Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts in Fristsachen - Sechster Senat beabsichtigt Änderung der Rechtsprechung

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 06.06.2024

Wie weit reichen die Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts in Fristsachen? Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshof hat zuletzt mehrfach entschieden, dass ein Rechtsanwalt den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich zu prüfen hat, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden. Dabei muss der Rechtsanwalt auch alle weiteren unerledigten Fristen einschließlich ihrer Notierung in den Handakten prüfen, wobei er sich hierbei grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken darf, sofern sich keine Zweifel an deren Richtigkeit aufdrängen (BGH, Beschl. vom 19.10.2022 - XII ZB 113/21, NJW-RR 2023, 136; Beschl. vom 17.5.2023 - XII ZB 533/22, BeckRS 2023, 15879).

Das BAG war bislang strenger und hielt den Rechtsanwalt für verpflichtet, bei Vorlage der Handakten zur Anfertigung der Rechtsmittelschrift neben der Rechtsmittelfrist auch die ordnungsgemäße Notierung der Rechtsmittelbegründungsfrist im Fristenkalender zu kontrollieren (BAG, Beschl. vom 10.1.2003 - 1 AZR 70/02, NZA 2003, 397; Beschl. vom 17.10.2012 - 3 AZR 633/12, AP ZPO 1977 § 233 Nr. 89 ua.).

Der Sechste Senat des BAG beabsichtigt nun, sich der Rechtsauffassung des XII. Zivilsenats des BGH anzuschließen und hat deshalb beim Ersten, Dritten, Achten und Neunten Senat des BAG angefragt, ob diese an ihrer bisherigen Rechtsauffassung festhalten (§ 45 Abs. 3 ArbGG). Bejaht einer der angefragten Senate dies, müsste der Große Senat entscheiden. Zu hoffen bleibt, dass die angefragten Senate sich diesmal in der Lage sehen, selbst zu antworten, ohne vorher den EuGH um Vorabentscheidung zu ersuchen (vgl. BAG, Beschl. vom 1.2.2024 - 2 AS 22/23 (A), NZA 2024, 257, dazu hier im BeckBlog).

BAG, Beschl. vom 23.5.2024 - 6 AZR 155/23 (A), Pressemitteilung hier

 

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