Keine Wiederaufnahme trotz Verstoßes gegen EMRK im Falle des gekündigten Kirchenmusikers

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 06.05.2011

 

Über die kontrovers diskutierten Urteile des EGMR in Sachen Schüth und Obst ist an dieser Stelle (Blog-Beitrag vom 23.9.2010) bereits berichtet worden. Mit dem Fall Schüth hatte sich jetzt erneut das LAG Düsseldorf (Urteil vom 4.5.2011 - 7 Sa 1427/10, Pressemitteilung vom 4.5.2010) zu befassen. Zur Erinnerung: Herr Schüth war seit dem Jahre 1983 bei der beklagten katholischen Kirchengemeinde als Kirchenmusiker tätig. Diese kündigte das Arbeitsverhältnis zum 31.3.1998 mit der Begründung, der noch verheiratete Kläger unterhalte nach Trennung von seiner Ehefrau eine außereheliche Beziehung. Die Ehe des Klägers wurde im August 1998 geschieden. Die Kündigungsschutzklage des Kirchenmusikers hatte vor dem LAG Düsseldorf keinen Erfolg. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers zum BAG blieb im Jahr 2000 ebenso ohne Erfolg wie dessen Verfassungsbeschwerde im Jahr 2002. Auf die Individualbeschwerde des Klägers vom 11.01.2003 zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied dieser am 23.9.2010, dass Artikel 8 der EMRK, nämlich das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, verletzt sei. Die von Herrn Schüth erhobene Restitutionsklage blieb jedoch vor dem LAG Düsseldorf erfolglos. Die Wiederaufnahme des ursprünglichen Kündigungsschutzverfahrens hielt das LAG für nicht zulässig. Zwar sähe § 580 Nr. 8 ZPO als Wiederaufnahmegrund für ein nach nationalem Recht rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren die Feststellung der Verletzung der EMRK durch den EGMR vor. Dieser neu eingeführte Restitutionsgrund habe für den Kläger jedoch nicht zur Anwendung kommen können, weil er aufgrund der Übergangsvorschrift des § 35 EGZPO nicht auf Verfahren anzuwenden sei, die vor dem 31.12.2006 rechtskräftig abgeschlossen worden sind. Dies sei vorliegend der Fall. Unabhängig davon habe der Kläger die Frist des § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO von fünf Jahren für die Erhebung der Restitutionsklage nicht eingehalten. Das LAG hat die Revision zum BAG zugelassen. Das letzte Wort ist also auch nach nunmehr über 13 Jahren immer noch nicht gesprochen.

Zum Thema passt der Hinweis auf einen Antrag der Fraktion „Die Linke“, der die Grundrechte (Schutz vor Entlassung, Streikrecht) der Beschäftigten von kirchlichen Einrichtungen stärken soll (BT-Drs. 17/5523).

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"Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht."

"Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes."

(GG + WRV)

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"Auch im Wege des Vertragsschlusses können daher einem kirchlichen Arbeitnehmer besondere Obliegenheiten einer kirchlichen Lebensführung auferlegt werden. Werden solche Loyalitätspflichten in einem Arbeitsvertrag festgelegt, nimmt der kirchliche Arbeitgeber nicht nur die allgemeine Vertragsfreiheit für sich in Anspruch; er macht zugleich von seinem verfassungskräftigen Selbstbestimmungsrecht Gebrauch. " (BVerfG, 04.06.1985) - so weit, so fraglich. Die WRV bestimmt eindeutig: INNERHALB der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Und dazu gehören auch die Grundrechte, so dass §9 AGG als verfassungswidrig einzustufen ist. Selbst wenn man annähme, dass diese Verachtung der Grundrechte zugunsten der Kirchen seitens des BVergG akzeptabel sei: "Durch all das wird die Rechtsstellung des kirchlichen Arbeitnehmers keineswegs "klerikalisiert". Es geht vielmehr ausschließlich um den Inhalt und Umfang seiner vertraglich begründeten Loyalitätsobliegenheiten. Dies führt nicht dazu, daß aus dem bürgerlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis eine Art kirchliches Statusverhältnis wird, das die Person total ergreift und auch ihre private Lebensführung voll umfaßt. Arbeitsverhältnisse kirchlicher Arbeitnehmer können keine säkulare Ersatzform für kirchliche Ordensgemeinschaften und Gesellschaften des apostolischen Lebens sein, die auf einer besonderen geistlichen Ausrichtung der Person und ihres Lebens beruhen." ... "Es bleibt in diesem Bereich somit Aufgabe der staatlichen Gerichtsbarkeit sicherzustellen, daß die kirchlichen Einrichtungen nicht in Einzelfällen unannehmbare Anforderungen - insoweit möglicherweise entgegen den Grundsätzen der eigenen Kirche und der daraus folgenden Fürsorgepflicht (vgl. § 1 Nr. 2 AVR) - an die Loyalität ihrer Arbeitnehmer stellen." 

Angesichts dieser Maßstäbe kann man nur konstatieren, dass es sich BAG und BVerfG 2000/2002 zu einfach gemacht haben, insbesondere da sich die Kirche offensichtlich anmaßt, den absolut geschützten, unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung mitbestimmen zu wollen.

Höchste Zeit, dass sich auch das kirchliche Arbeitsrecht an den Vorschriften der Grundrechte orientiert.

Dann muss Herr Schüth eben nochmal vor den EMGR ziehen. Nicht schön, aber offenbar muss die deutsche Justiz wirklich ständig auf die Schnauze fallen, bis sie das Primat der Menschenrechte vor ihrem selbstgebastelten Verfassungsverständnis kapiert.

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