Loveparade 2010 - das letzte Kapitel des Verfahrens hat begonnen

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 06.02.2019
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Die wichtigste Nachricht heute ist nicht, dass das Verfahren Loveparade gegen sieben der Angeklagten nach § 153 StPO eingestellt wurde. Dies war spätestens seit dem 16. Januar abzusehen, einige Verfahrensbeteiligte haben die Vorbereitungen dazu schon weit früher wahrgenommen (vgl. früherer Beitrag). Die wichtigste Nachricht ist vielmehr, dass es (vorerst) weitergeht gegen die drei anderen Angeklagten.

Aber es wird wohl das letzte Kapitel werden in dieser langen Verfahrensgeschichte. Und ob es ein befriedigendes Ende nehmen wird, bleibt fraglich. Und auch wie lang dieses letzte Kapitel gegen die verbliebenen drei Angeklagten aus dem Lager der Veranstalterfirma Lopavent dauert, bleibt abzuwarten. Möglicherweise stimmen sie doch noch einer Einstellung zu, möglicherweise gibt auch die Staatsanwaltschaft nach und verzichtet auf Geldauflagen. Die absolute Verjährung tritt jedenfalls erst im Juli 2020 ein, und bis dahin fließt noch einiges Wasser den Rhein hinunter von der Düsseldorfer Messe durch einige Schleifen in Richtung Duisburg.

Aber Poesie beiseite: Die Verfahrenseinstellung war das Hauptmedienthema am heutigen Mittwoch, aber auch (einige) Nebenkläger und ihre Vertreter haben an diesem Tag die Chance genutzt, an die Öffentlichkeit zu gehen. Nachdem sich das naheliegende Ziel, dass überhaupt eine Hauptverhandlung stattfindet, viel zu spät verwirklicht hat, bleibt den Nebenklägern auch nur darauf hinzuwirken, dass in der verbliebenen Zeit bis zur Verjährung noch so viel wie möglich aufgeklärt wird. Bloße Gerüchte und Vermutungen über die Verantwortlichkeiten an dem Geschehen am 24. Juli 2010 sollen im Rückblick jedenfalls nicht überwiegen.

Ich bin heute nach Düsseldorf gefahren, um die Stellungnahme der Familie Mogendorf zu unterstützen und einem breiteren Publikum meine Stellungnahme zur Verfahrenseinstellung vorzustellen. Das dazu in einem Restaurant organisierte Pressegespräch war jedenfalls recht gut besucht.

Der Sohn der Mogendorfs kam bei der Loveparade 2010 ums Leben. Der Vater war als Bauingenieur früher u.a. mit der Errichtung von Veranstaltungsstätten befasst. Seine Expertise erlaubte es ihm, aus dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. Gerlach Informationen herzuleiten, die bislang in der Öffentlichkeit, auch nach über acht Jahren nicht bekannt geworden sind. Offenbar gab es gravierende Abweichungen zwischen den den Behörden vorliegenden Planunterlagen der Loveparade und den tatsächlichen Begebenheiten. Gerade an der Stelle, an der sich die Besucher dann stauten, am Rampenkopf, waren die Durchgangswege tatsächlich erheblich schmaler als auf den Planunterlagen. Zusammen mit den anderen eklatanten Abweichungen zwischen dem genehmigten Konzept und tatsächlichen Begebenheiten könnte dies auch die Fahrlässigkeitsschuld der (noch) Angeklagten betreffen.

Dies belegt für mich zudem auch einen wichtigen grundsätzlichen Aspekt: Die Berufsrichter und die Staatsanwaltschaft haben die Schuld der Angeklagten im Sinne des § 153 StPO als „gering“ oder jedenfalls im Sinne des § 153a StPO als reduziert angenommen. Begründet wurde diese Annahme zu einem erheblichen Teil mit einer zusammenfassenden Interpretation des sehr detaillierten Sachverständigengutachtens, das bisher noch nicht Gegenstand der Hauptverhandlung war. Das Gericht hat nun heute in seiner vollständigen Besetzung, also einschließlich der Schöffen, über die Einstellung entschieden, so wie es § 153 Abs.2 StPO vorsieht, obwohl die Schöffen die von den Berufsrichtern genannte Grundlage für die Entscheidung gar nicht selbst beurteilen konnten, da sie nicht über Akteneinsicht verfügen.

Das ist nach meiner Auffassung ein Verstoß gegen einen wesentlichen Grundsatz des Hauptverfahrens, nämlich dass die tatsächlichen Grundlagen einer Entscheidungsfindung in der Hauptverhandlung bereits erörtert worden sind.

Überhaupt verwundert es, dass der Sachverständige, nachdem er mit höchstem Aufwand ein schriftliches Gutachten verfasst hat, nun offenbar gar nicht mehr gehört werden soll. Die sinngemäße Begründung des Gerichts, die im Gutachten verwerteten Anknüpfungstatsachen machten eine (vorherige!) Anhörung von 575 Zeugen nötig, können jedenfalls andere Verfahrensbeteiligte mit Aktenkenntnis nicht ganz nachvollziehen. Diese Zeugenanzahl scheint im Gutachten nicht aufzutauchen. Und der Grundsatz, dass alle Anknüpfungstatsachen unbedingt VOR dem Gutachten eingeführt sein müssen, erscheint mir nachrangig gegenüber dem Grundsatz, dass die einer Entscheidung zugrundeliegenden Tatsachen ÜBERHAUPT in den Prozess eingeführt worden sein müssen.

Die Stellungnahme der Familie Mogendorf vom 6. Februar 2019 (dropbox, pdf-Dokument)

Meine ergänzende Stellungnahme vom 6. Februar 2019

Nur „geringe Schuld“ und „kein öffentliches Interesse“? (Artikel im FAZ Einspruch Magazin vom 13. Februar 2019, in dem die hier vertretene Position noch einmal ausführlicher begründet wird.)

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Links zu früheren Beiträgen und Diskussionen hier im Beck-Blog und weiteren wichtigen Informationen, die im Netz verfügbar sind:

Januar 2019: Loveparade 2010 - "The Art of the Deal" in der Hauptverhandlung? (ca. 6800 Abrufe)

November 2018: Loveparade Duisburg 2010 – die Mühen der Ebene in der Hauptverhandlung (ca. 4500 Abrufe)

September 2018: Loveparade Duisburg 2010 - nach mehr als acht Jahren: Gerlach-Gutachten belegt Ursachenkomplex mit Polizeibeteiligung (ca. 2200 Aufrufe)

Juli 2018: Loveparade 2010 in Duisburg - acht Jahre später (11 Kommentare, ca. 4100 Aufrufe)

März 2018: Loveparade 2010 - Der Gullydeckel/Bauzaun-Komplex in der Hauptverhandlung (11 Kommentare, ca. 4100 Aufrufe)

Dezember 2017: Loveparade 2010 - die Hauptverhandlung beginnt (69 Kommentare, ca. 11300 Aufrufe)

Juli 2017: Loveparade 2010 - sieben Jahre später: Hauptverhandlung in Sichtweite (61 Kommentare, ca. 7400 Aufrufe)

April 2017: Loveparade 2010 – OLG Düsseldorf lässt Anklage zu. Hauptverhandlung nach sieben Jahren (105 Kommentare, ca. 12000 Aufrufe)

Juli 2016: Loveparade 2010 - nach sechs Jahren noch kein Hauptverfahren (76 Kommentare, ca. 12100 Abrufe)

April 2016: Loveparade Duisburg 2010 - Fahrlässigkeiten, 21 Tote, keine Hauptverhandlung? (252 Kommentare, ca. 320000 Abrufe (mglw. Zählfehler)

Juli 2015: Fünf Jahre und kein Ende – die Strafverfolgung im Fall Loveparade 2010 (98 Kommentare, ca. 12500 Abrufe)

Februar 2015: Was wird aus dem Prozess? (72 Kommentare, ca. 10600 Aufrufe)

August 2014: Zweifel am Gutachten (50 Kommentare, ca. 10600 Abrufe)

Februar 2014: Anklageerhebung (50 Kommentare, ca. 17700 Abrufe)

Mai 2013: Gutachten aus England (130 Kommentare, ca. 18100 Abrufe)

Juli 2012: Ermittlungen dauern an (68 Kommentare, ca. 15600 Abrufe)

Dezember 2011: Kommt es 2012 zur Anklage? (169 Kommentare, ca. 33000 Abrufe)

Juli 2011: Ein Jahr danach, staatsanwaltliche Bewertung sickert durch (249 Kommentare, ca. 40400 Abrufe)

Mai 2011: Neue Erkenntnisse? (1100 Kommentare, ca. 41600 Abrufe)

Dezember 2010: Fünf Monate danach (537 Kommentare, ca. 29000 Abrufe)

September 2010: Im Internet weitgehend aufgeklärt (788 Kommentare, ca. 48000 Abrufe)

Juli 2010: Wie wurde die Katastrophe verursacht - ein Zwischenfazit (465 Kommentare, ca. 57400 Abrufe)

Ergänzend:

Link zur großen Dokumentationsseite im Netz:

Loveparade2010Doku

speziell: Illustrierter Zeitstrahl

Link zur Seite von Lothar Evers: DocuNews Loveparade Duisburg 2010

Link zur Prezi-Präsentation von Jolie van der Klis (engl.)

Weitere Links:

Artikelsammlung zur Loveparade auf LTO

Große Anfrage der FDP-Fraktion im Landtag NRW

Kurzgutachten von Keith Still (engl. Original)

Kurzgutachten von Keith Still (deutsch übersetzt)

Analyse von Dirk Helbing und Pratik Mukerji (engl. Original)

Multiperspektiven-Video von Jolie / September 2014 (youtube)

Interview (Januar 2013) mit Julius Reiter, dem Rechtsanwalt, der eine ganze Reihe von Opfern vertritt.

Rechtswissenschaftlicher Aufsatz von Thomas Grosse-Wilde: Verloren im Dickicht von Kausalität und Erfolgszurechnung. Über "Alleinursachen", "Mitursachen", "Hinwegdenken", "Hinzudenken", "Risikorealisierungen" und "Unumkehrbarkeitszeitpunkte" im Love Parade-Verfahren, in: ZIS 2017, 638 - 661.

Der Anklagesatz

Blog des WDR zur Hauptverhandlung (Berichte über jeden Prozesstag)

 

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56 Kommentare

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Es gehört sich nicht für einen Hochschullehrer, persönliche Rechtsansichten auf Universitätsbriefkopf zu verbreiten. Erst recht gehört es sich nicht (um das Mindeste zu sagen), Leuten Straftaten vorzuwerfen, für die sie nicht verurteilt worden sind und aller Voraussicht nach auch in Zukunft nie verurteilt werden.

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Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie einen solchen Unsinn wirklich so meinen, wie Sie es sagen. 

Ich habe keinem Angeklagten oder bisher Angeklagten persönlich eine Straftat vorgeworfen. Das schon deshalb nicht, weil es im Prozess zu einer Beweisaufnahme bezüglich der konkreten Handlungen/Unterlassungen der (bisherigen) Angeklagten gar nicht gekommen ist, was ich kritisiere.
Unter meinem Lehrstuhlbriefkopf darf ich selbstverständlich meine wissenschaftlich begründete Meinung kundtun.

Sie schreiben: "Aber es wird wohl das letzte Kapitel werden in dieser langen Verfahrensgeschichte. Und ob es ein befriedigendes Ende nehmen wird, bleibt fraglich." Wie wahr, wie wahr. 

Wollen wir hoffen, dass den restlichen drei Angeklagten ihr Lachen im Halse steckenbleibt und der Strafprozess doch noch Erkenntnisse zutage fördert, die dann doch noch für die zivilrechtliche Schiene verwertbar sind. 

Lachen? Woher haben Sie das denn? Dass die drei davon überzeugt sind, dass der Prozess für sie mit Freispruch endet oder zumindest durch Verjährung endet, kann ihnen wohl niemand vorwerfen.

Im Übrigen: Die Nebenklage sollte abgeschaft werden. Sie ist ein mittelalterliches Relikt und dem Strafprozess in keiner Weise förderlich.

Weiter: Strafprozesse dienen nicht der Aufarbeitung von ´Geschichte oder der Aufklärung von Geschehnissen. Sie dienen allein der Feststellung von strafrechtlicher Schuld und ihrer Rechtsfolgen unter den Gesichtspunkten von General- und Spezialprävention.

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Hallo Guest, Sie schreiben:

"Im Übrigen: Die Nebenklage sollte abgeschafft werden. Sie ist ein mittelalterliches Relikt und dem Strafprozess in keiner Weise förderlich. Weiter: Strafprozesse dienen nicht der Aufarbeitung von ´Geschichte oder der Aufklärung von Geschehnissen. Sie dienen allein der Feststellung von strafrechtlicher Schuld und ihrer Rechtsfolgen unter den Gesichtspunkten von General- und Spezialprävention."

Vor einigen Jahrzehnten konnte man so argumentieren, denn das Strafrecht hatte sich bis vor 50 Jahren tatsächlich sehr weit von der mittelalterlichen Privatverfolgung distanziert. Es hat sich jedoch seither durch viele gesetzliche Entscheidungen (mit demokratsischer Legitimation!) wieder in die Gegenrichtung entwickelt und Nebenklage wurde als Teil des Opferschutzes und damit als ein wichtiger Teil des modernen(!) Strafrechts re-etabliert. Mit Ihrer Meinung, der ich im Grundsatz durchaus gar nicht abgeneigt bin, sind Sie (und auch ich in gewisser Weise) inzwischen einfach unmodern, sagen wir: auf dem Stand der 1960er/1970er Jahre. Durch die deutliche und gesetzgeberisch gewollte Einbeziehung der Opfer durch ständige Ausweitung der Opfer- und Nebenklägerrechte wurden auch die klassischen Funktionen des Strafrechts und des Strafprozesses verändert, ob Sie (bzw. wir) das gut finden oder nicht. Sie (und ich) können also aufstampfen und darauf bestehen, dass es im Strafrecht NUR um die von Ihnen genannten Ziele geht, aber damit sind wir angesichts des geltenden Gesetzes ein bisschen "von gestern". Das, was die Nebenkläger heute einfordern, ist vom Gesetzgeber und damit vom Gesetz gewollt, und damit ist es auch legitim, diese Rechte offensiv geltend zu machen, wenn auf ihnen so offenkundig "rumgeritten" wird wie jetzt in Düsseldorf. Leider ist es so, dass Behördenangehörige und Polizeibeamte in dem gesamten Verfahren  von Staatsanwaltschaft und Gericht (jedenfalls von außen betrachtet) bevorzugt wurden und gerade für solche Fälle ist die Laienbeteiligung durch Schöffen und Nebenklage das gesetzlich vorgesehene Korrekturmittel. Und das ist nicht mittelalterlich, sondern modern.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Ich teile Ihre Auffassung, dass die Laienrichterbeteiligung durchaus modern ist. Wahrscheinlich haben Sie recht, dass der Gesetzgeber den Weg ein Stück zurück ins Mittelalter will; das muss man aber nicht gut finden und nicht fördern. Opferschutz ist ja durchaus wünschenswert, wenn er -z.B. durch das, was der Weiße Ring tut-sinnvoll ist, kostet es aber Geld, und da werden die Sparpolitiker sehr zurückhaltend... Das Instrument der Nebenklage kostet den Staat erstmal nichts. Das ist wie bei den fehlenden Wohnungen. Statt sozialem Wohnungsbau, der Geld kostet und tatsächlich etwas nutzt, macht man Pseudo-Mieterschutz, der den Staat nichts kostet, aber keine einzige Wohnung mehr schafft (eher das Gegenteil).

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Die LTO-Presseschau heute morgen:

LG Duisburg zu Loveparade: lto.de, focus.de, spiegel.de (Peter Maxwill/Lukas Eberle) und SZ (Benedikt Müller) berichten über die Einstellung des Prozesses am 101. Verhandlungstag gegen sieben der zehn Angeklagten. Drei weitere Angeklagte, deren Verfahren gegen eine Geldauflage in Höhe von 10.000 Euro auch hätte eingestellt werden können, hatten die Verfahrenseinstellung gestern abgelehnt. Gegen sie wird der Prozess ab kommenden Dienstag fortgeführt. In den nächsten Wochen sollen weitere Polizisten und Mitarbeiter des Veranstalters als Zeugen vernommen werden.

Die FAZ (Reiner Burger) lässt Angehörige zu Wort kommen und berichtet von bereits in der Planungsphase bestehenden Bedenken von Duisburger Verwaltungsmitarbeitern an der Eignung des Veranstaltungsortes und einem unzureichenden Antrag des Veranstalters. Auch der vorsitzende Richter Plein wird zitiert, dieser könne gut verstehen, dass für Opfer und Hinterbliebene juristische "Wendungen wie 'geringe Schuld' oder 'Wegfall des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung' Reizbegriffe seien."

Henning Ernst Müller (community.beck.de) kritisiert, dass Richter und Staatsanwaltschaft die Schuld der Angeklagten im Sinne des § 153 StPO als gering oder nach § 153a StPO als reduziert angenommen hätten und diese Annahme in erheblicher Weise auf einem detaillierten Sachverständigengutachten beruhte, das bisher nicht Gegenstand der Hauptverhandlung war und insbesondere den an der Einstellungsentscheidung beteiligten Schöffen, mangels Recht auf Akteneinsicht, unbekannt gewesen sei. Dies sei seiner Ansicht nach ein Verstoß gegen einen wesentlichen Grundsatz des Hauptverfahrens, nämlich dass die tatsächlichen Grundlagen einer Entscheidungsfindung in der Hauptverhandlung bereits erörtert worden sein müssen. Jörg Diehl (spiegel.de) hält es für empörend, wie wenig das Unglück politisch aufgeklärt wurde, er hätte einen Untersuchungsausschuss im Landesparlament für angebracht erachtet.

Verstehe ich das recht? Öffentlch werden schriftlich und mündlich wörtliche Passagen aus einem Gutachten - Verfahrensaktenbestandteil - verbreitet, die noch nicht in die öfentlich Hauptverhandlung eigeführt sind? Habe ich nicht aus der Ecke von Chemnitz gelernt, dass es da einen § 353d StGB gibt, zB Nr. 3 ?

Eine teleologische Reduktion und die analoge Anwendung des § 193 StGB sollten das Problem beheben. 

Die Stellungnahme der Familie Mogendorf wurde gestern im Gerichtssaal von Herrn Mogendorf (Nebenkläger) verlesen und damit auch Gegenstand der Erörterung in der Hauptverhandlung, vgl. Gesetzestext § 353d StGB.
 

Wann, um wieviel Uhr? Wann begann der Termin? Wann war die Erklärung an die Presse sammelverbreitet? Warum ist da eine "Sperrfrist" 10 Uhr angegeben? was auf Verteilung vorher schließen lässt??!! 

Auch ich finde Vieles gut, was Herr Fischer sonst so sagt, aber in diesem Fall kennt er sich nicht aus und sollte  lieber schweigen. Es kommt mir fast so vor, dass er nicht einmal weiß, dass das LG Duisburg bei dieser Hauptverhandlung  in Düsseldorf tagt. Die eigentlichen Probleme kennt er eben nicht, weshalb er versucht, die Fragen in sein System einzuordnen. Es ist da einfach nicht auf dem Niveau der Ereignisse und spricht von "Kleinigkeiten" und "Zufällen". Schade.

Henning Ernst Müller schrieb:

Auch ich finde vieles gut, was Herr Fischer sonst so sagt, aber in diesem Fall kennt er sich nicht aus und sollte lieber schweigen. Die eigentlichen Probleme kennt er eben nicht, weshalb er versucht, die Fragen in sein System einzuordnen. Es ist da einfach nicht auf dem Niveau der Ereignisse und spricht von "Kleinigkeiten" und "Zufällen". Schade.


Ich kenne einige der Sachverhalte recht gut, und finde die Einstufung "geringe Schuld" für alle 7 Angeklagten, deren verfahren jetzt eingestellt wurden, abenteuerlich.
Mir wird klar, welche Deutungsmacht Herr Plein und die anderen beteiligten Topjuristen haben. Sie werfen sich die Bälle ihrer juristischen Kompetenzen zu und reden jenseits der Tatsachen und der Beweisaufnahme.
Die Einwnde von Herrn Mogendorf sind ja durchaus konkret, die aufzuklärenden Sachverhalte überschaubar. Vielleicht greift die Kammer die Fragen ja auf. Das ist ja ausgerechnet durch die Einstellungen erheblich vereinfacht worden. Die vorher Beschuldigten müssen jetzt die Wahrheit sagen. Vielleicht ist das die Chance, die Beweisaufnahme noch vor der Verjährung ins Ziel zu bringen.

Herr Fischer meint, unser Strafrecht diene nicht der Rache/Vergeltung. Jedenfalls ich habe das mal anders gelernt - danach ist Vergeltung nur ein, aber auch ein Grund für das Strafrecht und für Strafe. Denn wenn der Staat nicht Rache übe, werde das der Bürger oder die Bürgerin tun - und der Staat sei eher in der Lage, eine proportionale Rache zu üben und zu verhindern, dass Rachespiralen entstehen.

Hat sich in der Strafrechtslehre dazu etwas geändert?

Ich respektiere Herrn Fischer fachlich wie persönlich in hohem Maße. Aber hier klingt er mir etwas zu entschuldigend, etwas zu vergebend. Natürlich begehen alle der 100 Fahrer dieselbe Fahrlässigkeit, und der eine hat nur Pech, dass ausgerechnet ihm das Kind vor's Auto gelaufen ist. Aber es ist eben nicht nur Pech - ohne die Fahrlässigkeit wäre das Kind nicht gestorben. Dieser Tod erfordert eine Reaktion.

Gerade im Straßenverkehr wird die ständige Fahrlässigkeit sehr vieler Verkehrsteilnehmer m. E. zu stark mit Erlaubtheit oder einer zu entschuldigenden Nachlässigkeit verwechselt. Wenn 100 Menschen fahrlässig Schusswaffen in einen Kindergarten abfeuern, und nur einer trifft zufällig ein Kind, würden wir da auch sagen, dass das halt Pech war und wir den armen Täter nicht bestrafen sollten?

Gänzlich verkorkst wird der Fall Loveparade m. E. aber dadurch, dass die Einstellung wegen geringer Schwere der Schuld hier - und das hat das Gericht hier m. E. eingestanden - als Einstellung wegen langwieriger Beweisaufnahme missbraucht wird. Wäre die Schuld auch gering, wenn die Täter ein Geständnis abgegeben und damit alle Beweisprobleme ausgeräumt hätten? Ich sage: nein. Sie hätten einen großzügigen Abschlag auf die Strafhöhe erhalten - aber eine Einstellung ohne Auflage? Nein.

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Das ist vermutlich ein Missverständnis und gemeint war wohl, "unser Strafrecht diene nicht der Rache/Vergeltung" allein.

In einem anderen Interview von Fischer heißt es auf die Frage "Was bringt Strafe?" auch:

"Strafe hat verschiedene Aufgaben; es sind ganz verschiedene Erwartungen zu integrieren: Vergeltungsbedürfnis der Geschädigten, Sicherungswirkung, ein hohes Maß an Demonstrationswirkung. Symbolische Bestätigung der Norm. Präventives Einwirken auf den konkreten Täter, Abschreckung potenziell anderer Täter. Diese Funktionen stehen in einem gespannten Verhältnis, sowohl im Einzelfall als auch allgemein."

https://www.freitag.de/autoren/jan-c-behmann/40-tagessaetze-fuer-den-weltuntergang

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Durchaus denkbar und würde dann mit meiner Erinnerung übereinstimmen. Auch wenn Vergeltung aber nur einer von mehreren Gründen ist, darf man ihn nicht ausblenden. Dem (nachvollziehbaren) Vergeltungswunsch der Hinterbliebenen von 21 Toten sowie der allgemeinen Öffentlichkeit wird eine Einstellung hier m. E. nicht gerecht.

Ganz offen: Wenn ich von solchen Entscheidungen lese, kocht in mir das Blut, und ein archaischer Teil meines Hirns wünscht sich, dass in Reaktion darauf jemand anderes totgetrampelt wird. Wenn das mir schon so geht, der ich örtlich, emotional usw. usf. weit entfernt stehe, will ich nicht wissen, was in den Betroffenen vorgeht. Und um diesen Zorn zu lindern, bietet der Staat in dieser Sache leider wenig an.
Mit dem Gewaltmonopol ist es aber leider wie mit Marken: Mangelnde Nutzung führt zu Rechtsverlust.

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@Leser, ich bin ganz bei Ihren archaischen Gedankengängen dran. Und ich bin lokal nicht weit entfernt, sondern ganz nah dran.

Am Donnerstag habe ich z.B. noch für für einen kurzen Moment an der Gedenkstelle im Tunnel verweilt, nachdem ich meine Post in unmittelbarer Nähe weggebracht habe.

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Es ist noch ein bisschen anders: Wegen der tödlichen Folgen im Straßenverkehr werden ja tagtäglich Leute wegen "Kleinigkeiten" (Unaufmerksamkeit für einen Augenblick)  und Zufällen (gerade in demselben Moment läuft jemand über die Straße) verurteilt, aber hier war es eben anders: Es wurde quasi sehenden Auges gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen, nicht nur zufällig und durch Augenblicksversagen.

"Das Gericht hat nun heute in seiner vollständigen Besetzung, also einschließlich der Schöffen, über die Einstellung entschieden, so wie es § 153 Abs.2 StPO vorsieht, obwohl die Schöffen die von den Berufsrichtern genannte Grundlage für die Entscheidung gar nicht selbst beurteilen konnten, da sie nicht über Akteneinsicht verfügen.

Das ist nach meiner Auffassung ein Verstoß gegen einen wesentlichen Grundsatz des Hauptverfahrens, nämlich dass die tatsächlichen Grundlagen einer Entscheidungsfindung in der Hauptverhandlung bereits erörtert worden sind." (Professor Müller s.o.)

Fehlt es dadurch nicht an einer prozessualen Voraussetzung für die Verfahrenseinstellung, das den Nebenklägern ausnahmsweise den Beschwerdeweg eröffnen könnte, weil die Unanfechtbarkeit sich doch nur auf die Ermessensentscheidung über die Einstellung nach 153 II StPO bezieht?

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Sehr geehrter Herr Kolos,

ich habe über diese Frage schon einige Tage nachgedacht und mir ist nichts richtig Durchgreifendes dazu eingefallen. Die Nebenkläger haben, wie auch niemand anders, gegen einen Beschluss nach §§ 153, 153a StPO keine Beschwerdemöglichkeit. Es wäre auch unlogisch, einerseits die Einstellung nicht von der Zustimmung der Nebenkläger abhängig zu machen, andererseits ihnen eine Beschwerdemöglichkeit zu gewähren. "Unanfechtbarkeit" bedeutet eben Unanfechtbarkeit, auch in förmlicher Beziehung. Für eine ausnahmsweise Beschwerdemöglichkeit fehlt dann die Rechtsgrundlage, oder holen Sie diese direkt aus der Verfassung? Woher kommt denn das Rechtsschutzbedürfnis, um formelle Fehler geltend zu machen, wenn den Nebenklägern zwar Vieles, aber keine materielle Einwirkungsmöglichkeit  auf den Einstellungsbeschluss zugestanden wird?

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Professor Müller,

vielleicht könnte man sich von dem Beschluss des OLG Hamm (also aus der Nachbarschaft des OLG Düsseldorf) vom 16.11.1999 -  3 Ws 638/99 - inspirieren lassen. Das LG Essen hatte das Verfahren nach 153 II StPO eingestellt, obwohl der Verfahrensgegenstand ein vorsätzliches Tötungsdelikt und damit ein Verbrechen war, die prozessualen Voraussetzungen für die Einstellung mithin fehlten. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Nebenklägers hielt das OLG Hamm für zulässig und begründet. Seine Entscheidung hatte das OLG sehr ausführlich begründet. Daraus nur einige wenige Auszüge:

"II. 1. Die Beschwerde der Nebenklägerin ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässig. Danach ist die Beschwerde gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug erlassenen Beschlüsse zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.
a) Der Einstellungsbeschluss der Strafkammer war für die Nebenklägerin zunächst nicht gemäß § 153 Abs. 2 S. 4 StPO der Anfechtung entzogen. Nach dieser Bestimmung ist der Beschluss, mit dem das Gericht das Verfahren gemäß § 153 Abs. 2 StPO wegen Geringfügigkeit einstellt, nicht anfechtbar. Die Bestimmung ist aber seit jeher dahin einschränkend ausgelegt worden, dass die Unanfechtbarkeit sich lediglich auf die Ermessensentscheidung über die Einstellung gemäß § 153 Abs. 2 StPO bezieht, die Beschwerde jedoch dann gegeben ist, wenn eine prozessuale Voraussetzung für die Einstellung fehlte etwa dann, wenn das Verfahren ein Verbrechen zum Gegenstand hat oder wenn eine erforderliche Zustimmung nicht oder nicht wirksam erklärt worden ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 153 Rdnr. 34; KK-Schoreit, StPO, 4. Aufl., § 153 Rdnr. 57; Heidelberger Kommentar-Krehl, 2. Aufl., § 153 Rdnr. 25; KMR-Müller, § 153 Rdnr. 19; Löwe-Rosenberg-Rieß, StPO, 24. Aufl., § 153 Rdnr. 79; LG Mönchengladbach, StV 1987, 335; OLG-Hamm NStE Nr. 1 zu § 153 a StPO; OLG Hamm, MDR 1971, 1027, 1028; OLG Celle NJW 1966 1329, 1330; OLG Saarbrücken, VRS 25, 205, 206).
b) Der Einstellungsbeschluss der Strafkammer gemäß § 153 Abs. 2 StPO ist für die Nebenklägerin auch nicht nach der für die Nebenklage geltenden Sonderbestimmung des § 400 Abs. 2 S. 2 StPO der Anfechtung entzogen."

"Der Senat kommt dagegen im Anschluss an die zuletzt zitierten Ausführungen von Rieß zu dem Ergebnis, dass § 397 Abs. 2 StPO a.F. und daran anschließend § 400 Abs. 2 S. 2 StPO jetziger Fassung weder nach ihrem Sinn und Zweck noch nach dem in den jeweiligen Gesetzgebungsmaterialien zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers dazu dienen sollten, dem Nebenkläger gegenüber einen Verbrechensvorwurf betreffenden Einstellungsbeschlüssen nach § 153 ff. StPO geringere Anfechtungsrechte als der Staatsanwaltschaft einzuräumen."

"Die historische und die teleologische Auslegung der Bestimmungen des § 397 Abs. 2 StPO a.F. und des § 400 Abs. 2 S. 2 StPO n.F. ergeben damit eindeutig, dass durch diese Bestimmungen das bereits vor der Neufassung des § 397 Abs. 2 StPO durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 09.12.1974 unbestrittene Anfechtungsrecht des Nebenklägers gegen Einstellungsbeschlüsse gemäß §§ 153 Abs. 2, 153 a Abs. 2 StPO, die entgegen den insoweit zwingenden prozessualen Voraussetzungen ergangen waren, nicht beseitigt werden sollte. Diese Auslegung entspricht auch im besonderen Maße der Intention des Opferschutzgesetzes vom 18.12.1986, die Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren zu verbessern und nicht etwa einzuschränken (vgl. BT-Drucks. 10/5305, S. 8 f)."

"Die so vom Gesetzgeber zutreffend gewichteten Interessen der Hinterbliebenen eines durch eine vorsätzliche Straftat Getöteten und die daraus insbesondere auch im Hinblick auf Art. 6 des Grundgesetzes gezogene Schlussfolgerung des damaligen Gesetzgebers, diesen Hinterbliebenen eine gesicherte verfahrensrechtliche Stellung zu verschaffen, lassen sich kaum mit der Erwägung in Einklang bringen, ihnen auch dann das der Staatsanwaltschaft zustehende Beschwerderecht gegen Einstellungsbeschlüsse nach § 153 Abs. 2; § 153 a Abs. 2 StPO zu versagen, wenn die Einstellung ungeachtet des Umstandes erfolgt, dass Verfahrensgegenstand nach wie vor ein vorsätzliches Tötungsdelikt und damit ein Verbrechen ist."

https://www.burhoff.de/rspr/texte/b_00001.htm

Besten Gruß

Waldemar Robert Kolos

 

Heute morgen in der LTO-Presesschau:

LG Duisburg - Loveparade: Heribert Prantl (SZ) fordert die Einberufung eines Untersuchungsausschusses zur Aufarbeitung der Schuld und des Versagens bei der Loveparade-Katastrophe 2010, bei der 21 Menschen starben. Schuld an der teilweisen Einstellung des Verfahrens ist aus seiner Sicht die ermittelnde Staatsanwaltschaft und nicht das Gericht.

Ich habe den Eindruck, egal was passiert und egal worum es geht, Prantl fordert immer einen UA. 

Das wundert mich etwas. Denn der Rechtsstaatsprantl hat ja stets alles gelöst und immer Recht.

12:05 Uhr – Eintrag: Schleusen draußen vor den Tunneleingängen zu bekommen. Auf der Westseite gab es schon früh extremen Andrang, und einige Besucher wurden aggressiv. Da war schon richtig was los............ Schon um 13.01 Uhr drohte die Vereinzelungsanlage an der Karl-Lehr-Straße durch den massiven Andrang der Raver zum ersten Mal überrannt zu werden. ........... In den folgenden Stunden gab es an fast allen Sperren fortlaufend Probleme. Zäune wurden eingerissen, Besucher gequetscht, Polizeibeamte gerieten in Notsituationen......... „Am späten Vormittag sind schon jede Menge Randalierer von der Polizei rausgepickt worden. Gegen Mittag hat eine Sanitätsstation schon Polizeischutz angefordert, es wurde jede Menge herumgepöbelt wobei Alkohol und Drogen wohl eher der Grund dafür waren als die unerträgliche Enge in den Massen. Im Gegränge schon vor den Kontrollen wurden volle Bierdosen in die Menge geschleudert, Limoflaschen geschüttelt und die Besucher damit geduscht etc etc
Schon Stunden vor Beginn torkelten total abgefüllte Teenies durch die Stadt/Menge .............. An der Kreuzung D’dorfer-/ Karl-Lehr-Str. fordert die Polizei über Lautsprecherwagen auf, nicht zu drängeln und erntet dafür Buh-Rufe. ...... Im westlichen Bereich ..äh.. im Moment großer Druck ..äh.. Zäune, Vorsperren werden versucht einzureißen. „Die ersten vereinzelten Flaschen- und Dosenwürfe in Richtung LauKw und in Richtung unserer Kräfte     Die Polizei fordert auf, Platz zu machen. Einige Besucher sind schon leicht angetrunken  - So, das ist also der Personenkreis, in dem die ach so gutbürgerlich ordnungsliebenden späteren Opfer  die ihnen gemäß erscheinende Verlustierung erwarteten. Jemand hat hier gesagt: "Mit dem Gewaltmonopol ist es aber leider wie mit Marken: Mangelnde Nutzung führt zu Rechtsverlust". Ja, de pflichte ich bei. An den Sperren: MP ud MG aufstellen, wer drückt, auf den draufhalten. Dann drückt der nicht mehr.

Es ist längst, und zwar seit 8,5 Jahren allgemeinkundig, dass die von Ihnen geschilderten Ereignisse nicht im Kausalzusammenhang stehen mit der ab 16.30 Uhr entstandenen Massenturbulenz im unteren Drittel der Rampe. Ich empfinde das als unlauteren und schon 2010 gescheiterten Versuch die Schuld am Tod der 21 und die Verletzung mehrerer hundert Besucher anderen Besuchern zuzuschieben. Und auch Ihre Gewaltphantasie am Ende ihres Postings zeigt mir, dass Sie kaum an einem fachlichen und sachlichen Diskurs interessiert sind.

 

Nun, ds Thema "Gewaltmonopol" wurde anderweitig 8.2. 14:14 Uhr hier vorgebracht. Nicht ohne Grund, meine ich. Den Schusswaffengebrauch rechtsstaatlicher Polizei als "Gewaltphantasie" zu denunzieren, ist schon originell. §10 Abs. 2 UZwG ist Teil geltenden Rechts. Jeden Kausalzusammenhang mit den späteren Todesfällen abzustreiten - steile These!  

Auch eine Polizeigewaltphantasie ist eine Gewaltphantasie. Und dass neben Ihnen noch ein anderer gewaltphantasiert macht die Sache nicht besser, eher schlimmer.

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Ich möchte mich dagegen verwahren, dass mein Kommentar zum Gewaltmonopol als Argument dafür angeführt wird, mit einem MG in eine Menge zu schießen. Mein Kommentar richtete sich gegen Selbstjustiz und Gewaltexzesse, nicht dafür, konkret für eine angemessene, zurückhaltende, sachliche Bestrafung durch den Staat statt der emotional aufgeladenen, nicht professionell durchgeführten, tendenziell exzessiven "Bestrafung" durch Angehörige oder gar Dritte.

Nur am Rande: Den Begriff "Gewaltphantasie" finde ich in diesem Zusammenhang ebenfalls problematisch, weil jedenfalls ich ihn eher als gewollte, bewusst initiierte Denkweise kenne, während ich oben eine ungewollte, auch durchaus ungeliebte Reaktion angesprochen habe. Das kann man bspw. Zorn nennen. Wenn A dem B unbeabsichtigt auf den Fuß tritt, mag der B auch den Willen verspüren, dem A eine 'reinzuhauen. Kinder tun das teilweise. Als Erwachsene haben wir gelernt, den Zorn zu beherrschen. Aber da ist er trotzdem noch. Und bei schärferen Vorfällen - 21 Toten statt eines schmerzenden Fußes - mag das einigen misslingen. Aber ob man das Zorn oder Gewaltphantasie nennt, dürfte Meinungsfrage sein.

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Im Prozess wurden bisher viele Polizeibeamten als Zeugen gehört. Diesen Zeugenaussagen und den präsentierten Sachbeweisen wie Lupus-Belegen und Videobildern war für mich deutlich zu entnehmen, dass die vor Ort eingesetzten Polizeiführer versucht haben, die Gefahren zu beheben, um die Besucher vor Schaden zu bewahren. Die Gründe, warum das nicht gelang bzw. nicht gelingen konnte, sind für Zuhörer deutlich erkennbar geworden: eine Versammlungsstätte, die nicht zu managen war/ fehlende Lautsprecheranlagen für Durchsagen/ zu wenig Ordner des Veranstalter/ zu wenig Polizeikräfte/ Zusammenbruch der technischen Kommunikation/ fehlende Organisation und Leitung der Veranstaltung/ etc. (Reihenfolge ohne Priorität) - eine Einführung des Gutachtens von Prof. Dr. Gerlach in den Prozess wäre einer sachlichen Diskussion sicher zuträglich.

Die als Zeugen vernommenen Polizeiführer wurden nicht gefragt, was denn aus ihrer Sicht hypothetisch nötig gewesen wäre, um die Veranstaltung sicher durchzuführen. Das ist auch richtig so. Zeugen sollen schildern, an was sie sich erinnern und nicht mutmaßen. Es wurde aber sehr deutlich, dass die Polizeiführer z.B. dringendst eine funktionfähige Kommunikation und die Möglichkeit von Lautsprecherdurchsagen zum Publikum benötigt hätten. Über längere Zeit war allen Beteiligten unklar, was man überhaupt machen kann, um die Situation zu entspannen. Die im Prozess abgespielten Telefonkonferenzen wirkten mich auf entsetzt und hilflos zugleich. Es wurden nicht die Besucher als bedrohlich wahrgenommen, sondern die Überfüllung bestimmter Bereiche der Versammlungsstätte. Die vom Veranstalter behaupteten Mechanismen der Zuschauersteuerungen funktionierten nicht. Die dann lageabhängig notgedrungen improvisierten Maßnahmen der Polizei führten nicht zum Erfolg. In keiner Zeugenaussage oder Sachbeleg tauchte auch nur die Idee oder Vermutung auf, man hätte Menschenleben retten können durch Gewalt bzw. Schusswaffeneinsatz. Ich bin mir sicher, die vernommenen Polizeiführer würden solche Vorschläge als völlig sinnwidrig und rechtswidrig zurückweisen. Im Gegenteil: die entsetzten Polizeibeamten hätten auf ihre unbenötigten Schusswaffen an diesem Tag gerne verzichtet für: 1. Rettungswege an den überfüllten Bereichen zur Evakuierung der Besucher 2. funktionierende Funkgeräte 3. Lautsprecher, um die Besucher geordnet in sichere Bereiche dirigieren zu können. Allen befragten Polizeibeamten nehme ich ohne jeden Zweifel ab, dass sie die Besucher retten wollten.

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Ist denn die Frage des Zustroms von Westen her thematisiert worden? Dass im momentanen System "Polizeiführer", die eventuell noch Karriere machen wollen, von Schusswaffen nicht reden (möchten), ist nach dem Systemzusammenhang selbsterklärend. Der Polizeipräsident von Köln hat ja Neujahr 2016 auch von harmlosen kleinen Begeisterungen mit Silvesterfeuerwerk und nur drei oder vier kleinen Rangeleien gesprochen. Ist doch alles ganz harmlos. Heitere Grundstimmung. Nein - der Hinweis auf das - notwendige - Gewaltmonopol des Staates ist mehr als zutreffend. Nur - die GEWALT muss eben auch ausgeübt werden. Durch den Staat und seine Organe. Und gegen Gewalt Nichtstaatlicher erst recht - erbarmungslos, durchgreifend, zweckerreichend. Gewiss in den Stufen der Erforderlichkeit. Aber eben - effektiv. Gilt nun ein Befehl - oder gilt er nicht? 

Dem im von Herrn Wnslow näher erörterte Anonymus "Leser" ist immerhin Rationalität zuzubilligen. Allerdings - wer redet denn von Bestrafung? Ich habe eher ordnungsrechtlich-polizeirechtlich gedacht, später dementsprechend auch $ 10 UZwG erwähnt. a) Da steht eine Sperre, erschtlich polizeiverursacht bzw. veranlasst. b) Die rechtsstaalich gebotene Verfhrensweise wär dann: laut und vermehmlich gegenüber dem gewaltbereiten besoffenen Pöbel verlautbaren: Stopp! Nicht über oder gegen die Sperre. c) Dreimal. d) Und dann , liebe Gutigutis? Wenn und da die doch dagegen anrennen und überwältigen? Konkret, concretissimo bttschön - wassoll die Polize tun? e) Wohl mindestens erst Wasserwerfer,  wenn da. Wenn aber nicht: die haben doch Dienstpistolen. Mir ist klar - im System des zeitgeistigen Gutigutitums bekommen Polizisten in Frankreich, wenn sie ziehen und  einen Verbrecher erschießen, einen Orden, in Deutschland ein Ermittlungsverfahren an den Hals. - Die Kröung de Gutigutitums ist dann wohl , zu Recht die schließlichen Todesfälle auf völlig aus dem Griff gekommenen Andrang zurückzuführen, diejenigen aber, die den Andrang (mit-)herbeigeführt haben - gewaltsam mindestens an der Westsperrung - reinzuwaschen. Warum eigentlich werdendie politischen tschedungsträger - etwa Rat  nicht verfolgt, die den Unsinn solch einer Pöbelversammlung nicht abgelehnt, sondern begeistert befürwortet haben? IN Bochum war man da klüger. Tote vorhergesehen oder gar gewollt hat da gewiss niemand, ist auch nicht Vorwurf. Es bleibt dabei: das Gewaltmonopol des Staates muss unverbrüchlich sein. Und ich habe keine Lust, unsere Polizisten in Person der auch nur geringsten persönlichen Gefahr auszusetzen. Der Rest ist Waffen- und Einsatztechnik. Wer als Gutiguti besser weiß, wie man das Durchbrechen von Horden besoffener Gewalttätiger verhindern kann, mag es darlegen. 

Eine Information für Interessierte:

In der vergangenen Nacht wurde ein Film im TV ausgestrahlt, in dem der Veranstalter Rainer Schaller sich auch zu seiner eigenen "Verantwortung" beim Loveparade-Unglück äußerte.

Hier zwei Ankündigungen dazu:

Doku zeigt: So verschlossen ist die Welt der Milliardäre

WR-vor 13 Stunden Die Filmemacher begleiten auch Rainer Schaller, Gründer von McFit, bei seinen Planungen, die Billig-Fitnesskette weiter auszubauen und mit ...

 

Ganz oben – Die diskrete Welt der Milliardäre

TV Spielfilm-vor 17 Stunden Rainer Schaller wurde mit seiner McFit-Kette zum Milliardär. Filmemacher Florian Opitz will von ihm und anderen Superreichen wissen, wie sie über Neid, Geld ...

Recht interessant m.E., wie er selber damit umgeht.

Die LTO-Presseschau schreibt heute morgen:

LG Duisburg – Loveparade: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch meldet Rechtsprofessor Henning Ernst Müller Zweifel an der Begründung der teilweisen Verfahrenseinstellung im Loveparade-Verfahren vor dem Landgericht Duisburg an. Formell sei fragwürdig, dass die Schöffen sich der Entscheidung der Berufsrichter ohne Kenntnis des schriftlichen Sachverständigengutachtens angeschlossen hätten. Inhaltlich müsse die bei der Entscheidung offenbar herrschende Vorstellung kritisiert werden, dass bei vielen Verursachern jeden nur eine geringe Schuld treffe. Auch die gerichtliche Annahme eines entfallenden öffentlichen Verfolgungsinteresses erscheine "unterkomplex" und wenig überzeugend.

Instruktiver Text. Lässt sich sowas auch in Vorlesungen einbauen?

Dadurch dass die Kammer die Einstellungsentscheidung auf das Sachverständigergutachten gestützt hatte, ohne das Gutachten durch Vernehmung des Sachverständigen in die HV eingeführt zu haben, dürfte sie außerdem das Gehörrecht der Nebenkläger verletzt haben. Den Nebenklägern wurde dadurch die Möglichkeit genommen, den Sachverständigen zu seinem Gutachten zu befragen und auf ein anderes (abweichendes) Ergebnis hinzuwirken, als es im schriftlichen Gutachten noch Ausdruck fand, das der Sachverständige (auf ausdrücklichen Hinweis der Kammer) aber nach Aktenlage erstellen musste.

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Allerdings haben am Rechtsgespräch auch die Nebenklagevertreter teilgenommen und sie erhielten eine Stellungnahmefrist bis zur gerichtlichen Entscheidung. Jedenfalls soweit das Sachverständigengutachten in seiner schriftlichen Vorab-Form in den Akten enthalten war und in dr Entscheidung verwertet wurde, wurden Nebenkläger und ihre Vertreter gehört. Das ergibt sich auch aus der Stellungnahme des Nebenklägers Mogendorf, der ja auch auf das Sachverständigengutachten Bezug genommen hat. Auf die mündliche Erstattung des Gutachtens in der Hauptverhandlung konnte ja niemand eingehen und dazu Fragen stellen, da sie bislang gar nicht stattgefunden hat. Kann man dann tatsächlich von einem Gehörsverstoß sprechen?

Ich würde es zumindest versuchen wollen, zumal sich ein solcher Angriff mit Ihrem Hauptkritikpunkt deckt, wonach das Gericht die weitere Aufklärung des Sachverhalts viel zu früh eingestellt hat. 

Durch mündliche Erstattung des Gutachtens in der Hauptverhandlung wird rechtliches Gehör in deutlich weiterem Umfang und in anderer Art gewährt als bloß durch Teilnahme der Nebenklagevertreter am Rechtsgespäch außerhalb der Hauptverhandlung und Gewährung einer Stellungnahmefrist zu dem in den Akten befindlichen Gutachten in schriftlicher Vorab-Form. In die Hauptverhandlung eingeführt wird das Gutachten erst durch die mündliche Erstattung in der Hauptverhandlung. Die Einführung in die Hauptverhandlung ist keine bloße Formalität. Sie stellt die Einhaltung des Mündlichkeitsgrundsatzes sicher und macht das Beweismittel der Entscheidungsfindung zugänglich. Zugleich wird aber auch der Anspruch auf rechtlichtliches Gehör nach Umfang und Form ausgestaltet. Verwertet die Kammer im Einstellungsbeschluss Unterlagen, die nicht in die Hauptverhandlung eingeführt wurden, dann dürfte darin nicht nur Verletzung des Mündlichkeitsprinzips, sondern zugleich auch die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegen. (In Bezug auf die Schöffen dürfte der Grundsatz der Unmittelbarkeit verletzt sein.)

Auch für das Urteil gilt: "Gründet das Gericht seine Überzeugung auch auf Tatsachen, die nicht Gegenstand der Hauptverhandlung waren, zu denen sich also der Angeklagte dem erkennenden Gericht gegenüber nicht abschließend äußern konnte, so verstößt das Verfahren nicht nur gegen § 261 StPO, sondern zugleich auch gegen den in § 261 StPO zum Ausdruck kommenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 1967 - 2 StR 544/67, BGHSt 22, 26, 28 f.)" (BGH Beschluss 21.01.16 - 2 StR 433/15, Rn. 11). Ich denke, zu diesem Ergebnis gelangt man nur, weil der Grundsatz der Mündlichkeit in 261 StPO drin steckt.

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Die bisweilen als hochheilig angesehene "Mündlichkeit", gerade des gesprochenen Wortes, verdient kritische Überprüfung. Mindestens a) im Prozess  (4.500 Seiten vorlesen?), b) notarielle Beurkundung ( ebenso)  c) Parlamente ( "parlare" - nur reden? in unserem sog. visuellen Zeitalter? ). Zu letzterem: vor anderthalb Wochen habe ich zwei brillante junge Leute ( eine Dame, einen Herrn) im Alter von je 23 kennengelernt. Beiden habe ich jeweils gesagt: "Wissen Sie, was Sie von Kardinalerzbischof Marx und Frau Dr. Merkel unterscheidet? - ............. ?? - Sie (!!, betont !!) können frei reden." 

Wenn es heißt:

"Die bisweilen als hochheilig angesehene "Mündlichkeit", gerade des gesprochenen Wortes, verdient kritische Überprüfung. Mindestens a) im Prozess  (4.500 Seiten vorlesen?),"

ist offenbar meine Argumentationslogik nicht verstanden worden: Gerade weil es (schriftlich) 4500 Seiten sind, durften die Schöffen nicht einfach übergangen werden, indem die Kurzversion des Vorsitzenden (4 Seiten) zum Hauptinhalt der Argumentation für "geringe Schuld" wurde. In der mündlichen Fassung des Sachverständigenbeweises (dies ist ein persönliches Beweismittel) werden eben nicht 4500 Seiten vorgelesen oder vorgetragen. Insofern dient das Mündlichkeitsprinzip auch einer Komplexitätsreduktion, die durch die - gezielte - Fragemöglichkeit an den Sachverständigen in begrenztem Maße ausgeglichen wird. Ob man de lege ferenda in solchen Fällen einen Aktenprozess vor (ausschließlich) Berufsrichtern einführen sollte, ist eine andere Frage, die jedenfalls für den hiesigen Prozess keine Rolle spielt. Und die übrigen Anmerkungen sind weit jenseits unseres Themas.

 

Loveparade-Prozess in Duisburg: Ex-Angeklagter zeigt Richter an

https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/duisburg-loveparade-angeklagter-richter-anzeige-100.html

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Es gibt ganz generell in den letzten Jahren eine Menge von "Strafanzeigen", bei denen ein ernsthafter Anfangsverdacht nicht besteht. Faustregel fast: Was in  die Presse gegeben wird. Eine rechtsstaatlich angemessene Antwort auf solches Verhalten gibt es bisher nicht. Mir würde Logik sagen: 1) Strafnanzeige ist ein rechtsstaatlich zwecks Strafverfahren gegebenes Mittel. 2.) Wer es statt dessen oder ergänzend "in die Presse" oder sonst in die Öffentlichkeit gibt, verfolgt einen zweckwidrigen (weiteren) Zweck. 3.) Dann sollte er daran gemessen werden. 4.) Falls die "Anzeige" sich als haltlos erweist ( zB kein Anfangsverdacht, oder auch: nach Verfahren Freispruch) - dann sollte der "Anzeigerstatter" verpflichtet werden, auf eigene Kosten breitflächig über genau dieses Ergebnis ebenso öffentlich Mitteilung zu machen. 

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