Nicht geringe Menge von Cannabis und Strafzumessung: Was ist abzuziehen, Freimenge oder Bereichsausnahme?

von Prof. Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 01.09.2024

Das KCanG sieht in § 2 Abs. 3 i.V.m. § 3 KCanG und in § 34 Abs. 1 KCanG unterschiedliche „Freimengen“ vor. So ist einer Person über 18 Jahre ausdrücklich erlaubt,

  • nach § 2 Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 KCanG bis zu 25 g Cannabis außerhalb des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts und bis zu 50 g Cannabis am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt bzw. insgesamt zu besitzen,
  • nach § 2 Abs. 3 i.V.m. § 19 KCanG als Mitglied in einer Anbauvereinigung 25 g Cannabis pro Tag oder 50 g pro Kalendermonat entgegenzunehmen.

Nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 12 KCanG macht sich man sich jedoch erst dann strafbar, wenn man mehr als 30 g Cannabis außerhalb des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts oder mehr als 50 g Cannabis am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt besitzt und mehr als 25 g Cannabis pro Tag oder 50 g pro Kalendermonat erwirbt oder entgegennimmt.

Um diese Grenzen, die nicht deckungsgleich sind, auseinanderzuhalten, schlage ich folgende Wortwahl vor:

Freimenge = die Menge, die nach § 2 Abs. 3 i.V.m. §§ 3, 9, 19 KCanG ausdrücklich erlaubt ist,

vs.

Bereichsausnahme = die Grenze nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 12 KCanG.

I. Berücksichtigung der Freimenge/Bereichsausnahme bei der nicht geringen Menge

Die Unterscheidung zwischen Freimenge und Bereichsausnahme erlangt bei der Frage Bedeutung, welche Menge im Rahmen der Bestimmung der nicht geringen Menge von Cannabis nach § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG abzuziehen ist.

1. Auffassung des 6. Strafsenats des BGH:

Der 6. Strafsenat will die Bereichsausnahme bei der Bestimmung der nicht geringen Menge unberücksichtigt lassen (BGH Beschl. v. 30.4.2024 – 6 StR 536/23, BeckRS 2024, 12835):

b) Bereits mit dem Erreichen der strafbaren Umgangsmenge wäre daher oftmals die (weiterhin) maßgebliche Grenze zur nicht geringen Menge von 7,5 Gramm überschritten und damit stets der Anwendungsbereich von § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG eröffnet. Mit Blick auf den durchschnittlichen Wirkstoffgehalt bei – wie hier – Cannabisharz von 22,5% (vgl. für 2019 die Übersicht bei Patzak/Dahlenburg, NStZ 2022, 146, 147) wiese schon die straflose Besitzmenge von 60 Gramm (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b KCanG) bei durchschnittlicher Qualität einen Wirkstoffanteil von 13,5 Gramm THC auf; bei einem straflosen Besitz von 30 Gramm außerhalb des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a KCanG) wäre die Grenze zur nicht geringen Wirkstoffmenge bereits bei einem Wirkstoffgehalt von 25% erreicht.

c) Bei Abzug der jeweils erlaubten und vom Gesetzgeber als unbedenklich erachteten Freimengen von 30 beziehungsweise 60 Gramm oder – im Zusammenhang mit den Anbauvereinigungen – von 25 Gramm täglich oder 50 Gramm im Monat bleibt hingegen ein hinreichender, in den Normalstrafrahmen (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG) einzuordnender Strafbarkeitsbereich. Denn bei einem Wirkstoffgehalt von 22,5% wäre etwa die für die Anwendung des besonders schweren Falls (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG) relevante Wirkstoffmenge von 7,5 Gramm erst ab einer Gesamtbesitzmenge von 93,33 Gramm Cannabisharz erreicht.

2. Auffassung des 1. Strafsenats des BGH:

Dem schließt sich der 1. Strafsenat des BGH an (BGH Beschl. v. 12.6.2024 – 1 StR 105/24, BeckRS 2024, 17878):

Gleiches gilt für die innerhalb der Strafzumessungsregelung des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG zu bestimmende „nicht geringe Menge“. Der 1. Strafsenat schließt sich insoweit den Erwägungen des 6. Strafsenats in seiner Entscheidung vom 30. April 2024 (6 StR 536/23 Rn. 29 f.) an, wonach in Bezug auf die Besitztatbestände des § 34 KCanG die nicht unter Strafe gestellten Mengen von 60 bzw. 30 Gramm oder – im Zusammenhang mit Anbauvereinigungen – von 25 bzw. 50 Gramm im Monat bei der Berechnung der „nicht geringen Menge“ außer Betracht bleiben müssen. Diese Wertung ist auf den Erwerbstatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG zu übertragen.

3. Meine Auffassung:

Ich vertrete demgegenüber die Auffassung, dass die Freimenge abzuziehen ist. In Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Auflage, § 34 Rn. 265a KCanG schreibe ich:

Bei Tathandlungen, die keine Freigrenzen für den Umgang mit Cannabis vorsehen, zB das Handeltreiben, ist die gesamte tatgegenständliche Cannabismenge für die Bestimmung der nicht geringen Menge maßgeblich. Anders dagegen bei Tathandlungen mit Freigrenze nach § 2 Abs. 1 iVm Abs. 3 KCanG, wie Besitz, Anbau und Erwerb eines Mitglieds in einer Anbauvereinigung: Hier kann sich die nicht geringe Menge nur auf den die Freigrenze überschreitenden Teil beziehen, zB beim strafbaren Besitz von Cannabis nur den 25g bzw. 50g übersteigenden Anteil.

Dies möchte ich hier mit folgendem Beispiel weiter verdeutlichen:

T hat 80 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 10% (=8 g THC) zu Hause. In Variante 1 stammt das Marihuana aus dem verbotenen Kauf bei einem Dealer, in Variante 2 aus dem Eigenanbau.

Nach meiner Auffassung wäre in Variante 1 die nicht geringe Menge erreicht (für den Erwerb beim Dealer gibt es keine Freimenge), während in Variante 2 die nicht geringe Menge nicht erreicht ist (hier sind nur 3,0 g THC zu berücksichtigen, weil der Besitz von 50 g aus dem Eigenanbau, also die Freimenge nach § 3 Abs. 2 KCanG, abzuziehen ist).

Nach Auffassung des BGH wäre in beiden Fällen die nicht geringe Menge nicht erreicht, da in Variante 1 die Bereichsausnahme des § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG und in Variante 2 die Bereichsausnahme des § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b KCanG abzuziehen ist, da in Variante 1 nur 5,5 g THC (8,0 g – 2,5 g) und in Variante 2 nur 2,0 g (8,0 – 6,0) berücksichtigt werden müssten.

Dieses Ergebnis erscheint mir nicht sachgerecht zu sein. Es lässt außer Acht, welche Tathandlungen ausdrücklich erlaubt sind, nämlich nur die in § 2 Abs. 3 KCanG aufgezählten Tatbegehungsweisen. Die davon abweichenden Bereichsausnahmen in § 34 Abs. 1 und Nr. 12 KCanG bestimmen dagegen nur, dass insoweit – trotz ausdrücklichen Verbots – eine strafrechtliche Ahndung ausbleibt. Im Beispielsfall ist also der gesamte Kauf des Marihuanas bei einem Dealer verboten, der Besitz bis zu 50 g ist aber grundsätzlich erlaubt. Um dem gerecht zu werden, sollten die Freimengen und nicht die Bereichsausnahme berücksichtigt werden.

Hätte also der Täter in unserem Fall die 80 g THC als Mitglied in einer Anbauvereinigung entgegengenommen, wäre hier die Freimenge des § 2 Abs. 3 i.V.m. § 19 KCanG abzuziehen und die nicht geringe Menge wäre nicht erreicht (8,0 g – 2,5 g). Das bildet die ausdrücklich erlaubten Bereiche besser ab und ist m.E. damit gerechter.

4. Abzug von Pflanzen

Nach § 2 Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 2 KCanG darf eine Person über 18 drei Cannabispflanzen am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt besitzen und nach § 2 Abs. 3 i.V.m. § 9 KCanG am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt anbauen. Nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c und Nr. 2 Buchst. a KCanG macht man sich auch erst dann strafbar, wenn man mehr als 3 Pflanzen besitzt und mehr als 3 Pflanzen anbaut. Hier sind also Freimenge und Bereichsausnahme deckungsgleich, so dass drei Cannabispflanzen bei der Bestimmung der nicht geringen Menge unberücksichtigt bleiben (so der 4. Strafsenat, siehe dazu meinen Blog-Beitrag vom 7.7.2024).

Anders aber wieder, wenn jemand bei einer Transportfahrt in einem Auto eine größere Menge Cannabispflanzen mit sich führen würde. In diesem Fall dürften keine Pflanzen als Freimenge abgezogen werden, weil der Besitz in diesem Fall nach § 2 Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 2 KCanG nicht erlaubt ist.

Das ist zwar alles in allem kompliziert, aber aus meiner Sicht sachgerecht und dem Willen des Gesetzgebers entsprechend!

II. Berücksichtigung der Freimenge/Bereichsausnahme bei der Strafzumessung

Noch ein Wort zur Berücksichtigung von Freimenge oder Bereichsausnahme bei der Strafzumessung. Der 1. Strafsenat schreibt dazu Folgendes (BGH Beschl. v. 12.6.2024 – 1 StR 105/24, BeckRS 2024, 17878):

Gleiches gilt für die innerhalb der Strafzumessungsregelung des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG zu bestimmende „nicht geringe Menge“. Der 1. Strafsenat schließt sich insoweit den Erwägungen des 6. Strafsenats in seiner Entscheidung vom 30. April 2024 (6 StR 536/23 Rn. 29 f.) an, wonach in Bezug auf die Besitztatbestände des § 34 KCanG die nicht unter Strafe gestellten Mengen von 60 bzw. 30 Gramm oder – im Zusammenhang mit Anbauvereinigungen – von 25 bzw. 50 Gramm im Monat bei der Berechnung der „nicht geringen Menge“ außer Betracht bleiben müssen. Diese Wertung ist auf den Erwerbstatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG zu übertragen.

Auch hier sollte dem Täter m.E. im Rahmen der Strafzumessung zugutekommen, was ausdrücklich erlaubt ist.

Beispiel: T wird auf der Straße mit 27 g Marihuana angetroffen. In Variante 1 stammt das Marihuana aus dem verbotenen Kauf bei einem Dealer, in Variante 2 aus dem Kauf in einer Anbauvereinigung als Mitglied. In Variante 1 ist der Schuldumfang m.E. deutlich höher, denn die gesamte Menge stammt aus einem verbotenen Erwerb. In Variante 2 ist zwar auch eine Straftat der verbotenen Entgegennahme erfüllt, allerdings ist die Entgegennahme von bis zu 25 g grundsätzlich erlaubt, also die Schuld des Täters wesentlich geringer.

 

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