JMStV-Novelle 2.0 - Schlimmer geht´s immer

von Prof. Dr. Marc Liesching, veröffentlicht am 17.03.2014

Nachdem der letzte Versuch einer JMStV-Novelle im Rahmen des 14. RfÄndStV Ende 2010 scheiterte, gibt es nun ein neues "Diskussionspapier" der zuständigen Rundfunkreferenten, das bereits ein inoffizielles Hearing beteiligter Stellen durchlaufen und mit  Leitern der Staatskanzleien der Länder abgestimmt worden ist.

Die vorgeschlagenen Änderungen im Jugendschutz sollen der nunmehr gewonnenen Erkenntnis Rechnung tragen, dass "Einzelpersonen (...) in zunehmendem Maße nicht nur Empfänger von Botschaften" sind, sondern  "auch als deren Verbreiter auftreten". Besonders werden Blogs in den Blick genommen. Zwar wird in dem Entwurf festgestellt, dass es im Internet immer noch Homepages gebe, aber "ihre Statik" sei "längst abgelöst worden von der Dynamik des User Generated Content (UGC)".

Im Rahmen des Diskussionspapiers finden sich neben ganz allgemein sachgerecht und gut aufgeworfenen Grundsatzfragen mehrere konkrete Regelungsvorschläge, deren Realitätsferne und offenbarte Unkenntnis über verantwortlichkeitsrechtliche Grundlagen Schreckenspotential birgt. Einige anvisierte Neuerungen sollen kurz angerissen und einer prima-vista-Bewertung unterzogen werden:

1. JuSchG-Altersfreigabe für „unveränderbare“ Film- und Spiele-Telemedien

a) Vorgeschlagene Neuregelung

Nach dem Entwurf soll dem § 12 JMStV ein Satz 2 angefügt werden mit folgendem Wortlaut:

Für unveränderbare Fassungen von Filmen und Spielen in Telemedien, die wie Filme und Spiele auf Trägermedien vorlagefähig sind, kann das Verfahren nach § 12 des Jugendschutzgesetzes durchgeführt werden.

Nach der Begründung zum Regelungsvorschlag soll „der Medienkonvergenz Rechnung“ getragen und die „Vermarktung von Filmen und Spielen“ erleichtert werden. Für die Anbieter stelle die Neuregelung „eine Verfahrenserleichterung dar, da sie nunmehr auch für Filme und Spiele, die im Internet angeboten werden, für die Altersfreigabe den Weg über die Landesjugendbehörden nehmen können“.

b) Erste Bewertung

Abgesehen davon, dass das „Verfahren“ zur Altersfreigabe nicht in § 12 des Jugendschutzgesetzes, sondern in § 14 JuSchG geregelt ist; und auch abgesehen von der Frage, ob ein Telemedium überhaupt „unveränderbar“ sein kann und was die Referenten mit „unveränderbarer Fassung“ meinen könnten; und weiterhin abgesehen davon, dass Anbieter in der Praxis längst für die reine Online-Verbreitung vorgesehene Inhalte als Bildträger nach § 14 JuSchG bewerten lassen; und schließlich abgesehen davon, dass der vorgeschlagene Satz 2 systematisch überhaupt nicht zu § 12 S. 1 JMStV (Transparenz- und Hinweispflicht) passt, ist es vor allem verfassungsrechtlich nicht möglich, mit einem Landesgesetz (JMStV) den Anwendungsbereich eines Bundesgesetzes (JuSchG) zu erweitern. Das Altersfreigabeverfahren nach §§ 12, 14 JuSchG auf Telemedien-Spiele und -Filme zu erstrecken, fällt in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes und ist vom BMFSFJ vorzubereiten.

2. Vorab-Alterskennzeichnung durch FSM/FSF mit KJM-Bestätigung

a) Vorgeschlagene Neuregelung

Nach dem Entwurf soll dem § 5 Abs. 2 JMStV ein Satz 3 angefügt werden mit folgendem Wortlaut:

Anbieter können ihre unveränderbaren Angebote einer nach § 19 anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle zur Bewertung oder Bestätigung ihrer Bewertung vorlegen und diese Bewertung durch die KJM bestätigen lassen; für die Prüfung durch die KJM gilt § 20 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 Satz 2 entsprechend.“

Nach der Begründung soll die Regelung „Anbietern von Telemedien (mit der Ausnahme von Spielen und Filmen gem. § 12) die Möglichkeit“ geben, ihre Angebote durch die jeweilige Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle in Bezug auf eine Altersfreigabe vorzulegen und dies von der KJM bestätigen zu lassen“. Hierbei erfolge ausdrücklich „keine inhaltliche Prüfung nach dem Jugendschutzgesetz, sondern allein nach dem JMStV“. Habe „die Aufsichtsbehörde die Alterskennzeichnung bestätigt, ist die Aufsicht an die Altersbewertung auch für die Zukunft gebunden“.

b) Erste Bewertung

Telemedienanbieter können bereits jetzt alle ihre Angebote einer Selbstkontrolleinrichtung nach § 19 JMStV zur Prüfung vorlegen, wenn sie deren Mitglied sind oder sich deren Statuten unterworfen haben. Sie müssen es aber eigentlich gar nicht, weil nach § 20 Abs. 5 S. 1 JMStV ohnehin eine Erstbefassungspflicht der KJM bei Verstoßvorwürfen gilt. Unterschiede durch die Neuregelung ergeben sich nur, wenn man jetzt für alle Anbieter auf eine Selbstkontrollmitgliedschaft verzichtet. Hieran würde sich die Frage knüpfen, was der Anbieter dann für eine Vorab-Bewertung zahlen müsste.

Diese Frage ist aber ohnehin nur hypothetischer Natur, da kein Anbieter proaktiv zur Selbstkontrolleinrichtung geht, wenn danach noch die KJM als staatliche Aufsicht den Inhalt vor seiner Veröffentlichung prüft. Für welchen Anbieter macht es Sinn, freiwillig ein Behördenorgan zu konsultieren, das im Jahr 2013 insgesamt nur 18 Aufsichtsverfahren in Telemedien durchgeführt hat, also auf einen Durchschnitt von 1,5 festgestellten JMStV-Verstößen im Monat im gesamten Internet kommt? Auch ohne die Metapher der „schlafenden Hunde“ zu bemühen, ist ersichtlich, dass Anbieter kaum einen Anreiz dafür sehen dürften, in einem Vorab-Verfahren die Verbreitung von einem Doppelvotum von Selbstkontrolle und KJM abhängig machen zu wollen; von der zu erwartenden erheblichen Verfahrensdauer einmal abgesehen.

Auch eine signifikant höhere Rechtssicherheit gegenüber dem status quo verspricht das Verfahren des § 5 Abs. 2 Satz 3 JMStV-E nicht. Der einzige Mehrwert wäre eine rechtssichere Übertragung der Online-Altersprüfung auf eine Bildträgerverwertung nach dem JuSchG. Gerade die tausendfachen FSF-Bewertungen von Fernsehfilmen haben sich bewährt und sind von der KJM seit über 10 Jahren fast gänzlich unbeanstandet geblieben. Wollte man der Medienkonvergenz wirklich Rechnung tragen, müsste den nach Altersstufen erfolgten Selbstkontrollbewertungen nach §§ 19, 20 Abs. 3 S. 1 JMStV endlich auch Rechtsverbindlichkeit für die (spätere) Bildträgerverwertung  eingeräumt werden. Gerade dies verwehrt die Regelung nach der Begründung aber ausdrücklich. Auch hierfür wäre freilich der Bundesgesetzgeber zuständig.

3. „Zusätzliche“ Optionen der Anbieterpflichterfüllung zur Wahrnehmungserschwernis

a) Jugendschutzprogrammkennzeichnung als „neue“ Option

aa) Vorgeschlagene Neuregelung

Anbieter sind nach § 5 Abs. 1 JMStV verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass entwicklungsbeeinträchtigende Angebote durch betroffene Altersgruppen „üblicherweise“ nicht wahrgenommen werden. Abs. 3 sieht hierfür in den bisherigen Nrn. 1 und 2 Optionen der technischen oder sonstigen Mittel sowie Verbreitungszeitbeschränkungen vor. Dies soll nun erweitert werden durch Nrn. 3 und 4. Nummer 3 sieht für den Anbieter die Option vor,

die von ihm angebotenen Inhalte (mit der Ausnahme von Filmen und Spielen gem. § 12) für die Altersstufen »ab zwölf Jahren« oder »ab 18 Jahren« in einer für ein Jugendschutzprogramm auslesbaren Art und Weise“ zu kennzeichnen.

In der Begründung wird auf den deklaratorischen Charakter der Regelung hingewiesen, wonach „ein Anbieter von Telemedien (mit der Ausnahme von Filmen und Spielen gem. § 12) seine jugendschutzrechtliche Verpflichtung aus § 5 Abs. 1 auch mit einer ordnungsgemäßen Alterskennzeichnung seiner Angebote nach § 5 Abs. 3 Nr. 3 in Verbindung mit § 11 Abs. 1 seit der Anerkennung von Jugendschutzprogrammen durch die KJM 2012 erfüllen kann“.

bb) Erste Bewertung

Die Regelung ist – worauf die Begründung hinweist – in der Tat deklaratorisch, soweit mit Anerkennung von Jugendschutzprogrammen durch die KJM schon heute jeder Anbieter mit einer Hinterlegung eine xml-Datei für ein JSP wie z.B. JusProG seiner Anbieterpflicht genügt. Um so erstaunlicher ist, dass nunmehr eine „Ausnahme“ gemacht wird für „Filme und Spiele gem. § 12“. Dem Wortlaut nach bedeutete dies eine erhebliche Verschärfung gegenüber der jetzigen Rechtslage, da momentan alle Telemedien einschließlich sämtlicher Filme und Spiele dem § 5 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 11 JMStV unterfallen.

b) Pflichterfüllung durch Provider fremder Inhalte (User Generated Content)

aa) Vorbemerkung

Die weiterhin in § 5 Abs. 3 Nr. 4 JMStV-E vorgeschlagene Regelung kann man eigentlich nur verstehen, wenn man zuvor auf das fundamentale Missverständnis der Papierautoren in Bezug auf die Verantwortlichkeitsregeln im Internet hinweist. Dies ergibt sich aus dem Einleitungstext des Entwurfpapiers. Dort heißt es wörtlich (Hervorhebungen durch Verf.):

Nach der Terminologie des Jugendmedienschutzstaatsvertrages (JMStV) ist auch der private Betreiber eines Blogs mit UGC ein Anbieter von Telemedien, der dafür zu sorgen hat, dass insbesondere die Jugendschutzbestimmungen des JMStV eingehalten werden. Dabei ist unbeachtlich, ob die Inhalte durch ihn selbst oder durch Dritte auf seiner Plattform eingestellt wurden. Werden die Jugendschutzbestimmungen verletzt, drohen empfindliche Sanktionen, die sich nach dem Strafrecht oder dem Recht der Ordnungswidrigkeiten bestimmen. Privatpersonen ist oftmals nicht klar, dass sie auch für jugendschutzrelevante Inhalte Dritter verantwortlich sind. Die vorgeschlagenen Änderungen des JMStV sollen hier Abhilfe beim UGC schaffen“.

Was soll man hierauf antworten außer: „Für Gesetzentwürfe verantwortliche Referenten ist oftmals nicht klar, dass Anbieter für jugendschutzrelevante Inhalte Dritter gerade grundsätzlich nicht verantwortlich sind, erst recht nicht derart wie für eigene Inhalte. Diesen Referenten sei daher dringend die Lektüre der §§ 8, 9 und vor allem des § 10 des Telemediengesetzes anempfohlen“.

Dann ist auch sichergestellt, dass nicht irrtümlich davon ausgegangen wird, Anbieter hätten nach § 5 Abs. 1 JMStV eine proaktive Pflicht für Wahrnehmungserschwernisse für UGC, den sie noch gar nicht kennen oder kennen können.

bb) Vorgeschlagene Neuregelung

Vor dem geschilderten Hintergrund erklärt sich der fatale Regelungsansatz des Vorschlages zu § 5 Abs. 3 Nr. 4 JMStV-E. Der Anbieter kann danach seiner „Pflicht“ zur Wahrnehmungserschwernis nach § 5 Abs. 1 JMStV [die er für fremde Inhalte eigentlich gar nicht oder nur eingeschränkt hat] dadurch entsprechen, dass er

bei Angeboten, die den Zugang zu Inhalten vermitteln, die gemäß § 7 ff. des Telemediengesetzes nicht vollständig in den Verantwortungsbereich des Anbieters fallen:

a) sein Gesamtangebot mit einer der Altersstufen „ab zwölf Jahren“ oder „ab 18 Jahren“ in einer für ein Jugendschutzprogramm auslesbaren Art und Weise kennzeichnet und

b) die Einbeziehung oder den Verbleib solcher Inhalte in seinem Gesamtangebot verhindert, sofern diese Inhalte geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen, die das entsprechende Alter der gekennzeichneten Altersstufe noch nicht erreicht haben, zu beeinträchtigen.

Ein Angebot fällt dann nicht in den Verantwortungsbereich des Anbieters, wenn durch Dritte fremde Inhalte integriert oder bestehende Inhalte verändert werden können (UGC). Der Nachweis, dass ausreichende Schutzmaßnahmen ergriffen wurden, gilt als erbracht, wenn sich der Anbieter dem Verhaltenskodex einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle unterwirft, der unter anderem ein Beschwerdemanagement beinhaltet.

cc) Erste Bewertung

Wie unter aa) geschildert, basiert die Regelung auf einem fundamentalen Irrtum über Grundlagen des Verantwortlichkeitsrechts für Internet-Provider. Der Überregulierungsexzess dürfte daher keiner seriösen juristischen Überprüfung im weiteren rechtspolitischen Diskussionsprozess standhalten.

Auf die im Kontext der vorstehenden Regelungsvorschläge weiterhin zur Diskussion gestellten und vorgeschlagenen Bestimmungen zu Ordnungswidrigkeiten wird aus Umfangsgründen nicht eingegangen. Gleiches gilt für die in dem Diskussionspapier aufgeworfenen grundsätzlichen Regulierungsfragen, welche durchaus sinnvoll und zielführend für die weitere rechtspolitische Debatte erscheinen. Dies kann man von den konkret vorgeschlagenen Regelungen des Papiers freilich nicht behaupten. Das Konstruktivste, was man hierzu anempfehlen darf:

„In den Papierkorb damit und nochmal anfangen“ - am Besten unter Beteiligung des Bundes. Denn der längst vollzogenen Medienkonvergenz kann nur durch Regulierungskonvergenz entsprochen werden.

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