Reform der Sicherungsverwahrung

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 24.06.2010

Mit dem gestrigen Kabinettsbeschluss zeichnen sich einige Eckpunkte einer Reform ab:

1. Begrenzung der Sicherungsverwahrung auf besonders schwere Fälle
2. Abschaffung der nachträglichen Sicherungsverwahrung
3. Erweiterung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung
4. Verschärfung der Führungsaufsicht durch elektronische Überwachung

Diese Punkte müssen natürlich zunächst in Gesetzesform gegossen werden, bevor man sie im Detail beurteilen kann. Dennoch einige erste - wegen der Aktualität noch unter Vorbehalt stehende - Anmerkungen dazu:

Eine Begrenzung auf besonders schwere Fälle der Sexual- und Gewaltdelinquenz erscheint sinnvoll und überfällig.

Die Abschaffung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ist die wohl sachgerechte Folge aus dem Urteil des EGMR (siehe hier). Die nachträgliche Anordnung hätte - und dies nur mit juristischen Klimmzügen unter dem Risiko des erneuten  Scheiterns vor dem EGMR - allenfalls gerettet werden können, wenn man den Vollzug der Sicherungsverwahrung völlig anders und v.a. getrennt vom Strafvollzug ausgestaltet hätte. Dies hätte enorme Kosten verursacht. Immerhin soll in der Justizministerkonfernez angeregt werden, auch den Vollzug in Reformüberlegungen einzubeziehen.

Die Erweiterung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung (Einzelheiten wurden noch nicht bekannt, aber die Tendenz ist deutlich), ist wohl eine erwartbare Folge. Wenn eine nachträgliche Sicherungsverwahrung ausscheidet, ist rechtspolitisch naheliegend, die Anforderungen an den Vorbehalt zu senken und somit doch noch die spätere Entscheidung für eine Sicherungsverwahrung im Anschluss an die verbüßte Strafe zu ermöglichen.

Bei der elektronischen Überwachung - zunächst geht es dabei wohl um die Gefangenen, die infolge des EGMR-UIrteils freizulassen sind - wird es Kritik von beiden Seiten des rechtspolitischen Spektrums geben - einerseits wird sie als zu starker Freiheitseingriff, andererseits als zu wenig effektiv kritisiert werden. Bei der Bewertung wird man jeweils den konkreten Einsatz der Überwachungsmaßnahme bedenken müssen und die jeweilige Alternative. Die elektronische Überwachung auch für Zwecke der Überwachung von Sexualstraftätern ist z.B. in England und Nordamerika bereits weit verbreitete Praxis. Durch die Kombination mit GPS ist man inzwischen in der Lage, den Aufenthaltsort des Überwachten relativ genau festzustellen. Im Vergleich zu einer Inhaftierung ist dieses Instrument jedenfalls weniger einschneidend und bietet andererseits gegenüber der bisherigen Führungsaufsicht einige Sicherheitsvorteile. Rückfalltaten werden erschwert, aber Wunderdinge kann man von dieser Technik nicht erwarten. Der technische und personelle Aufwand ist auch nicht  ganz gering - wenn auch mit Sicherheit weniger kostenträchtig als eine langjährige Inhaftierung. Gegen die Überwachung wurde etwa seitens der Polizei der Einwand erhoben, dass etwa Schulen und andere Einrichtungen mit Kindern (einschl. Spielplätze) in Deutschland so dicht gesät seien, dass die Alarmglocken möglicherweise ständig klingelten. In der Praxis wird man  für solche Probleme auf die Erfahrungen im Ausland schauen müssen. Untersuchungen der Effektivität, d.h. zur Fragestellung, inwieweit die elektronische Überwachung Taten verhindert, kommen bislang  nicht zu eindeutigen Ergebnissen. Dies liegt vor allem daran, dass die Basisrate von (schweren) Verstößen ohnehin sehr gering ist. Jeder einzelne Rückfall erregt  zwar in der Öffentlichkeit nachvollziehbare Empörung, doch für statistische Vergleichsrechnungen mit signifikanten Ergebnissen sind dies zu wenige Fälle, zumal eine "echte" Kontrollgruppenbildung (überwachte/unüberwachte Gruppe mit gleichen Voraussetzungen) aus rechtlichen und ethischen Gründen ausscheidet.

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3 Kommentare

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Die taz berichtet heute, die Erweiterung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung laufe darauf hinaus, sie künftig auch bei Ersttätern anwenden zu können.

"Wenn der Vorbehalt künftig bei Gewalt- und Sexualtätern quasi routinemäßig ausgesprochen wird, wären bald tausende statt hunderte von Personen betroffen" (Quelle).

Mittlerweile ist aufgrund einer Entscheidung des OLG Frankfurt der Sicherungsverwahrte, der das Urteil vor dem EGMR erstritten hatte, freigekommen (Quelle)

AG Recht GRÜNE(Montag MdB): Abschaffung der SV im Jugendstrafrecht & Abschaffung der Nachträglichen SV & Keine SV für Ersttäter & Hohe Hürden bei SV im Urteil * Kleine Anfrage an Bundesregierung

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratie und Recht von Bündnis90/DIE GRÜNEN hat am 12. Juni 2010 über die Neuordnung der Sicherungsverwahrung(Sicherungsunterbringung) beraten und am 14. Juni 2010 in der Arbeitsgemeinschaft Recht(AG Recht) neun Thesen beschlossen. Der Rechtspolitische Sprecher Jerzy Montag stellt diese Thesen auf seinen Webseiten der Öffentlichkeit vor. Mit dieser Neuordnung sollen die Möglichkeiten der Verhängung einer Sicherungsunterbringung erheblich eingeschränkt werden. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung....

http://jerzy-montag.de/home/volltext-startseite/archive/2010/juni/16/thesen_zur_neuordnung_der_sicherungsverwahrung/?cHash=ce5af02b21

Ich habe den GRÜNEN Abgeordneten Montag angeschrieben und um weitere Auskünfte gebeten. Die entscheidene Frage ist: Was sind genau Sexual- und Gewalttaten im Detail bzw. welche Straftatbestände in den §§ müssen erfüllt sein, um eine Sicherungsverwahrung im Urteil sofort oder unter Vorbehalt verhängen zu können. Auf keinen Fall darf es nach meiner Rechtsauffassung eine Sicherungsverwahrung schon bei Ersttätern geben. Bei Ersttätern kann eine Gefahrenprognose für den Rest des Lebens eines Täter mit Sicherheit noch nicht abgegeben werden. Wenn der Täter erst zu einer Sicherungsverwahrung verurteil wurde, dann wird es auch bei den 2-jährigen Gutachten kein Gutachter wagen, den Täter wieder freizulassen. Passiert etwas, dann sieht sich der Gutachter auf der Titelseite der Bildzeitung wieder. Die Medien sind bekanntlich die ungeschriebene 4. Macht im Staat. Die GRÜNEN werden sicherlich im Gesetzgebungsverfahren Änderungsanträge stellen. Nur, leider hat die Fraktion in der Opposition nicht viel mitzustimmen, leider.  

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