Die Brennspiritus-Theorie in der Wiederaufnahme - der Mordfall Sabolic

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 25.07.2018
Rechtsgebiete: StrafrechtKriminologieStrafverfahrensrecht81|17474 Aufrufe

Der Fall „Sabolic“  aus dem Jahr 2004, der durch ein Wiederaufnahmegesuch von Rechtsanwalt Gerhard Strate nun bekannt geworden ist, lässt aufhorchen: Es geht um eine Frau, die in ihrer Kleingartenlaube in Hamburg durch Feuer ums Leben kam. In den Morgenstunden war das Feuer in dem Raum ausgebrochen, in dem sie sich schlafen gelegt hatte. Brandsachverständige kamen zu der Schlussfolgerung, der Brand sei gelegt worden, indem jemand Brandbeschleuniger (Spiritus) auf die Schlafende geschüttet und sie angezündet habe. Ein Bekannter der Toten, der sich in der Nacht und am frühen Morgen verdächtig verhalten hatte, wurde beschuldigt und wegen Mordes verurteilt. Er habe Bargeld der Toten (etwa 110 Euro) stehlen wollen und die heimtückische Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln zur Ermöglichung dieser Tat begangen. Er wurde vom LG Hamburg wegen Mordes, Raubes mit Todesfolge und Brandstiftung mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, die er nunmehr seit gut 13 Jahren verbüßt (LG Hamburg 621 Ks 12/04 vom 2. Februar 2005, anonymisierter Abdruck).

Grundlage des Wiederaufnahmegesuchs ist ein neues Gutachten zur Brandursache und zum Brandablauf, das zumindest erhebliche Zweifel an der Urteilsgrundlage weckt (Quelle). Hier begegnet dem Leser eine schon „altbekannte“ Situation: Insbesondere Sachverständige des LKA Berlin hatten vor ca. zwei Jahrzehnten eine hohe Anzahl von Brandstiftungen durch Brandbeschleunigerspuren festgestellt. Spektakulär war der Freispruch der Monika de Montgazon (hierzu: Stern-Bericht , Beck-Blog-Beitrag), nachdem der BGH das Mord-Urteil des LG Berlin (ebenfalls aus dem Jahr 2004) in der Revision aufgehoben hatte. Die „Spiritus-Theorie“ der Berliner LKA-Sachverständigen, die davon ausging, dass Spuren der Vergällungsmittel 2-Butanon (MEK) und 3-Methyl-2-Butanon (MIPK) eindeutige Hinweise auf den Einsatz von Spiritus als Brandbeschleuniger seien, wurde von einer BKA-Gutachterin damals widerlegt: Beim Verbrennen von Holzverkleidungen, insbesondere Kiefern- und Fichtenholz, können diese Stoffe ebenfalls anfallen. Frau de Montgazon wurde freigesprochen, da man die Brandbeschleuniger-These für widerlegt und einen von einer im Bett gerauchten Zigarette des Opfers ausgehenden Brand für viel wahrscheinlicher hielt.

Der Fall de Montgazon war der bekannteste, aber nicht der einzige Fall, in dem die Widerlegung der Spiritus-Theorie zu neuen Entscheidungen führte. Auch das neue Gutachten im Hamburger Fall, Auftraggeber ist Rechtsanwalt Strate, argumentiert: Hinweise auf Brandbeschleuniger seien uneindeutig oder gar ausgeschlossen, ein völlig anderer Brandverlauf (ebenfalls von einer Zigarette ausgelöst), mit langsamen Schwelbrand, der – etwa durch eine zerberstende Scheibe – in einer Rauchgasexplosion mündet, sei naheliegend.

Da das mit der Wiederaufnahme angefochtene Urteil aus der Zeit stammt, bevor die Berliner „Spiritus-Theorie“ grundsätzlich infrage gestellt wurde, scheint der Weg zur Wiederaufnahme recht offensichtlich: Die neue Tatsache, hier nämlich im Prozess (möglicherweise) noch nicht diskutierte Erkenntnisse dazu, wie Spuren von Vergällungsmitteln zu bewerten sind, bzw. die neuen Beweismittel/Sachverständigen, die darüber Auskunft geben, können nach § 359 Nr.5 StPO die Wiederaufnahme begründen. Die Stichhaltigkeit wird dann in einem neuen Verfahren geprüft und bewertet. Jedes Gericht, das sich schon einmal auf ein Sachverständigengutachten als bei einem Mordvorwurf einziges Beweismittel verlassen hat, müsste hier hellhörig werden: Welchen Einfluss haben neue Erkenntnisse oder auch nicht mehr ganz neue, die aber im Prozess vom Gutachter nicht mitgeteilt oder verwertet wurden? Das Argument, der Sachverständige sei "bewährt und zuverlässig", trifft dann nämlcih nicht mehr zu. Natürlich betrifft dies gerade auch die in Verruf geratene Spiritus-Theorie, die auch hier offenbar ausschlaggebend für den Mordvorwurf war.  

Allerdings: Anders als im Fall de Montgazon geht es hier nicht um die Revision, sondern um die Wiederaufnahme, in der sich die Beweislast praktisch umkehrt. Das Wiederaufnahmeverfahren erweist sich wohl auch jetzt als äußerst steiniger Weg. Auch die Hamburger Justiz wehrt sich dagegen, ein längst rechtskräftiges Urteil aufzuheben, worüber die Dokumentation bei Strate Auskunft gibt: Statt die Sache in den Mittelpunkt zu stellen, versuchte das Gericht jüngst, RA Strate auszutricksen und verweigerte ihm praktisch rechtliches Gehör zur staatsanwaltlichen Stellungnahme.

Für den Hamburger Fall Sabolic wird die Frage entscheidend sein, ob es sich bei der Widerlegung der Brandbeschleuniger-These um ein „neues“ Beweismittel handelt. Immerhin war die Erkenntnis, dass die Vergällungsstoffe auch bei Holzverbrennung auftreten, schon viel früher in den USA publiziert worden, und wurde maßgeblich 2003 in einer deutschen Dissertation nachgewiesen, also schon kurz vor dem Prozess. Für Deutschland wird man aber konstatieren können, dass erst das Verfahren de Montgazon (2004 bis 2006) die allgemeine Aufmerksamkeit auch der polizeilichen Brandsachverständigen auf die Problematik gelenkt hat. Das LG Hamburg hat sich im Sabolic-Urteil (2004) jedenfalls nicht mit dieser Frage auseinandergesetzt. Dem LG genügte damals für die Überzeugungsfindung offenbar, dass die (minimalen) Spuren auf die Verwendung von Spiritus „hindeuteten“, wie es laut Stellungnahme der Staatsanwaltschaft in dem schriftlichen Gutachten geheißen haben soll. Dass der Stoff auch in anderen Flüssigkeiten (Lacke, Lösungsmittel) vorkommt, wurde zwar auf Nachfrage der Verteidigung theoretisch bejaht, aber es wurde nicht angesprochen, dass 2-Butanon auch beim Verbrennen von Holz anfällt, was hier beim Brand einer Laube ja naheliegend ist (Quelle: Strate Dokumentation).
(Hinweis: Korrekturen im letzten Absatz am 27.07. eingefügt)

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81 Kommentare

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Nachdem ich jetzt die Entscheidungsbegründung des Landgerichts Hamburg gelesen habe, die mir sehr überzeugend erscheint, bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich das Urteil gelesen habe. Ich dachte, ich hätte es. Ich glaube, ich muss es noch mal tun.

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Sowohl hier als auch beim Fall Andreas Darsow geht es im Kern um technische Fragen. Von Technik aller Art habe ich leider nicht den blassesten Schimmer, meine Familie kann das bestätigen. Deswegen beschränken sich meine Kommentare sowohl hier als auch beim Fall Andreas Darsow im wesentlichen auf prozessrechtliche Aspekte. 

GStA, Ziffer 1.: „durch Urteil des Landgerichts… (Bl. 538 ff. d.A.)“; S. 2 unten: „Die Schwurgerichtskammer hat ihre Überzeugung nämlich… (vgl. UA-LG S. 348 ff.).“ Hä? Wohl ein Schreibfehler, es heißt ja auch an drei Stellen „Verfahren ü. Wideraufnahme“.

Auf S. 2 wird auf die „Gesamtschau“ des Tatgerichts abgestellt und behauptet, „das Antragsvorbringen“ verhalte sich „jedoch nicht umfassend zu den Beweisergebnissen der Kammer im Urteil“. Jedenfalls aus dem EGA Prof. Goertz ergibt sich doch völlig unzweifelhaft, dass es überhaupt keine (vorsätzliche) Brandstiftung gab und schon die Ausgangshypothese Brandbeschleuniger > (vorsätzliche) Brandstiftung falsch war. Im Schriftsatz vom 24.8.18  wird m. E. plausibel dargelegt, dass mit dem Wegfall dieser falschen Ausgangshypothese auch jede weitere „Gesamtschau“ entfällt, beruhen die Belastungsindizien doch quasi akzessorisch auf der entfallenden Falschannahme, die Geschädigte sei einer (vorsätzlichen) Brandstiftung zum Opfer gefallen, während es sich in Wirklichkeit – wie im Fall de Montgazon – um einen Unfall im Umgang mir Rauchwaren gehandelt hat. Dies scheint die GStA einfach zu ignorieren: „Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit“.

(M. E. interessante Parallele zum Fall Babenhausen: Auch dort hat sich die Ausgangshypothese, bei der Tat sei ein PET-SD Marke-Eigenbau verwendet worden, als falsch erwiesen, wobei durch das dortige WA-Vorbringen indes „nur“ die das Urteil tragende Silencer-Kette entfällt).       

heißt ja auch an drei Stellen „Verfahren ü. Wideraufnahme

Sicher?

...während es sich in Wirklichkeit...um einen Unfall im Umgang mir Rauchwaren gehandelt hat

Sicher?

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EGA, S. 7: „Erst mit den Erkenntnisfortschritten (…) konnte es zuverlässig, erschöpfend und inhaltlich vollständig überzeugend gelingen, den tatsächlichen Brandverlauf und die tatsächliche Brandursache in der Laube vom 15.06.2004 aufzuklären.“ Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit.

Die Schreibfehler sind, anders als der Aktenumfang, nicht interessant.

Brandereignis: 15. Juni 2004

Festnahme: 16. Juni 2004

Hauptverhandlung: zwischen 02. und 22. Dezember 2004 an sechs HV-Tagen

Urteilsverkündung: 22. Dezember 2004, 15:10 Uhr (Sitzungsunterbrechung und Mittagspause ab 13:00 Uhr, anschließend Urteilsberatung)

Ziemlich zügig in Hamburg

Unabhängig von den übrigen offenen Fragen ist dem Argument Strates meines Erachtens insoweit zu folgen, dass

1. die Schlussfolgerung, es sei Brennspiritus eingesetzt worden maßgeblich darauf beruhte, dass der damalige Brandsachverständige die Spurenlage nur auf  den Einsatz von Brandbeschleuniger zurückzuführen vermochte, also bedeutsame Alternativhypothesen (Holzverbrennungsrückstände) gar nicht erst geprüft wurden

und dass

2. erst der festgestellte/unterstellte Einsatz von Brandbeschleuniger zwingend den Schluss auf Brandstiftung und vorsätzliche Tötung nach sich zog

sowie dass

3. die übrige Indizienkette, die dann den Verurteilten als einzig in Betracht kommenden Täter, deshalb zumindest für ein Tötungsdelikt und eine Brandstiftung keine Bedeutung mehr hat. Dass der Tatverdächtige/Verurteilte in der Nacht möglicherweise am Ort des Geschehens war bzw. dass er sich Bargeld der Toten (bzw. noch Lebenden) verschaffte, ist dafür (für das Tötungsdelikt) als Indiz nicht erheblich.

Die Indizien, die den Verurteilten als "Täter" überführen sollen, haben ja nur dann Bedeutung, wenn es überhaupt eine Tat gab.

Die Kammer verlangt von dem Antragsteller, dass er zur Darlegung der Eignung sich mit der ganzen Indizienkette auseinandersetzt und stützt ihre Anforderung auf den Karlsruher Kommentar:

"Die Eignung hat der Antragsteller unter Wiedergabe der die Beweiswürdigung tragenden Gründe des Urteils darzulegen, wenn sie nicht offensichtlich ist (Karlsruher Kommentar/StPO-Schmidt, 7. Aufl. 2013, § 368 Rn. 9)." (LG Hbg Beschl. v. 21.08.2018, S. 4 letzter Abs.)

Dabei ist die Kammer nicht darauf eingegangen, ob es nicht offensichtlich ist, dass die Verwendung von Brennspiritus eine den Schuldspruch tragende Feststellung des Urteils ist - mithin die Straftat an sich, die durch die neuen Beweismittel erschüttert wird. Das LG sieht in den neuen Beweismitteln, dass der Stoff 2-Butanon als Zersetzungsprodukt bei der Pyrolyse bestimmter Holzarten angefallen sei, allenfalls nur eine Alternativursache für den Brand und zur Verwendung des Brennspiritus. Dem stellt die Kammer die Indizienkette gegen den Verurteilten als Täter gegenüber und argumentiert so wie der "Staatsanwalt" bzw. der Gast, der die Rolle des Staatsanwalts in Dürrenmatts "Die Panne" spielt: Hat man erst den Täter, dann findet sich auch die Tat.

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Das Zitat aus dem Karlsruher Kommentar (7. Aufl. 2013, § 368 Rn. 9) lautet etwas anders. Dort steht wörtlich: "Die neuen Tatsachen oder Beweismittel – ihre Richtigkeit unterstellt (OLG Köln NJW 1963, 967, 968) – müssen geeignet sein, das angegriffene Urteil zu erschüttern (siehe hierzu auch § 366 Rn 8 ff). In dieser Hinsicht müssen sie erheblich sein (BVerfG EuGRZ 2007, 586, 588). Diese Eignung hat der Antragsteller darzulegen, wenn sie nicht offensichtlich ist (BGH NJW 1977, 59 = JR 1977, 217 m. Anm. Peters; § 366 Rn 7 ff).

Die Kammer hat hier einfach in das Zitat folgende Worte eingefügt: "unter Wiedergabe der die Beweiswürdigung tragenden Gründe des Urteils". Ich empfehle Ihnen, Herr Kolos, aber auch allen anderen hier Mitlesenden, die Originalquelle, nämlich die im KK zitierte BGH-Entscheidung (BGH NJW 1977, 59) einmal nachzulesen. Dort wird nämlich darauf abgestellt, dass nur in bestimmten "Ausnahmefällen" die Pflicht bestehe, auch die Eignung des neuen Beweismittels darzulegen, nämlich in Fällen, "in denen nach dem bisherigen Erkenntnisstand alles für die Nutzlosigkeit der erstrebten Beweiserhebung spricht". Schon der Karlsruher Kommentar erweitert diese ausnahmsweise bestehende Darlegungspflicht praktisch auf alle Wiederaufnahmegesuche, das LG Hamburg legt nun die Zulässigkeits(!)-Hürde noch höher, indem es verlangt, der Antragsteller müsse sich mit der ganzen Indizienkette auseinandersetzen. Das ist meines Erachtens der Versuch der Verkümmerung der Wiederaufnahme in einem Fall, in dem es ziemlich eindeutig ein neues Beweismittel gibt, nämlich neue sachverständig belegte Erkenntnisse. 
Zudem : Bei der geforderten Offensichtlichkeit kann es (in der Zulässigkeit!) nur um die Offensichtlichkeit der "Eignung" gehen, das Beweisergebnis zu erschüttern, nicht aber um die Offensichtlichkeit der Begründetheit des Wiederaufnahmegesuchs. Und dass das neue Beweismittel offensichtlich geeignet ist, scheint mir zumindest offensichtlich.

Danke für die Überprüfung der Quelle. Ich habe schon geahnt, dass da was faul ist. Ich bin Ihrem Rat gefolgt und habe die BGH-Entscheidung nachgelesen. Der BGH erklärt dort sehr deutlich, dass der schlüssige Vortrag reicht - in der Regel. Man nennt es auch hinreichend substantiiert. Standard. Der BGH nennt auch ausdrücklich die Ausnahmefälle, für die Pflicht zur Darlegung der Eignung ("Demgemäß genügt es nicht immer, einen Wiederaufnahmegrund schlüssig vorzutragen. In Ausnahmefällen muß der Antrag auch die Eignung des Beweismittels darlegen."). Zu den Ausnahmefällen gehört die erneute Vernehmung eines Belastungszeugen. In diesen Fällen verlangt der BGH von dem Antragsteller, dass er zusätzlich die Umstände anzugeben hat, "unter denen der Zeuge von seiner früheren Bekundung abgerückt ist (OLG Neustadt NJW 1964, 678,; OLG Hamburg JR 1951, 218 und OLG Hamm JMBl NRW 1955, 20 für den Widerruf belastender Erklärungen eines früheren Mitangeklagten)". "Ähnlich liegt es beim Widerruf eines früheren Geständnisses. Auch hier reicht der schlüssige Vortrag des Verurteilten nicht aus. Vielmehr muß er darlegen, warum er die Tat in der Hauptverhandlung der Wahrheit zuwider zugab und weshalb er das Geständnis nunmehr widerruft (OLG Celle GA 1967, 284, 285; OLG Köln a.a.O.; OLG Bremen NJW 1952, 678; zustimmend OLG Hamburg OLGSt § 359 S. 19; für den Wechsel der Einlassung KG JR 1975, 166)."

Überspannt das Gericht die Anforderungen an die Substantiierung und erhebt deshalb nicht die von der Partei angebotenen Beweise, verletzt es den Anspruch auf rechtliches Gehör (BVerfG Beschluss vom 24. Januar 2012 - 1 BvR 1819/10). Die Entscheidung des BVerfG betrifft zwar Zivilrecht, dürfte aber auch für das Wiederaufnahmeverfahren gelten. Bei Verletzung rechtlichen Gehörs ließe sich mit der sofortigen Beschwerde ausnahmsweise die Zurückverweisung erreichen.

(BVerfG Beschluss vom 24. Januar 2012 - 1 BvR 1819/10 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2012/01/rk20120124_1bvr181910.html)

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Hinweis für Interessierte, die die NJW von 1977 nicht greifbar haben oder der Weg zum Regal zu weit sein sollte, BGH NJW 1977, 59 kann auch online bei Jurion nachgelesen werden:

https://www.jurion.de/urteile/bgh/1976-07-07/5-_7_-_2_-ste-15_56/

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Unter anderem Ihre Ziffer 1. dürfte mit den Ausführungen im EGA Prof. Goertz, S. 4, korrespondieren: „Für das LKA und in Folge auch das Landgericht war der (eindimensionale) Ausgangspunkt wie folgt.“ (> Grafik )

Zitatfortführung: „Infolge dieser Annahme wurden alle Hinweise ausschließlich in dieser Richtung untersucht.“

Die in meinem Post vom 6.9.18  00:15 zitierte Passage aus dem EGA Prof. Goertz befindet sich auf S. 2.

Ungeachtet der i. v. F. offensichtlichen „Eignung“: Zur sog. erweiterten Darlegungslast (u.a. auch zur Hinweispflicht wegen etwaiger „Substantiierungsmängel“):  https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/08-04/index.php?sz=8  (unter IV.)

Danke für die Recherchen.

Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht in Ausprägung der gerichtlichen Fürsorgepflicht in einem fairen Verfahren hat in der Regel die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs zur Folge. Das ist schon richtig. Bei künstlich erweiterten Darlegungslast halte ich diesen Ansatz aber für zu umständlich. Denn die vom Gericht erfundene und willkürliche Erweiterung der Darlegungslast wird nicht dadurch besser, dass das Gericht den Antragsteller zuvor ausdrücklich darauf hingewiesen hatte.

Wenn die Kammer von dem Antragsteller eines Wiederaufnahmeantrags verlangt, dass er sich mit der ganzen Indizienkette auseinandersetzt, dann könnte sie von ihm auch verlangen, dass er seinen Vortrag mit vielen schön bunten Grafiken zu unterlegen habe. Auch wenn sie ihn vorher darauf hinweist, der Antragsteller ihren Anforderungen aber nicht nachkommt und den Antrag dementsprechend nicht "nachbessert", dann ist es immer noch und trotz des Hinweises Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs, wenn die Kammer seinen Antrag deswegen als unzulässig verwirft und ihm damit den Zugang zur Beweisaufnahme im Probationsverfahren verweigert.  

Ich denke, dass eine Verletzung des Gehörrechts schon in der Überspannung der Anforderungen an die Substantiierung liegt, wenn dem Antragsteller dadurch die Beweisaufnahme vorenthalten wird. Die von mir schon oben genannte Entscheidung des BVerfG betrifft zwar Beweisanträge im Zivilprozess, wenn der Beweisantritt unterbleibt, weil das Gericht die Anforderungen an die Substantiierung überspannt hatte. Die Ausführungen des BVerfG zur Verletzung des rechtlichen Gehörs in diesen Fällen sind aber auf das strafprozessuale Wiederaufnahmeverfahren übertragbar:

"In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge aufgrund eines hinreichend substantiierten Vortrags (vgl. BVerfGE 50, 32 <35>; 60, 247 <249>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. Februar 2009 - 1 BvR 1232/07 -, WM 2009, S. 671 <672>). Die Nichtberücksichtigung eines solchen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. BVerfGE 50, 32 <36>; 69, 141 <144>)." (BVerfG Beschluss vom 24. Januar 2012 - 1 BvR 1819/10 - Rn. 14)

Wird der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, dann dürfte wohl stets auch zugleich der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verletzt sein. Entscheidend für eine Zurückverweisung im Beschwerdeverfahren, die nur in Ausnahmefällen zulässig ist, ist aber die Verletzung rechtlichen Gehörs.

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https://community.beck.de/comment/reply/58641/83843 (zum Fall Babenhausen)

Dann (ausnahmsweise) zurück zum LG, zur Wiederherstellung des Zustands vor der (weiteren) Verletzung rechtlichen Gehörs (ganz so fett dürfte die Akte ja ohnehin nicht sein). Frage mich, ob die unterstellte (weitere) Gehörrechtsverletzung wegen der erfundenen und willkürlichen Erweiterung der Darlegungslast, verbrieft auf S. 4 im Nichtabhilfebeschluss, „nur“ den Nichtabhilfebeschluss oder auch den vorausgehenden Verwerfungsbeschluss beträfe.

In beiden Beschlüssen wird das Gehörrecht verletzt, aus unterschiedlichen Gründen. Aber wenn es um Zurückverweisung geht, dann macht es keinen erkennbaren Sinn, nur den letzten Beschluss mit Gehörrechtsverletzung aufzuheben und den anderen stehen zu lassen, damit die Kammer noch einmal darüber entscheiden kann, ob sie der Beschwerde abhilft. Ich denke, dass bei Zurückverweisung beide Beschlüsse aufgehoben werden müssen.

Die erfundene und willkürliche Erweiterung der Darlegungslast betrifft nur den Nichtabhilfebeschluss. Denn ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dieselben Anforderung auch im Erstbeschluss gelesen zu haben.

Wenn die Sabolic-Akte offensichtlich auch nicht fett ist, so haftet jeder Zurückverweisung die Funktion des schulischen Nachsitzens an. Im günstigen, weil weniger peinlichen Fall, kann man den Mist, den man gebaut hat, durch Nachsitzen noch selber ausbaden. Besonders peinlich ist es, wenn das jemand anders für einen tun muss - quasi zum Prügelknaben gemacht wird. So bei Zurückverweisung an eine andere Kammer.

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https://deref-gmx.net/mail/mobile/E3838wvn84o/deref/?redirectUrl=https%3A%2F%2Fwww.strate.net%2Fde%2Fdokumentation%2FSabolic-an-HansOLG-2018-09-10.pdf

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Aus alter Zeit, jedoch nach 1945:

A)
BGH Entscheidungssammlung Jahrgang 1951, Heft 19, Blatt 759

BGH, Urt. v. 21.6.1951 in der Sache III ZR 210/30 ( Düsseldorf )

"3. BGB § 826
Ein Verstoß gegen § 826 BGB kann darin liegen, daß eine Partei ein zwar nicht arglistig erwirktes, aber als unhaltbar
erkenntes Urteil vollstreckt oder sonstwie geltend macht und besondere Umstände hinzutreten, welche die Ausnutzung eines
solchen Urteils als sittenwidrig erscheinen lassen."

B)

- 1. Strafsent des BGH Entscheidung vom 12. Feb.1952 in der Sache  1 StR 658/51 -

In der Veröffentlichung des BGH in Strafsachen, dort im Band 2 ist ab Seite 173 beschrieben was ein gesetzliches Standgericht
ist und was nur das Gesicht eines gesetzlichen Standgerichts hat.

Es ging dort indirekt um die Standgerichtsverfahren gegen Admiral Canaris.A)
BGH Entscheidungssammlung Jahrgang 1951, Heft 19, Blatt 759

BGH, Urt. v. 21.6.1951 in der Sache III ZR 210/30 ( Düsseldorf )

 

 

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Neue Hauptverhandlung? (+)

Fehler? (-)

Diese Erkenntnisse sind erst aufgrund der technischen Entwicklung der vergangenen Jahre möglich und stellen daher gegenüber der zuletzt im Jahr 2012 durchgeführten Hauptverhandlung vor dem Landgericht München II neue wissenschaftliche Methoden dar, die seinerzeit noch nicht zur Verfügung standen.

Pressemitteilung 40/2022 - Bayerisches Staatsministerium der Justiz (bayern.de)

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