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Björn Engelmann kommentiert am Permanenter Link
Verfassungsrechtliche Fragen haben auch mich in der letzten Zeit (nicht zuletzt aus Anlass des Jubiläums des Grundgesetzes) intensiver beschäftigt und mich zusammen mit Ihrer Frage nach der Bedeutung des Grundgesetzes zu folgendem Kurzessay inspiriert, den der geduldige Leser bei Interesse im Folgendem nachlesen kann:
Gedanken zur Bedeutung des Grundgesetzes – „Was?“, „Warum?“ und „Wie lange noch?“
1. „Was“ das Grundgesetz bedeutet: „Un-Grenzenlose“ Freiheit und Ordnung
Für mich, wie für Viele, die sich hier und in dem Video-Beitrag des Verlags in diesen Tagen Gedanken zur Bedeutung des Grundgesetzes machen, ist das Grundgesetz zuallererst eine Garantie der Freiheit. So garantiert es etwa die freie Entfaltungsmöglichkeit der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), das Leben nach der eigenen Religions- oder Weltanschauung (Art. 4 GG), die freie Äußerung der eigenen Meinung (Art. 5 Abs. 1 GG) und sogar (je nach persönlichem Geschmack) das Reiten im Walde oder Gefechte in der örtlichen „Lasertag“-Halle (Art. 2 Abs. 1 GG).
Doch betonen muss man, dass es sich hierbei (wie ebenfalls auch in dem Video Anklang findet) stets um Freiheiten handelt, die durch die Rechte anderer beschränkt werden: Der Tierquäler darf seine Persönlichkeit eben nicht frei entfalten, der Glaubensfanatiker anderen Personen seine Weltsicht nicht aufzwängen, der Blogger andere nicht mit seinen Kommentaren beleidigen und verfassungsrechtliche Fragen der Zulässigkeit von „Lasertag“-Spielen haben schon wiederholt die Gerichte beschäftigt, da sie etwa den Jugendschutz tangieren. Diese Art von „un-grenzenloser“ Freiheit, die eben nicht zu verwechseln ist mit dem Konzept der sorgsam begrenzten „Freiheit“ von Bürgern in autoritären Staaten oder der unbegrenzten Freiheit einer rücksichtslosen anarchischen Lebensweise (wie Thomas Hobbes sie in seinen Werken gerade als den die Staatsgewalt legitimierenden Urzustand beschreibt) ist das liebgewonnene Konzept unseres Grundgesetzes.
Daneben bedeutet das Grundgesetz auch Ordnung: Der Prozess des Gesetzgebungsverfahrens, die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, die (ständig im Fluss befindliche) Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern, all dies und viele andere Detailreglungen des GG behandeln komplexe Sachfragen, die schlichtweg (und am besten möglichst klug und ausgewogen) geregelt sein müssen, um eine Gesellschaft und einen Staat „am Laufen“ zu halten.
2. „Warum“ das Grundgesetz diese Bedeutung entfalten kann: Eine Fiktion und ein Paradoxon
Ebenso so interessant wie die Frage nach dem „Was“ ist die Frage nach dem „Warum“ und der Art und Weise, wie unser Grundgesetz in unser aller Leben Wirkungen entfaltet. Über die Grundsatzfrage des Inhalts und der Wirkung von Rechtsnormen ist in der Rechtsphilosophie und Rechtstheorie viel diskutiert worden. Im Kern sind Rechtsnormen kein Bestandteil der wahrnehmungsfähigen Außenwelt sondern fiktive Gebilde, die der gemeinsamen Vorstellung eines Kollektivs von Menschen entspringen (vgl. Harari, Eine kurze Geschichte der Menschheit, S. 41 ff.). Sie zeichnen sich (außer im Falle unvollständiger Rechtsnormen wie z. B. Legaldefinitionen) dadurch aus, dass sie als Sollens-Aussagen formuliert sind (oder in solche umformuliert werden können), denen – jedenfalls bei der in Geltung befindlichen Rechtsnorm – eine, etwa gegenüber sozialen Normen, erhöhte Durchsetzungsfähigkeit zukommt. Diese Durchsetzungsfähigkeit resultiert einerseits aus der Implementierung und Kontrolle der Rechtsnorm durch die staatlichen Institutionen, andererseits aber auch aus der Akzeptanz der Rechtsnorm durch die Mehrheit der rechtsunterworfenen Bürger. Bezogen auf die Grundrechte des Grundgesetzes bedeutet dies etwa, dass sie gelten, weil die Behörden den Grundrechtsschutz gewährleisten, dieser gerichtlich durchgesetzt werden kann und die Mehrheit der Gesellschaft dies akzeptiert. Besonders problematisch ist das Ausmaß und der genaue Inhalt des letztgenannten Punktes der Akzeptanz. Sicher ist: Ein Grundrecht, das von der rechtsunterworfenen Bevölkerung überwiegend nicht akzeptiert würde, wäre wirkungslos. Denn selbst wenn die Behörden auf seine Einhaltung bestehen und die Gerichte dies umzusetzen versuchten, wären sie bei fast 80 Millionen „Rechtsverweigerern“ hoffnungslos überfordert. Das Grundgesetz gilt also, weil die Mehrheit der Menschen in diesem Land dessen Geltung befürwortet oder jedenfalls nicht grundsätzlich in Frage stellt. Im Detail bleibt dieser Rückhalt durch die Bevölkerung sicher ein Paradoxon, denn er besteht trotz der Tatsache, dass die meisten Menschen in Deutschland keine Vorstellung über den genauen Inhalt des Grundgesetzes haben (wie auch der Bundespräsident anlässlich des Jubiläums zu bedenken gab) und selbst die wenigsten Juristen es je komplett gelesen haben dürften. Es reicht daher wohl zur Sicherstellung der Geltung des Grundgesetzes (und anderer Rechtsnormen) eine Art „sachgedankliches Mitbewusstsein“, d. h. ein Begleitwissen unterhalb der konkreten Bewusstseinsschwelle ähnlich (aber noch weniger präzisiert) wie wir es aus dem Strafrecht im Zusammenhang mit § 263 StGB oder der Vorsatzprüfung kennen. Die Normakzeptanz zeigt sich also darin, dass bei der breiten Bevölkerung ein sehr grobes Bewusstsein über den Inhalt und eine abstrakte Befürwortung der Geltung des Grundgesetzes vorherrschen (während Behörden und Gerichte dann dessen Geltung im konkreten Einzelfall sicherstellen).
3. „Wie lange“ das Grundgesetz Bedeutung hat: Eine gelebte Verfassung
Die Frage, wie lange das Grundgesetz noch Bedeutung hat, erscheint auf den ersten Blick sicher provokativ doch vor dem Hintergrund des zuletzt Gesagten durchaus diskussionswürdig. Sie ist untrennbar mit der hier diskutierten Frage, „was“ das Grundgesetz bedeutet verbunden. Denn jede Rechtsnorm verliert ihre Gültigkeit und damit ihre Bedeutung für alle Personen die in ihrem Geltungsbereich leben, in dem Moment in dem sie von der Bevölkerung nicht mehr in ausreichendem Maße befürwortet wird. Die Entstehung des Grundgesetzes ist mit dieser Frage sogar untrennbar verbunden, denn es wurde, wie wir alle wissen, als Provisorium eingeführt nachdem die Weimarer Verfassung durch den Nationalsozialismus, Hitlers Massenbewegung und die Lethargie von weiten Teilen der deutschen Bevölkerung faktisch (und teilweise auch ausdrücklich gesetzlich) außer Kraft gesetzt und durch ein System ersetzt wurde, an dessen Ende ein Unrechtsstaat und ein rechtstaatsloser Raum für Juden, ethnische Minderheiten und andere vom Bild der Norm abweichende Menschen geschaffen wurde.
Die Geschichte lehrt uns daher, dass auch das Grundgesetz nur solange Bestand haben wird, wie es als „lebendige Verfassung“ von der Mehrheit der Menschen in Deutschland getragen wird. Dies scheint indes in diesen Zeiten nicht mehr selbstverständlich. Wir alle konnten in den letzten Jahren beobachten, wie Menschen in lange nicht gekanntem Ausmaß in zahlreichen deutschen Städten gegen die gegenwärtige Migrationspolitik demonstrieren und auf Veranstaltungen und im Internet dagegen argumentieren. Während ein Teil dieser Menschen friedlich seine Bedenken vorträgt, gibt es andere, die in aggressiver Art und Weise gegen Migranten und Andersgläubige polemisieren, ihre grundgesetzlichen Rechte auf Würde, Glaubensfreiheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit negieren und teilweise sogar vor Einschüchterung und Gewalt nicht zurückschrecken.
Auf der anderen Seite werden von Teilen eines extrem konservativen Islam ebenfalls tragende Bestimmungen des Grundgesetzes (wie etwa die Gleichberechtigung von Frauen) in Frage gestellt und formieren sich Parallelgesellschaften, die ihre religiösen Überzeugungen über die deutsche Rechts- und Verfassungsordnung stellen.
Die Grundrechte sind damit aktuell in Gefahr, in einen Auflösungsprozess zu geraten, wenn sich die gegenwärtige Entwicklung einer immer weiteren Relativierung in verschiedenen Teilen der Bevölkerung fortsetzt.
All dies zeigt sich auch bereits in den Kriminalitätsstatistiken der letzten Jahre, die etwa durch ein anhaltend hohes Niveau rechtsextremistischer Straftaten oder durch das neu aufgekommene Phänomen krimineller Großfamilien gekennzeichnet sind. In dieses Bild passt auch die aktuell diskutierte Warnung des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung Klein an Juden, die Kippa wegen einer „zunehmenden gesellschaftlichen Enthemmung und Verrohung" nicht immer und überall zu tragen und die Aussage des Präsidenten des Zentralrats der Juden Schuster, der erklärte, es sei seit längerem eine Tatsache, dass Juden in einigen Großstädten potenziell gefährdet seien. Hier zeigt sich, dass die Grundrechtsgarantie der Religionsfreiheit faktisch bereits an Substanz verliert.
Um diesen Entwicklungen zu begegnen sind alle Befürworter des Grundgesetzes gefordert: Der Staat und die Politik muss denjenigen entschlossen entgegen treten, die die geltende Rechts- und Verfassungsordnung missachten und er muss versuchen, die enttäuschten Bürger, die das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren haben, für sich zurückzugewinnen. Diejenigen Bürger, die die durch das Grundgesetz geschaffene Freiheitsordnung kennen und schätzen gelernt haben, müssen sich offen zu den Vorteilen des Grundgesetzes und einer offenen Gesellschaft, aber auch zur Ablehnung eines rücksichtslosen Freiheitsdenkens, das die Grundrechte Dritter verletzt, bekennen.
4. Fazit: In 10.000 Jahren…
Auf der Titelseite der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung „Die Zeit“ (Nr. 22 vom 23.05.2019) erfährt man in einem Artikel von Heinrich Wefing, dass die Urschrift des Grundgesetzes nicht offen ausgestellt, sondern aus konservatorischen Gründen im Reichstag unter Verschluss gehalten wird, was Wefing kritisiert und für eine offene Ausstellung plädiert. Nehmen wir einmal an, dieser Wunsch bliebe lange versagt und das Grundgesetz würde erst in 10.000 Jahren in einem Archiv des Reichstags wiederentdeckt und erst dann der Öffentlichkeit des Jahres 12019 präsentiert. Mit welchen Begleitworten würden unsere fernen Nachfahren in 10.000 Jahren dieses Ausstellungsstück beschreiben? Als den nach Paulskirchenverfassung und Weimarer Verfassung dritten gescheiterten Anlauf der Deutschen, in Würde und Freiheit friedlich zusammenzuleben oder als den Beweis, dass die Menschheit doch fähig ist, aus den Fehlern der Geschichte zu lernen? Hoffen und handeln wir im Sinne der zweiten Version!
Björn Engelmann kommentiert am Permanenter Link
Im Grundsatz (grds. Zulässigkeit von Kopfnoten) ist das Urteil mE nachvollziehbar, im Detail allerdings nicht. Die konkreten Bewertungen „Mitarbeit“ und insbesondere „Fleiß“ scheinen mir per se schwer nachvollziehbar. Ein Schüler/in der viel im Stillen „mitdenkt“, läuft Gefahr schlechte Noten in Fleiß und Mitarbeit zu erhalten, ohne dass dies gerechtfertigt wäre. Ob ein Schüler/in fleißig ist kann der Lehrer doch objektiv gar nicht bewerten, da ein nicht unerheblicher Anteil der „Schularbeit“ von zu Hause aus (Hausaufgaben) erbracht wird. Und wie viel Zeit der Schüler dort investiert, da hat der Lehrer doch gar keinen Einblick und objektivierbar ist das mE auch nicht (Beispiel ein hochbegabter Schüler A wird womöglich die Mathe Hausaufgaben in 3 Minuten erledigt haben und nebenher noch ein Handy-Spiel laufen lassen, ein anderer Schüler B „kämpft“ sich womöglich 2 Stunden lang durch und gibt dann entnervt auf – wer ist nun der Fleißige, wer der Faule?). Gilt bei Zeugnissen nicht der Grundsatz der Verständlichkeit?
Björn Engelmann kommentiert am Permanenter Link
Irgendwie hat bei meinem letzten Kommentar technisch was nicht geklappt (darf gerne gelöscht werden). Ich versuche es hier nochmal:
1. Eine mE lesenswerte Stellungnahme (Politische Strafjustiz? Zur demokratischen Kontrolle der administrativen Strafverfolgungsbürokratie“) zur Thematik ist am 18.04.19 Prof. Ferdinand Gärditz im „Verfassungsblog“ publiziert worden.
Er plädiert dafür, dass der Minister sein Weisungsrecht mit Zurückhaltung ausübt, hält aber eine politische Verantwortung des Ministers gleichwohl für angebracht, wenn „die Dinge in einer Weise schiefgelaufen sind, die in einer gut organisierten Justiz hätten früher bemerkt werden müssen“.
Spontan würde ich das ähnlich sehen. Die Verantwortung des Ministers besteht dabei mE vor allem darin dann, wenn ein Fall (z. B. wie im Fall ZPS durch Medienberichte), in dem die Staatsanwaltschaft gröbere Fehler gemacht hat, bekannt wird, ab diesem Zeitpunkt – vorrangig durch Gespräche als ultima ratio aber auch durch Ausübung des Weisungsrechts (ähnlich wie im Beitrag befürwortet) –ein rechtskonformes Handeln der StA sicherzustellen bzw. wiederherzustellen.
2. Zur Frage von Prof. Müller warum die Mediendiskussion sich auf das rechts-links-Thema konzentriert und nicht auf die juristisch-politischen Grundsatzfragen:
Ich vermute dies liegt an der misslichen Situation, dass bei manchen (nicht bei allen) Medienvertretern die juristischen Kenntnisse und die Bereitschaft, sich in diese einzuarbeiten nicht stark genug ausgeprägt sind. Ein publikumswirksamer oberflächlicher Polit-Skandal-Artikel ist da wesentlich schneller geschrieben, als ein tiefschürfender Einstieg in GVG und GG-Detailfragen und erreicht im Zweifel leider auch mehr Leser…
Diesem Umstand müsste man wohl schon bei der Ausbildung der Journalisten durch die Vermittlung vertiefterer Rechtskenntnisse entgegenwirken. Die Zeitungen/Chefredaktion selbst sollten entsprechende Artikel nur Reportern mit tiefergehenden Rechtskenntnissen übertragen, was ja von den großen Tageszeitungen teilweise auch so gehandhabt wird.
Björn Engelmann kommentiert am Permanenter Link
Und trotzdem sind Sie hier einer der eifrigsten Kommentatoren zu der Frage ,wie diese Blättlein rechtlich einzuordnen sind (ok vielleicht noch mit dem ein oder anderen vereinzelten off-Topic Kommentar….). Das ist die Ironie des Lebens…
Außerdem müssen Sie das anders sehen: In ein paar Milliarden Jahren (und das ist für das Universum eine verdammt kurze Zeit) wird die Erde von der Sonne entweder verschlungen oder in einen Feuerball verwandelt werden oder die Menschheit „relokalisiert“ die Erde o. ä.. Jedenfalls interessiert sich dann keiner mehr dafür, was sich die Chinesen (die es dann nicht mehr geben wird), zum Handel mit bestimmten Produkten (die es dann nicht mehr geben wird) in Europa (das es dann nicht mehr geben wird) ausgedacht haben. Und wenn einem damit erst mal bewusst ist, dass nichts von dem was irgendein Mensch hier heute tut im Fluss der Zeit irgendwie relevant sein wird, dann kann man seine Zeit doch wieder ganz entspannt dem widmen, was einem Spaß macht, z. B. Strafrecht BT-Fragen zu diskutieren…
Björn Engelmann kommentiert am Permanenter Link
Hallo Herr Borchard,
ich hatte in meinem Kommentar oben ja schon versucht kurz darzulegen, wieso der Fall mE etwas anders liegt, als bei einem geparkten Auto. Nach der Verkehrsauffassung und auch tatsächlich besteht da mE ein Unterschied zwischen subjektiv wertgeschätzten (wie Gegenständen (wie z. B. einem Auto) und Müll. Vgl. Sie auch meinen untenstehenden Kommentar zum Gewahrsam.
Beste Grüße,
Björn Engelmann
Björn Engelmann kommentiert am Permanenter Link
Weitere Gedanken zum Gewahrsam an auf den Müll geworfenen Gegenständen:
Die Fälle in, denen eine räumlich Distanz zur Sache besteht (wie z. B. zu einer vor dem Haus stehenden Mülltonne) sind eigentlich immer Fälle der „Gewahrsamslockerung“ (mir fällt spontan kein Fall ein, wo das anders wäre). In diesen Fällen ist die Sachherrschaft nach h. M. gelockert aber es besteht eben noch ein gelockerter Gewahrsam, den der Täter brechen kann (ist ja auch ein beliebter Klausurfall bei der Abgrenzung Trickdiebstahl – Sachbetrug: Der Täter verleitet jmd., ihm eine Sache zu geben und rennt dann damit weg: nach h. M. i. d. R. Diebstahl und nicht Betrug, da noch ein Restgewahrsam bestand. Die h. M. begründet das mit der Verkehrsauffassung. Das halte ich persönlich z. B. beim geparkten Auto in Grenzen für vertretbar (problematisch aber z. B. wenn der Inhaber auf Reise ist, z. B. sein Auto auf einem öff. Parkplatz in Nähe des Flughafens abstellt). Man sollte mE aber immer Bedenken, dass an sich in diesen Fällen eine „Sachherrschaft“ im Wortsinne schon nicht mehr besteht, sondern das Ganze eben das Ergebnis seiner sozial-normativen Korrektur bei der Gewahrsamsbestimmung ist – was zumindest insofern nicht schadet, als das Gesetz selbst den Begriff „Sachherrschaft“ ja gar nicht kennt.
Was aber nun den Gewahrsam an Müll, der in räumlicher Distanz entsorgt wurde, anbelangt ist es nach meiner Auffassung endgültig – selbst wenn man die Figur einer sozial-normativen Korrektur der Sachherrschaft im Grundsatz anerkennt – zu weitgehend über die Verkehrsauffassung / sozial-normative Erwägungen noch einen Gewahrsam zu konstruieren. Denn anders als beim Auto hat der ehemalige Inhaber am Müll in aller Regel kein besonders großes Interesse mehr und die Verkehrsauffassung würde jemanden bei einer Mülltonne vor dem Haus den Müll i. d. R. auch nicht besonders zuordnen (Also wenn ich z. B. am Haus von Herrn Huber vorbeigehe denke ich vielleicht: „Ach da parkt ja der Mercedes von Herrn Huber“; aber wenn ich dann an den Mülltonen vorbeikomme denke ich nicht: „Ach das ist ja der Müll von Herrn Huber.“- das gilt jedenfalls für „anonyme“ Sammelmülltonnen, vgl. die Anm. unten von Jahn). Ich sehe auch keinen Grund, warum Müll in/bei Mülltonen außerhalb des Gebäudes nicht gewahrsamslossein sollte.
Ähnlich sieht das Jahn in JuS 2011, 755, der schreibt:
Einen Seitenblick ist aber die vom Senat nicht behandelte Frage wert, ob Gewahrsam auch an Abfällen wie z.B. Sperrmüll besteht, der zum Abtransport auf der Straße bereitgestellt wird. Nachdem sich Gewahrsamssphären räumlich auch nach außen erstrecken können wird es darauf ankommen, ob die Abfälle von der Verkehrsauffassung noch individuell zugeordnet werden können (z.B. über personalisierende Aufschriften auf Behältern). Ist dies nicht der Fall, dürfte auch der Gewahrsam enden.
Im Detail wäre es daher für eine Entscheidung des Falles von Interesse die genaue „Auffindesituation“ des Mülles zu kennen. Irgendwie muss er Herrn Richter ja noch zuzuordnen gewesen sein, denn der Angekl. hat die Bilder ja zuordnen können. Ich persönlich tendiere allerdings auch bei nicht anonymisierten Müll dazu, i. d. R. wegen der „Geste“ des Wegwerfens im Grundsatz einen Gewahrsam des Wegewerfenden – und bei Müll vor dem Haus auch Gewahrsam anderer Personen – zu verneinen. Müll ist dann in dieser Konstellation eben gewahrsamslos – mir fällt kein valides Argument ein, dass dagegen spräche.
Björn Engelmann kommentiert am Permanenter Link
Hallo Prof. Dr. Müller,
ja, Ihr Argument, dass auch vom Künstler als ungenügend empfundene Werke objektiv doch als Werke betrachtet werden ist ganz überzeugend. Ich räume ein, dass auch vom Künstler als „schlecht“ empfundene Werke einen wirtschaftlichen Wert haben können (zeigt ja der vorliegende Fall), der de lege lata von § 106 UrhG geschützt werden kann. Ob solche vom Künstler verworfene Werke wirklich mit dem scharfen Schwert des Strafrechts geschützt werden sollten, da habe ich weiterhin meine Zweifel. Die Weiterverwertung eines Gegenstandes, den ein anderer auf den Müll geworfen hat, ist wie ich schon zum Ausdruck gebracht hatte, mE nicht unbedingt eines strafrechtlichen Unwerturteils würdig.
Beste Grüße,
Björn Engelmann
Björn Engelmann kommentiert am Permanenter Link
Bei der zitierten Kommentarstelle von Dreier/Schulze handelt es sich um § 2 (nicht § 3), lies: Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 6. Auflage 2018: § 2 Rn. 15 (Hervorhebung von mir):
Nicht nur das vollendete Werk, sondern auch seine Vor- und Zwischenstufen sind schützbar, seien es Skizzen, Entwürfe, Exposés oder auch Fragmente und unvollendete Werke (BGH GRUR 1985, 1041, 1046 – Inkasso-Programm, für das Pflichtenheft, das Flussdiagramm, das Quellenprogramm und das Objektprogramm eines Computerprogramms; OLG München GRUR 1990, 674, 675 – Forsthaus Falkenau, für ein Fernsehserien-Exposé; BGH GRUR 2005, 854, 856 – Karten-Grundsubstanz, für Vorstufen von Stadtplänen). Allerdings muss die jeweilige Werkstufe in der vorliegenden Form eine persönliche geistige Schöpfung sein. Was noch im Ideenstadium steckt (Rn. 37) oder was in seiner bisherigen Form den Anforderungen an eine persönliche geistige Schöpfung nicht genügt, bleibt schutzlos.
Björn Engelmann kommentiert am Permanenter Link
Die zivilrechtlichen Fragestellungen wurden hier bereits recht erschöpfend diskutiert. Zu den strafrechtlichen Problemkreisen würde ich wie folgt Stellung nehmen:
1. Problem: fremder Gewahrsam
Gewahrsam ist ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis (Sachherrschaft) einer Person über eine Sache, getragen von einem Herrschaftswillen, beurteilt nach der Verkehrsauffassung.
Im vorliegenden Fall relevant werden kann m. E. der Einfluss der Verkehrsanschauung bzw. sozialen Bewertung. Die beiden anderen Komponenten werden also durch eine sozial-normative Komponente korrigiert bzw. beeinflusst (i. e. str.).
Zu Fragen ist daher:
a) Wer hatte die tatsächliche Sachherrschaft?
b) War sie von Herrschaftswillen getragen?
c) Ist das Ergebnis aufgrund sozial-normativer Erwägungen bzw. Verkehrsauffassung zu korrigieren bzw. wie beeinflussen solche Erwägungen die beiden Fragestellungen? (vgl. hierzu z. B. Zopfs, ZJS 2009, 506, 507 f.)
Beispiel: Bewusstlose haben nach h. M. Gewahrsam bis zum Tod (obwohl kein tatsächlicher Herrschaftswille vorliegt)
zu a): Ob an Dingen in einer offenbar wohl vor dem Haus stehenden Mülltonne noch Sachherrschaft besteht, halte ich bereits für fraglich. Immerhin hat der Künstler keine unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit aufgrund der Distanz.
zu b): Auch Herrschaftswille scheint mir problematisch. Reicht der Wille, dass die Dinge der Abfallversorgung zugeführt werden, um noch (bis zur Müllabholung) die Herrschaft hierüber ausüben zu wollen? Ich würde eher dazu tendieren, dies mit „Nein“ zu beantworten. Der - ich nenne es einmal - „Abfallzuführungswille“ scheint mE anderer Natur zu sein, als ein klassischer „Herrschaftswille“ (z. B. über ein vor dem Haus geparktes Auto). Eigentlich will Herr Richter ja (allenfalls – dazu sogleich), dass die Bilder der Müllverwertung zugeführt werden, aber er will selbst gerade keine Herrschaft darüber ausüben.
Auch stellt sich mir hier die Frage, ob auf den Regelfall oder den konkreten Einzelfall abzustellen ist. Kann man bei so einem speziellen Fall wie hier überhaupt noch einen „Regelfall“ konstruieren. Falls nein bzw. man generell den konkreten Einzelfall für maßgeblich hält, wäre vom Gericht der Künstler diesbezüglich genau zu befragen. Welche „Bewusstseinslage“ lag bei Richter noch vor? Hat er sich überhaupt noch Gedanken über den „Müll“ bzw. das „Altpapier“ gemacht? Wenn ja: Welche? In tatsächlicher Hinsicht könnte auch die Frage, relevant sein, ob die Skizzen abfallrechtlich, überhaupt als „Altpapier einzuordnen waren. Dies ist bei „beschmutzen“ Papier problematisch. Waren die Skizzen also mit Bleistift oder aber schon mit Ölfarben o. ä. bearbeitet und daher abfallrechtlich kein Müll für die Altpapiertonne? Relevanz hat die Frage mE deshalb, weil es zeigen könnte, dass Richter die korrekte Entsorgung der Bilder an sich egal war, er sie also einfach nur „irgendwie loswerden“ wollte, was umsomehr gegen Herrschaftswillen spräche (vielleicht sogar die Übereignung an die Abfallentsorgung in Frage stellen könnte).
Der BGH scheint eine Bewertung des Einzelfalls vorzunehmen und erst in diesem Rahmen, dann die Verkehrsauffassung zu berücksichtigen, vgl. BGHR StGB § 242 Abs. 1 Gewahrsam 2: „Nach der feststehenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gibt es für die Frage, wer an einem Gegenstand Gewahrsam hat, keine feste Regel. Gewahrsam ist zwar tatsächliche Sachherrschaft. Ob sie aber vorliegt, hängt vor allem von den Umständen des einzelnen Falles und ihrer Beurteilung nach den Anschauungen des Verkehrs ab.“ (zitiert nach Zopfs FN 16 , a. a. O., Hervorhebungen von mir).
zu c) Von entscheidender Bedeutung erscheint aufgrund des uneindeutigen Ergebnisses von a) und b) jedenfalls die Frage einer sozial-normativen Bewertung bzw. Korrektur der Sachlage (insofern könnte man durchaus von „Richter-Recht“ im doppelten Sinne sprechen…). Hier lässt sich mE vieles vertreten. Ich würde aber dazu tendieren, aufgrund der Tatsache, dass Müll gerade weggeworfen werden soll, keine Herrschaftsbeziehung mehr anzunehmen, vgl. bereits die Überlegungen zum „Abfallzuführungswillen“.
2. Subsidiärer Charakter des Strafrechts
Zudem habe ich auch noch ganz grundsätzliche Bedenken, die man aber auch gut an der sozial-normativen Bewertung festmachen kann: Soll das Strafrecht solche Fälle wirklich noch erfassen, in denen jemand ohne große kriminelle Energie einen Gegenstand, den ein anderer bewusst nicht mehr verwenden will, zur Entsorgung freigibt. Ich sehe hier kein Bedürfnis für eine Strafbarkeit. Ob Richters Entsorgungswille berücksichtigt werden kann (Urheber) oder ein Verkaufserlös herauszugeben wäre, kann das Zivilrecht ausreichend klären (z. B. §§ 812 ff., 823 ff. BGB i. V. m. allgemeinen Persönlichkeits-/Urheberrecht oder das Urheberrecht.)
3. Strafbarkeit nach § 106 UrhG
Hier stellt sich mir noch die Frage, ob tatbestandlich ein „Werk“ vorliegt. Wenn Richter die Bilder gerade als Müll, also als entsorgenswert (!) betrachtet, kann man dann wirklich noch begrifflich von einem „Werk“ sprechen? Ich würde das eher verneinen. Ursprünglich waren die Bilder ein „Werk“ dass dann aber von dem Urheber zu „Müll“ bzw. „Altpapier“ umgewidmet wurde. Der ursprüngliche Werk-Charakter wurde quasi entzogen (dies legt eine subjektive Bewertung des Werkcharakters zu Grunde).
Dazu Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 6. Auflage 2018: § 3 Rn. 15 (Hervorhebung von mir):
Nicht nur das vollendete Werk, sondern auch seine Vor- und Zwischenstufen sind schützbar, seien es Skizzen, Entwürfe, Exposés oder auch Fragmente und unvollendete Werke (BGH GRUR 1985, 1041, 1046 – Inkasso-Programm, für das Pflichtenheft, das Flussdiagramm, das Quellenprogramm und das Objektprogramm eines Computerprogramms; OLG München GRUR 1990, 674, 675 – Forsthaus Falkenau, für ein Fernsehserien-Exposé; BGH GRUR 2005, 854, 856 – Karten-Grundsubstanz, für Vorstufen von Stadtplänen). Allerdings muss die jeweilige Werkstufe in der vorliegenden Form eine persönliche geistige Schöpfung sein. Was noch im Ideenstadium steckt (Rn. 37) oder was in seiner bisherigen Form den Anforderungen an eine persönliche geistige Schöpfung nicht genügt, bleibt schutzlos.
Im vorliegenden Fall genügten die Skizzen jedenfalls nach Ansicht des Künstlers nicht diesen Anforderungen, da er sie gerade entsorgen wollte.
Eine Strafbarkeit gem. § 106 UrhG schiede damit aus, wenn man sich fürv eine subjektive Bewertung des Werkbegriffes aussprechen würde.
Björn Engelmann kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrter Prof. Dr. Müller,
vielen Dank für das feedback! Gerade da eine richterliche Kontrolle wegen des Spielraumes problematisch ist, kommt denke ich der „außerprozessualen“ Kontrolle durch die demokratische Gesellschaft als solches eine wichtige Funktion zu. Zur Kontrolle der Justiz (der Staatsanwaltschaft und im Übrigen auch der Gerichte) ist dabei mE insbesondere auch die Rechtswissenschaft gefordert, die durch Diskussionen – wie hier im Blog oder in Fachveröffentlichungen – einen wichtigen Beitrag zur Sicherstellung der Gesetzeseinhaltung leisten kann.
Beste Grüße,
Björn Engelmann
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