EuGH - Vorratsdatenspeicherung, neue Urteile auch mit Auswirkungen auf die DS-GVO (Rs. C-623/17 u.a.)

von Dr. Axel Spies, veröffentlicht am 06.10.2020

Das Thema hatten wir schon mehrfach im Blog - u.a. hier. Der EuGH hat hierzu heute zwei neue Urteile verkündet (hier). Es ging um GB, Belgien und Frankreich. Ein Deutschland betreffendes Verfahren ist noch anhängig. Zu den Thema gibt es schon EuGH-Urteile - vgl. Tele2 Sverige u.a. (C-203/15 and C-698/15)

Die neuen Urteile beschäftigten sich mit der Vorratsdatenspeicherung durch TK-Unternehmen und inwiefern staatliche Stellen diese Daten zur Strafverfolgung verwenden dürfen. Bislang gab es bereits nationale und europäische Verfahren, die sich mit der Vorratsdatenspeicherung auseinandergesetzt haben. Die Vorratsdatenspeicherung wurde anfangs auf EU-Ebene in der Richtlinie 2006/24/EG verankert. Die deutsche Umsetzung dieser Richtlinie wurde vom BVerfG später für verfassungswidrig erklärt (1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08). Auch die europäische Richtlinie wurde anschließend vom EuGH selbst für rechtswidrig erklärt (verb. RS C‑293/12 und C‑594/12).

Der EuGH stellte zunächst fest, dass nationale Regelungen, die es staatlichen Behörden gestattet Datenübermittlung von Telekommunikationsanbietern zur Sicherstellung bspw. der nationalen Sicherheit zu verlangen, in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2002/58/EG (ePrivacy-RL) fallen. Nach ePrivacy-RL haben die Nutzer elektronischer Kommunikationsmittel das Recht, dass ihre Kommunikation vertraulich behandelt wird. Allerdings sieht deren Art. 15 auch Ausnahmen für die Mitgliedstaaten vor, die die Rechte der Betroffenen aus der Richtlinie 2002/58/EG beschränken können. Diese Ausnahmen müssen aber im Lichte der Grundrechte der betroffenen Personen, insbesondere den Schutz der Privatsphäre (Art. 7 GrCh) und dem Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 GrCh), betrachtet werden. Für unrechtmößig erlangte Daten gibt es ein Verwertugnsverbot (bekannt auch als fruit of the poisonous tree).

Wie bereits in dem besagten Art. 15 I RL ausgeführt, müssen nationale Beschränkungen daher „notwendig, angemessen und verhältnismäßig“ sein.

Fazit:  Der EuGH erteilt der Vorratsdatenspeicherung in seinem Urteil keine endgültige Absage. Vielmehr erteilt er Vorgaben zu ihrer Ausgestaltung. Aus der Argumentation des Gerichts lässt sich aber schließen, dass für eine solche Vorratsdatenspeicherung die Grenzen hoch anzusetzen sind. Das ist durchaus spannend für die Angemessenheitsprüfung nach Art. 45 DS-GVO, insbesondere was den Investigatory Powers Act in GB betrifft.

Was meinen Sie, welche Auswirkungen werden die Urteile auf BREXIT und auf die deutschen Gesetze zur TK-Datenspeicherung haben?

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14 Kommentare

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Die LTO-Presseschau:

EuGH zu Vorratsdatenspeicherungen: Der Europäische Gerichtshof hat in drei Fällen aus Frankreich, Belgien und Großbritannien ein neues Grundsatzurteil zur Vorratsdatenspeicherung gefällt. Dabei betont der EuGH erneut, dass die anlasslose Massenspeicherung der Daten von Telefon- und Internetkunden grundsätzlich gegen die im Lichte der Grundrechtecharta ausgelegte E-Privacy-Charta verstößt. Damit ist für die SZ (Wolfgang Janisch) klar, dass das deutsche Gesetz von 2015 gegen EU-Recht verstößt. Anders als in früheren Entscheidungen von 2014 und 2016 betont der EuGH diesmal aber vor allem die Ausnahmen, in denen EU-Staaten doch eine Vorratsdatenspeicherung einführen können. Wichtigste Ausnahme ist laut taz (Christian Rath) die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen. Damit werde die Hauptforderung der Polizei erfüllt. Eine generelle Vorratsdatenspeicherung, auch von Verbindungs- und Standortdaten hält der EuGH im Falle einer ernsthaften Bedrohnung der nationalen Sicherheit für möglich, wenn sie - etwa nach einem Anschlag - zeitlich begrenzt eingeführt wird. LTO (Markus Sehl) beleuchtet auch die Reaktionen auf das Urteil sowie die noch ausstehenden Gerichtsverfahren zum deutschen Gesetz. Es berichten auch die FAZ (Corinna Budras) und swr.de (Bernd Wolf).

Wolfgang Janisch (SZ) hält das EuGH-Urteil für richtig, es berge aber beträchtliche Risiken, denn der Gesetzgeber neige bei Fragen der Inneren Sicherheit zur Maßlosigkeit. Christian Rath (taz) findet es bedenklich, dass der EuGH auf den Druck der EU-Staaten reagierte. Es sei aber ein kluger Kompromiss, die Speicherung von IP-Adressen zu erlauben, weil hier der Bedarf der Polizei am größten ist und diese Daten am wenigsten schutzwürdig sind. Reinhard Müller (FAZ) betont, dass es jetzt auf die Ausgestaltung durch den Gesetzgeber ankomme. Dabei dürfe es keine Benachteiligung der Sicherheitsbehörden geben. "Wer dem Rechtsstaat nur Steinzeitmethoden zugestehen will, mag die Freiheit schützen – aber vor allem die der Schwerkriminellen und Staatsfeinde."

Die NJW-Vorschau:

Sehr geehrter Herr Würdinger,
 
die Vorratsdatenspeicherung ist seit Langem ein Streitthema der deutschen Politik, bei dem auch Juristen kräftig mitmischen. Nun hat der EuGH entschieden: Die anlasslose Sammelei von Verbindungsdaten in der Telekommunikation bleibt untersagt – außer wenn ein Mitgliedstaat sich einer ernsthaften Bedrohung der nationalen Sicherheit gegenübersieht.

    Auch etwa für die öffentliche Sicherheit oder zum Kampf gegen schwere Verbrechen sind Ausnahmen erlaubt. Die Luxemburger Richter urteilten zwar über Fälle aus Frankreich, Belgien und Großbritannien; die nationalen Gerichte hatten sie um eine Beurteilung gebeten und müssen diese Maßgaben nun umsetzen. Eine konkrete Auswirkung auf Deutschland hat die Entscheidung daher nicht: Hier steht seit dem Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.9.2019 (NVwZ 2020, 1108) ebenfalls eine Klärung durch den EuGH an. Das BVerfG hatte eine entsprechende Regelung einst verboten, der Gesetzgeber hat sie daraufhin entschärft. Da aber das OVG Münster auch diese Vorschrift für europarechtswidrig hält, ist die Sammelei derzeit faktisch ausgesetzt.
 
In der Bundespolitik wurde das Urteil unterschiedlich bewertet: Während der Vizevorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, eine "vorsichtige Abkehr von der extrem datenschutzfreundlichen Linie" des EuGH sieht, befanden Konstantin von Notz und Tabea Rößner von den Grünen, die anlasslose Vorratsdatenspeicherung sei in Europa nunmehr "mausetot". Der FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae forderte die Union auf, endlich von ihrer Forderung nach Wiedereinführung der Speicherung von Telekommunikationsdaten und IP-Adressen abzurücken, die ihre Landesjustizminister gerade erst vor zwei Wochen erneut erhoben hatten, und setzte sich statt dessen für einen "Quick-Freeze" in konkreten Fällen ein. Erste Kommentare in der Juristenwelt sahen nun entweder eine ziemlich weit geöffnete Hintertür oder aber eine weiterhin fast verschlossene Chance für Gesetzgeber, Behörden und Gerichte, diese Instrumente etwa im Kampf gegen Kinderpornographie verstärkt einzusetzen. Während Kritiker davor warnen, durch die Möglichkeit zu Profilbildungen drohe ein "gläserner Bürger".

Tja, da wird die Debatte über die anlasslose Vorratsdatenspeicherung der Behörden, die es übrigen in den USA nicht gibt, weitergehen.

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Die genaue Analyse der neuesten EuGH-Urteile steht noch aus. Ich lese aber, dass auch die deutsche EU-Präsidentschaft die VDS weiter aktiv voran treibt und eine informelle Arbeitsgruppe einrichten will. 

Diese "Working Party on Data Retention" (WPDR) zunächst für drei Jahre eingesetzt werden. Sie soll dafür sorgen, dass der Rat mit einer Stimme zur Vorratsdatenspeicherung spricht und Empfehlungen sowie Schlussfolgerungen zu gesetzgeberischen  Initiativen verabschiedet. Das Mandat schließe das Verhandeln über jegliche neuen Gesetzesvorschläge etwa der EU-Kommission mit ein.

Die Regierung versucht uns wohl eine Suggestion unterzujubeln, nach der es angeblich für uns erfreulich sei, wenn alle Entscheidungsträger "friedlich und ruhig und angepasst und konsesual" mit einer Stimme sprechen.

In Wirklichkeit wäre so etwas jedoch für Wissenschaft und für Diskussion und Debatte und für Pluralismus und Freiheit und Demokratie eher eine Art Gau (größter anzunehmender Unfall, oder auch mutwillig hereigeführte Katastrophe), ein dystopischer Alptraum.

Das alle mit einer Stimme sprechen, das hatten wir schon mal, und zumindest die älteren unter den Bildungsbürgern sollten sich erinnern können, wann das war.

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Die LTO-Presseschau:

EuGH zu Vorratsdatenspeicherung: Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) begrüßt auf dem Verfassungsblog das neue Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung und ordnet es in die bereits existierende Rechtsprechung des Gerichtshofes zu diesem Thema ein. Auf netzpolitk.org beantwortet die Menschenrechtsorganisation Privacy International in einem Gastbeitrag acht Fragen rund um das Urteil und hält es ebenfalls grundsätzlich für begrüßenswert. 

Die LTO-Presseschau:

Vorratsdatenspeicherung: Die CDU/CSU drängt nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes darauf, zur Bekämpfung von Kinderpornografie die Speicherung von Internetadressen für mehrere Monate zu ermöglichen, meldet der Spiegel (Wolf Wiedmann-Schmidt). Der Vize-Fraktionsvorsitzende Thorsten Frei schlägt vor, dies im Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder zu verankern, das demnächst im Bundestag beraten werden soll.

Reiner Burger (FAS) meint, dass die Bundesregierung jetzt umgehend prüfen müsse, wie der durch den EuGH eingeräumte Spielraum ausgeschöpft werden könne.

Nicht nur das deutsche Grundgesetz steht der Vorratdatenspeicherung entgegen, sondern auch die französische Verfassung. So urteilte nun jedenfalls das Verfassungsgericht von Frankreich.

https://www.heise.de/news/Franzoesisches-Verfassungsgericht-versenkt-Vorratsdatenspeicherung-6526940.html

Damit steht die ihre Vorratsdatenspeicheungspläne forcierende EU-Spitzenpolitikerin Frau Ursula von der Leyen nun gegen den EuGH, und gegen das Bundesverfassungsgericht, und gegen das schwedische Verfassungsgericht, und gegen das französische Verfassungsgericht.

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