Keine Erzwingungshaft bei InsO-Verfahren...jedenfalls nicht in Bochum

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 20.05.2013

Mehrfach war die Erzwingungshaft nach §§ 96 ff. OWiG Gegenstand des Blogs. Eine ganz wichtige Frage in diesem Zusammenhang: Wie ist es eigentlich mit E-Haft-Anordnung während eines laufenden InsO-Verfahrens? Die Meinungen gehen hier auseinander, es ist also streitig, ob währenddessen die Erzwingungshaftanordnung zulässig ist. Das LG Bochum hat das jüngst verneint:

Die sofortige Beschwerde ist zulässig.

Sie ist auch begründet, denn die Anordnung der Erzwingungshaft war unzulässig, weil sie während der Dauer des Insolvenzverfahrens erfolgte. Das folgt aus § 89 Abs. 1, § 294 Abs. 1 lnsO, wonach Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer dies Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig sind.

Die erkennende 9. Strafkammer, die seit Anfang 2011 anstelle der zuvor zuständig gewesenen 1. Strafkammer nunmehr Kammer für Bußgeldsachen ist, führt deren ständige Rechtsprechung im obigen Sinne fort. Ähnlich auch LG Berlin, 4. Strafkammer, Beschl. v. 19.01.2005 - 504 Qs 13,8/04, LG Hechingen, Beschl. v. 24.05.2007 - 1 Qs 49/07.

a) Der die Vollstreckung wegen der Geldbuße Betreibende ist Insolvenzgläubiger. Denn § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO bezeichnet denjenigen, der wegen einer Geldbuße vollstreckt, als nachrangigen Insolvenzgläubiger und weist ihm seine Stellung innerhalb der Rangfolge der Insolvenzgläubiger zu.

Nach altem Recht (§ 63 Nr. 3 KO) nahmen Forderungen wegen Geldstrafen und ähnlichem nicht am Konkursverfahren teil, so dass die Einzelvollstreckung insoweit zulässig blieb. Indem der Gesetzgeber der Insolvenzordnung die in § 39 InsO bezeichneten Forderungen im das Insolvenzverfahren einbezogen hat, ist sein politischer Wille zum Ausdruck gekommen, diese im taufenden Verfahren gerade nicht mehr zu bevorzugen. Wäre die Bevorzugung von Geldstrafen und Geldbußen vom Gesetzgeber gewollt gewesen, so hätte nahe gelegen, diese Forderungen insgesamt vom Insolvenzverfahren auszunehmen, nicht aber sie als nachrangige Forderungen in das Insolvenzverfahren ein zu beziehen und sie nur im § 302 InsO dadurch zu privilegieren, dass sie nach Abschluss des Verfahrens im der nicht getilgten Höhe weiter zu befriedigen sind.

b) Die Anordnung der Erzwingungshaft nach § 96 OWIG ist eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung im Sinne von § 89 InsO.

aa) Ihrem Wesen nach ist sie ein Beugemittel, mit dem die Zahlung der Geldbuße gegen einen zahlungsunwilligen Betroffenen erzwungen werden soll. Häufig betrifft sie Bußgeldpflichtige, die unpfändbar sind, insbesondere dem Schutz des § 850c ZPO unterfallen. In diesen Fällen sollen die Bußgeldpflichtigen veranlasst werden, zwecks Vermeidung der Haft aus ihrem (geringen) Einkommen bzw. Vermögen .etwas abzuzweigen, notfalls Dinge zu verkaufen, um dann die Geldbuße zahlen zu können. Auf diese Weise können auch gegenüber diesem Personenkreis Ordnungswidrigkeiten wirkungsvoll geahndet werden.

bb) Dafür, dass die Anordnung der Erzwingungshaft nach § 96 OWiG eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ist, spricht maßgebend auch die Stellung des § 96 OWiG innerhalb der Gesetzessystematik des Ordnungswidrigkeitengesetzes. Im neunten Abschnitt des Ordnungswidrigkeitengesetzes finden sich in den §§ 89 - 104 unter der Überschrift 'Vollstreckung der Bußgeldentscheidungen" Regelungen über die Zuständigkeit, die Art und Weise der Vollstreckung und über Rechtsmittel im Vollstreckungsverfahren.

cc) Die Erzwingungshaft stellt insoweit eine Parallele zur Anordnung der Haft nach § 901 ZPO dar. Mit jener Haftanordnung soll der Schuldner zu einer anderweitig nicht zu erreichenden Tätigkeit, nämlich zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung veranlasst werden. Auch die Haftanordnung nach § 901 ZPO ist eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung. Sie ist wie die anderen Maßnahmen der Zwangsvollstreckung im achten Buch der Zivilprozessordnung geregelt.

c) Die hier vertretene Auffassung entspricht der Begründung des Regierungsentwurfes zur Insolvenzordnung und damit dem Ziel des Gesetzgebers. In der Bundestagsdrucksache 1212443 heißt es auf Seiten 137, 138 zur Begründung des Verbotes der Einzelvollstreckung während des Insolvenzverfahrens (§ 100 InsO-Entwurf, jetzt § 89 InsO), soweit hier von Interesse:
Das Ziel des Insolvenzverfahrens, die Insolvenzgläubiger gemeinschaftlich aus dem Vermögen des Schuldners zu befriedigen, schließt es aus, daß Insolvenzgläubiger während des Verfahrens die Einzelzwangsvollstreckung betreiben. Absatz 1 spricht daher ein allgemeines Vollstreckungsverbot für die Insolvenzgläubiger aus.

Auch die nachrangigen Insolvenzgläubiger ... müssen das Vollstreckungsverbot beachten. Dies ist folgerichtig, da der Gesetzentwurf auch diese Gläubiger mit dem Ziel ihrer gemeinschaftlichen Befriedigung in das Verfahren einbezieht und da diese Gläubiger nicht besser stehen dürfen als die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger.

Unberührt bleibt ... die Vollstreckung durch Unterhalts- und Deliktsgläubiger in den Teil der Bezüge, der nach §§ 850d, 850f Abs. 2 ZPO für diese Gläubiger erweitert pfändbar ist. ... Es bestehen daher keine Bedenken, dass die Unterhalts- und Deliktsgläubiger, soweit sie nicht als Insolvenzgläubiger an der gemeinschaftlichen Befriedigung im Verfahren beteiligt sind, auch während des Verfahrens in den erweitert pfändbaren Teil der Bezüge vollstrecken. ...

Eine durch Auslegung zu schließende Gesetzeslücke liegt danach nicht vor. Vielmehr hat der Gesetzgeber bewusst unterschieden zwischen Insolvenzgläubigern, nachrangigen Gläubigern und Unterhalts- bzw. Delikts-Neugläubigern. Den Unterhalts- bzw. Delikts-Neugläubigern soll insbesondere die Vollstreckung in den Teil der Bezüge möglich sein, der nach §§ 850d, 850f Abs. 2 ZPO für diese Gläubiger erweitert pfändbar ist. Den nachrangigen Gläubigern ist dies demgegenüber gerade verwehrt.

Die Zulassung der Vollstreckung durch einzelne nachrangige Gläubiger würde im Ergebnis die vorn Gesetzgeber beabsichtigte gleichmäßige Befriedigung aller nachrangigen Gläubiger unterlaufen. Maßgebend für die Befriedigung wäre dann das Prioritätsprinzip. Auch die Zugriffsmasse für die privilegierten Gläubiger könnte in einer der Zielsetzung des Gesetzes zuwider laufenden Weise verkürzt werden.

Diese Zielsetzung und eine damit übereinstimmende Auslegung des § 89 lnsO hat der Bundesgerichtshof bestätigt (Beschl. v. 15.11.2007 - IX ZB 4/06). Danach gilt das Vollstreckungsverbot auch für Deliktsgläubiger, sofern sie auch Insolvenzgläubiger sind. Lediglich Unterhalts- bzw. Delikts-Neugläubiger sind durch § 89 Abs. 2 InsO privilegiert. Nur Ihnen steht der Zugriff auf den durch §§ 850d, 850f Abs. 2 ZPO erweitert pfändbaren Teil der Bezüge zu.

d) Der abweichenden Rechtsprechung des Landgerichts Potsdam (Beschl. v. 14.09.2006 - 21 Qs 108/06, WW 2007, 1544) und der 5. Strafkammer des Landgerichts Berlin (Besohl. v. 03.07.2006 - 505 Qs 54/0:6) vermag die Kammer nicht zu folgen. Diese Rechtsprechung ist ersichtlich von der Absicht getragen, die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten während eines Insolvenzverfahrens nicht leer laufen zu lassen. Sie ist nach Auffassung der Kammer mit Wortlaut und gesetzgeberischem Zweck des § 89 InsO indes unvereinbar.

aa) Unzutreffend ist die Ansicht dies Landgerichts Potsdam, dass Zwangsvollstreckungen im Sinne des § 89 Abs. 1 lnsO ausschließlich die im 8. Buch der Zivilprozessordnung genannten Maßnahmen seien.

Zu Unrecht beruft sich das Landgericht Potsdam auf S. 156 der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, Bundestagsdrucksache 12/7302. Dort führte der Rechtsausschuss aus, dass § 12 lnsO des Regierungsentwurfs, in dem es geheißen hatte, dass Zwangsvollstreckung im Sinne der lnsolvenzordnung auch die Vollziehung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung sei, entbehrlich erscheine, weil der Begriff der Zwangsvollstreckung auch ohne diese Vorschrift als Oberbegriff im Sinne der Terminologie der Zivilprozessordnung verstanden werde und dort im Achten Buch unter der Bezeichnung "Zwangsvollstreckung" sowohl die Einzelzwangsvollstreckung als auch der Arrest und die einstweilige Verfügung abgehandelt seien. Diese Ausführungen des Rechtsausschusses beziehen sich also nur auf eine Problematik im Bereich der Zwangsvollstreckung nach der Zivilprozessordnung, lassen sich nicht dahin deuten, dass nach dem Willen des Rechtsausschusses Zwangsvollstreckungen außerhalb der Zivilprozessordnung keine Zwangsvollstreckungen im Sinne von § 89 Abs. 1 lnsO sein sollen. Im oben zitierten Gesetzentwurf der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 12/2443, S. 137 f.) ist in der Begründung des Verbotes der Einzelvollstreckung während dies Insolvenzverfahrens (§ 100 Ins0-Entwurf, jetzt § 89 lnsO) auch nichts dazu gesagt, dass nach dem Willen der Bundesregierung entgegen der früheren Rechtslage nach der Konkursordnung nur Zwangsvollstreckungen nach der Zivilprozessordnung Zwangsvollstreckungen im Sinne von § 89 Abs. 1 InsO sein sollen (so auch LG Hechingen, NZI 2009, 187).

bb) Die 5. Strafkammer des Landgerichts Berlin ist der Auffassung, die Anordnung der Erzwingungshaft sei keine Zwangsvollstreckung im Sinne von § 89 InsO, weil die Erzwingungshaft ihrem Wesen nach nur ein Beugemittel sei. Sie diene nicht der Erfüllung des staatlichen Anspruchs auf die Geldbuße, sondern der Erfüllung des staatlichen Anspruchs auf Mitwirkung des Betroffenen im Bußgeldverfahren.

Diese Auffassung verkennt, dass Ziel der erstrebten "Mitwirkung" des Betroffenen die Zahlung der Geldbuße durch diesen ist.

e) Schließlich betrifft die abweichende Rechtsprechung - soweit ersichtlich - Fälle, in denen wegen verhältnismäßig kleiner Beträge vollstreckt wird. Nicht selten sind aber auch Bußgeldbeträge in Höhe mehrerer tausend €. Würde der Betroffene diese unter dem Druck der Erzwingungshaft zahlen, liegt auf der Hand, dass etwa vorhandene Unterhalts- bzw. Delikts-Neugläubiger benachteiligt werden.

3.
Die Kammer weist ausdrücklich darauf hin, dass mit dieser Entscheidung ein. Freibrief für die Begehung von Ordnungswidrigkeiten durch Betroffene in der Insolvenz nicht verbunden ist. Die Behörde ist auf eine Vollstreckung. nach Abschluss von Insolvenz- bzw. Restschuldbefreiungsverfahren zu verweisen. Auch nach dieser Zeitspanne ist eine solche Vollstreckung noch möglich. Nachrangige Forderungen im Sinne von § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO werden weder durch den Insolvenzplan ausgeschlossen (§ 225 Abs. 3 InsO) noch von der etwaigen Restschuldbefreiung erfasst (§ 302 Nr. 2 InsO).

Schließlich kann auch eine Verjährung nach § 34 Abs. 2 OWiG während dies Zeitraums der Wartepflicht nicht eintreten, denn gem. § 34 Abs. 4 Nr. 1 OWiG ruht die Vollstreckungsverjährung.

Weiter weist die Kammer darauf hin, dass freiwillige Zahlungen des Betroffenen mit Mitteln, die nicht zur Insolvenzmasse gehören, nicht durch §§ 87, 89 InsO untersagt sind. Eine solche Zahlung stellt jedenfalls während des Insolvenzverfahrens auch keine Obliegenheitsverletzung nach §§ 287 Abs. 2 Satz 1, 295 Abs. 1 Nr. 4 InsO dar. Nach Aufhebung dies Insolvenzverfahrens und Ankündigung der Restschuldbefreiung dürfte maßgebend darauf abzustellen sein, ob die Zahlung der Geldbuße unter den gegebenen Umständen die Befriedigung der übrigen Gläubiger beeinträchtigen kann. Nur dies könnte gem. § 296 Abs. 1 Satz 1 lnsO zu einer Versagung der Restschuldbefreiung führen (BGH Urt. v. 14.01.2010 - IX ZR 93/09).

LG Bochum, Beschl. v. 4.12.2012 - 9 Qs 86/12

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2 Kommentare

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Die Praxis in Berlin sieht leider anders aus. Und als Hartz 4 Empfänger ist es aussichtslos einen Rechtsanwalt zu finden, der einen hier wirklich vertritt. Selbst der Insolvenzverwalter weiß keinen Rat. Es ist ja jedes mal nur 20,- €. Zahlen Sie die doch. Das da aber 60 Strafzettel ausstehen, weil 6 Fahrzeuge auf den Einzelunternehmer eingetragen waren, interessiert niemanden. Die Gesamtsumme kann ein Hartz 4 Empfänger gar nicht erbringen. Die Bußgeldstelle lehnt eine Ratenzahlung ab. Also hat man sich eigentlich im Sinne der Staatsanwaltschaft verhalten und eine Regelung angestrebt. Trotz 100% Schwerbehinderung mit Merkzeichen G und Rollstuhl nach Fußamputation und monatelanger langer AU wird trotzdem Erzwingungshaft angeordnet. Selbst eine Eingabe bei der Senatsstelle für Justiz wurde abgewiesen.

Soviel zu unserem Rechtsstaat...

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Wenn Raten, die unter Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögenssituation angemessen sind, gezahlt (und nicht nur angekündigt) werden, kommt Erzwingungshaft überhaupt nicht in Betracht. Wenn es eine Vielzahl von bußgeldern betrifft, muss das natürlich im Zusammenhang dargestellt werden.

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