jedoch auch deshalb erforderlich gewesen, weil der Tatbestand des § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB zugleich voraussetzt, dass die eingetretene Gefährdung gerade Folge der betäubungsmittelbedingten Fahruntüchtigkeit ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2016 – 4 StR 317/16 Rn. 2; Beschluss vom 11. Februar 2014 ‒ 4 StR 520/13).

 c) Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zieht nicht nur die Aufhebung der tateinheitlich ausgeurteilten Delikte des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und der Urkundenfälschung (Fall II.1 a) der Urteilsgründe) nach sich. Vielmehr ist die Aufhebung hier auch auf den wegen der Weiterfahrt ergangenen Schuldspruch wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu erstrecken (Fall II.1 b) der Urteilsgründe). Denn bei rechtsfehlerfreier Betrachtung lag insoweit insgesamt nur eine einheitliche Tat vor (vgl. zur daraus folgenden Unteilbarkeit des Urteilsgegenstandes BGH, Urteil vom 27. Februar 2024 – 4 StR 401/22 Rn. 34 mwN). Das Landgericht hat übersehen, dass auch der mehrfache selbständige Gebrauch einer unechten Urkunde mit deren Herstellen eine tatbestandliche Handlungseinheit und damit eine materiell-rechtliche Tat bildet, wenn der mehrfache Gebrauch dem schon bei der Fälschung bestehenden konkreten Gesamtvorsatz des Täters entspricht. Dieser Gesamtvorsatz ist naheliegend gegeben, wenn der Täter ‒ wie hier ‒ die für ein anderes Fahrzeug ausgegebenen amtlichen Kennzeichen an einem Fahrzeug anbringt, um dieses im öffentlichen Straßenverkehr zu nutzen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2022 – 4 StR 88/22 Rn. 4; Beschluss vom 17. Oktober 2018 ‒ 4 StR 149/18 Rn. 4 mwN).

BGH Beschl. v. 24.4.2024 – 4 StR 90/24, BeckRS 2024, 14278 

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