Happy birthday, AGG!

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 17.08.2011
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtDiskriminierungAGGBenachteiligung4|5276 Aufrufe

Wenn es nach Deinen europäischen Großeltern gegangen wäre, hättest Du schon im Jahre 2003 kommen sollen. Aber Dein Geburtsvorgang zog sich endlos lange hin, erst im August 2006 erblicktest Du das Licht der Welt. Dabei bist Du mit nur 33 Paragrafen eigentlich ein schlankes Kind. Schnell hat man Dich berühmt gemacht. Professorinnen, Richterinnen und Rechtsanwältinnen (jeweils w/m) schrieben dicke Bücher über Dich, die sich wie eine überbordende Krankenakte lesen. Du könntest so schnell verletzt werden, auch durch jahrzehntelang als unbedenklich eingestufte Dinge wie Altersgrenzen (in Arbeitsverträgen), Spätehen­klauseln (in der Betriebsrente), Limitierungsklauseln (in Sozialplänen), die Sozialauswahl (bei betriebsbedingter Kündigung) oder die Stellensuche nach „Berufsanfängern“. Kein Wunder, dass wir so häufig die Oberärzte in Erfurt und sogar den Chefarzt in Luxemburg fragen mussten, ob Du nun ernsthaft verletzt wurdest oder ob nur jemand einen Phantomschmerz gefühlt hat.

Manchmal bist Du aber auch wirklich eine Mimose: Männliche Piloten können sich auf Dich berufen, wenn sie im Flughafen eine Mütze tragen müssen, ihren Kolleginnen das aber freigestellt ist (Arbeitsgericht Köln); ebenso 24-jährige Kassiererinnen, die nicht so viel Urlaub bekommen, als wenn sie schon 30 wären (Landesarbeitsgericht Düsseldorf) oder angehende Paketzusteller mit französischer Muttersprache, wenn sie auf ihre Stellenbewerbung hin zu Hause angerufen werden und dabei die Frage nicht verstehen, ob sie Fahrrad fahren können (Arbeitsgericht Hamburg). Es sieht nicht so aus, als ob das nur Kinderkrankheiten gewesen wären. In die Pubertät kommst Du ja erst noch.

Aber aus unserer Gesellschaft bist Du schon jetzt nicht mehr wegzudenken.

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4 Kommentare

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Meine Freude über diesen Geburtstag wäre sicher größer, wenn nun zumindest die Gesetze auch um die Teile bereinigt würden, die ausschließlich Väter, bzw. Männer benachteiligen.

 

Z.B. der Artikel 6 (4) GG, dass nur Mütter den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft genießen.

 

Der §183 STGB, der nur Männer mit Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr bedroht

und, natürlich ganz vorneweg

der §1626a BGBder uneheliche Väter vom Sorgerecht für ihre Kinder komplett ausschließt bzw. von der Gnade der Mütter oder eines Richters abhängig macht, inklusive der diversen absurden Versuche der Politik, soviel von dieser menschenverachtenden und menschenrechtswidrigen Situation zu bewahren und beizubehalten wie möglich.

Von der Rechtsprechung die diese Unausgewogenheit noch verstärkt, dass ganz zu schweigen.

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Auch wenn es "nur" ein blog ist, wäre es schön, wenn das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg gelesen und im Ansatz verstanden werden würde, bevor es auf derartige Weise verrissen wird.  Wer ein bisschen Deutsch lesen kann, wird merken dass es nicht darum ging, ob der Kläger die Frage ob er Fahrrad fahren könne verstanden hatte.

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@ RA Busch

Aus dem Tatbestand des Urteils:

(...) Aufgrund der Bewerbung des Klägers rief eine Mitarbeiterin der Beklagten bei dem Kläger nach Eingang des Bewerbungsschreibens an und fragte ihn, ob er Fahrrad fahren könne. Diese Frage bejahte der Kläger. Der Erstkontakt bei solchen Bewerbungen wird bei der Beklagten regelmäßig über das Telefon geführt. Mit Schreiben vom 18.11.2008 lehnte die Beklagte die Bewerbung des Klägers ab (Anlage K 4, Bl. 34). Mit Schreiben vom 24.11.2008 bewarb sich der Kläger erneut bei der Beklagten als Zusteller. (...) Mit Schreiben vom 25.11.2008 lehnte die Beklagte die Bewerbung des Klägers erneut ab (Anlage K 5, Bl. 35). Anfang 2009 suchte die Beklagte nach wie vor nach Zustellern. Der Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 1.2.2009, welches er nach einer Beratung im Unterschied zu den vorherigen Bewerbungsschreiben modifizierte, erneut um eine Stelle als Zusteller bei der Beklagten (Anlage K 6, Bl. 36). Wegen der Einzelheiten wird auf Anlage K 6 Bezug genommen. Mit Schreiben vom 10.2.2009 lehnte die Beklagte die Bewerbung des Klägers ein weiteres Mal ab. In einem Telefonat am 17.2.2009 eröffnete die zuständige Mitarbeiterin der Beklagten dem Kläger, dass die undeutliche Aussprache des Klägers beim telefonischen Erstkontakt für die Ablehnung seiner Bewerbung ausschlaggebend gewesen sei. Dem Kläger wurde aufgrund des neuerlichen Telefonats nunmehr in Aussicht gestellt, ihn auf eine sog. Warteliste zu setzen. Der weitere Inhalt des Telefonats am 17.2.2009 ist zwischen den Parteien umstritten. (...)

Danke! Es ging eben um die Ablehnung wegen des Akzents, das inhaltliche Verständnis der Frage nach den Fahrradfähigkeiten stand nie zur Debatte.

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