Urteil im Prozess um den Mord im Dresdner Gerichtssaal

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 11.11.2009

Das Urteil im Prozess wegen des Mordes an einer Muslimin wurde nach wenigen Verhandlungstagen unter hohen Sicherheitsvorkehrungen und unter Beobachtung der internationalen Öffentlichkeit gesprochen. Lebenslange Freiheitstrafe unter Bejahung der besonderen Schwere der Schuld wegen Mordes, versuchten Mordes (Mordmerkmale Heimtücke und niedrige Beweggründe) und gefährlicher Körperverletzung. Das Urteil wird allgemein begrüßt und die Verhandlungsführung der Vorsitzenden Richterin gelobt (hier der Bericht von Gisela Friedrichsen auf Spiegel-Online).

Der Angeklagte wurde für voll schuldfähig erachtet, die Hinweise auf eventuelle Persönlichkeitsstörungen oder gar eine Schizophrenie (Quelle) waren wohl nicht substantiiert genug - das Gericht sah jedenfalls keine Veranlassung, dem weiter nachzugehen  (siehe dazu die Hinweise von Frau Dr. Ertan in den Kommentaren). Auch ein von der Verteidigung angeführter "affektiver Ausnahmezustand", der die Schuld hätte mindern können, wurde verneint .

Noch in einem Punkt mag man der mündlichen Urteilsbegründung  nicht ganz folgen. Wenn die Vorsitzende ausführt:

"Zur Zeit der Tat", fuhr sie fort, "gab es am Dresdner Landgericht keinerlei Einlasskontrollen." Einen Vorwurf wollte sie dem Land Sachsen deswegen nicht machen. In den einzelnen Bundesländern werde dies bis heute unterschiedlich gehandhabt. Und dass der Angeklagte gewalttätig werden würde, dafür habe es nicht den geringsten Anhaltspunkt gegeben." (Bericht von Gisela Friedrichsen)

dann ist dem zu entgegnen: Nach einigen Vorfällen in Gerichtssälen in den letzten Jahren zeigt sich leider, dass Situationen vor Gerichten für manche  Menschen Anlass für Gewalttätigkeiten sind - immerhin handelt es sich um Konfliktfälle, die für einige Menschen - zumal im Strafrecht -  auch existenzielle Bedeutung haben. Es mag zwar lästig sein, aber sollte wohl Routine werden, Gerichtsgebäude vor dem Einbringen von Waffen zu schützen.

(editiert am 12.11., 11.15 Uhr)

 

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14 Kommentare

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Sehr geehrter Herr Müller,

dem Urteil ist im Endergebnis sicher zuzustimmen, wäre da nicht Ihr Hinweis auf den SpOn. Eine Ausmusterung aus der russischen Armee ist sicher ernstzunehmen. Leider wurden die damaligen medizinischen Unterlagen 2004 vernichtet, so dass nur noch die damalige Diagnose bekannt ist:

"undifferenzierte Schizophrenie mit episodischem Verlauf und zunehmenden Defiziten"

Davon wusste der Gutachter zum Zeitpunkt seines Gutachtens nichts. Die Diagnosestellung ist aber durchaus sehr anspruchsvoll, wenn nicht gerade ein akuter Schub vorliegt. Wenn eine solche Diagnose im Raum steht, so muss nach gängiger Lehrmeinung eine längere klinische Beobachtung des Patienten erfolgen. Da der Gutachter erst zu Prozessende von dieser möglichen Diagnose erfuhr, so erscheint es mir ausgeschlossen, dass ein Gutachter dann noch eine "Störung zum Tatzeitpunkt" ausschließen kann. Denn zunächst einmal ist es Aufgabe des Gutachters, diese im Raum stehende Verdachtsdiagnose der Grundkrankheit auszuräumen. Kann diese Verdachtsdiagnose nicht ausgeräumt werden, kann natürlich auch ein akuter Schub der Krankheit zum Tatzeitpunkt nicht ausgeschlossen werden.

Im übrigen kann es sich durchaus um sog. "Vorpostensymptome" einer endogenen Psychose gehandelt haben. Dazu gehören insbesondere:

"gehäuft Miss-Stimmungen, Reizbarkeit, ja Aggressivität; gelegentlich unmotiviert feindseliges Verhalten; Schlafstörungen und "nächtliches Umhergeistern"; Leistungsabfall in Schule oder Lehre; grundlose Genussunfähigkeit, ja Freudlosigkeit; ängstlich-gedrückte bis schwermütige Stimmung; Gefühl der inneren Leere, manchmal wie "abgestorben"; wachsende Ungeselligkeit, bis zum befremdlichen, ja erschreckenden Erkalten der zwischenmenschlichen Beziehungen zu Eltern, Geschwistern, Partner, Freunden, sonstigen Angehörigen, Nachbarn, Schul- und Berufskollegen usw.; schließlich sozialer Rückzug und Isolationsgefahr."

Man kann der Revision nur den Rat geben, auf dieses fehlerhafte medizinische Vorgehen hinzuweisen (Aufklärungsrüge). Zwar waren die  "Hinweise" aus Russland möglicherweise nicht substantiiert genug, jedoch genügten diese allemal, um den medizinischen Gutachter zu einer längerdauernden Beobachtung unter stationären Bedingungen zu zwingen. Das war ein gravierendes Versäumnis (denn m.W. erfolgte diese intensivierte Begutachtung nicht). Der Antrag der Verteidigung auf Unterbrechung des Verfahrens für zumindest eine Woche war also mehr als berechtigt und hätte für eine erweiterte Diagnostik genutzt werden müssen.

Vorteilhaft für die Revision wäre es natürlich, wenn die Verteidigung den Gutachter zudem wegen Befangenheit abgelehnt hätte oder zumindest ein Zweitgutachten angefordert hätte. Ob das der Fall ist, weiß ich natürlich nicht.

 

 

 

 

 

... völlig unhaltbar werden dann die Urteilsgründe  (sofern sie sich auch im schriftlichen Urteil wiederfinden), wenn das Gericht formuliert:

Das Dokument aus Russland, das am Abend vor dem Urteil Irritationen ausgelöst hatte und in dem von W.s Wehruntauglichkeit im Jahr 2000 wegen nicht näher beschriebener "undifferenzierter Schizophrenie mit episodischem Verlauf und zunehmenden Defiziten" die Rede war, überzeugte das Gericht nicht. Denn der Angeklagte war weder in Russland noch in Deutschland je in psychiatrischer Behandlung; er selbst gab weder im Verlauf der Begutachtung noch vor Gericht an, unter einer seelischen Erkrankung zu leiden.

 

Da hätte das Gericht vielleicht zuvor ein wenig über die Schizophrenie lesen sollen, es gibt ja auch genügend populärwissenschaftliche Artikel. Oder auch den Beitrag in der Welt:

http://www.welt.de/wissenschaft/psychologie/article2759363/Schizophrenie...

 

Professor Anita Riecher-Rössler, Chefärztin der Psychiatrischen Universitätspoliklinik im Kantonspital Basel: „Leider wird die Erkrankung häufig erst viel zu spät erkannt. Im Mittel verstreichen – je nach Land und regionalem Versorgungsangebot – zwei bis fünf Jahre von Beginn der Anfangsphase und etwa ein bis zwei Jahre vom Beginn der psychotischen Vorphase bis zur Erstdiagnose und stationären Behandlung. Das liegt nicht nur an den undeutlichen Vorzeichen, sondern auch am Misstrauen der Patienten sowie anund das ist das Wesen der Psychose – einer mangelnden Krankheitseinsicht.

@Bernd: Eine Erklärung habe ich nun beim Beitrag selbst eingefügt.

Sehr geehrte Frau Ertan,

vielen Dank, dass Sie hier so sachkundige Argumente in die Diskussion bringen. Die Begründung des Gerichts, der Angeklagte habe nicht selbst auf seine Erkrankung hingewiesen, ist in der Tat kritikwürdig für den Fall einer Psychose. Im Gegenteil, hätte der Mann sich selbst auf eine Psychose berufen, hätte man eine solche Behauptung  viel eher anzweifeln können. Insofern musste es als Anlass für weitere Aufklärungsbemühungen völlig ausreichen, dass die Verteidigung den Sachverhalt vorbringt und als mögliche Entlastung vorträgt. Insofern sehe ich auch Anhaltspunkte für eine Aufklärungsrüge. Man muss freilich in der Tat abwarten, wie diese Umstände in der schriftlichen Urteilsbegründung formuliert werden und wie die Diagnose des psychiatrischen Sachverständigen begründet ist.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

... mündlich sind da wohl eine ganze Menge bedenklicher Erklärungsversuche gefallen (siehe Hervorhebung).

In den schriftlichen Gründen wird sich das Gericht sicher nur auf den Gutachter beziehen. In einer solchen Situation besteht dann aber sicher eine besondere Darlegungspflicht inklusive aller Anknüpfungstatsachen. Zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung war eine Vordiagnose "Schizophrenie" jedenfalls unbekannt und konnte somit auch keine Anknüpfungstatsache sein (mit der der Gutachter sich dann hätte auseinandersetzen müssen).

Bei einer Psychose handelt es sich auch nicht um eine "Vorerkrankung", sondern um eine Grundkrankheit. Deshalb muss zunächst einmal eine solche Grundkrankheit nachgewiesen oder ausgeschlossen werden, und hier hängt natürlich jetzt alles von der diesbezüglichen Qualität des psychiatrischen Gutachtens ab (und ob dies in Anbetracht der einen Tag vor Urteilsverkündung aufgetauchten neuen Anknüpfungstatsachen den wissenschaftlichen Anforderungen genügte).

Jedenfalls drängt sich der Verdacht auf, dass hier einer Verfahrensunterbrechung und weitergehender medizinischer Untersuchung nur deshalb nicht zugestimmt wurde, weil der politische Druck auf das Gericht zu groß war.

 

http://www.suedkurier.de/news/brennpunkte/politik/dresden-gerichtsmoerde...

.

So oder so, ob die Dresdner Kammer das Urteil heute verkünden kann, ist plötzlich offen. Wie es weitergeht, hängt indes maßgeblich auch vom Täter ab. „Wir müssen nicht alle denkbaren Varianten zu seinen Gunsten unterstellen“, erklärt Richterin Wiegand. Wenn der Angeklagte meine, die Tat „in einem schizophrenen Schub“ begangen zu haben, müsse er sich dazu äußern. Bisher hatte der deutsche Gutachter indes eine psychische Erkrankung bei W. ausgeschlossen. Für ihn war nur der eigentliche Tatzeitpunkt relevant gewesen, nicht eine mögliche Vorerkrankung. Auch Nebenklage-Vertreter Oliver Wallasch geht davon aus, „dass sich nichts an der Frage der Schuldfähigkeit ändert“.

Ganz so überraschend, wie es nun scheint, kam die Antwort aus dem Ural jedoch nicht. Schon unmittelbar vor Prozessbeginn am 26. Oktober hatte die Verteidigung ausdrücklich auf medizinische Anmerkungen im Wehrpass des Russlanddeutschen verwiesen und von verminderter Schuldfähigkeit gesprochen. Die russischen Militärärzte sollen, wie man da schon wusste, Nelzin „Schizophrenie, chronische Wahnzustände und affektive Psychosen“ attestiert haben.

Im Prozess spielte das dann aber kaum eine Rolle. Zu groß schien nicht zuletzt der politische Druck, der auf dem ganzen Verfahren lastete. Nach der Tötung der Ägypterin unmittelbar vor den Augen eines deutschen Gerichts war ein ohnmächtiger Wutschrei durch die muslimische Welt gegangen.

Weitere Hinweise zum dramatischem Showdown (bezüglich der Schuldfähigkeit) finden wir in der Süddeutschen:

http://www.sueddeutsche.de/panorama/866/494206/text/

Ein Fax aus Moskau hatte kurz vor Prozessende noch einmal einen Aufschub verursacht. Die russische Generalstaatsanwaltschaft teilte mit, dass Alex Wiens im Juli 2000 - damals war er 19 Jahre alt - wegen einer "undifferenzierten Schizophrenie mit episodischem Verlauf und zunehmenden Defiziten" unter Beobachtung gestellt worden sei.

Der Gerichtspsychiater Stephan Sutarski wurde noch einmal über eine Stunde lang unter Ausschluss der Öffentlichkeit von den Verteidigern in die Mangel genommen. Er blieb aber bei seiner Aussage, dass es keine Anzeichen für eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten gebe. Wiens' Verteidiger Michael Sturm forderte deshalb für den Fall, dass das Gericht sich dieser Meinung anschließe, ein zweites psychiatrisches Gutachten. (...) Das Gericht sah in der Nachricht aus Moskau kein Indiz für eine psychische Erkrankung des Angeklagten. "Wie es in der Sowjetunion zu dieser Diagnose kam, ist völlig unklar", sagte die Richterin. Wiens selbst habe sich nicht geäußert, "wir können nicht zu seinen Gunsten einfach irgendetwas unterstellen". Ob es sich um eine Affekttat handele, habe man sehr lange beraten, insgesamt spreche mehr dagegen als dafür.

 

Die fettmarkierten Stellen bedürfen wohl keines weiteren Kommentars.

Übrigens wurde die durch die russische Generalstaatsanwaltschaft angeordnete Beobachtung (ab dem Jahr 2000) im Jahre 2004 nur deshalb aufgehoben, weil der Russe 2003 nach Deutschland ausgereist war und es somit nichts mehr zu beobachten gab. Leider wurden dann auch alle medizinischen Akten vernichtet.

Interessant ist dann noch die Frage, ob es im Rahmen einer Psychose auch Wahnvorstellungen geben kann wie "Muslime müssen an der Fortpflanzung gehindert werden" - Äußerungen, die man gemeinhin lediglich als Ausländerhass abtut. Ich weiß es nicht, doch scheinen mir hier die Grenzen möglicherweise recht fließend zu sein. Die Wahnvorstellungen, die der Mann in Russland hatte, sind leider vom Gericht nicht aufgeklärt worden.

Der "politische Faktor" dieses Prozesses erschreckt mich sehr. Laut Siegel Online wurde auch arabisch plädiert. Da nach dem GVG die Gerichtssprache deutsch ist, das arabische Plädoyer somit für die Rechtsfindung unerheblich war, fragt man sich schon wie sehr es um die angebliche "Souveränität"  der Vorsitzenden Richterin wirklich bestelllt ist, wenn solche Showeinlagen stattfinden können.

Vielmehr erscheint es so, dass es dem Gericht vor allem darum ging, die Sache möglichst schnell mit dem gewünschten Ergebnis über die Bühne zu bringen. Dazu passen auch die Anmerkungen meiner Vorkommentatorin, die doch erhebliche Zweifel am ehrlichen Interesse des Gerichtes an der Wahrheitsfindung aufkommen lassen. Die medizinische Vorgeschichte des Angeklagten hätte viel gründlicher aufgearbeitet werden müssen.

Passend dazu freut sich der Bundesaußenminister in den Abendnachrichten über das Urteil. Die sonst so streitlustige Strafrechtlerzunft schweigt vornehm. Die arabischen Fernsehsender verlassen Dresden, beim nächsten "Ehrenmord"prozess wird man sie garantiert nicht antreffen. Tote junge Frauen interessieren eben nur wenn man sie politisch instrumentalisieren kann.

 

 

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Sehr geehrter Herr Kommentator,

dass Politik, Diplomatie und Erwünschtheit eines bestimmten Ergebnisses eine Rolle gespielt haben, wird man kaum ausschließen können. In einigen Punkten möchte ich Ihnen dennoch widersprechen: Das arabische Plädoyer ist mit Sicherheit übersetzt worden. Fremdsprachen sind in deutschen Gerichtssälen nichts Außergewöhnliches, schon gar nicht sind sie "Show". Um dem GVG Genüge zu tun, werden Dolmetscher eingesetzt.

Sie schreiben

"Tote junge Frauen interessieren eben nur wenn man sie politisch instrumentalisieren kann."

Ich habe Verständnis für Ihren Einwand, die arabische Presse werde wahrscheinlich nicht bei "Ehrenmord"prozessen aufmerksam sein. Allerdings besteht da auch keine Gefahr, dass über einen solchen Prozess in D nicht berichtet werde. Wir dürfen nicht vergessen, dass die deutsche Medienlandschaft diesen schwerwiegenden Fall anfangs kaum öffentlich wahrgenommen und verbreitet hat. Und auch deutsche Medien interessieren sich vor allem dann für die arabische Justiz, wenn dort aus "unserer" Sicht ein Skandal passiert ist oder ein Skandalurteil gefällt wird.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

"In Dresden haben zwei ägyptische Anwälte plädiert und zwei Franzosen, von denen einer, weil aus Ägypten stammend, arabisch vortrug, aus Respekt der Familie al-Schirbini gegenüber."

Das verstört mich auch.

 

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Sehr geehrte/r Herr/Frau R.W.,

zur Sprache habe ich oben schon etwas gesagt. Fremde Sprachen können übersetzt werden. Das ist  Alltag in deutschen Gerichtssälen und weder Show noch sonst eine Besonderheit.

Für das Folgende bin ich kein Experte, darf also ggf. um Fehlerkorrektur bitten. Zur "Zulässigkeit" eines Beistandes der Nebenklage ergibt sich aus § 397 Abs.1 StPO, § 397a Abs.1 StPO, § 378 StPO, dass dieser (grds.) "Rechtsanwalt" sein muss. Dabei können zwar Anwälte aus EU-Mitgliedsstaaten (weitere Staaten sind einbezogen)  nach den Vorschriften des EuRAG den deutschen RA gleichgestellt sein. Hier lag nach einigen Quellen aber eine besondere gerichtliche Genehmigung vor:

Erstmals in einem deutschen Prozess hat das Gericht zudem einen ägyptischen Anwalt als Vertreter der Nebenklage zugelassen, er soll das deutsche Team der Eltern Marwas verstärken. (Spiegel-Online) ,

Rechtsgrundlage könnte § 138 Abs.2 StPO (analog) gewesen sein.
 

Mit besten Grüßen
Henning Ernst Müller

 

Ich hab noch mal ein bißchen zu Psychose und Rechtsprechung gestöbert. So in etwa könnte der Ansatz für die Revision sein, falls nicht wider Erwarten das Gutachten ganz intensiv die Methoden erörtert, mit denen der akute Schub einer Psychose ausgeschlossen wurde. Jedenfalls genügt es für das Gericht nicht, einfach zusammen mit dem Gutachter zu behaupten, es habe zumindest kein akuter Schub einer Psychose vorgelegen. Insofern wird es auch nicht ausreichend sein, in den Urteilsgründen einfach zu behaupten, "Vorerkrankungen" interessieren nicht.

 

BGH 2 StR 96/07

"Die Revision des Angeklagten beanstandet zu Recht Darstellungsmängel des Urteils im Zusammenhang mit der Feststellung, der seit 2002 an chronischer Schizophrenie erkrankte Beschwerdeführer habe die verfahrensgegenständlichen Taten nicht während eines akuten Krankheitsschubes begangen, so dass Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB nicht in Betracht komme. Der Tatrichter hat sich insoweit dem Gutachten des Sachverständigen Dr. G. angeschlossen, wonach beim Angeklagten keine Hinweise auf einen akuten Schub festzustellen gewesen seien (UA S. 45); auf Seite 47 im zweiten Absatz von oben teilt das Urteil nochmals mit, 'Hinweise auf einen akuten, zur Schuldunfähigkeit führenden Schub zum Zeitpunkt der Taten konnten vom Sachverständigen Dr. G. nicht festgestellt werden'. Die Revision weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass es nicht Aufgabe des Sachverständigen war, ohne Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen eine solche Feststellung zu treffen; vielmehr wäre der Tatrichter gehalten gewesen, unter Würdigung des gesamten Beweisergebnisses und unter zu Hilfenahme der Sachkunde des Gutachters sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Beschwerdeführer die Taten während akuter Schübe beging. Dazu hätte es zunächst Darlegungen dazu bedurft, aufgrund welcher Kriterien ein akuter Schub abzulehnen oder zu bejahen ist."

Der ägyptische Anwalt wird sich vermutlich wesentlich besser mit dem deutschen Recht ausgekannt haben, als ein einheimischer Jurist - eine Farce. ;-)

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Ein Angeklagter darf schweigen. Er braucht die Frage nicht zu beantworten, ob er die Tat während eines psychotischen Schubs begangen hat. Welche Frage! Bei uns in Russland verlaufen Verhandlungen anders.

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Sehr geehrte/r Herr/Frau Ural,

selbstverständlich darf der Angeklagte schweigen. Und dass die Frage: "Leiden Sie unter einer Psychose?" wenig sinnvoll ist, wurde ja oben schon dargestellt.

Eine andere (generelle) Frage ist, ob daraus, dass bestimmte Entlasungsmomente nicht vorgetragen werden, geschlossen werden kann, dass sie nicht vorliegen. Im hiesigen Fall ist diese Frage unerheblich, da die Entlastung (mögliche Schuldunfähigkeit) seitens der Verteidigung ja sehr wohl vorgetragen wurde und eine entsprechende Aufklärungspflicht des Gerichts ausgelöst hat.

In anderen Fällen kann sich ein Angeklagter durchaus "schaden", wenn er Entlastungsmomente nicht vorträgt oder vortragen lässt. Hat ein Angeklagter, dem die Tatbegehung nachgewiesen werden kann, etwa in Notwehr gehandelt, gibt es dafür aber keinerlei äußere Anhaltspunkte (sei es, weil die Polizei nicht richtig ermittelt hat, sei es, weil es einfach keine Spuren gibt), werden weder Staatsanwaltschaft noch Gericht in Richtung Notwehr ermitteln. Wer die Notwehrlage "verschweigt", riskiert dann möglicherweise zu Unrecht verurteilt zu werden. Das wird mit Sicherheit  "bei Ihnen in Russland" nicht anders sein.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

 

Der BGH bestätigte jetzt ohne weitere Begründung die Entscheidung, mit der der Angeklagte wegen Mordes und versuchten Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt worden war. Das Urteil ist damit rechtskräftig (Beschluss vom 14.06.2010, Az.: 5 StR 207/10).

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