ChatGPT und Hausaufgaben, Prüfungen

von Sibylle Schwarz, veröffentlicht am 23.01.2023
Rechtsgebiete: Bildungsrecht1|4373 Aufrufe

ChatGPT des Unternehmes OpenAI sorgt seit Wochen für einen Hype. Die Zeitungen titeln bereits „Die Hausaufgaben übernimmt jetzt eine KI“. Eine erste (prüfungs-)rechtliche Annäherung.

 

Was wir bisher wissen

Das Unternehmen OpenAI hat am 30. November 2022 ChatGPT gelauncht. Nach eigener Aussage auf der Website:

„We’ve trained a model called ChatGPT which interacts in a conversational way. The dialogue format makes it possible for ChatGPT to answer followup questions, admit its mistakes, challenge incorrect premises, and reject inappropriate requests. ChatGPT is a sibling model to InstructGPT, which is trained to follow an instruction in a prompt and provide a detailed response.“

 

ChatGPT heißt Chat Generative Pre-trained Transformer. Es fußt auf dem älteren sog. großen Sprachmodell GPT-3, das umständlich zu bedienen gewesen sein soll. Am 30. November ist Version 3.5. erschienen, die mit einer enormen Masse an Texten trainiert worden sein soll. Es geht das Gerücht um, dass mit dem gesamten Inhalt von Wikipedia trainiert worden sei. ChatGPT merkt sich den Inhalt früherer Fragen und bezieht sich darauf - eine fast menschliche „Konversation“. Allerdings stammen die Trainingsdaten weitgehend aus der Zeit von 2021 und früher. Im Trainingsmaterial können diskriminierende und rassistische Aussagen enthalten sein.

Es ist nun einer breiten Masse zugänglich, zur Zeit noch kostenfrei, ein Account mitsamt Mailadresse und Handynummer ist aber anzulegen.

Dazu (beispielsweise): https://www.heise.de/download/product/chatgpt-openai

 

ChatGPT im Unterricht

ChatGPT erstellt zum Beispiel perfekt formulierte Texte und Website-Code und löst mathematische Probleme. Und nur einen Wimpernschlag später stellt sich die Frage, wie die KI-Anwendung ChatGPT im Unterricht eingesetzt werden kann.

Nur am Rande: Ein erstes Problem kann schon darin liegen, dass ein Account mitsamt Mailadresse und Handynummer anzulegen ist. Minderjährige Schüler:innen sollen ihre private Telefonnummer angeben. Der Datenschutz wird auch hier gehörig mitreden müssen.

 

Lehrerinnen und Lehrer

Der Mathematik-Lehrer und Lehrerausbilder Tim Kantereit hat sich von der KI-Anwendung ChatGPT eine Unterrichtsstunde für seine 6. Jahrgangsstufe zu dem Thema „Brüche erweitern, Brüche kürzen“ planen lassen (ab Minute 7) 

Darf die Lehrkraft das?  Ein Blick in die Dienstordnung für Lehrkräfte, Schulleiterinnen und Schulleiter und sozialpädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Vom 4. November 2011, des Bundeslandes Hessen kann bei der Beantwortung helfen:

 

„§ 2 Die Lehrkräfte erfüllen den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule auf der Grundlage fachlichen Könnens, wissenschaftsorientierter und kooperativer Arbeitsweisen, pädagogischer Befähigung und psychologischen Einfühlungsvermögens.“

 

„§ 4 (1) Die Lehrkräfte erziehen, unterrichten, beraten und betreuen in eigener Verantwortung und pädagogischer Freiheit im Rahmen der Grundsätze und Ziele der §§ 1 bis 3 des Schulgesetzes sowie der sonstigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften und der Konferenzbeschlüsse (§ 86 Abs. 2 Satz 1 und 2 des Schulgesetzes). Der Unterricht ist auf der Grundlage der geltenden Lehrpläne und Bildungsstandards, des geltenden Kerncurriculums sowie unter Beachtung pädagogischer Erkenntnisse, über deren jeweils neuesten Stand die Lehrkräfte sich zu informieren haben, zu erteilen. …

(3) Lehrkräfte haben die geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften und Anordnungen der Schulaufsichtsbehörden, Weisungen der Schulleiterin oder des Schulleiters und die Beschlüsse der Schulkonferenz und der Lehrerkonferenzen zu beachten. Sie sind verpflichtet, sich über die geltenden Vorschriften, Weisungen und Konferenzbeschlüsse zu informieren.

(5) In Verwirklichung ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags entwickeln die Schulen ihr eigenes pädagogisches Konzept und planen und gestalten den Unterricht und seine Organisation selbstständig. …“

 

Zu den Zielen des Schulgesetzes zählt etwa Gleichberechtigung von Frauen und Männern Rechnung zu tragen, keine Schülerin und keinen Schüler wegen des Geschlechts, der Abstammung, der Rasse, der Sprache, der Heimat und Herkunft, einer Behinderung, des Glaubens und der religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligen oder bevorzugen.

 

Ob die KI-Anwendung ChatGPT eine Unterrichtsstunde plant oder die Lehrkraft im Kollegium Arbeitsblätter ausleiht, kopiert und in der Klasse verteilt, wird kaum einen Unterschied machen. Die Möglichkeit, Unterrichtsmaterialien auszutauschen, gab es auch bisher schon im Internet. Hier wie dort wird darauf zu achten sein, dass das im Unterricht verteilte Material keine fachlichen Fehler enthält, dass es nicht diskriminierend ist, Menschen mit Behinderungen nicht benachteiligt etc.

Den Lehrkräften, die sich grundsätzlich an die geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu halten haben, kann wegen des Einsatzes der KI-Anwendung ChatGPT wie im obigen Beispiel kein Verstoß gegen (dienst-)rechtliche Vorschriften vorgeworfen werden. Fraglich ist aber, ob der Umgang mit KI ein Zeichen fachlichen Könnens ist.

 

Schülerinnen und Schüler

Bei Schülerinnen und Schülern sieht die Einschätzung doch etwas anders aus. Hier soll die Abschlussprüfung Abitur als erstes Beispiel dienen:

„Oberstufen- und Abiturverordnung (OAVO) Hessen, § 30 Verfahren bei Täuschungen und Täuschungsversuchen und anderen Unregelmäßigkeiten

(2) Bedient sich eine Prüfungsteilnehmerin oder ein Prüfungsteilnehmer bei einem Leistungsnachweis nicht ausdrücklich zugelassener Hilfsmittel oder fremder Hilfe, täuscht sie oder er in anderer Weise über den nachzuweisenden Leistungsstand oder unternimmt einen Täuschungsversuch oder leistet einer Täuschungshandlung Vorschub, entscheidet der Prüfungsausschuss nach Klärung des Sachverhaltes und Anhörung der Prüfungsteilnehmerin der des Prüfungsteilnehmers und der aufsichtführenden Lehrkraft und der Tutorin oder des Tutors über die weiteren Maßnahmen. Die Entscheidung nach Satz 1 soll noch am gleichen Tag erfolgen. Bis zur Entscheidung wird die Prüfung vorläufig fortgesetzt.

(3) Folgende Maßnahmen kommen in Betracht:

1.  Wiederholung des Leistungsnachweises mit neuer Aufgabenstellung,

2. Bewertung des Leistungsnachweises mit null Punkten,

3. in schweren Fällen wird die Abiturprüfung für nicht bestanden erklärt, vor allem wenn die Täuschung oder der Täuschungsversuch vorbereitet war. …“

In beaufsichtigten Klausuren und mündlichen Abiturprüfungen erscheint ein Einsatz von ChatGPT als ausgeschlossen.

Hessen gibt jedoch die Möglichkeit als fünftes Prüfungsfach eine Präsentation zu wählen. Hierunter ist ein medienunterstützter Vortrag mit anschließendem Kolloquium zu verstehen, bei dem  auch naturwissenschaftliche Experimente sowie musikalische oder künstlerische Darbietungen mögliche Bestandteile sein können.

Eine Präsentation wird als medienunterstützter Vortrag aufgefasst. Die Texte könnten zulässigerweise von der KI-Anwendung ChatGPT kommen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn gemäß § 37 (3) OAVO Hessen sollen in die Bewertung einfließen insbesondere folgende Kriterien:

1. Qualität und Umfang der vermittelten fachlichen Informationen, auch Vollständigkeit, exemplarisches Vorgehen, Aktualität, Kreativität,

2. Strukturierung der Präsentation (insbesondere Problembeschreibung, gegliederte Darstellung, Lösungen, Bewertungen, zusammenfassender Schluss),

3. sachgerechter Einsatz der Medien, Qualität der audio-visuellen Unterstützung,

4. Präzision und logische Nachvollziehbarkeit der Darstellung,

5. kommunikative (einschließlich rhetorischer) Fähigkeiten,

6. Reflexion über die gewählte Präsentationsmethode, die vorgetragenen Lösungen und Argumente.“

 

ChatGPT plant, strukturiert und textet, Schüler/Schülerin trägt mit kommunikativen Fähigkeiten vor. Ein sachgerechter Einsatz von Medien, oder etwa nicht? Aber die Aktualität. ChatGPT kenne das Jahr 2022 noch nicht. Die geforderte Reflexion über die gewählte Präsentationsmethode könnte genau auch diesen Zeit-Aspekt thematisieren. Aufgabenstellung erfüllt?

Eine Präsentation mit KI-generiertem Text wie im kurzen Beispiel oben könnte von Schule nicht reflexhaft mit „Täuschung, setzen, sechs“ qualifiziert werden.

Schulrecht – also Rechtsbegriffe und Worte im hessischen Schulgesetz, sollten wie im Präsentationsbeispiel aufgezeigt zukünftig besser zeitgemäß verstanden werden.

 

Betrug?

„ChatGPT beruht primär auf einem Sprachmodell und ist keine Logik-Maschine

GPT3 und Co. bauen ihre Antworten primär aufgrund von statistisch zu erwartenden Wörtern und Sätzen zusammen, deren Wahrscheinlichkeiten sie in ihrem Textkorpus gefunden haben. Es kommt deshalb mitunter vor, dass sie sachliche und/oder logische Fehler generieren.

Gewisse Prüfungsformate sind künftig anfällig für Betrug

Schriftliche Aufgaben und Prüfungen ohne entsprechende Aufsicht und/oder Gegenmassnahmen können künftig zum Teil einfach mit KI-Sprachgeneratoren gelöst werden.“

Quelle: Einschätzungen der Professur „Digitalisierung und Bildung“ der Pädagogischen Hochschule Schwyz, Beat Döbeli Honegger, Januar 2023 

 

Honegger nennt als Beispiel: „Vor dem Aufkommen von KI-Textgeneratoren hat es gereicht, statt allgemeiner sehr individuelle Fragestellungen zu formulieren ("Beschreibe den Feldzug von Napoleon aus der Sicht eines russischen Bauern") weil die Antwort auf exakt diese Fragestellung noch nicht auf dem Internet verfügbar war. Heutige KI-Textgeneratoren liefern jedoch auch auf solche Fragestellungen Antworten.“

 

Schriftliche Aufgaben ohne entsprechende Aufsicht sind Hausaufgaben. Ein Blick nach Rheinland-Pfalz. Dort gibt es die Möglichkeit

„§ 51 (3) Hausaufgaben werden in der Regel im Unterricht besprochen und zumindest stichprobenweise überprüft.“

aus: Schulordnung für die öffentlichen Realschulen plus, Integrierten Gesamtschulen, Gymnasien, Kollegs und Abendgymnasien (Übergreifende Schulordnung)

Eine Handreichung des Studienseminar Koblenz erläutert dazu „Es gibt keine Benotungspflicht, allerdings ist das mündliche wie das schriftliche Abfragen der Hausaufgaben eine geeignete Form zur Leistungsfeststellung.“

 

Die Frage nach Sinn und Unsinn von Hausaufgaben soll hier nicht thematisiert werden. Nur so viel kann gesagt werden, dass bloße schriftliche Texte als Hausaufgabenabgabe keine geeignete Form mehr zur Feststellung von Leistung sind. Die KI-Anwendung ChatGPT macht Schülers Hausaufgaben in weniger als einer Sekunde – vielleicht mit kleinen Schwachstellen. Möglicherweise an veralteten Daten trainiert, möglicherweise erfundene Quellen, möglicherweise enthaltene rassistische Aussagen.

 

Es soll mittlerweile sogar schon die Anwendung GPTZero geben. Dorthinein kopierter Text werde geprüft und daraufhin angeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit es KI-erzeugter Text sei.

Zynisch gefragt, soll nunmehr unter „Hausaufgaben werden zumindest stichprobenweise überprüft“ der Einsatz von GPTZero zu verstehen sein? Dem Transparenzgebot jedenfalls, was ist menschlich und was künstlich erzeugter Text, wäre doch hiermit Genüge getan. Oder liegt die Lösung darin, dass Leistungen / Prüfungen durch Schüler:innen nur noch unter den strengen, wachsamen Augen von Aufsichtspersonen erbracht werden können?

 

Bleiben wir im Bundesland Rheinland-Pfalz. § 50 (2) Übergreifende Schulordnung bestimmt:

„Bei der Leistungsfeststellung und der Leistungsbeurteilung sind vielfältige mündliche, schriftliche und praktische Beiträge zu berücksichtigen.“

Das Bundesland Nordrhein-Westfalen erläutert ausführlicher, danach:
„Zu den Bestandteilen der „Sonstigen Leistungen im Unterricht/Sonstigen Mitarbeit“ zählen u.a. unterschiedliche Formen der selbstständigen und kooperativen Aufgabenerfüllung, Beiträge zum Unterricht, von der Lehrkraft abgerufene Leistungsnachweise wie die schriftliche Übung, Präsentationen, von der Schülerin oder dem Schüler vorbereitete, in abgeschlossener Form eingebrachte Elemente zur Unterrichtsarbeit, wie z.B. Protokoll, Referat, Sachverhaltsbegutachtung, Vorstellung aktueller Probleme, rollenspezifische Stellungnahme, Entwurf von Schriftsätzen, Verträgen und Normen. Schülerinnen und Schüler bekommen durch die Verwendung einer Vielzahl von unterschiedlichen Überprüfungsformen vielfältige Möglichkeiten, ihre eigene Kompetenzentwicklung darzustellen und zu dokumentieren.“

 

Eine schulische Zeugnisnote entstand noch nie ausschließlich aufgrund von reinen Texten. Gleichwohl können Änderungen in den Landes-Schulgesetzen gefordert werden. In Rheinland-Pfalz kann die „benotete schriftliche Hausaufgabenüberprüfung“, auch wenn keine Benotungspflicht bestehen solle, gestrichen werden.

In NRW sollen „Schriftliche Arbeiten“ und „Sonstige Leistungen im Unterricht“ bei der Leistungsbewertung angemessen berücksichtigt. Unter „angemessen“ kann durchaus auch ein stärker Ausschlag in Richtung mehr unmittelbarer Mündlichkeit verstanden werden.

In Hessen zeigt das Beispiel einer Präsentation als medienunterstützter Vortrag, dass in ChatGPT eine Medienunterstützung gesehen werden kann - mit entsprechend kritischer Reflexion.

 

Unabhängig von zu fordernder zeitgemäßer Auslegung und Anwendung der Vorschriften in den Schulgesetzen könnte es in Zukunft auch ad absurdum geführt werden:
Schüler:in lässt sich von KI einen Text generieren, woraufhin Lehrer:in sich von KI eine Bewertung dessen generieren lässt.

 

 

Hinweis

In diesem Blogbeitrag wurden echte menschliche Gedanken auch mit Hilfe der KI-Anwendung deepl write formuliert :-)

Ich freue mich auf eine Diskussion.

 

 

ChatGPT und Hausarbeiten an Hochschulen

(vom 25.01.2023)

Über 90% aller Studiengänge führen zu Bachelor- und Masterabschlüssen.

Vor der Verleihung der Bachelorurkunde ist eine Bachelorarbeit (Thesis) zu fertigen. Und das macht nun ChatGPT?

Eine weitere (prüfungs-)rechtliche Annäherung.

 

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1 Kommentar

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Interessantes Thema, das wir hier im Blog auch aus der Sicht beleuchtet haben, ob zukünftig Datenschutzerklärungen per ChatGPT erstellt werden könnten.

https://community.beck.de/2023/01/10/dsgvo-datenschutzerklaerungen-demna...

Insbesondere die Frage, ob und wann ChatGPT oder Bildgeneratoren gegen Urheberrecht verstoßen, finde ich spannend.

 

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