Die nächste Watschn aus Strassburg - diesmal dank Herrn Schneider aus Fulda

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 15.09.2011

 

Herr Schneider aus Fulda unterhielt ein Beziehung mit einer verheirateten Frau.

Die Frau wurde schwanger. Herr Schneider begleitete sie zu Schwangerschaftsuntersuchungen. Die Kindesmutter stellte den Beschwerdeführer gegenüber Dritten als Vater des Kindes vor.

Kurz vor der Geburt verließ die Frau Herrn Schneider und kehrte zu ihrem Ehemann zurück, mit dem sie bereits zwei eheliche Kinder hatte.

Den Wunsch des Herrn Schneider, Umgang mit dem (seinem?) Kind zu haben wiesen das AG Fulda und das OLG Frankfurt mit dem rein formalen Argument zurück, rechtlicher Vater des Kindes sei der Ehemann und nur dem rechtlichen Vater stehe ein Umgangsrecht nach § 1684 BGB zu. Eine Kindeswohlprüfung wurde nicht durchgeführt.

Das BVerfG teilte diese Auffassung und nahm eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an (Beschluss vom 20.09.2006 - 1 BvR 1337/06).

Herr Schneider gab nicht auf und zog vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) – und errang dort heute zumindest einen Teilerfolg (Text der Entscheidung - auf englisch).

Die rein auf die fehlende rechtliche Vaterschaft gestützte Verweigerung des Umgangs verletze Herrn Schneiders Recht auf Achtung seines Privatlebens, das in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist. Die Familiengerichte müssten anhand eines jeden Einzelfalls genau prüfen, ob regelmäßiger Kontakt zwischen dem mutmaßlichen biologischen Vater und seinem Kind im Interesse des Nachwuchses liege oder nicht, urteilten die Straßburger Richter. Angesichts der Vielzahl möglicher Familienkonstellationen könne man nicht anhand allgemeingültiger, gesetzlich festgelegter Vermutungen darüber entscheiden, ob ein Kontakt im Kindswohl liege oder nicht.

Having regard to the realities of family life in the 21stcentury, (…), the Court is not convinced that the best interest of children living with their legal father but having a different biological father can be truly determined by a general legal assumption. Consideration of what lies in the best interest of the child concerned is, however, of paramount importance in every case of this kind (…). Having regard to the great variety of family situations possibly concerned, the Court therefore considers that a fair balancing of the rights of all persons involved necessitates an examination of the particular circumstances of the case.

 

Max Steinbeis meint dazu in seinem Verfassungsblog:

 

Das ist konsequent: Dem EGMR geht es nicht darum, die Frage der Vaterschaft biologistisch zu entscheiden und Männern, die mit anderer Leute Ehefrauen schlafen, zu dem Recht zu verhelfen, deren Familien kaputtzumachen.

Vielmehr geht es ... um das Versäumnis der deutschen Gerichte, sich mit den konkreten Umstände des Falls zu befassen – vor allem mit den Belangen des Kindes. Vielleicht ist es zu dessen Schaden, wenn sich ein fremder Mann ihm nähert und behauptet, er sei sein Vater. Vielleicht aber auch nicht. Ein Familienrecht, das das Verhältnis von biologischem Vater und Ehemann abstrakt-generell als eine Frage von Vorrang des einen vor dem anderen behandelt, bekommt diese Frage gar nicht erst in den Blick – und das ist es, was der EGMR als Verstoß gegen Art. 8 EMRK brandmarkt:

Diese EGMR-Rechtsprechung finde ich auch über die konkrete familienrechtliche Frage hinaus spannend: Abstrakt-generelle Fallgruppenpriorisierung als Menschenrechtsverstoß – was heißt das eigentlich genau? Wie genau wird mein Menschenrecht verletzt, wenn sich der Gesetzgeber gegen eine kasuistische Interessenabwägung entscheidet? Was passiert genau mit mir und meinen Rechten, wenn ein Gericht verabsäumt, die Interessen eines Dritten (des Kindes ) in Betracht zu ziehen? Wie verhält sich diese Art von Menschenrechtsverstoß zu den Verfahrensgrundrechten, wie zum Gleichheitssatz?

Jemand auf der Suche nach einem Dissertationsthema? Das wäre doch was…

Für den Praktiker ist die Frage interessanter, welche Konsequenzen der Gesetzgeber aus dieser Entscheidung (gegen die noch die Berufung möglich ist) ziehen wird.

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15 Kommentare

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Gibt es ein Familienrechtssystem in Europa, das genauso oft für Menschenrechtswidrig erkärt wurde, wie das deutsche?

Gibt es Familienrechtsverfahren vor dem EGMR, die Deutschland nicht verliert?

Ändert sich irgendetwas?

 

Nein.

Nein.

Nein.

 

Das Zauneggerurteil ist fast 2 Jahre her und nichts ist passiert ausser krampfhafter Versuche, soviel Diskriminierung wie möglich zu bewahren.

Und die Gerichte machen mit.

 

Wenn man das BVerfG Urteil zum gleichen Thema mit zählt ist seit 8 Jahren nichts passiert.

 

Man muss sich ja schon vor den Chinesen für die ganzen Menschenrechtsverstöße in Deutschland schämen.

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Pressemitteilung und Details zur Entscheidung auf Deutsch hier.

 

Ständig finden neue Verurteilungen Deutschlands wegen Verletzung der Menschenrechtskonvention im Familienrecht statt. Schon vor Jahren wäre es die Pflicht der Gesetzgeberin gewesen, das BGB auf solche absehbaren Probleme durchzugehen. Auffallend ist auch, dass es fast immer um Väter und Kinder geht, die durch das deutsche Familienrecht in ihren Menschenrechten verletzt werden. Woran liegts, wegen was wird wohl die nächste Verurteilung kommen?

 

Die Frage ist wohl eher, was der Familienrichter über das Urteil denkt. Denn bis der Gesetzgeber das geregelt hat, wird es wohl noch eine Bundestagswahl brauchen...

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Der Familienrichter denkt, dass es interessant wird, welche Konsequenzen der Gesetzgeber daraus zieht :-)

 

Darüber kann man wohl nur spekulieren. Die gesetzgeberischen Folgen der vergangenen Verurteilungen durch den EGMR lagen jedenfalls nahe an den kleinstmöglichen Änderungen, die Gesetzgeberin hat keines ihrer Paradigmen aufgegeben, hat sich nicht zu wirklichen Reformen verpflichtet gesehen, liess sich lange Zeit - im Fall Zaunegger nun schon fast zwei Jahre, trotz zusätzlichem Treibstoff durch das BVerfG. Eine Ursache ist sicher, dass das EGMR nur über Individualbeschwerden urteilt, ohne direkt an die nationale Gesetzgebung heranzukommen - anders als das BVerfG es könnte.

 

Deshalb tippe ich auf eine kleine Ergänzung innerhalb des §1600 BGB in ein paar Jahren, in der irgendwo mittels Kindeswohlbegriff ein nun geforderter Spalt geöffnet wird, was sich in der Praxis kaum auswirken dürfte. Alles übrige bleibt bestehen.

 

Eine grössere Reform wird es nicht geben. Die nicht zusammenpassende Kombination im deutschen Familienrecht aus einer streng biologistischen Regelung bei Mutterschaft und dem ellenlangen Gepansche aus historischer-sozialer-eheschützender-biologischer-staatsfinanzenschützender bei Vaterschaft wird weiterbestehen. Da wurde schon öfters daran herumgepfriemelt, je nach aktueller Problemlage. An eine Schaffung von Vaterschaft zweiter Klasse (kein rechtlicher Vater, aber Kontakt zum Kind) glaube ich nicht.

 

Ich denke, dass das BVerfG beim nächsten Fall dieser Art seine Rechtsprechung im Hinblick auf die Entscheidung des EGMR korrigieren wird.

Gesetzgeberisch könnte ich mir vorstellen, dass der Kreis der Feststellungsberechtigen des § 1598 a BGB um denjenigen zu erweitert wird, der an Eides statt versichert, der biologische Vater zu sein. Dem so festgestellten biologischen Vater wäre dann ein Umgangsrecht nach § 1684 oder §1685 BGB zu gewähren.

Die Diskussion um das Mitsorgerecht der nichtehelichen Väter zeigt aber, dass sich das Gesetzgebungsverfahren etwas hinziehen könnte ....

 

Herr Schneider hatte aber auch die Vaterschaftsanfechtung betrieben. Diese scheiterte, weil die Gerichte feststellten, dass zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater eine sozial-familiäre Beziehung besteht (§ 1600 I Nr.2, II BGB).

Die Möglichkeit des biologischen Vaters, die Vaterschaft des rechtlichen Vaters anzufechten war erst aufgrund des Urteil des BVerfG v. 09.04.2003 (1 BVR 1493/96) in das Gesetz aufgenommen worden. Das BVerfG hatte festgestellt, dass der Totalausschluss des biologischen Vaters vom Anfechtungsrecht mit seinem durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Interesse, auch die rechtliche Stellung als Vater einzunehmen, insoweit unvereinbar ist, als § 1600 BGB a.F. ihm auch dann das Anfechtungsrecht vorenthielt, wenn die rechtlichen Eltern mit dem Kind gar keine soziale Familie bilden, die ihrerseits nach Art. 6 Abs. 1 GG zu schützen ist.

Ob diese Einschränkung des Anfechtungsrechts des biologischen Vaters vor dem EGMR Bestand hat, wage ich nicht zu prophezeien.

Sollte der EGMR auch insoweit eine Verletzung der Menschenrechte feststellen, wären alle Dämme gebrochen.

 

Hopper schrieb:

Sollte der EGMR auch insoweit eine Verletzung der Menschenrechte feststellen, wären alle Dämme gebrochen.

Inwiefern? Die Dämme würden ja nur für die Kinder brechen, die im Unklaren über ihre tatsächliche Abstammung gelassen wurden. Erziehungsfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Wahrhaftigkeit mag man entsprechend beurteilen.

Bei (Inkognito-)Adoptionen ist die "Gefahr des Dammbruchs" seit jeher gegeben, wenn Adoptionseltern nicht die erwünschte Offenheit haben. Andererseits: Bei Adoptionseltern wird wohl schon bei der Auswahl darauf Wert gelegt, dass diese ihren Kinder nicht die tatsächliche Abstammung verheimlichen.

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Hopper schrieb:

...

Gesetzgeberisch könnte ich mir vorstellen, dass der Kreis der Feststellungsberechtigen des § 1598 a BGB um denjenigen zu erweitert wird, der an Eides statt versichert, der biologische Vater zu sein. Dem so festgestellten biologischen Vater wäre dann ein Umgangsrecht nach § 1684 oder §1685 BGB zu gewähren.

...

 

Hallo Herr Burschel,

 

bitte helfen Sie mir, denn ich habe Schwierigkeiten mir hierzu eine gängige Praxis vorzustellen.

Mit der Vaterschaftsanerkennung liegt bereits eine Anerkennung vor, wozu diese noch "an Eides statt" versichern?

Grundsätzlich: Wie kann ein Mann überhaupt etwas anerkennen, von dessen Richtigkeit er allenfalls aufgrund von Annahmen über Indizien und ungeprüften Aussagen überzeugt sein kann?

Was steht ihm bevor, sollte sich die aufgrund einer irrigen Annahme erfolgte Versicherung an Eides statt als unzutreffend herausstellen?

 

MfG

Das deutsche Familienrecht hat schon so seine Tücken. Der Entbindungstermin der Mandantin rückt näher. Der Scheidungstermin leider nicht. Der Noch-Ehemann ist nicht der Vater, wird es aber bald rechtlich sein. Der neue Partner ist der Vater, wird es vor dem Gesetz jedoch vorerst nicht sein. Verzweiflung macht sich unter den Beteiligten breit. Und obgleich wir allseits schon alles versucht haben, was das Gesetz hergibt und mit Engelszungen auf den zuständigen Richter eingeredet haben, bitte einmal in die Pötte zu kommen und die Scheidung auszusprechen, es wird wohl vor der Geburt nichts mehr...  Leider dank richterlicher Unabhängigkeit kein Fall für eine Amtshaftungsklage.

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Vielleicht ist mit Dammbruch gemeint, dann dann jeder Mann die Vaterschaft eines anderen anzweifeln könnte und damit zum DNS-Test zwingen, wenn er nur behauptet er wäre mit der Mutter zusammengewesen.

 

Einen Dammbruch dieses Stils gibt es allerdings schon immer: Mütter konnten von je her (mit kostenloser Beistandshilfe des Jugendamtes) fast beliebig auf Männer zeigen und sie durchtesten lassen, um den Unterhaltspflichtigen... ähm... Vater zu finden.

 

Wenn ein Dammbruch gegen die bisher geübte Praxis der sogenannten kalten Adoption gemeint ist, wäre das zu begrüssen. Die heisse Adoption gegen den Willen des Vaters hat der EGMR bereits "behandelt". Der aufsehenerregende Fall Görgülü und das Verhalten der Richter des OLG Naumburg ist noch nicht so lange her.

@RA Markus

§ 1599 II BGB tut ja nun nicht so sehr weh und die Beurkundung ist sowieso kostenlos. Die Geburtsmitteilungen für Kindergeld etc. pp. gibt es gratis vom Standesamt und eine frühe Geburtsurkunde - noch mit Ehemann als Vater - ist oft nicht nötig, würde ansonsten 10 EUR kosten.

Ärgerlich ist die Sache nur, wenn der Ehemann zur Zustimmung zur Vaterschaftsanerkennung oder Namensvergabe nicht bereit oder sein Aufenthalt unbekannt ist.

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§ 1599 II BGB ist bekannt. Im Hinblick auf den letzten Satz des Absatzes kann sich die Sache aber hinziehen. Und nur deshalb, weil das Familiengericht der Meinung ist, alle Zeit der Welt zu haben und den Versorgungsausgleich nicht abtrennen zu können, obgleich es nur am Rentenversicherungsträger liegt.  Ich habe einen weiteren Fall in dieser Richtung mit einem rentenrechtlichen Auslandsbezug. Der Scheidungstrag datiert aus dem Jahr 2004... Alle Beschwerden und Dienstaufsichtsbeschwerden verliefen bislang im Sande. Einhelliger Tenor: Warten ist weiter zumutbar.

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Nachdem  zunehmend Teilen des deutschen Familienrecht internationale Qualitätssiegel aufgrund von Materialfehlern versagt werden, überwiegen doch Zweifel, dass einfache Regelklempnerei und die Verarbeitung zusätzlicher Blindstutzen, die ja vornehmlich geeignet sind, die Inanspruchnahme von Menschenrechten zu erschweren, das Erreichen eines international konkurrenzfähigen Standards ermöglichen können. Der Einsatz von geeigneten Materialien, von denen international ja ein hinreichendes Angebot mit Praxisbewährung vorhanden ist, sowie eine darauf aufbauende Verfahrenstechnik scheinen unausweichlich und werden zwangsläufig erhebliche Auswirkungen auf bisherige (Un-)Rechtsproduktionsverfahren mit sich bringen.  

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Statt irgendwelcher Erklärungen, Ehrlichkeit, Tatsachen, Vaterschaftstest.

Dabei spiele es keine Rolle, dass der Nachwuchs einen rechtlichen Vater habe - also die Mutter mit einem anderen Mann eine Familie gegründet habe. Die Straßburger Richter gaben am Donnerstag einem 53-Jährigen Recht, der vergeblich versucht hatte, einen Vaterschaftstest und ein Umgangsrecht für ein Kind durchzusetzen, das er für sein eigenes hält. Das Gericht forderte, es müssten immer die genauen Umstände zum Wohl des Kindes geprüft werden.

Fazit: Leiblicher Vater muss auch dann Umgang/Sorge mit eigenem Kind haben, wenn Mutter mit anderem Mann zusammen/verheiratet ist. Das Recht des Kindes und des leiblichen Vaters steht höher, als das eines evtl. rechtlichen Vaters/Stiefvaters.

Weitere Verurteilungen Deutschlands wegen der Nichtgleichstellung der leiblichen/nichtverheirateten Väter durch den EGMR stehen bevor.

 

Heute Weltkindertag:

Was ist das für eine deutsche Kinderwelt in der ein Großteil ohne seinen Papi aufwachsen muss? Was für barbarische Zustände herrschen in diesem Land, in dem die leiblichen Väter systematisch von Ihren Kindern getrennt werden? Familienpolitik ohne Väter? Am 15.9.11 zuletzt verurteilt. Reagiert wird nicht, man wartet auf die nächsten Verurteilungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte? Oder ist man unfähig? Gibt es denn niemanden von den Politikern der dieses Leid zur Kenntnis nimmt und endlich etwas tut?

Überfällig ist, wenn eine Justizministerin eine Sorgerechts/Umgangsrechtsreform für Herbst 2010 verspricht und bis heute nicht mal einen Gesetzentwurf zur Gleichstellung der Eltern vorgelegt hat. Abgesehen davon, dass ein Einsatz und Wille wesentliches für unsere Kinder zu erreichen nicht zu erkennen ist.

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