Rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung: 6 Monate bringen 1 Monat weniger Freiheitsstrafe

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 07.11.2011

Nach dem Urteil kam es zu Problemen mit der Urteilszustellung, so dass sich das Verfahren länger zog als erforderlich - der Angeklagte bekam dafür 1 Monat Rabatt:

 

Zu Recht beanstandet die Revision des Angeklagten H. mit der Verfahrensrüge nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK allerdings, dass nach der Ur-teilsverkündung eine der Justiz anzulastende, erhebliche Verfahrensverzöge-rung eingetreten ist. Dem Angeklagten H. wurde das am 24. Februar 2010 verkündete Urteil am 21. Mai 2010 zugestellt. Diese Urteilszustellung war unwirksam, da das Hauptverhandlungsprotokoll vom 8. Februar 2010 von dem Protokollführer nicht unterschrieben und das Protokoll daher nicht fertiggestellt war. Fertig gestellt i.S.v. § 271 Abs. 1 Satz 2 StPO ist das Protokoll erst mit der letzten Unterschrift der Urkundsperson (BGHSt 23, 115, 117; Meyer-Goßner StPO 54. Aufl. § 271 Rn. 19). Fehlt es hieran, ist eine vorangegangene Urteilszustellung unwirksam (BGHSt 27, 80, 81). Die deshalb erforderliche erneute Urteilszustellung erfolgte am 10. Dezember 2010. Infolge dessen ist eine unangemessene Verfahrensverzögerung von mehr als sechs Monaten eingetreten. Über die angemessene Kompensation kann der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 a Satz 2 StPO selbst entscheiden (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 208, 209). Auf der Grundlage der Vollstreckungslösung (BGH NJW 2008, 860) stellt der Senat fest, dass von der verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten ein Monat Freiheitsstrafe als Entschädigung für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als vollstreckt gilt.

 

BGH, Urteil  vom 7.9.2011 - 2 StR 600/10 -

 

Zur rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung im OWi-Recht: Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 2. Aufl. 2010, § 5.

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