Übersetzungsagenturen und Eilzuschläge

von Peter Winslow, veröffentlicht am 31.01.2022

Hatten Sie schon mal eine Übersetzungsagentur mit einer Eilübersetzung beauftragt? Haben Sie sich schon mal gefragt, wie Übersetzungsagenturen Eilübersetzungen berechnen? wie die Margen vielleicht aussehen könnten? In diesem Fall zahlt man in aller Regel mehr für eine Übersetzung. Ist das gerechtfertigt?

In aller Regel möchten Übersetzungsagenturen eine Marge zwischen 40% und 60% pro Übersetzungsauftrag erzielen (siehe bspw. hier und hier); Gemeinkosten müssen gedeckt, Verkaufsprovisionen erzielt, Projektmanagement-Leistungen vergütet und etwas Gewinn eingepreist werden.* Schauen wir uns ein erfundenes Beispiel an, das heißt: ein Beispiel, bei dem die Zahlen frei erfunden sind, aber bei dem man trotzdem den Witz sehen kann. Wenn man die erfundenen Werte gegen wirklichen austauschte, stimmte die Berechnung dann wirklich.

Ein Beispiel: fifty-fifty

Die Übersetzungsagentur – Firma, ich weiß es nicht, vielleicht »Die besten Übersetzungen auf Erden GmbH« – berechnet ihrer Kundschaft 0,10 EUR pro Wort als Basishonorar und gewährt wiederum externen Übersetzer:innen ein Basishonorar in Höhe von 50% des der Kundschaft berechneten Basishonorars, also: 0,05 EUR pro Wort. Für eine Übersetzung von 10.000 Wörtern erhält Die besten Übersetzungen auf Erden GmbH 1.000,00 EUR, zuzüglich der geltenden Umsatzsteuer, die Übersetzerin oder der Übersetzer 500,00 EUR, zuzüglich der geltenden Umsatzsteuer.

Entsprechendes gilt bei Eilübersetzungen. Bei Eilübersetzungen berechnet Die besten Übersetzungen auf Erden GmbH einen Eilzuschlag und gewährt einen Eilzuschlag. Ihrer Kundschaft berechnet sie einen Eilzuschlag in Höhe von 50% des Basishonorars oder 0,05 EUR pro Wort. Der Gesamtwortpreis beträgt also 0,15 EUR (= 0,10 EUR pro Wort als Basishonorar + 0,05 EUR pro Wort als Eilzuschlag). Ihren externen Übersetzer:innen gewährt Die besten Übersetzungen auf Erden GmbH wiederum einen Eilzuschlag in Höhe von 50% des Basishonorars oder 0,025 EUR pro Wort. Der Gesamtwortpreis beträgt also 0,075 EUR pro Wort (= 0,05 EUR pro Wort als Basishonorar + 0,025 EUR pro Wort als Eilzuschlag). Bei einer Eilübersetzung von 10.000 Wörtern erhält Die besten Übersetzungen auf Erden GmbH 1.500,00 EUR, zuzüglich der geltenden Umsatzsteuer, die Übersetzerin oder der Übersetzer 750,00 EUR, zuzüglich der geltenden Umsatzsteuer.

Kein Stundensatz, sondern Prozentsatz

Nun erhält Die besten Übersetzungen auf Erden GmbH eine Anfrage für eine Eilübersetzung. Der Verkauf teilte der Kundin, einer Rechtsanwaltskanzlei, im Vorfeld und wahrheitsgemäß mit, dass der von der Kundin gewünschte Liefertermin lediglich eine Übersetzung des Ausgangstextes zulässt und dass die Übersetzung eilbedingt keiner Qualitätssicherung unterzogen werden kann (nach dem Motto: Wenn keine Zeit ist, ist eben keine Zeit). Die Kundin ist damit einverstanden und Die besten Übersetzungen auf Erden GmbH schickt ihr ein Angebot, in dem die oben genannten Zahlungsbedingungen (Basishonorar, Eilzuschlag) gesondert ausgewiesen sind. Nun entscheidet sich die Kundin dafür, Die besten Übersetzungen auf Erden GmbH mit der Eilübersetzung entsprechend dem Angebot zu beauftragen.

Nehmen wir an: Die besten Übersetzungen auf Erden GmbH hat etwas Mehraufwand; ihr Projektmanagement muss nun eine Übersetzerin oder einen Übersetzer schnell finden, muss mit einigen Übersetzer:innen telefonieren und … Nach etwas einer Stunde Zeit findet das Projektmanagement einen Übersetzer, der für seinen Teil den Honorarbedingungen von Die besten Übersetzungen auf Erden GmbH zustimmt. Für diese eine Stunde an zusätzlicher Arbeit berechnet Die besten Übersetzungen auf Erden GmbH der Kundin effektiv 25% des Basishonorars oder 250,00 EUR – die Hälfte des der Kundin berechneten Eilzuschlags (die andere Hälfte geht an den Übersetzer).

Bei unserem Beispiel gilt jedoch: Die besten Übersetzungen auf Erden GmbH erbringt keine weitere Leistung, die die Qualität der vom Übersetzer gelieferten Übersetzung verbessern könnte. Ist das gerechtfertigt? Die 250,00 EUR stellen keinen Stundensatz dar, sondern ca. 25% des Basishonorars. Und wie sieht es aus, wenn das Basishonorar nicht 1.000,00 EUR, sondern 2.000,00 EUR? 3.000,00 EUR? 4.000,00 EUR? Wären für diese eine Stunde 500,00 EUR gerechtfertigt? 750,00 EUR? 1.000,00 EUR?

Aber nicht immer fifty-fifty

Manche Übersetzungsagentur macht aber nicht fifty-fifty mit den Übersetzer:innen. Sie gibt weniger als 50% des Eilzuschlages weiter. Spinnen wir das obige Beispiel weiter.

Bei Eilübersetzungen berechnet Die besten Übersetzungen auf Erden GmbH einen Eilzuschlag und gewährt einen Eilzuschlag. Ihrer Kundschaft berechnet sie einen Eilzuschlag in Höhe von 50% des Basishonorars oder 0,05 EUR pro Wort. Der Gesamtwortpreis beträgt also 0,15 EUR (= 0,10 EUR pro Wort als Basishonorar + 0,05 EUR pro Wort als Eilzuschlag). Ihren externen Übersetzer:innen gewährt Die besten Übersetzungen auf Erden GmbH einen Eilzuschlag nicht in Höhe von 50%, sondern in Höhe von 30% des Basishonorars oder 0,015 EUR pro Wort. Der Gesamtwortpreis beträgt also 0,065 EUR pro Wort (= 0,05 EUR pro Wort als Basishonorar + 0,015 EUR pro Wort als Eilzuschlag). Bei einer Eilübersetzung von 10.000 Wörtern erhält Die besten Übersetzungen auf Erden GmbH 1.500,00 EUR, zuzüglich der geltenden Umsatzsteuer, die Übersetzerin oder der Übersetzer 650,00 EUR, zuzüglich der geltenden Umsatzsteuer.

In diesem Fall holt Die besten Übersetzungen auf Erden GmbH aus dem Eilzuschlag insgesamt nicht 50%, sondern ca. 56,7% (der Betrag 650,00 EUR entspricht ca. 43,3% des Auftragswerts von 1.500,00 EUR und 100% minus 43,3% entspricht ca. 56,7%).

Unterm Strich

So verdienen die meisten Übersetzungsagenturen ihr Geld; sie stellen sich zwischen Kund:innen und Übersetzer:innen und behalten einen Teil des Basishonorars und einen Teil des Eilzuschlags für sich, während die Übersetzer:innen die eigentliche Leistung erbringen.

Die Leistungen der Übersetzungsagenturen sollten zweifelsohne vergütet werden: Die Gemeinkosten sollten gedeckt, Verkaufsprovisionen erzielt, Projektmanagement-Leistungen vergütet, Gewinn eingepreist werden. Aber Übersetzungsagenturen wollen uns glauben machen, dass sie Übersetzungen und andere Leistungen anbieten und dass die Kundschaft durch ihre anderen Leistungen einen Mehrwert erhält. Dies dürfte im Einzelfall stimmen. Aber auch dies dürfte in jedem Fall stimmen: Der Wert der anderen durch Übersetzungsagenturen angebotenen Leistungen ist nicht mit dem Wert der Übersetzungsleistungen gleichzusetzen, weder jeweils noch mal annähernd. Die Kundschaft benötigt nicht mit den Übersetzungen verbundenen Leistungen, sondern Übersetzungen; ohne die Übersetzung sind die anderen von Übersetzungsagenturen angebotenen Leistungen nichts wert. Wer das nicht glaubt, kann versuchen, nur die anderen von Übersetzungsagenturen angebotenen Leistungen in Anspruch zu nehmen. Dabei käme eine Neuheit zustande: eine Übersetzungsleistung ohne Übersetzung.

Fazit

Sie können nun sehr annähernd ausrechnen, was für ein Honorar Übersetzer:innen für Ihre Eilaufträge erhalten, was die Übersetzungsagenturen. Fragen Sie bei der Übersetzungsagentur nach. Bestehen darauf. Und bestehen darauf nicht nur den Übersetzer:innen, sondern auch und vor allem Ihrem Portemonnaie zuliebe.

Endnote

 * Two things. Erstens: Die verlinkten Seiten sind zwar etwas älter, aber sie entsprechen meines Wissens der Lage immer noch wider. Zweitens: Bei mancher Übersetzungsagentur wird etwa eine Projektmanagement-Vergütung gesondert berechnet. Zwecks dieses Beitrags werden die diversen Abrechnungsmodalitäten einzelner Übersetzungsagenturen nicht berücksichtigt. Einerseits ist es unmöglich, dass man sich bei allen auskennt. Andererseits sind diese in Wirklichkeit nebensächlich. Bei diesem Beitrag handelt es sich hauptsächlich um eine grundsätzliche Abrechnungsart der Branche.

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2 Kommentare

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Wer andere zur Arbeit schickt wird besser bezahlt als der, der die Arbeit macht.

Fragen Sie mal einen Lagerarbeiter, der bei einem Personaldienstleister angestellt ist, wieviel Lohn er bekommt und wieviel der Personaldienstleister dafür verlangt. Eigentlich müsste der Leiharbeiter mehr verdienen als die festangestellten Kollegen in der entleihenden Firma, denn er ist ja flexibler.

Oder fragen Sie eine Putzkraft, die Mindestlohn bekommt. Naja, Mindestlohn auf dem Papier. Wenn sie aber länger pro Büro braucht, als der Chef vorsieht, dann ist sie halt zu langsam und muss unbezahlt mehr arbeiten.

Vielleicht bekommt die Putzkraft aber gar keinen Mindestlohn, weil sie nicht angestellt ist. Sondern ein Selbständiger Subunternehmer aus Ost-Europa. Es lebe die EU-Freizügigkeit auch bei Dienstleistern. Der bekommt weniger als Mindestlohn und muss für den Staubsauger noch Miete zahlen.

Oder fragen Sie die Klofrau. Die war früher angestellt, bekam also ein Gehalt plus die Trinkgelder. Inzwischen sind wir so weit, dass die Gelegenheit, das Klo zu putzen, an Selbständige verpachtet wird. Die bekommen also keinen Lohn, sondern zahlen fürs Arbeiten - und "leben" vom Trinkgeld.

Sie sehen: Ausbeutung überall. Das macht die der Übersetzer nicht besser.

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Ich verstehe Ihren Kommentar. Etwas betrübend ist es nichtsdestotrotz, dass qualifizierte Fachleistungen mit Lagerarbeit und Putzen gleichgesetzt werden. Die Unterschiede sind gewaltig. Wie Anwält:innen sind Übersetzer:innen auch Teil eines freien Berufs. In Deutschland ist dieser Umstand sogar gesetzlich festgehalten (siehe bspw. § 1 Absatz 2 PartGG). Ich möchte weder an dem Wert von Lagerarbeit oder an dem Wert von Putzen zweifeln noch möchte ich diese Arbeiten kritisieren; sie sind ehrliche und wichtige Arbeiten. So viel möchte ich aber sagen: Diese Arbeiten unterscheiden sich in wesentlichen Punkten von Übersetzungsleistungen. Lagerarbeit/Putzen erfordern bspw. keine besondere berufliche Qualifikation und erfolgt nicht auf Grundlage schöperischer Begabung und stellen keine Dienstleistungen höherer Art dar. 

Im Übrigen möchte ich festhalten, dass Übersetzer:innen nur teilweise ausgebeutet werden und dieser Ausbeutung auch nicht ausgeliefert sind. Wenn Übersetzer:innen aufhörten, ihre Leistungen unter ihrem jeweiligen Wert zu verkaufen, so hätten Übersetzungsagenturen ihre Spielchen nicht mehr betreiben können. Dafür müssten Übersetzer:innen unter anderem professioneller werden, das Geschäft ihrer Einzelunternehmen richtig führen, besser nach Außen kommunizieren und vieles mehr. Übersetzer:innen sind in aller Regel gut ausgebildet und sollten sich zu helfen wissen.

Manche Übersetzer:innen arbeiten auch nicht für Übersetzungsagenturen; entweder sind die von Agenturen angebotenen Honorare zu niedrig oder die sonstigen Bedingungen nicht optimal. Ich habe zurzeit lediglich eine Agenturkundin. Sie zahlt aber mehr oder minder meine Honorare – da gibt es leichte Abweichungen, aber die Bedingugnen sind sonst in Ordnung.

Vorletzten Monat bot mir eine Übersetzungsagentur 0,08 EUR pro Wort für juristische Fachübersetzungen an. Ich habe dankend abgelehnt. Wer kann davon leben? Ist eine juristische Fachübersetzung so wenig wert? ——Dem Kunden wurde aber mindestens 40% bis 60% mehr berechnet; in diesem Einzelfall vermute ich aus unterschiedlichen Gründen mindestens das Dreifache. Der Kunde zahlt also ca. 0,24 EUR pro Wort für eine Übersetzung, die nach Ansicht der Agentur nur 0,08 EUR pro Wort wert ist. Meiner Erfahrung nach sind juristische Fachübersetzungen, die nur 0,08 EUR pro Wort kosten, keine qualitativ hochwertigen Übersetzungen. Diese leiden in aller Regel unter Mängeln, vermeidbar, nicht nachvollziehbar, unprofessionell. Mit einem Wort: Der Kunde wird abgezockt.

Und diese Abzocke stört mich. Kund:innen sollten ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis bekommen. Ich erhoffe mir, dass die Übersetzungskundschaft ihren Teil dazu beiträgt. Diese könnte sich etwas um sich kümmern. Wir Übersetzer:innen müssen uns um uns kümmern. Wenn beide Teile auf ein gutes Preis-Leistungsverhältnis für alle Beteiligten hinwirkten, so wären wir alle besser dran. 

 

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