Hey - bitte nicht ins Auto erbrechen!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 02.06.2014

Was macht ein Taxifahrer, wenn dem Fahrgast schlecht ist? Eine Möglichkeit ist sicher: Vollgas geben. Helfen tut das sicher nicht so recht. Und: Eine Notstandsrechtfertigung kommt auf seiten des Taxifahrers auch nicht zum Tragen:

Mit Bußgeldbescheid vom 12.11.2012 wurden gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 64 km/h eine Geldbuße von 440 Euro sowie ein Fahrverbot für die Dauer von 2 Monaten nach Maßgabe des § 25 IIa 1 StVG verhängt. Das AG hat den Betr. auf seinen Einspruch am 25.02.2013 freigesprochen. Es hat dabei dessen Einlassung zugrunde gelegt, wonach er als Taxifahrer zwei betrunkene Fahrgäste befördert und deswegen auf der BAB die Geschwindigkeit überschritten habe, um die nächste Ausfahrt zu erreichen. Er habe damit verhindern wollen, dass einer der Fahrgäste sich im Fahrzeug übergeben müsse und sein Fahrzeug mit Erbrochenem verunreinige. Die gegen den Freispruch gerichtete Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt, führte zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung an das AG....

....Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der StA ist begründet. Das AG hat den Betr. zu Unrecht wegen rechtfertigenden Notstands freigesprochen, indem es die Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstands i.S.d. § 16 OWiG rechtsfehlerhaft bejaht hat. Die Prämissen dieser Norm sind schon nach den eigenen Feststellungen des AG, die im Übrigen auch lückenhaft sind, nicht erfüllt.

1. Im angefochtenen Urteil fehlt es bereits an einer nachvollziehbaren Darlegung, dass die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit überhaupt geeignet war, das vom Betroffenen verfolgte Ziel, nämlich die Verhinderung, dass der weibliche Fahrgast sich im Fahrzeug übergebe und deshalb das Wageninnere verunreinige, zu erreichen. Es entspricht gefestigter Ansicht in Judikatur und Schrifttum, dass das ausgewählte Abwehrmittel geeignet sein muss, die Gefahr zu beseitigen (vgl. KK/Rengier OWiG 3. Aufl. § 16 Rn. 17 m.w.N.). Insbesondere dann, wenn durch die Geschwindigkeitsüberschreitung kein wesentlicher Zeitgewinn zu erwarten war, kann der Rechtfertigungsgrund des § 16 OWiG nicht eingreifen (Rengier a.a.O.; BayObLGSt 1990, 105; KG, Beschl. v. 26.10.1998 - 2 Ss 263/98 [„unabweisbarer Stuhldrang“; bei juris], jeweils m.w.N.). Hierzu verhält sich das angefochtene Urteil aber nicht. Es teilt insbesondere nicht mit, wieweit das Taxi von der nächsten Ausfahrt oder einem Parkplatz entfernt war. Deshalb kann nicht nachvollzogen werden, ob der Betroffene – bei der gebotenen ex-ante-Sicht (Rengier a.a.O.) – berechtigter Weise annehmen durfte, er könnte durch schnelles Fahren die bevorstehende Verunreinigung seines Fahrzeugs durch Erbrochenes verhindern. Dies gilt umso mehr, als es sich bei dem Übergeben um einen Reflex handelt, der sich einer willentlichen Beeinflussung entzieht, und deshalb eine Verzögerung letztlich nicht möglich ist.

2. Ungeachtet dieser Erwägungen sind die Urteilsgründe aber auch deshalb lückenhaft, weil sich ihnen nicht entnehmen lässt, inwiefern – abgesehen von einem Anhalten auf dem Seitenstreifen – andere Mittel zur Verfügung gestanden hätten, um die Gefahr der Verunreinigung des Taxis abzuwehren. Es liegt in jeder Hinsicht nahe, dass in Taxis sog. Brechtüten, wie dies in Flugzeugen üblich ist, mitgeführt werden. Dazu, ob dies hier der Fall war, verhält sich das angefochtene Urteil ebenfalls nicht.

3. Aber selbst unter Zugrundelegung der nur sehr knappen tatsächlichen Feststellungen durch das AG kann ein rechtfertigender Notstand nicht angenommen werden. Denn die vom AG durchgeführte Interessenabwägung weist grundlegende Rechtsfehler auf.

a) Soweit das AG meint, der Lärmschutz habe hinter die „Sicherheit der Fahrgäste“ zurückzutreten, wählt es bereits einen falschen Ansatz. Denn die „Sicherheit“ der Fahrgäste war durch das mögliche Erbrechen im Fahrzeuginneren überhaupt nicht berührt. Dies wäre eventuell nur dann der Fall gewesen, falls der Betr. auf dem Seitenstreifen der Autobahn angehalten hätte, was aber gerade nicht die einzige Alternative war. Deshalb war es geboten, die mögliche Verunreinigung des Fahrzeuginneren, um deren Verhinderung es nach den Urteilsfeststellungen dem Betr. ging, in die Abwägung einzustellen.

b) Unter Zugrundelegung der Feststellungen des AG standen sich mithin die potentielle Verunreinigung des Fahrzeuginneren einerseits und das Interesse der Allgemeinheit an der Einhaltung der Verkehrsregeln im Allgemeinen sowie der Schutz der anwohnenden Bevölkerung vor nächtlicher Lärmbeeinträchtigung im Besonderen andererseits gegenüber. Im Rahmen der gebotenen Bewertung kann indessen von einem Überwiegen des Interesses des Betr. nicht ausgegangen werden. Es handelt sich hierbei um das Einzelinteresse des Betr. daran, dass das von ihm gesteuerte Fahrzeug nicht verunreinigt wird. Dies überwiegt schon von vornherein nicht – wie es der eindeutige Wortlaut des § 16 OWiG fordert – „wesentlich“ die Interessen der Anwohner an der Einhaltung des Lärmschutzes. Ungeachtet dessen ist in diesem Zusammenhang zusätzlich zu berücksichtigen, dass der Betroffene es war, der die erkennbar Betrunkenen in seinem Taxi aufnahm. Dabei bedarf es im vorliegenden Fall auch überhaupt nicht der Beantwortung der von der Verteidigung aufgeworfenen Frage, ob im konkreten Einzelfall eine Beförderungspflicht bestand. Denn entweder hatte der Betroffene entsprechende Vorsorge getroffen und erforderliche Utensilien in Form von Brechtüten oder dergleichen mitgeführt, so-dass – wie bereits angesprochen – sich eine Notstandssituation schon deswegen nicht stellte, oder er hat dies unterlassen, obwohl ihm klar sein musste, dass dringender Bedarf hierfür bestand. Wenn dem aber so war, so hätte er – insbesondere weil er in der Oktoberfestzeit erkennbar betrunkene Fahrgäste aufnehmen wollte - ganz massiv gegen die eigenen Interessen gehandelt und eine maßgebliche (Mit-)Ursache gesetzt, sodass auch deswegen seine Interessen hintanzustellen sind.

OLG Bamberg, Beschluss vom 04.09.2013 - 3 Ss OWi 1130/13

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4 Kommentare

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Ob das typisch bayrisch oder nicht eher "volksfesttypisch" ist? Sowohl am Hamburger Dom, als auch am Bremer Freimarkt wie auch am Frankfurter Wäldchesfest sind mir Menschen entgegen gekommen, die besser nicht mehr in ein Taxi einsteigen sollten...

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Erinnert mich an den Witz

"Haben Sie noch Platz für zwei Leute und ne Kiste Bier?" - "Klar, immer rein damit" - "Uuuuäääh ..."

und die urban legend, man dürfe in Notfällen Sonderrechte in Anspruch nehmen, wenn man ein weißes Taschentuch aus dem Fenster hängt.

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