Staat hört immer öfter mit

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 25.09.2009

Im vergangenen Jahr wurden in 5.348 strafrechtlichen Ermittlungsverfahren  Telefongespräche und Computerkommunikation abgehört. Im Jahr 2007 waren es nur 4.806. Ein Anstieg um ca. 10 % liegt also vor.

 

Bestätigt sehen sich diejenigen, die Deutschland auf dem Weg zu einen Überwachungsstaat sehen. Zweifelsohne ist die Entwicklung wachsam zu verfolgen und zu überprüfen, ob rechtsstaatliche Grundsätze beachtet werden, zumal auch, dass die Ermittlungsrichter jeden Einzelfall sorgfältig prüfen und sich nicht gleichsam blind auf die Antragsbegründung der Staatsanwaltschaft verlassen. Auf der anderen Seite darf nicht aus dem Blick geraten, dass die Zahl der Mobiltelefone steigt. Auch nehmen die Ermittlungsrichter regelmäßig ihre Prüfungs- und Anordnungskompetenz sehr ernst.

 

Mit Blick auf die Bürger- und Persönlichkeitsrechte einerseits, andererseits schwere Kriminalität zu bekämpfen und die Sicherheit der Allgemeinheit zu gewährleisten, ist das für die Justiz stets eine Gratwanderung, die nicht vorschnell aus dem Blick geraten sollte. Eine Meldung ist dieser Anstieg aber allemal wert.

 

 

 

 

 

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7 Kommentare

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In Bayern ist der Anstieg sogar 30%.

 

Leider steht in der Statistik nicht, wieviele solche Abhöraktionen erfolgreich waren. Ich glaube nicht, dass Drogenhändler (um die geht es angeblich hauptsächlich) am Telefon hängen, und ihrem Lieferanten in Kolumbien sagen "Hallo Pedro, ich brauche 3 Kilo reines Kokain, für XX Euro das Kilo, Lieferung innerhalb 14 Tage!".

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Für mich ist in der richterlichen Praxis immer wieder erstaunlich, was Beschuldigte am Telefon so alles ungeniert besprechen, wo doch jedermann weiß, dass bei schwereren Delikten der Staat "mithören" könnte. Da wird schon einiges zu Tage gefördert. Und jetzt, sehr geehrter Herr Tilman, wäre es in der Tat ebenso wichtig wie interessant den Prozentsatz zu erfahren. Genauer: Welche Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft trotz  "Abhören" eingestellt werden, weil es für eine Anklage nicht "reicht".

 

Selbst so klassische Ermittlungsmaßnahmen, wie die Durchsuchung beim Beschuldigten, bringen nicht selten noch Ergebnisse, obwohl dem Beschuldigten vielfach seit einiger Zeit bekannt ist, dass gegen ihn ermittelt wird.

 

... und dann gibt es natürlich noch die angesprochenen "Gewieften", die wissen, dass ihr Telefon vielleicht abgehört werden oder eine Durchsuchung ins Haus stehen könnte. Da bringen diese Ermittlungsmaßnahmen keinen Erfolg.

Lieber Herr Kollege von Heintschel-Heinegg,

im Vergleich zu den zig-Millionen von existierenden Telefonanschlüssen sind einige tausend Ermittlungsverfahren, in denen abgehört wird, eine kleine Zahl, so wird teilweise argumentiert. Allerdings ist  auch zu berücksichtigen, dass in einem Ermittlunsgverfahren jeweils mehrere Anschlüse überwacht werden und natürlich auch Gesprächsteilnehemr, die nichts mit der Sache zu tun haben, mit abgehört werden. Zudem werden mit dieser Zahl ja nicht die Telefonüberwachungen  außerhalb von Ermittlungsverfahren aus bloßen Gefahrenabwehrgründen erfasst, die möglicherweise noch einmal einige hundert Anschlüsse betreffen.

Was mich seit Jahren irritiert, ist, dass die gesetzlichen Befugnisse meist mit der Argumentation eingeführt wurden, in Deutschland bestehe eine reale Gefahr der Unterwanderung der Wirtschaft und der Poltik durch die "Organisierte Kriminalität" - in der polizeilichen Praxis aber "OK" fast ausschließlich mit Rauschgifthandel übersetzt wird. Haben Sie aus Ihrer Praxis Hinweise darauf, dass auch in nennenswertem Umfang tatsächlich in Ermittlungsverfahren abgehört wird, die nicht den Rauschgifthandel betreffen, sondern etwa mafiose Strukturen, Korruption, größere Wirtschaftsdelinquenz, Waffenhandel? Oder sind das nur evtl vorgeschobene Angstmacher-Gründe, mit der in der Öffentlichkeit für diese Gesetzgebung Werbung gemacht wurde?

 

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

 

Mich würde interessieren, wieviel Gespräche ohne jeden richterlichen Beschlus abgehört werden.

Tatsächlich bestätigen mir jedenfalls StR-Kollegen, dass Anschlüsse alleine aus Gründen der Informationsgewinnung ohne jeden Beschluss überwacht werden.

Da die Geheimdienste zusätzlich Gespräche abhören können, wäre zu unterstellen, dass es keinen wirksamen technischen Sperrmechanismen gibt, der einen unbefugten Zugriff registriert.

Gibt es hierzu Daten?

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Lieber Prof. Müller,

 

leider mäßig aktuell (2007 und früher) findet sich eine Aufschlüsselung der der Telefonüberwachung zugrunde liegenden Straftaten hier: www.bmj.de/enid/Statistiken/Telefonueberwachung_z2.html

 

In der Tat besteht ein deutliches Übergewicht bei den Btm-Delikten, aber auch eine erhebliche Zahl an OK-Kriminalität (wenn man Banden-Delikte mit darunter fassen will) führte zur Überwachung.

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  Ein – zugegebenermaßen recht offensichtlicher – Aspekt, der für die Zunahme verantwortlich sein dürfte, aber häufig wenig Berücksichtigung bei "Kritik" an selbiger findet, ist die Verlagerung von Kommunikation in digitale Gefilde. Die Entwicklung gerade digitaler Kommunikationsformen bleibt keineswegs stehen, ständig kommen neue Nutzer – insbesondere jüngere, vermeintlich eher in entsprechende Straftaten verwickelte – hinzu, und auch der Mobilfunkmarkt stagniert angesichts der Notwendigkeit des Zweitvertrags und Dritthandys noch nicht in dem Maße, dass die Anzahl der überwachten Anschlüsse einem gebremsten Wachstum entgegen sehen könnte. Die steigende Verfügbarkeit günstig erhältlicher Mobiltelefone für ca. 20 Euro und entsprechender Discount-SIM-Karten trägt sicherlich auch viel zum bequemen Verwenden von "Einmal-Handys" in Gruppierungen bei, die zu Recht Angst vor TKÜ-Maßnahmen haben, was ebenfalls das Wachstum der Anordnungen nach § 100a StPO für mich zwanglos erklärt.

Mit dem drohenden Überwachungsstaat, den manche an die Wand malen, hat das m.E. erst einmal wenig zu tun.

Nach meinem Kenntnistand nahm die Zahl der Überwachungen weit stärker zu, als die Zahl der verkauften Mobiltelefone.

 

 

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