EuGH-Generalanwalt: Kein nachträgliches Verhandlungsverfahren bei arbeitnehmerloser SE-Gründung

von Dr. Cornelius Wilk, veröffentlicht am 08.01.2024

Muss eine zunächst arbeitnehmerlos und mitbestimmungsfrei gegründete SE später das für die Gründung bestimmte Verhandlungsverfahren zur Beteiligung der Arbeitnehmer nachholen? Der EuGH-Generalanwalt verneint das in seinen Schlussanträgen vom 7. Dezember 2023 (C-706/22; BeckRS 2023, 35321).

Ausländische SE wechselt an deutsche Konzernspitze

Die Anträge beziehen sich auf einen Fall mit folgendem Ablauf:

  • 2013: SE-Gründung ohne Arbeitnehmer nach UK-Recht
  • Ein Tag später: SE wird Alleingesellschafterin einer drittelmitbestimmten deutschen GmbH
  • Zwei Monate später: Formwechsel von GmbH in KG; Wegfall der Mitbestimmung; SE wird Alleingesellschafterin der Komplementärin und einzige Kommanditistin
  • 2017: SE-Sitzverlegung nach Deutschland

Muss das Verfahren zur Arbeitnehmerbeteiligung nachgeholt werden?

Im Mittelpunkt der instanzgerichtlichen Entscheidungen stand zunächst die Frage, ob die SE gemäß § 18 Abs. 3 SEBG – d. h. wegen einer strukturellen Änderung nach Gründung – eine Pflicht zur Neuverhandlung der Mitbestimmung ausgelöst hatte. Das BAG erwog dann eine analoge Anwendung von SE-Gründungsrecht und legte diese Frage dem EuGH vor (siehe mein Beitrag vom 9. Februar 2023).

Keine planwidrige Regelungslücke in der SE-Richtlinie

Der EuGH-Generalanwalt verneint die analoge Anwendbarkeit von SE-Gründungsrecht. Der Umstand, dass die SE-Richtlinie keine Vorschrift über nachträgliche Verhandlungen im Fall einer ohne Verhandlungen gegründeten SE enthalte, sei kein Versehen, sondern eine bewusste Entscheidung des Unionsgesetzgebers.

Nur allgemeine Missbrauchskontrolle

Grundsätzlich möglich sei eine Missbrauchskontrolle nach allgemeinen Regeln, z. B. bei Veränderungen binnen kurzer Zeit nach SE-Eintragung. Die bloße Sitzverlegung oder der Wegfall der Mitbestimmung in einer Tochtergesellschaft könnten allerdings für sich allein keinen solchen Missbrauch darstellen.

Abschließend zu entscheiden hat nun der EuGH. Er ist an die Schlussanträge nicht gebunden, folgt ihnen allerdings häufig.

 

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