Kommentar zum Konsumcannabisgesetz und zum Medizinal-Cannabisgesetz: Interview mit Autor Prof. Dr. Jörn Patzak

von Gastbeitrag, veröffentlicht am 03.06.2024
Rechtsgebiete: Verlag|1300 Aufrufe
Dr. Jörn Patzak | Betäubungsmittelgesetz

Im Juni erscheint der Kommentar Patzak/Fabricius in 11. Auflage. Enthalten ist eine Kommentierung des zum 1. April 2024 in Kraft getretenen Cannabisgesetzes mit einer vollständigen Besprechung des neu eingeführten Konsumcannabisgesetzes (KCanG) und Medizinal-Cannabisgesetzes (MedCanG).

Das Gesetz ist erst kürzlich nach langer politischer Auseinandersetzung mit vielen Änderungen in Kraft getreten. Wie ist es Ihnen gelungen, das umfangreiche Gesetzeswerk so frühzeitig in einem Kommentar zu verarbeiten?

Da ich wusste, dass ohnehin Anfang 2024 eine Neuauflage unseres Kommentars geplant war, habe ich bereits mit dem ersten Referentenentwurf im Juli 2023 begonnen, an der Kommentierung zu arbeiten. Hier war noch von einem Cannabisanbaugesetz die Rede, im August 2023 folgenden zweiten Referentenentwurf dann vom Konsumcannabisgesetz. Diesen Entwurf hat das Kabinett am 16. August 2023 beschlossen und der Bundesrat am 18. Oktober 2023 in erster Lesung beraten. Auf weitere umfangreiche Änderungen einigten sich die Koalitionsparteien im November 2023, das Gesetz sollte eigentlich am 1.1.2024 in Kraft treten. Das Verfahren verzögerte sich aber, denn der geänderte Gesetzentwurf wurde erst am 23.2.2024 vom Bundestag gebilligt und passierte am 22.3.2024 den Bundesrat. Ich habe jeweils parallel die Änderungen in unser Buch eingearbeitet, so dass die vollständige Kommentierung mit Inkrafttreten des Gesetzes zum 1.4.2024 fertig war.

Stichwort: lange politische Auseinandersetzung. Greifen Sie die breite Kritik an dem Gesetz in dem Kommentar auf?

Nur ganz am Rande. Ich habe mich darauf konzentriert, eine praxisnahe Erläuterung zum Gesetz und zu seiner Anwendung zu schreiben. Das ist das, was die Käuferinnen und Käufer von einem Praxiskommentar wie dem unseren erwarten dürfen. Daher äußere ich nur an wenigen passenden Stellen meine Zweifel, ob das Gesetz tatsächlich die ausgerufenen Ziele erreicht, den Schwarzmarkt zu verdrängen und den Jugendschutz zu stärken, z.B. wenn ich darstelle, dass der Erwerb von Cannabis bis zu 25 Gramm bei einem Schwarzmarkthändler und der Erwerb von bis zu 25 Gramm durch Jugendliche keiner Sanktion unterliegen.

Wo sehen Sie besondere Anwendungsschwierigkeiten?

Das Gesetz enthält einige Ungereimtheiten. Zum Beispiel sind der Anbau von drei Pflanzen und der Besitz der daraus gewonnenen Blüten bis zu einer Menge 50 Gramm ausdrücklich erlaubt. Der zwangsläufige notwendige Vorgang der Ernte stellt aber ein Herstellen dar, welches ohne Ausnahme strafbar ist. Das passt nicht in die Systematik und muss meiner Meinung nach durch teleologische Reduktion gelöst werden.

Sie sprechen die neuen Freimengen an. Wie sieht es damit aus?

Auch hier passt einiges nicht so richtig zusammen. Beispiel: Der Besitz von mehr als 50 bis 60 Gramm Cannabis zu Hause ist eine Ordnungswidrigkeit, der Besitz von mehr als 60 Gramm Cannabis zu Hause eine Straftat. Bei über 60 Gramm kommt aber noch eine Einstellung nach dem neuen § 35a KCanG in Betracht, wenn der Besitz zum Eigenkonsum erfolgt. Das führt ungeachtet dessen, dass nun in den Bundesländern weiterhin unterschiedlichen Einstellungsgrenzen bestehen, zu merkwürdigen Ergebnissen, denn für die Ordnungswidrigkeit des Besitzes von 55 Gramm Cannabis könnte der Betroffene mit einer saftigen Geldbuße belangt werden, während die Staatsanwaltschaft bei einem strafbaren Besitz von 61 Gramm Cannabis das Verfahren möglicherweise folgenlos einstellt. Damit man sich hier schnell zurechtfinden kann, habe ich die verschiedenen Mengen übersichtlich in einem Schaubild zusammengestellt.

Es wird kontrovers diskutiert, ob bei einem Überschreiten der Freigrenze die gesamte Menge zunächst sichergestellt und dann eingezogen werden darf, oder nur der überschreitende Teil. Wie sehen Sie das?

Hier bin ich der Meinung, dass beim Besitz aus Verhältnismäßigkeitserwägungen nur die Menge eingezogen werden kann, welche die Freigrenze überschreitet. Das dürfte damit auch für die Sicherstellung gelten, sofern das Cannabis nicht als Beweismittel von Bedeutung ist.

Das Gesetz sieht räumliche Begrenzungen für den Anbau von Cannabis zum Eigenkonsum vor, zudem gibt es Bereiche, in denen Cannabis nicht konsumiert werden darf. Sehen Sie hier Anwendungsprobleme?

Ja, denn es gibt bereits Diskussionen, was unter einer Wohnung zu verstehen ist, in der drei Cannabispflanzen angebaut werden dürfen. Nach einer Meinung soll auch der angrenzende Garten dazu zählen. Ich denke aber, Wohnung kann nur ein umschlossener Raum sein, also wohl auch eine umschlossene Gartenlaube. Zu Problemen wird zudem das Konsumverbot in Sichtweite von Schulen, Kinderspielplätzen oder Sportstätten führen. Sichtweite liegt bei einem Abstand von bis zu 100 Metern zum Eingangsbereich vor. Wie misst man den Abstand und was ist, wenn die Sicht teilweise verdeckt ist? Hier ist Streit vorprogrammiert.

In Ihrer Doktorarbeit haben Sie sich mit den Konkurrenzen beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln befasst. Gehen Sie in der Neuauflage des Patzak/Fabricius auch auf die Konkurrenzverhältnisse in den neuen Gesetzen ein?

Das Verhältnis von verschiedenen Straftaten zueinander ist von großer praktischer Bedeutung. Deshalb habe ich versucht aufzuzeigen, ob mehrere Verstöße innerhalb des KCanG oder des MedCanG in Gesetzeskonkurrenz, in Tateinheit oder in Tatmehrheit zueinander stehen. Für mehrere Handelstaten mit einer Cannabismenge bzw. Medizinalcannabismenge gelten beispielsweise die altbekannten Grundsätze der Bewertungseinheit aus dem BtMG. Es wird aber auch gleichzeitige Verstöße gegen KCanG/MedCanG und BtMG geben. Ein Beispiel: Das gleichzeitige Handeltreiben mit Cannabis und Betäubungsmitteln führt meines Erachtens zu Tateinheit zwischen § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG und § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG, ebenso das gewerbsmäßige Handeltreiben oder das Handeltreiben mit Cannabis und Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Hier gilt es zu beachten, dass die Wirkstoffmengen der Betäubungsmittel und des Cannabis in diesem Fall nicht addiert werden.

Welche Wünsche verbinden Sie mit dem Erscheinen des Kommentars?

Ich würde mich freuen, wenn die Nutzer des Kommentars viele Antworten auf die sich stellenden Fragen finden würden. Insbesondere den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten sowie Richterinnen und Richter hoffe ich Gedankenanstöße geben zu können, mit denen sie die neuen Problemstellungen lösen können.

Vielen Dank für das Gespräch.

Hier finden Sie weitere Beiträge zum Cannabisgesetz von Herrn Prof. Dr. Patzak: https://community.beck.de/mitglied/9280/track

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