LAG Hamm zur EuGH-Rechtsprechung "Alemo-Herron"

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 09.03.2015

Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB). Wird in seit dem 1.1.2002 abgeschlossenen Arbeitsverträgen der von dem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer dynamisch auf einen bestimmten Tarifvertrag Bezug genommen, so muss der Betriebserwerber nach der jüngeren Rechtsprechung des BAG spätere Änderungen dieses Tarifvertrages (z.B. Lohnerhöhungen) auch dann gegen sich gelten lassen, wenn er selbst nicht Mitglied des Arbeitgeberverbandes ist (BAG, Urt. vom 14.12.2005 - 4 AZR 536/04, NZA 2006, 607; Urt. vom 22.10.2008 - 4 AZR 793/07, NZA 2009, 323).

Ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist, war im Sommer 2013 infolge eines Urteils des EuGH in der (englischen) Rechtssache Alemo-Herron zweifelhaft geworden. Dort hatte der EuGH entschieden: Art. 3 der Betriebsübergangs-Richtlinie 2001/23/EG verwehre es einem Mitgliedstaat, vorzusehen, dass im Fall eines Unternehmensübergangs die Klauseln, die dynamisch auf nach dem Zeitpunkt des Übergangs verhandelte und abgeschlossene Kollektivverträge verweisen, gegenüber dem Erwerber durchsetzbar sind, wenn dieser nicht die Möglichkeit hat, an den Verhandlungen über diese nach dem Übergang abgeschlossenen Kollektivverträge teilzunehmen (EuGH, Urt. vom 18.7.2013 - C-426/11, NZA 2013, 835).

Das LAG Hamm hat sich jetzt auf den Standpunkt gestellt, dass die Rechtsprechung des EuGH auf das deutsche Recht keine Auswirkungen habe:

Die Entscheidung des EuGH vom 18.07.2013 (C-426/11) steht nicht dem Eintritt des Betriebserwerbers in die Rechte und Pflichten der zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse entgegen. Der Eintritt des Betriebserwerbers bezieht sich auf alle individualvertraglich begründeten Rechte und Pflichten und umfasst auch dynamische Bezugnahmeklauseln.

Das LAG begründet seine Entscheidung mit der fehlenden Schutzbedürftigkeit des Arbeitgebers:

(Der EuGH) hat eine erhebliche Einschränkung des Handlungsspielraums des Erwerbers in dem Fall gesehen, dass eine Klausel dynamisch auf nach dem Übergang des Unternehmens verhandelte und geschlossene Kollektivverträge verweist, die die Entwicklung der Arbeitsbedingungen im öffentlichen Sektor regeln sollen. Unter Heranziehung des Art. 16 GRCh hat er Art. 3 der Richtlinie deshalb dahin ausgelegt, dass es dem Erwerber möglich sein muss, seine Interessen wirksam geltend zu machen und die die Entwicklung der Arbeitsbedingungen seiner Arbeitnehmer bestimmenden Faktoren mit Blick auf seine künftige wirtschaftliche Entwicklung auszuhandeln. Anders als dem Erwerber im Ausgangsverfahren der EuGH-Entscheidung ist es der Beklagten jedoch nicht verwehrt, ihre Interessen wirksam geltend zu machen. Zwar ist sie an den Verhandlungen über die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes nicht beteiligt. Sie hat den Betrieb jedoch in der Kenntnis übernommen, dass die Arbeitsverträge der Mitarbeiter eine Bezugnahmeklausel enthalten, die kraft Vereinbarung der vormaligen Betriebsübernehmerin mit den Mitarbeitern auf der Grundlage des Überleitungsvertrages vom 18.12.1995, geschlossen zwischen der Stadt T und der Firma L Trägergesellschaft für soziale Einrichtungen mbH in Gründung, fortgelten. Der Betriebsübergang mit Wirkung zum 01.01.2002 beruhte auf einer privatautonomen Entscheidung in Ansehung der Geltung von Verweisungsklauseln auf die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes. Es fehlt auch deshalb an einer besonderen Schutzbedürftigkeit der Beklagten, weil die dynamische Verweisungsklausel von der nicht tarifgebundenen Firma L Trägergesellschaft für soziale Einrichtungen mbH in Gründung und der Klägerin ausdrücklich als nach dem Betriebsübergang geltendes Recht vereinbart wurde und die Beklagte sich als Erwerberin so behandeln lassen muss, als hätte sie die Vereinbarung vom 01.01.1996/12.03.1996 selbst unterzeichnet.

LAG Hamm, Urt. vom 18.12.2014 - 17 Sa 1102/14, verfügbar über www.nrwe.de

 

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

1 Kommentar

Kommentare als Feed abonnieren

Die Entscheidung Alemo-Herron des EuGH (ein einstiger Mitarbeiter der Stadt London musste mehrere Betriebsübergänge gewärtigen, der letzte Erwerber wollte davon nichts wissen) ist mit seinem Hinweis auf die unternehmerische Freiheit in der EU-Grundrechte-Charta deswegen fragwürdig, weil der Investor sich selbst informieren kann und muss, welche Regelungen für die Arbeitsverhältnisse in dem Unternehmen gelten, in das er durch Betriebsübernahme investiert.

 

Das "Umschiffen" dieses Problems durch das LAG Hamm hilft nicht wirklich weiter. Der Grund, warum Alemo-Herron nicht zum Zuge komme, soll laut Hamm nämlich sein:

 

"Sie [= die Betriebsübernehmerin] hat den Betrieb jedoch in der Kenntnis übernommen, dass die Arbeitsverträge der Mitarbeiter eine Bezugnahmeklausel enthalten, die kraft Vereinbarung der vormaligen Betriebsübernehmerin mit den Mitarbeitern auf der Grundlage des Überleitungsvertrages vom 18.12.1995, geschlossen zwischen der Stadt T und der Firma L Trägergesellschaft für soziale Einrichtungen mbH in Gründung, fortgelten."

 

Falls sich "fortgelten" auf Bezugnahmeklausel bezieht, müsste es übrigens "fortgilt" heißen. Wie dem auch sei: Wird nun in den Betriebsübergang das Merkmal von der positiven Kenntnis der Arbeitsbedingungen eingeführt? Dann kommt morgen der nächste Fall, wo es an dieser Kenntnis fehlt, und schon müssen sich die nationalen Gerichte mit Alemo-Herron auseinandersetzen.

Kommentar hinzufügen