Nichtigkeit des "Mietendeckels" - und jetzt drohen Kündigungen und Räumungen

von Dr. Michael Selk, veröffentlicht am 18.04.2021

Für viele Beobachter wenig überraschend hat das Bundesverfassungsgericht den Berliner "Mietendeckel" mit Beschluss vom 25.3.2021, veröffentlicht am 15.4.2021  (1 BvL 1/20 ua) für nichtig erklärt. Die Entscheidung ist mit 7:1 Stimmen  hinsichtlich der Begründung und im Ergebnis einstimmig, also deutlich ausgefallen - der Senat stützt seine Meinung auf die fehlende Kompetenz des Berliner Senats (Art. 74 I Nr.1 , Art. 72 I GG) und verweist auf die Bundeskompetenz des Gesetzgebers. 

Glaubt man den Quellen, sind ca. 40.000 Berliner Mieterinnen und Mieter nun zur Nachzahlung der zu Unrecht gekürzten Mieten verpflichtet. Diesen droht im schlimmsten Falle die Obdachlosigkeit, sofern sie nicht sofort die offenen Mieten nachzahlen.

Die Mieten sind gem. § 286 II Nr. 1, § 556b I BGB spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats (vollständig) zu zahlen. Der Umstand, dass  aufgrund eines zwischenzeitlich zunächst in Kraft getretenen Gesetzes die Pflicht zur vollständigen Zahlung aufgehoben war, ändert am eingetretenen Verzug nichts, der durch die Erklärung des Gesetzes für nichtig spätestens mit der Bekanntmachung des Beschlusses des BVerfG wieder auflebt. Insbesondere bedarf es keiner Mahnung des offenen Betrags mehr, da Verzug laut §§ 286 II Nr. 1 BGB eben ohne Mahnung eintritt. 

Die Nichtigkeitserklärung durch das BVerfG wirkt ex tunc, also rückwirkend auf den Moment des Rechtsverstoßes an (ganz h.M., vgl. nur BeckOK BVerfGG/Karpenstein, § 78 Rn 7 mwN). Gesetze sind also unwirksam mit dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an - damit haben die Normanwender so zu tun, als hätte es nie das "Mietendeckelgesetz" in Berlin gegeben.

Sind also jedenfalls ab dem 15.4.2021 ca. 40.000 Mieterinnen und Mieter in Berlin im Verzug und übersteigt der Mietrückstand mehr als eine (§ 573 I BGB) bzw. zwei (§§ 543, 569 BGB) Monatsmieten, so drohen ihnen ab sofort wirksam fristgemäße bzw. fristlose Kündigungen wegen Zahlungsverzugs. Auf den BGH können sie sich nicht verlassen - das Erfordernis des "Verschuldens" i.S.d. Verzugs gem. § 286 BGB wird vom VIII. Zivilsenat dort sehr streng gesehen. Anwaltliches Beratungsverschulden müssen sich Mieterinnen und Mieter zudem gem. § 278 BGB zurechnen lassen (vgl. nur BGH NZM 2012, 637). Und in sehr ähnlichen Fällen (Wegfall des Zurückbehaltungsrechts des Mieters nach erfolgter Mängelbeseitigung durch den Vermieter und Aufleben der Zahlungspflicht) hat der VIII. Zivilsenat eine Pflicht zur unverzüglichen Zahlung des Rückstands gesehen (BGH BeckRS 2014, 18459). 

Die Presseerklärung des Berliner Senats zu dem Beschluss des BVerfG lässt indes besorgen, dass man dort den Ernst der Lage nicht ganz verstanden haben dürfte. Dort heißt es: "Im Senat werden wir am Dienstag über die Konsequenzen aus dem Urteil beraten. Dabei sieht sich der Senat auch in der Verpflichtung, sozial verträgliche Lösungen für Mieterinnen und Mieter zu entwickeln."

Es scheint, als wäre dem Senat die oben geschilderte existentielle Problematik auch in zeitlicher Hinsicht unbekannt. Sofern hier suggeriert wird, man wolle den Mieterinnen und Mietern in den kommenden Wochen helfen, aus der vom Senat verursachten Bredoullie herauszukommen, dürfte es für viele bereits zu spät sein. Denn bekanntlich gilt die Heilungsvorschrift der Nachzahlung offener Mieten binnen zwei Monaten nach Rechtshängigkeit der Räumungsklage in § 569 III Nr. 2 BGB nicht für fristgemäße Kündigungen. Und zudem warten viele Vermieterinnen und Vermieter nicht einfach zu, bis das Geld eingegangen ist, sondern kündigen - und mit dem Zugang der Kündigung beginnt dann das kaum abwendbare Unheil. In den FAQ  der Seite des Senats ist dann immerhin davon die Rede, "im Zweifel" solle man unverzüglich die offenen Mieten anweisen, man könne aber auch ein Gespräch mit dem Vermieter suchen. Dieses zu suchende Gespräch allerdings könnte für viele die Obdachlosigkeit bedeuten, wenn hier wichtige Zeit verloren geht - es kann sich um Stunden, gar Minuten handeln. 

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25 Kommentare

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Ein Problem gibt es wohl nur, wenn die Miete ausschließlich qua Gesetz geändert wurde. Wenn die Miete wegen des Mietendeckels gar nicht erst erhöht wurde, sehe ich gar kein Problem. Wenn die Miete wegen des Deckels privatautonom gesenkt wurde, sehe ich auch kein Problem. Das gilt auch, wenn man sich privatautonom geeinigt hat.

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In der deutlich überwiegenden Anzahl der Sachverhalte dürfte die erste von Ihnen genannte Fallgestaltung vorliegen. Für die anderen Fallkonstellationen dürfte eine salvatorische Klausel hinsichtlich der, mittlerweile entschiedenen, Verfassungsmäßigkeit des Berliner Mietendeckels in den "neu" abgeschlossenen Verträgen enthalten sein (Schattenmiete), weswegen es auch bei diesen Sachverhalten "ein Problem geben" dürfte.

Letztlich ist also die Frage ob die "privatautonom vorgenommene Mietsenkung", unabhängig von der Frage ob im Zuge des Vertragsschlusses oder erst im Nachgang, mit einem Vorbehalt versehen wurde. 

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Mit "unbändigem" Respekt vor jenen Judikateuren in Karlsruhe nehme  ich wahr, dass solche Erkenntnisse  nicht  bis zum Eilbeschluss vom 28.10.2020 erwachsen konnten. 

Ich denke: Trotz der Ex-Tunc-Wirkung des BVerfG-Verdikts fehlt es für bis zum Tag der Verkündung nicht gezahlte Miete am Verschulden. Und: Ziemlich häufig haben Vermieter ihren Mietern gesagt: Wenn der Mietendeckel kippt, werde ich nach dem Gesetz gekürzte Miete nachfordern und ist sie dann innerhalb von zwei oder vier Wochen zu zahlen. Wo sie das gesagt haben, gilt das dann auch. Gefährlich sind in der Tat Vertragsverhältnisse, bei denen der Vermieter nichts in der Art gesagt hat oder er schon klar gemacht hat: Die Nachzahlung ist sofort fällig, wenn der Deckel weg ist. 

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Wie gesagt: mit der Verkündung des Beschlusses aus Karlsruhe plus "unverzüglich" liegt sodann das Verschulden vor.

Verzug brucht Fälligkeit. Fälligkeit braucht neben Mahnung/Kalendermäßiger Bestimmung auch Bestimmtheit der Höhe nach. In vielen Fällen wird die nicht gegeben sein, denn woher sollen Mieter in dem Regelungsdickicht aus Bremse, Deckel usw. wissen, um wieviele Euro und Cent sie bisher "zu wenig" gezahlt haben?

Und notfalls muss hier § 242 BGB vor Kündigung schützen. Gekündigt werden soll der Schluri, der nicht zahlt . nicht der rechtstreue Mensch, der das zahlt, was gesetzlich vorgeschrieben ist.

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I.d.R. dürfte sich aus dem Mietvertrag (Stichwort: Schattenmiete) und / oder aus dem zeitlichen Zusammenhang ergeben, ob und in welchem Umfang ein Verzug vorliegt. Das Jemand weder vom Mietendeckel noch dessen Verfassungswidrigkeit gewußt haben will, kann man Angesichts des Umfangs der Medienberichterstattung und dem Umstand das die Vermieter eben unter Hinweis auf den Mietendeckel die Miete senken mussten, schlicht nicht ausgehen. Das erscheint doch einigermaßen Lebensfremd.

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Nein, das sehe ich nicht so. Bis wann soll denn welche Einwendung aus § 242 BGB wirken? Es hängt alles am Merkmal des Vertretenmüssens im Rahmen des Verzugs - und dann gilt der alte Satz "Geld hat man zu haben" wieder. Das wird nach meiner festen Überzeugung der VIII. Zivilsenat des BGH da kaum anders sehen. 

Ich würde an unserer Rechtsordnung verzweifeln, wenn eine Kündigung bestätigt würde, nur weil jemand ohne Zahlungsaufforderung nicht gleich zahlt (vielleicht gar nicht weiß, wieviel, s.o.), sondern das Gespräch sucht oder eben zunächst auf Aufforderung wartet.

Nach der Zahlungsaufforderung nicht zu zahlen ist natürlich ein Problem. Und nicht jeder wird brav Rücklagen gebildet haben. Aber das ist jedenfalls dogmatisch ein anderes Problem.

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Berlin könnte ja mal wieder ein neues Gesetz erlassen, das Erste Mietendeckelnichtigkeitskündigungsverbotsgesetz (MiDeNiKüVG)...
 

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Normalerweise kann ein Zahlungsverzug iHv 2 Monatsmieten ja nur dadurch zustande kommen, dass man über Monate hinweg seine Miete nicht (vollständig) bezahlt. Wer das tut, hat Zahlungsschwierigkeiten oder allgemeine Unlust und da ist eine Kündigung schwerwiegend, aber irgendwann zumutbar.

Eine Kündigung, weil man ohne Zahlungsaufforderung nach Gesetzesaufhebung nicht "unverzüglich" gezahlt (sondern das Gespräch gesucht oder noch zwei Tage gewartet hat), wäre aus meiner Sicht eine grob unverhältnismäßige Folge eines nachvollziehbaren Verhaltens.

Wenn ein Fall vorliegt, in dem der Verzug kalendermäßig ohne Mahnung eintritt, weil der Betrag der Höhe nach feststeht, muss aus meiner Sicht Art. 13 GG derart in § 242 BGB "ausstrahlen", dass man vor einer Kündigung eine Zahlungsaufforderung mit angemessener kurzer Frist erwarten darf. Wer dann keine Rücklagen hat, mag vom Sozialamt einen Vorschuss, Kredit oder wasauchimmer bekommen. Aber Obdachlosigkeit wegen einer wenige Tage dauernden, nicht angemahnten Verzögerung (nur wegen Vertrauens in ein Gesetz) wäre grob unverhältnismäßig. Sollte die Rspr so etwas anrichten, sollten die Mietervereine mMn den Gang vors BVerfG unterstützen.

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Ich sehe zwischen dem ersten und zweiten Schverhalt keinen Unterscheid. Der Gesetzgeber unterscheidet bewußt hinsichtlich des Verzugs nicht nach dessen Ursachen. Insofern kann denn auch nicht "Art. 13 GG in § 242 BGB ausstrahlen", weil Art. 13 GG einen bestimmten Schutzbereich eröffnet. Dieser Schutzbereich umfasst aber nicht wie von Ihnen intendiert. Deshalb ja eben der Hinweis von Herrn Dr. Selk.

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Tangiert ist tatsächlich, da auch der Besitz unter Art. 14 GG fällt, die Eigentumsgarantie (nicht Art. 13 GG, so die h.M.). Die Kündigungsregelungen sind Inhalts- und Schrankenbestimmungen, die - so ebenfalls das BVerfG - verhältnismäßig sind. Die Anwendung obliegt dann den Tatgerichten. Wie gesagt: ich kann nicht erkennen, wie § 242 BGB hier die Mieter idR "retten" soll.

Ja, Art. 14 sicher auch. Ich meinte irgendwo gelesen zu haben, dass auch die Wertentscheidung des Art. 13 (Wohnung als existenziell wichtige Grundlage der Lebensführung) mit berücksichtigt werden kann. Und sicherlich ist die Kündigungsregelung an sich verfassungskonform. Nur ihre Anwendung kann - so meine subjektive Wertung - schief werden, wenn jemand die Wohnung aus dem hier diskutierten Grund verliert. Da dieser Grund neu ist, hatte das BVerfG auch noch keine Gelegenheit, sich dafür oder dagegen zu entscheiden.

Hat der Mieter auch nach Treu&Glauben wirklich nicht das Recht, dass in diesem speziellen Fall vor einer Kündigung noch mal eine Zahlungsaufforderung eingeht? Ist es dem Vermieter wirklich weniger zumutbar, eine Zahlungsaufforderung zu verschicken, als eine Kündigung? Es ist mein subjektiver Eindruck vom GG, dass das so nicht sein sollte. Wären Bedeutung und Tragweite der Grundrechte aus 14/13, wirklich ausreichend berücksichtigt, wenn der BGH eine Kündigung ohne Zahlungsaufforderung bestätigen würde? Ich meine nein. Und die Frage ist im Fall der Fälle wichtig genug, sie vom BVerfG klären zu lassen.

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Ein interessanter Aufsatz in LTO, der davon ausgeht, dass die vereinbarten "Schattenmieten" unwirksam seien:

https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/mietendeckel-bverfg-gekippt-rechtslage-ansprueche-schattenmiete-rueckzahlung/

Abgesehen davon, dass man zig mal darauf hingewiesen wird, welche Geschlechter dem Autor bekannt sind (Argh!!), ein für mich überraschender Gedanke: ich hätte gedacht, man kann eine höhere Miete an die Bedingung der späteren Nichtigerklärung des Gesetzes knüpfen. Dass das eine Mieterhöhnug sein soll, hätte ich nicht gedacht.

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Mir scheint die bei LTO dargestellte Sicht der Dinge eher Recht der digitalen Wirtschaft sowie Energiewirtschaftsrecht (EWIR) als Mietrecht zu sein. Ich habe in dem Artikel jedenfalls keinen überzeugenden Grund dafür gefunden, warum die Schattenmiete nicht die vereinbarte Miete sein können soll und der Vermieter auf den die gedeckelte Miete übersteigenden Teil auflösend bedingt mit der Nichtigkeit des Berliner Gesetzes verzichtet haben soll. Klar: Die Schattenmiete muss den Regelungen über die Miethöhe im BGB entsprechend. Ausgangspunkt für die Prüfung einer Mieterhöhung ist aber nicht die Mietendeckel-Miete, sondern die letzte vorher vereinbarte Miete. Klar: Ganz sicher wird es Vermieter geben, deren Erklärungen als Anlass des Mietendeckels als Absenkung der Miete zu verstehen sind, die dann durch Zustimmung des Mieters, die dem Vermieter nicht zugehen muss, als einvernehmliche Änderung der Miete erscheinen und gilt diese dann über das Ende des Mietendeckels hinaus. Die sind aber nicht so häufig, vermute ich. 

Die Vermieter werden kaum in großem Umfang kündigen. An einer Diskussion um einen Bundes-Mietendeckel haben sie angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl und deren möglichen Ausgang sicher kein Interesse.

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Denken Sie wirklich ernsthaft, dass die Berliner Vermieter so weit denken und planvolle Zurückhaltung üben? Ich fürchte eher, dass die Gier wie immer siegt...

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Wenn Hr. Selk Recht hat, dann werden vor allem die kündigen, die ihren Mieter sowieso schon immer loswerden wollten. Tatktische Zurückhaltung würde ich institutionellen Vermietern zutrauen, es sei denn, das schnelle Geld ist wichtiger.

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Immerhin will ein Großvermieter in zahlreichen Fällen auf die Nachforderungen verzichten. Warten wir also mal ab.

Ich hoffe alle diese Mieter werden fast gleichzeitig aus ihren Wohnungen geworfen und sich dann in ihrer VERZWEIFLUNG und OHNMACHT, in ihrem ZORN UND HASS entscheiden in die Wohnviertel ihrer AUSBEUTER und UNTERDRÜCKER einzufallen, um dort alles restlos in SCHUTT UND ASCHE zu legen.

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Herrn Hammerlein 05-15   01:34 Uhr, würde ich insoweit zustimmen, als man in einem Rechtsstaat hoffen kann, dass räumungspflichtige ExMieter und Nochrechtswidrig Besitzer  wirklich effektiv aus "ihren" Wohnungen geworfen werden. "Verzweiflung und Ohnmacht" treffen ja bislang durchgängig die berechtigten Vermieter, wenn sie das materielle und vollstreckungsmäßige Räumungsschutz"recht" betrachten. Vor allem bei Mietnomaden und Zahlungsrückständlern wäre, auch angesichts klarer Beweislage, erstrebenswert: Räumungsantrag, in 1 Woche Gerichts-Termin ,mündliche Verhandlung; prüfen: Höhe geschuldeter Mietzins,  wieviel gezahlt? Wenn Defizit: am Ende des Termin: Titulierung. Räumung, binnen 7 Tagen effektiv vollstreckt.

Die LTO-Presseschau:

Mietendeckel: Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) erklärte gegenüber dem Mo-Hbl (Heike Anger/Dietmar Neurer), warum sie es für nicht zwingend erforderlich hält, im Bundesrecht die Einführung von regionalen Mietendeckeln zu ermöglichen. Schließlich seien bereits viele Maßnahmen getroffen worden, etwa die Verschärfung der Mietpreisbremse oder die Einschränkung der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. 

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