Richtervorbehalt - Theorie und Praxis

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 21.04.2008

Seit bei dem Thema "Plädoyer für eine gesetzliche Regelung der Online-Durchsuchung oder was den Internet-Dschihad so gefährlich macht" am 10. April 2008 Herr Ralf Zosel die Frage stellte, ob der Richtervorbehalt dem mit ihm verbundenen Anspruch gerecht wird, als unabhängige Instanz die Beschuldigtenrechte zu sichern, ist dort eine Diskussion in Gang gekommen, die wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung in einem eigenen Blog-Beitrag diskutiert werden sollte. Wird die seit langem beklagte ermittlungsrichterliche Praxis der Aufgabe noch gerecht (zur Kritik vgl. Krehl NStZ 2003, 461) oder hat die Praxis den Richtervorbehalt in einem Maße entwertet, dass nach anderen Wegen gesucht werden muss?

Die FAZ 19. April 2008 Nr. 92 S. 2 berichtet davon, dass die Online-Durchsuchung nur auf Antrag des BKA-Präsidenten (!) und schriftliche Anweisung eines Richters zulässig sein soll, wenn Leib, Leben, oder Freiheit einer Person in Gefahr sind oder die Grundlagen des Staates oder der Existenz der Menschen bedroht sind (§ 20k; inzwischen ist der Entwurf als PDF bei netzpolitik.org veröffentlicht).

Trotz mancherorts zu kritisierender Praxis sehe ich persönlich zum Richtervorbehalt derzeit keine vorzugswürdige Alternative. Wie sehen Sie das?

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8 Kommentare

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Ich erinnere mich an einen vor etwa einem Monat ausgestrahlten Beitrag in einem dieser montäglichen Polit-Magazine. Interviewt wurde ein Richter, der einen auf haarsträubenden Gründen beruhenden (OWi, begangen vor drei Jahren) Durchsuchungsbeschluss unterzeichnet hatte. Er sah dies auch selbst ein, rechtfertigte sich aber damit, er müsse eine Vielzahl von Beschlüssen fertigen, müsse daher die "Prüfungsdichte herunterfahen".

Wie würde wohl eben jener Richter entscheiden, wenn ein Arzt angeklagt oder verklagt wäre, dem ein Patient verstarb, weil der Arzt die Vorgeschichte des Patienten nicht hinreichend studierte? Wäre die Überlastung des Gesundheitswesens ein hinreichender Grund?

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Sehr geehrter Herr Rechtsreferendar Schönberg,

vielleicht meinen Sie den Panorama-Beitrag, auf den Herr Zosel und ich beim Thema "Plädoyer für eine gesetzliche Regelung der Online-Durchsuchung oder was den Internet-Dschihad so gefährlich macht" am 14. April 2008 verlinkt haben. Dann steht er Ihnen weiterhin zum Abspielen zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
Bernd von Heintschel

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Sehr geehrter Herr von Heintschel-Heinegg,

wir hatten in dem Parallelthema ja schon eine kleine Diskussion angefangen, ob und wie eine Sicherung aussehen könnte. Eine Absicherung alleien durch den Richtervorbehalt scheint mir zu schwach, wenn ich mir vor Augen halte, auf welcher Verdachtsbasis momentan Hausdurchsuchungen angeordnet werden.

§ 20k BKAG-E erscheint mir dazu - wie in dem Parallelthema angedeutet - schlicht untauglich, insbesondere ist dessen Abs. 7 ungenügend, denn dort wird davon ausgegangen, dass nach einer kernbereichsrelevanten Ermittlungsmaßnahme dieser Verstoß durch Löschen der Daten beseitigt werden könne. Selbst wenn zu Gunsten des BKA unterstellt wird, dass alles unverzüglich gelöscht wird, was kernbereichsrelevant ist: Nicht erst die Verwertung etwaig erhobener Daten ist ein Eingriff in das Grundrecht, sondern bereits die Erhebung der Daten als solche. Bereits vor diesem Punkt muß mE eine Sicherung ansetzen.

Eine alleinige Antragsbefugnis des Präsidenten schön und gut: Der hat doch wahrlich andere Dinge zu tun und wird - auch wenn von hier aus mangels Kenntnis spekulativ - im Zweifel doch das abnicken, was seine Untergebenen ihm antragen. Es müßte eine wirtschaftlich, politisch & ermittlungstaktisch vollkommen unabhängige Instanz her, die diese Anträge mit genügend Zeit auf Herz und Nieren prüft.

Angesichts der Tendenzen der Politik und auch einiger Gerichte zu der Grundausrichtung gbI (großes, böses Internet) hege ich Zweifel, dass ein Ermittlungsrichter (zumal ob dessen engen Zeitplanes und erheblichen Arbeitspensums) dies gewissenhaft leisten könnte.

Mit freundlichen Grüßen
Dominik Boecker

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Vielleicht wäre der Richtervorbehalt in der Praxis eine gute Hürde - dann sollten wir aber darüber diskutieren, wie man ihn so ausgestalten kann, dass in jedem Fall fundierte Entscheidungen vor einem so tiefgehenden Grundrechtseingriff getroffen werden.
Ich denke das Instrument des Richtervorbehalts in seinem "wie" gehört Analysiert und nicht die Frage des "ob", denn die kann in einem Rechtsstaat keine Option sein.

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Aus meiner Sicht gibt es (leider) keine Alternative zu einem Richtervorbehalt. Daher kann ich Herrn Ferner auch nur Zustimmen, dass es auf die Ausgestaltung ankommt. Zum einen muss hier die immer wieder behauptete Arbeitsüberlastung der Gerichte berücksichtigt werden und zum anderen die teilweise weitgehende Sachfremdheit, gerade in Bezug auf das Internet, einiger Richter.
Die Überlastung - ich gehe mal davon aus, dass sie real ist - kann meiner Ansicht nach nur durch eine personelle Aufstockung der Justiz behoben werden. Wenn "die Regierung" nicht willens ist, dies zumindest ansatzweise zu tun, dann muss eigentlich auch sie die Konsequenzen tragen - nämlich, dass sie nicht all ihre Kompetenzen einsetzen kann. In der Realität scheint es aber gerade umgekehrt zu sein. Wenn die Ermittlungsrichter überlastet sind, dann unterzeichnen sie eher.
Auf der anderen Seite sind teilweise haaresträubende Begründungen für Durchsuchungsbeschlüsse von Richtern mangels Sachkenntnis nur durch gezielte Schulungen zu beheben. Ohne Motivation dazu, bringt aber selbst der beste Referrent keinen Lerneffekt.

Beides setzt aber ein Handeln der Administrative voraus, welches aus meiner Sicht nicht zu erwarten steht. Man könnte aber auf der anderen Seite "härtere" Folgen an rechtswidrige Beschlüsse knüpfen - auch wenn die Disziplinierungstheorie mit dem zwangsläufigen und weitgehenden Verwertungsverbot in Deutschland unbeliebt ist, könnte sie aber als "Keule" gerade für die Exekutive und die Staatsanwaltschaft hilfreich sein. Ein wenig mehr Differenzierung nach Art der Rechtswidrigkeit (formell / materiell) wäre selbstverständlich erforderlich.
Ich glaube zumindest, dass ohne eine wirkungsvolle Rechtsfolge bei rechtswidrigem Handeln der Richtervorbehalt kaum effektiv sein kann. Selbst bei ausreichender personeller Ausstattung und sachlicher Qualifikation.

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Zum Richtervorbehalt sehe ich auch keine gute Alternative. Ich möchte harl3quin zustimmen, dass nur wirkungsvolle Sanktionen einen Unterschied machen. Zum einen sollten die Informationspflichten streng gefasst werden, damit Betroffene eine Chance haben sich zu wehren. Darüber hinaus sollten neben Verwertungsverboten auch Schadensersatzansprüche bei rechtswidrigen Beschlüssen gegeben werden. Damit haben die Betroffenen einen Anreiz sich zu wehren und den beantragenden Stellen würden rechtswidrige Trojanereinsätze "weh tun".
Um zu sehen, ob dies tatsächlich hilft, sollte es auch gleich bei der Telefonüberwachung mit eingeführt werden.

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Über SE-Ansprüche habe ich auch bereits nachgedacht. Selbst bei einer Haftungsüberleitung auf den Staat nach Art. 34 GG würden derartige Ansprüche aber unter Umständen mit dem Richterspruchprivileg kollidieren. Zudem kommt das Problem, dass immaterielle Schäden im deutschen Recht chronisch unterbewertet sind und somit eine Präventionsfunktion kaum existiert (einmal davon abgesehen, dass es im Schadensrecht mE eh nur minimale Präventionselemente gibt).
Eine Präventionsfunktion würde in den Fällen, in denen eine rechtswidrige Maßnahme (welche ist egal) keine Erhärtung des Verdachts liefert und damit keine Anklage erfolgt, nicht durch ein Verwertungsverbot bewirkt werden können. Hier würde sich meines Erachtens nach eine Schadensersatz oder Entschädigungsregelung für immaterielle Schäden sehr gut eignen.
Ich habe gerade in solchen Fällen immer wieder zwei Argumente gehört, die dagegen sprechen sollen.
1) Es könne nicht angehen, dass der Staat für kleinste formale Verstöße einen Schadensersatz leisten muss.
--> Das läßt sich recht problemlos durch eine anständige Differenzierung der schadensersatzauslösenden Fehler beheben. Ein falsch verwendeter Datumsstempel o.ä. sollte natürlich keinesfalls zu einer Entschädigungspflicht führen, wenn die Maßnahme materiell rechtmäßig war.
2) Der Staat müsse bei einer solche Haftung plötzlich große Summen an Entschädigungen / SE zahlen müssen.
--> Das muss ebenfalls das Privatsubjekt, wenn es regelmäßig Rechtsbrüche verübt. Nur weil der Staat ein bedeutend größeres Subjekt darstellt, kann er nicht weniger haften. Zumal er die Gelder, die für Entschädigungen und SE gezahlt werden würden, ja auch sinnvoll in eine anständige personelle Besetzung der Justiz investieren könne und so auch seiner Aufgabe nachkommen würde.

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Ich schließe mich den anderen an - an einem Richtervorbehalt führt kein Weg vorbei, allerdings sollte er anders ausgestaltet werden.
Denkbar ist zum einen, den "Rechtsschutz gegen Richter" (ich habe da erst kürzlich von einem gehört, der darüber promoviert haben soll...) besser auszugestalten und Richtern, die wiederholt evident fehlerhaft bzw. gar nicht den Fall geprüft haben, die Befugnis zu entziehen, die entsprechenden Anträge zu bewilligen.

Präventiv natürlich besser wäre es, die Anträge zum einen zu anonymisieren und zum anderen an zufällig ausgewählte Richter zu schicken; hier wäre dann der Einfluß der möglichen zwischenmenschlichen Kontakte zwischen Richter und Antragsteller nicht mehr so groß, wie er im jetzigen System ist und der Begründungsaufwand für den Ast. könnte sich dadurch erhöhen.
Schließlich würde es sich auch anbieten, den Richtern auch Sachverständige zur Seite zu stellen, die den Richter auf evidente Unzulänglichkeiten hinweisen kann - das müssen ja keine höchstqualifizierten Experten sein, Juristen mit Computererfahrung oder technisch Ausgebildete mit Rechtsbildung könnten hier schon sehr viel bewegen.

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