GDolmG: Die Verfassungsbeschwerde ist da

von Peter Winslow, veröffentlicht am 21.12.2023

Am 18. Dezember 2023 gab Herr Jörg Schmidt, der amtierende 1. Vorsitzender des Berufsverbandes der Assoziierten Dolmetscher und Übersetzer in Norddeutschland e.V. (ADÜ Nord), per Xitter bekannt, dass die Verfassungsbeschwerde gegen das GDolmG beim Bundesverfassungsgericht einging. Am 19. Dezember 2023 postete Herr Schmidt einen Kommentar mit derselben Nachricht unter meinem Interview mit ihm vom 6. September 2022, »Das GDolmG stoppen? – ein Interview mit dem 1. Vorsitzenden des ADÜ Nord«. Am 21. Dezember 2023 erscheint dieser Beitrag mit derselben Nachricht. Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung.

Jemand muss die Nachricht unters Volk bringen. Denn: Außer in den Übersetzungs- und Dolmetschkreisen wird über das GDolmG so gut wie nicht berichtet. Seit den Anfängen des GDolmG im Jahr 2019 scheint LTO das Gesetz vier Mal, JUVE nicht einmal zu erwähnen. (Im Falle von JUVE ist dies vielleicht verständlich.) Allem Anschein nach sieht es weder bei den allgemeinen noch bei den öffentlich-rechtlichen Medien besser aus. Das GDolmG erwähnt – um nur einige dieser Medien zu nennen – weder Der Spiegel noch die FAZ noch die Süddeutsche noch das Handelsblatt noch die Welt noch NDR noch die Tageschau noch Das Erste noch ZDF. Man verstehe mich bitte nicht falsch. That’s all fair enough. Die Medien haben keine Pflicht, sich für die rund 13.000 Dolmetscher:innen zu interessieren, die laut der Dolmetscher- und Übersetzerdatenbank in Deutschland beeidigt und somit vom GDolmG direkt betroffen sind. Oder anders gesagt: In einem Land mit 84,6 Millionen Einwohner:innen müssen sich die Medien nicht für circa 0,0153846% der Bevölkerung interessieren. Dennoch dürfte man sich erhoffen, dass sich die Medien für ein Gesetz interessieren, das mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht verfassungsmäßig ist. Ein nicht verfassungsmäßiges Gesetz ist eins zu viel. Was kann man dazu sagen? Nur dass die Hoffnung zuletzt stirbt.*

Es dürfte jeder und jedem klar sein, dass eine rege – ich meine, dass überhaupt eine Berichterstattung nicht zur Debatte über die Verfassungsmäßigkeit des GDolmG beitragen könnte. Wie auch? Ob ein Gesetz verfassungsmäßig ist, ist und bleibt eine rechtliche Frage. Trotzdem hätte eine Berichterstattung eine Win-win-Situation für alle herbeiführen können. Im schlimmsten Fall hätte sie lediglich ein bedenkliches Gesetz ins öffentliche Bewusstsein bringen können. Im besten Fall hätte sie den Bundesgesetzgeber zur Klärung einiger Fragen veranlasst, die aus der Drucksache 532/19 des Bundesrats vom 8. November 2019 hervorgehen: Sind Dolmetscher:innen nun Organe der Rechtpflege? Verfügt der Bund über die erforderliche Gesetzgebungskompetenz? Stellen die im GDolmG enthaltenen Vorgaben zu Ausbildungs- und Qualifikationsstandards einen Eingriff in die Bildungshoheit der Länder? Braucht die Bundesrepublik die Einführung eines Bundesgesetzes, das »weder notwendig noch sinnvoll« ist, wie der Bundesrat es in der oben genannten Drucksache formulierte? Etc.

Aber mehr als das: Eine Berichterstattung hätte längst die Auswirkungen des GDolmG auf die Rechtspflege in Deutschland ans Licht gebracht. Wenn die Medien schon nicht für den Berufsstand interessieren, sie haben ja dazu keine Pflicht, hätten sie sich zumindest für die Rechtspflege interessieren können. Und spätestens mit der Veröffentlichung der Stellungnahme vom 2. Juli 2023 des Herrn Schmidt vom ADÜ hätten die Medien Indizien dieser Auswirkungen. Die vorgesehene Übergangsfrist führe zu absurden Konsequenzen in NRW (siehe Seite 4 der Stellungnahme). Berufsqualifizierende Abschlüsse würden nicht anerkannt (siehe ebenda). Das GDolmG verlange die Erfüllung nicht oder kaum erfüllbarer Vorgaben (sieh ebenda). Die nach dem GDolmG erforderliche Nachqualifizierung von Dolmetscher:innen sei bis zum Ablauf der Übergangsfrist unwahrscheinlich (siehe Seite 6 der Stellungnahme). Diese führe wiederum zu einem »Ausbluten« des Bestands an Dolmetscher:innen (siehe ebenda). Somit sei ein partieller Stillstand der Rechtspflege zu erwarten, samt Verletzung nicht unerheblicher Verfahrensrechte (siehe ebenda). Etc.

Da die Medien sich nicht für Rechtspflege und Dolmetschen in Deutschland interessieren, da die Politik die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesrats ignoriert, da fast alle – einschließlich des BDÜ, des größten Berufsverbands für Dolmetscher:innen und Übersetzer:innen in Deutschland – ein potenziell verfassungswidriges Gesetz einfach hinnehmen oder gar verteidigen, kam es zu dieser Verfassungsbeschwerde. Wenn man Glück hat, strebt die Verfassungsbeschwerde zumindest die Klärung dieser Fragen und die glaubhafte Darlegung dieser Auswirkungen an, jeweils in der einen oder anderen Form, mit unterschiedlichen Abwägungen und Gewichtungen, je nach tatsächlicher Argumentationsstrategie.

Nun wie geht’s mit der Verfassungsbeschwerde weiter? Im nächsten Schritt beginnt das Annahmeverfahren mit zwei möglichen Ausgängen. Erstens kann das Bundesverfassungsgericht die Annahme ablehnen. In diesem Fall bleibt das GDolmG Gesetz, seine Verfassungsmäßigkeit hin oder her. Die Ablehnung bedarf keiner Begründung und ist unanfechtbar (§ 93d Absatz 1 BVerfGG). Die »Ablehnung der Annahme«, wie es so schön in § 93d Absatz 1 BVerfGG heißt, ist auch der statistisch wahrscheinlichste Ausgang. Wie LTO 2022 im Rahmen der Jahresstatistik des Bundesverfassungsgerichts für 2021 ausführt, sei »die Nichtannahme der Regelfall«. Dies dürfte wohl heute noch zutreffen. Zweitens kann das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung annehmen. Aber auch in diesem Fall besteht keine Garantie dafür, dass das Bundesverfassungsgericht das GDolmG für verfassungswidrig halten würde. Im Jahr 2022 lag die durchschnittliche Erfolgsquote der letzten zehn Jahre bei 1,69% (siehe Seite 53 hier). Auch dies dürfte wohl heute noch zutreffen.

Mit anderen Worten: Man muss hoffen. Man muss hoffen, dass eine statistische Unwahrscheinlichkeit Wirklichkeit wird. In der Zwischenzeit bleibt wohl nichts anderes übrig als darauf zu hoffen und abzuwarten, ob das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung annimmt.

 

Endnote

* Ich hätte gerne Unrecht und bitte Sie alle (und das meine ich ernst), mir Unrecht zu geben. Sollten Medien außer LTO und außer den Übersetzungs- und Dolmetschkreisen über das GDolmG berichtet haben, so teilen Sie mir bitte die Quelle mit, auch gerne als Kommentar unten.

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