Anspruch des Verteidigers auf Herausgabe aller Audiodateien aus einer Telefonüberwachung?

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 24.02.2013

Gerade in Betäubungsmittelstrafverfahren wird zur Beweisgewinnung häufig eine Telefonüberwachung durchgeführt (§ 100a StPO).  Dabei werden zwangsläufig nicht nur verfahrensrelevante Gespräche aufgezeichnet, sondern auch solche, die nicht in Zusammenhang mit der dem Beschuldigten vorgeworfenen Tat stehen. Vielfach werden Protokolle nur über die verfahrensrelevanten Gespräche gefertigt und auch nur diese Gespräche zum Zwecke der Inaugenscheinnahme in der Hauptverhandlung als Audiodateien auf CD/DVD gebrannt. Das OLG Karlsruhe hatte nun zu entscheiden, ob dem Verteidiger ein Anspruch auf Aushändigung sämtlicher Audiodateien aus einer Telefonüberwachung zusteht.

Im konkreten Fall ging es um ein Verfahren gegen mehrere Angeklagte wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Mehrere Verteidiger beantragten in der Hauptverhandlung die Herausgabe des gesamten Audiodatenbestandes (hierzu gehörten auch solche aus einer Innenraumüberwachung eines PKW). Die Polizei teilte dem Gericht auf Anfrage mit, dass sie den Audiodatenbestand innerhalb eines Monats auf etwa 120 DVDs (pro Verteidiger) brennen und die DVD mit einem Passwort und einer Zeitbegrenzung versehen könnte. Daraufhin ordnete der Vorsitzende, der die Verteidiger zuvor auf die Möglichkeit hingewiesen hatte, sich die Audiodateien in den Diensträumen der Kripo anzuhören, die Herstellung und Überlassung der DVDs an, sofern die Verteidiger versichern würden, die DVDs nicht zu kopieren und nach Abschluss des Verfahrens zurückzugeben.

Hiergegen wendete sich die Staatsanwaltschaft mit dem Rechtsbehelf der Beschwerde. Mit Erfolg, denn das OLG Karlsruhe hob die Anordnung des Kammervorsitzenden durch Beschluss vom 29.5.2012, 2 Ws 146/12 (BeckRS 2012, 11661 = NStZ 2012, 590) mit folgender Begründung auf:

„[..] Bei der Frage der Ausgestaltung des Besichtigungsrechts gem. § 147 I Alt. 2 StPO ist vorliegend demgemäß trotz der von der Strafkammer vorgenommenen Sicherungsmaßnahmen in gewichtiger Form zu berücksichtigen, dass durch die Fertigung und Aushändigung von Kopien der vollständigen Telekommunikationsaufzeichnungen des Ermittlungskomplexes – hier ca. 120 DVDs – an den jeweiligen Verteidiger nicht nur der Eingriff in Persönlichkeits- und Datenschutzinteressen unbeteiligter Dritter vertieft, sondern auch die Einhaltung der die Sicherung der Angemessenheit des Grundrechtseingriffs dienenden Vorschriften insbesondere hinsichtlich der Löschung der aufgezeichneten Gespräche (vgl. § 101 VIII StPO) erschwert wird (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 5. 4. 2007 –1 Ws 42 u. 43/07, BeckRS 2012, 12677). Andererseits besteht für sämtliche Verteidiger vorliegend bereits seit einigen Wochen die Möglichkeit, sämtliche im vorliegenden Ermittlungskomplex aufgezeichneten Telefongespräche werktags zwischen 8.30 und 17 Uhr bei der Kriminalpolizei A. anzuhören. Zudem haben die Verteidiger nicht nur einen Anspruch, die Gespräche dort in Gegenwart eines Dolmetschers abzuhören, sondern auch ein Recht auf Anwesenheit des jeweils von ihnen verteidigten Angeklagten (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 147 Rdnr. 19).

Der Senat geht ferner davon aus, dass den Verteidigern – anderenfalls wäre dies nunmehr organisatorisch sicherzustellen – auch die Möglichkeit eröffnet wird, die Audiodateien in A. allein in einem separaten Raum in Gegenwart eines Dolmetschers und des von ihnen verteidigten Angeklagten abzuhören, um dabei insbesondere direkt im Zusammenhang mit dem Abspielen von Dateien Fragen der Verteidigungsstrategie erörtern zu können. Dass ein derartig gewährleistetes Besichtigungsrecht der Verteidiger zu Informationszwecken nicht ausreichend ist und die Verteidigungsinteressen nur durch die Überlassung amtlicher Kopien gewahrt wären, vermag der Senat im Ergebnis nicht zu erkennen. Der zusätzliche Zeitaufwand, der dadurch entsteht, dass die Verteidiger für eine Inaugenscheinnahme der Audiodateien nach A. fahren müssten, stellt sich nicht als unzumutbar dar und ist angesichts der Bedeutung der Sache insbesondere auch nicht unverhältnismäßig. [...]

Dass die Entscheidung zumindest in Verteidigerkreisen auf wenig Zustimmung stoßen dürfte, zeigt exemplarisch die kritische Anmerkung von Rechtsanwalt Meyer-Mews aus Bremen in NJW 2012, 2743 (auch zur Zulässigkeit der Beschwerde).

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1 Kommentar

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...aber wenn durch solche Tonaufzeichnungen die vorsätzliche (!) Falschprotokollierung eines Richters dokumentiert und nachgewiesen werden kann, wird von der Justiz und

der Richterschaft nach anderen (merkwürdigen) Massstäben agiert. Dann interessieren auch die Grundrechte des Angeklagten nicht mehr, sondern dann interessiert die Richter nur noch, wie

das Ansehen der Justiz und der Richterschaft bewahrt werden kann, und die vermeintliche Rechtsbeugung des Richters "gedeckelt" werden kann.

 

Gruss aus dem Exil

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