US Supreme Court: Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe durch die US-Behörden neu geregelt

von Dr. Axel Spies, veröffentlicht am 03.07.2024

Der Oberste Gerichtshof der USA hat am 28.06.24 durch die Urteile Loper Bright Enterprises gegen Raimondo und Relentless die praktisch wichtige “Chevron-Doktrin” (genauer: Chevron Deference) außer Kraft gesetzt. “Chevron” verpflichtete die US-Gerichte sei vier Jahrzehnten die Bundesgerichte, sich auf die Auslegungen der Verwaltungsbehörden bei zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffen zu verlassen.

Worum geht es?

Die Chevron-Doktrin war lange Jahre eine Grundlage des US-Verwaltungsrechts und ermöglichte den aufeinanderfolgenden US-Präsidenten eine flexible (oft politisch beeinflusste) Auslegung von Gesetzen durch behördliche Entscheidungen und die Aufstellung von Regeln. Die Entscheidung des US Supreme Court wird erhebliche Auswirkungen sowohl auf die regulierten Branchen als auch auf die Behörden selbst haben.

Der Supreme Court widersprach dem Argument, dass das Fachwissen der Behörden eine richterliche Bevorzugung rechtfertige, weil die Behörden möglicherweise besser in der Lage seien, hochtechnische, behördenspezifische Sachverhalte auszulegen: "Selbst wenn eine [im Gesetz angelegte] Zweideutigkeit eine technische Angelegenheit betrifft, folgt daraus nicht, dass der Kongress den Gerichten die Befugnis zur autoritativen Auslegung des Gesetzes entzogen und sie der Behörde übertragen hat. Der Kongress erwartet von den Gerichten, dass sie technische Gesetzesfragen behandeln,“ heißt es in dem Urteil.

Praktische Folgen

Jede Organisation, die einer bundesstaatlichen Regulierung unterliegt - also praktisch jedes Unternehmen, das in den USA tätig ist -, wird wahrscheinlich von dieser Entscheidung des Supreme Court betroffen sein, die das Potenzial hat, sich auf alle Maßnahmen der Bundesbehörden auszuwirken: behördliche Durchsetzungsmaßnahmen, Gerichtsurteile und Berufungen sowie die Ausarbeitung von Verwaltungsvorschriften. Die Entscheidung wird Möglichkeit bieten, in verschiedenen Stadien des Verfahrens neue oder verbesserte Argumente vorzubringen, um die Auslegung einer Behörde zu unterstützen oder abzulehnen etc.

Ich werde die wichtige Entscheidung in der der neuesten MMR Aktuell in Kürze näher analysieren.

Für die deutschen Verwaltungsjuristen die Frage: Wie sehen sie die Entscheidung im Vergleich zur „Normativen Ermächtigungslehre“ in Deutschland?

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1 Kommentar

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Auf Nachfrage, hier etwas Info, was es mit der Normativen Ermächtigungslehre auf sich hat: 

" Die sogenannte normative Ermächtigungslehre führt die normtheoretischen Ansätze mit dem staatstheoretischen Ansatz zusammen; nicht die Unbestimmtheit einer Norm, sondern die Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers begründe eine Beurteilungsermächtigung der Verwaltung. Art. 20 Abs. 3 GG unterwerfe die Verwaltung einer Gesetzesbindung und Art. 19 Abs. 4 gewähren einen Anspruch darauf, dass diese Gesetzesbindung verwaltungsgerichtlich kontrollierbar sei. Daraus folge jedoch auch die Möglichkeit des Gesetzgebers, im Rahmen des Grundgesetzes die gesetzliche Bindung und damit auch die verwaltungsgerichtliche Kontrolle zu lockern."
(Schoch/Schneider/Geis, 4. EL November 2023, VwVfG § 40 Rn. 142)

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