LAG Köln zur Kündigung wegen Whistleblowing

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 27.11.2012

 

Das LAG Köln (Urteil vom 05.07.2012 - 6 Sa 71/12) hat in einem jetzt veröffentlichten Urteil über einen Sachverhalt entschieden, den man unter der Chiffre „Whistleblowing“ einordnen könnte. Dieser Fragenkreis ist hoch umstritten und wird von manchen politischen Parteien für regelungsbedürftig gehalten (vgl. z.B. den Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes der SPD, BT-Drucks. 17/8567).

Vom LAG war über die die Klage einer Hauswirtschafterin zu befinden, die in einem Privathaushalt angestellt und dort mit der Betreuung von zwei Kindern im Alter von zehn Monaten und zwei Jahren beschäftigt war. Nachdem die Hauswirtschafterin sich an das Jugendamt gewandt und über Verwahrlosung und dadurch hervorgerufene körperliche Schäden der zehn Monate alten Tochter berichtet hatte, war ihr gegenüber von den Eheleuten eine fristlose Kündigung ausgesprochen worden. Ein kinderärztliches Attest wies dagegen aus, dass die Tochter einen altersgemäß unauffälligen Untersuchungsbefund habe. Zeichen von Verwahrlosung lägen nicht vor. Das LAG sah in der Anzeige eine unverhältnismäßige Reaktion auf die zuvor ausgesprochene ordentliche Kündigung. Selbst dann, wenn die Vorwürfe als richtig unterstellt würden, habe die Hauswirtschafterin unter Beachtung ihrer Loyalitätspflichten zunächst eine interne Klärung mit dem Ehepaar versuchen müssen. Erst nach Scheitern eines solchen Versuches habe eine Behörde eingeschaltet werden dürfen. Ob die Behauptungen der Hauswirtschafterin zutreffend seien, hat das LAG dahinstehen lassen.

Das LAG sieht sich hierbei im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Hiernach unterfielen zwar Anzeigen eines Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber dem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 10 EMRK. Allerdings habe ein Arbeitnehmer grundsätzlich auch den Ruf des Arbeitgebers zu schützen. Zwischen diesen Rechten und Pflichten sei eine Abwägung vorzunehmen, wenn es um die Frage gehe, ob ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer kündigen darf, der ihn anzeigt. Wesentlich sei dabei nach der Rechtsprechung des EGMR unter anderem, ob der Arbeitnehmer die Offenlegung in gutem Glauben und in der Überzeugung vorgenommen hat, dass die Information wahr sei, dass sie im öffentlichen Interesse liege und dass keine anderen, diskreteren Mittel existierten, um gegen den angeprangerten Missstand vorzugehen (EGMR vom 21.07.2011, NZA 2011, 1269 - Heinisch). Auf den letztgenannten Punkt stützt das LAG offensichtlich seine Entscheidung. 

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

6 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Hoffentlich befördert der Gesetzgeber die Essenz dieses Judikats - bezogen auf das Whistelblowing - bald dahin, wo sie hingehört: Auf die Müllhalde der Rechtsgeschichte!

3

RA Splendor schrieb:

Hoffentlich befördert der Gesetzgeber die Essenz dieses Judikats - bezogen auf das Whistelblowing - bald dahin, wo sie hingehört: Auf die Müllhalde der Rechtsgeschichte!

Sie verkennen den Sachverhalt: Die Dame hat auf eine ihr gegenüber ausgesprochene Kündigung mit einer offensichtlich inhaltlich unzutreffenden Anzeige reagiert - also aus niederen Beweggründen (Rache). Darüber hinaus hat sie noch nicht mal versucht, mit den Eltern über das angebliche  Problem zu reden (was natürlich nicht geht, wenn es objektiv nicht vorliegt).

Weshalb die Unterbindung arbeitsrechtlicher Konsequenzen eines derartigen Verhaltens auf den Müllhaufen der Geschichte gehört, ist auch unter dem Gesichtspunkt "Whistleblowing" nicht nachvollziehbar - aber Sie meinten ja auch "Whistelblowing" ... was immer das sein mag.

0

Ralf Henssen schrieb:

aber Sie meinten ja auch "Whistelblowing" ... was immer das sein mag.

Ein Tippfehler! Wie schrecklich.

Nachdem Sie den Klugscheißmodus ausgeschaltet haben, sollten Sie sich die Urteilsbegründung noch einmal vornehmen. Dort heißt es "Ein klärendes Gespräch wäre der Klägerin auch durchaus zumutbar gewesen". Das heißt, der Arbeitnehmer, der von seinem Recht - und seiner staatsbürgerlichen Pflicht - zur Anzeige einer Straftat Gebrauch machen will, muß vorher seinen Arbeitnehmer darauf ansprechen. Wie wird wohl dessen Reaktion - besonders im nicht dem KSchG unterfallenden Arbeitsverhältnis - sein? Das ist der Aspekt, den ich auf die Müllhalde der Rechtsgeschichte gewünscht habe. Ich denke, das konnte man auch erkennen, jedenfalls wenn man versucht, den Text im Kontext zu verstehen und nicht nur darauf bedacht ist, anderen Fehler nachzuweisen.

4

Die Anzeige war gerade nicht "offensichtlich inhaltlich unzutreffend" und das Gericht stützt sich auch nicht darauf, sondern macht hier nur Stimmung in diese Richtung, um zugleich eine Beweisaufnahme in dieser Frage und zur Frage des Vorliegens von "Leichtfertigkeit" mit dem Argument zu verhindern, jedenfalls hätte sie vorher den Arbeitgeber informieren müssen. 

Wie unter http://www.whistleblower-net.de/blog/2012/11/22/lag-koln-billigt-fristlose-kundigung-einer-whistleblowerin/ im Einzelnen dargelegt steht das Urteil des LAG Köln mit der Rechtsprechung von BAG, BVerfG und vor allem EGMR gerade nicht im Einklang. Es ist gefährlich da es mal wieder klar macht, dass man wenn einem der eigene Job lieb ist, zu Missständen besser schweigt, selbst dort, wo es um das Wohl von Kindern geht.

 

 

5

Erratum: Es muß natürlich "seinen Arbeitgeber darauf ansprechen" heißen.

Ich hoffe, Herr Kollege Henssen, Sie schlagen mich jetzt nicht für den Scheiterhaufen der Schreibfehlerverbrecher vor.

0

@RA Splendor

Wenn Sie durch einen inhaltlich schwachen Kommentar zusätzlich noch Angriffsfläche in der Rechtschreibung bieten, dürfen Sie sich nicht wundern, das es Leute gibt, die wie ich genervt von substanzlosen Urteilsschelten darauf herumreiten. Das Formale ist auch hier mal wieder Hinweis für die "Qualität" des Inhalts.

Das betrifft auch Ihre weitere Kommentierung des Falles: Natürlich muss - grundsätzlich - ein Arbeitnehmer erst mal die interne Klärung versuchen, bevor er eine Anzeige bei Behörden gegen seinen Arbeitgeber erstattet. Eine Pflicht zur Strafanzeige besteht nur in den Fällen des § 138 StGB, eine Bestimmung, die im Falle des LAG Köln nicht mal im Ansatz in Betracht kommt. Das Recht zur Strafanzeige (um das es allenfalls in zweiter Linie geht, weil es sich ja um eine Anzeige wegen Kindeswohlgefährdung beim Jugendamt handelte) kann ansonsten durch die Rücksichtnahmepflicht aus dem Arbeitsverhältnis gemäß § 241 Abs. 2 BGB durchaus Beschränkungen unterliegen wie der, die Anzeige erst als letztes Mittel einzusetzen. Verlangt wird vom Arbeitnehmer nur, dass er das Problem zunächst intern versucht, einer Lösung zuzuführen. Er muss m. E. nicht im Sinne einer Abmahnung  mit einer Strafanzeige drohen, falls der Arbeitgeber sein Verhalten nicht ändert.

Sie sollten nicht mit vermeintlich großen ("von seinem Recht - und seiner staatsbürgerlichen Pflicht - zur Anzeige") oder starken ("Müllhalde", "Klugscheißmodus", "Scheiterhaufen") Worten ohne inhaltliche Substanz Stimmungsmache gegen ein Urteil betreiben.

 

@ G. Strack

M. E. ist es nachvollziehbar, dass beide Instanzen den Vorwürfen nicht weiter nachgegangen sind. Allerdings gestehe ich zu, dass das Urteil des LAG durch die Bezugnahme auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung nach § 69 Abs. 2 ArbGG und seine recht kurze Subsumtion des Falles wenig Sachverhaltssubstanz enthält. Es bleiben aber im Wesentlichen die Fakten, dass

- die Anzeige beim Jugendamt erst nach Ausspruch der ordentlichen Kündigung erfolgte, deren Datum allerdings nicht in der Entscheidung mitgeteilt wird,

- die Klägerin erst Ende Juni 2011 die Missstände zur Kenntnis genommen haben will,

- bis zum 18. Juli 2011 die Anzeige erfolgt und die Eltern davon Kenntnis erlangten,

- einen Tag nach Ausspruch der Kündigung ein kinderärztliches Attest vom 19. Juli 2011 erstellt wird, was die Vorwürfe der Klägerin wohl (der genaue Inhalt wird nicht mitgeteilt) widerlegen soll.

Wie widersprüchlich das Vorbringen der Klägerin zum Zustand des Kindes tatsächlich gewesen  ist, kann man anhand des Urteils nicht feststellen, da es insoweit an - ausdrücklich wiedergegebenem - Sachverhalt fehlt.

M. E. ist daher der Schluss naheliegender, dass es sich um eine unberechtigte "Retourkutsche" der Klägerin auf die erste ordentliche Kündigung hin handelte. Mit dem Fall "Heinsch", in dem auch meiner Meinung nach eindeutig zu Unrecht die Kündigung für wirksam erachtet wurde, ist dieser Fall schlicht nicht vergleichbar. So berechtigt es ist, Whistleblower zu schützen und für ihren Schutz einzutreten, müssen Grenzen in Form von persönlich zu tragenden Konsequenzen bestehen, um leichtfertige oder auch nur rachsüchtige Anzeigen zu verhindern. Dazu gehört, dass zunächst versucht wird, dass Problem "betriebsintern" zu klären (s. o.).

5

Kommentar hinzufügen