BAG: Urlaubsabgeltung auch bei Tod des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 24.01.2019
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|3822 Aufrufe

Das erste Urteil des BAG (22.1.2019 - 9 AZR 45/16) in diesem Jahr, das im Wege einer Pressemitteilung bekanntgegeben wird, zieht die Konsequenzen aus der Entscheidung des EuGH vom 6.11.2018 (C-569/16 und C-570/16, NZA 2018, 1467) in den Rechtssachen Bauer und Willmeroth. Der EuGH hatte bekanntlich auf Vorlage des BAG entschieden, dass der durch Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) gewährleistete Anspruch auf bezahlten Mindestjahresurlaub nicht mit dem Tod des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis untergehen darf, ohne dass ein Anspruch auf finanzielle Vergütung für diesen Urlaub besteht, der im Wege der Erbfolge auf den Rechtsnachfolger des Arbeitnehmers überzugehen hat. Die Sinnhaftigkeit dieser Rechtsprechung leuchtet zwar weiterhin nicht jedermann ein. Gleichwohl ist dem BAG nunmehr jeder Ausweg versperrt. Das jetzt ergangene Urteil setzt den Schlusspunkt in der Rechtssache Bauer. Zur Erinnerung: Die Klägerin, Frau Bauer, ist Alleinerbin ihres am 20. Dezember 2010 verstorbenen Ehemanns (Erblasser), dessen Arbeitsverhältnis mit der Beklagten, Stadt Wuppertal, durch seinen Tod endete. Nach § 26 TVöD standen dem Erblasser in jedem Kalenderjahr 30 Arbeitstage Urlaub zu. Der Erblasser wurde mit Wirkung vom 18. August 2010 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Er hatte danach gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB IX aF für das Jahr 2010 Anspruch auf anteiligen Zusatzurlaub von zwei Arbeitstagen. Die Klägerin verlangt die Abgeltung des Resturlaubs von insgesamt 25 Arbeitstagen, der ihrem verstorbenen Ehemann zum Zeitpunkt seines Todes für das Jahr 2010 noch zustand. Das BAG gibt erwartungsgemäß der Klägerin recht. Die beklagte Stadt Wuppertal habe den nicht gewährten Urlaub des Erblassers mit einem Betrag iHv. 5.857,75 Euro brutto abzugelten. Die nach dem europäischen Unionsrecht gebotene Auslegung von §§ 1, 7 Abs. 4 BUrlG ergäbe, dass der Resturlaub auch dann abzugelten sei, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers ende. Daraus folge für die richtlinienkonforme Auslegung von §§ 1, 7 Abs. 4 BUrlG, dass die Vergütungskomponente des Anspruchs auf den vor dem Tod nicht mehr genommenen Jahresurlaub als Bestandteil des Vermögens Teil der Erbmasse werde. Besonders brisant ist, dass das BAG den Abgeltungsanspruch der Erben auch auf den Anspruch auf Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX aF sowie den Anspruch auf Urlaub nach § 26 TVöD, der den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt, erstreckt. Dem TVöD lasse sich nicht entnehmen, dass dem Erben das Verfallrisiko für den tariflichen Mehrurlaub bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Tod des Arbeitnehmers zugewiesen ist. Die Lage wird sich in vielen anderen Tarifwerken außerhalb des öffentlichen Dienstes nicht anders darstellen. Die Tarifvertragsparteien sind ebenso wie die Arbeitsvertragsparteien mithin aufgefordert, darüber nachzudenken, ob sie diese Rechtsprechung akzeptieren oder korrigieren wollen. Die Vorgaben der Richtlinie gelten nur für den gesetzlichen Mindesturlaub, nicht hingegen für den tariflichen oder arbeitsvertraglichen Mehrurlaub.

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