OLG Schleswig: Haftraum ist kein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt i.S.d. Konsumcannabisgesetzes (KCanG)

von Prof. Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 09.08.2024

Die Frage, ob es sich bei einem Haftraum um einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt i.S.d. Konsumcannabisgesetzes (KCanG) handelt, habe ich bereits in meinem Blog-Beitrag vom 19.7.2024 thematisiert.

Praktische strafrechtliche Relevanz hat die Frage beim Besitz von mehr als 30 g Cannabis in einem Haftraum. Bejaht man die Eigenschaft als Wohnsitz/gewöhnlicher Aufenthalt nach § 1 Nr. 16 und Nr. 17 KCanG, wäre der Besitz von Cannabis erst ab einer Menge von mehr als 60 g strafbar (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b KCanG), denn der Besitz von bis zu 60 g würde unter die dort vorgesehene Bereichsausnahme fallen.

Das OLG Schleswig hat entschieden, dass ein Haftraum kein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt darstellt und hat dementsprechend den Besitz von 47,37 g Haschisch mit einem THC-Gehalt von 13,2 g als verbotenen Besitz von Cannabis gem. § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a KCanG gewertet.

Konkret ging es um Folgendes:

Der Täter wurde vom Amtsgericht am 1.11.2019 wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Er hatte das Haschisch in der JVA entgegengenommen und in seinem Haftraum aufbewahrt, um zwei Drittel für einen anderen weiterzuverkaufen. Ein Drittel des Haschischs durfte er für sich verwenden. Der Täter hatte vor, von seinem Anteil etwa die Hälfte weiter zu veräußern und die andere Hälfte selbst zu konsumieren.

Die Strafvollstreckungskammer hat auf Antrag der Staatsanwaltschaft festgestellt, dass die Strafe aus diesem Urteil auch nach der Amnestieregelung nach dem Cannabisgesetz aus Art. 316p, 313 Abs. 1, 5 EGStGB bestehen bleibt. Der Besitz von mehr als 25g Cannabis außerhalb des eigenen Wohnsitzes sei auch nach neuer Rechtslage strafbar.

Hiergegen wendet sich der Täter erfolgreich mit einer sofortigen Beschwerde. Zwar bestätigte das OLG Schleswig die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer zur Wohnsitzfrage, es hob den Beschluss aber zur Neufestsetzung der Strafe nach Art. 313 Abs. 3 EGStGB auf (OLG Schleswig Beschl. v. 1.8.2024 – 1 Ws 123/24, BeckRS 2024, 19125):

1. Im Ausgangspunkt hat die Kammer zu Recht keine Amnestieentscheidung zugunsten des Verurteilten getroffen, denn die Voraussetzungen der Art. 316p, 313 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 EGStGB liegen nicht vor. Ausweislich der tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts hat der Verurteilte mehr als 30g Cannabis besessen. Dies ist auch nach § 34 Abs. 1 Nr. 1.a) KCanG strafbar, denn Hafträume einer Justizvollzugsanstalt begründen keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort (vgl. Patzak/Fabricius/Patzak, Kommentar zum Betäubungsmittelgesetz, 11. Aufl. 2024, KCanG § 1 Rn. 39 m. w. N.). Zudem ist der Verurteilte nicht allein wegen des Besitzes, sondern tateinheitlich auch wegen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden. Dies ist auch nach der Einführung des KCanG uneingeschränkt strafbar. Denn gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG ist es verboten, mit Cannabis Handel zu treiben, ohne dass der Gesetzgeber – vergleichbar dem Besitz – diesbezüglich straflose Ausnahmen geschaffen hat. Das abgeurteilte Verhalten des Verurteilten ist daher weiterhin strafbar.

2. Gleichwohl war die angefochtene Entscheidung aufzuheben, denn die Feststellung der Kammer, dass die Strafe aus dem Ausgangsurteil bestehen bleibt, ist rechtsfehlerhaft. Aufgrund der Gesetzesänderung zum 1. April 2024 liegt nämlich ein Fall des Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB vor. Über die Neufestsetzung der Strafe und ggf. deren angemessene Ermäßigung hat das Tatgericht zu entscheiden.

Das Verhalten des Verurteilten ist seit der Geltung des Gesetzes zum Umgang mit Konsumcannabis, nicht mehr nach §§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar, sondern ausschließlich nach § 34 KCanG. Damit liegt ein Fall vor, bei dem der Täter wegen einer Handlung verurteilt worden ist, die nach neuem Recht nicht mehr anwendbare Vorschriften verletzt und zugleich eine andere Strafvorschrift verletzt hat. Auf diese „andere Gesetzesverletzung“ ist die Strafe neu festzusetzen, weil das Amtsgericht den Rechtsfolgenausspruch noch unter Anwendung des BtMG getroffen hat, welches nunmehr keine Strafbarkeit im Zusammenhang mit Cannabis mehr begründet. Dabei ist zu prüfen, ob ein Fall des Art. 313 Abs. 3 Satz 3 EGStGB vorliegt, wonach die Strafe „angemessen ermäßigt“ wird, wenn anzunehmen ist, dass das Gericht wegen Verletzung der gemilderten Strafvorschrift auf eine höhere Strafe erkannt hat. Hiervon dürfte allein schon deshalb auszugehen sein, weil es sich bei der abgeurteilten Tat nach neuer Rechtslage nicht mehr (auch) um ein Verbrechen handelt und der gesetzliche Strafrahmen auch bei Annahme einer nicht geringen Menge nach § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG sowohl im Mindest- als auch im Höchstmaß deutlich abgesenkt wurde.

Auf eine solche Entscheidung hätte die Staatsanwaltschaft hinwirken müssen bzw. die mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft befasste Kammer hätte den Antrag der Staatsanwaltschaft umfassend prüfen und hierbei ggf. ihre (weitergehende) Zuständigkeit verneinen müssen.

Hinsichtlich der Frage, ob für Entscheidungen nach Art. 316p, 313 Abs. 3 Satz 2 oder Abs. 4 EGStGB aufgrund der Verweisung in Art. 313 Abs. 5 EGStGB die Strafvollstreckungskammern oder aber die erkennenden Gerichte zuständig sind, schließt sich der Senat der obergerichtlich bislang durchgängig vertretenen Auffassung an, wonach allein die Tatgerichte zuständig sind (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 6. Juni 2024 – 4 Ws 167/24 –; OLG Dresden, Beschluss vom 7. Juni 2024, – 2 Ws 95/24; OLG Jena, Beschluss vom 17. Juni 2024 – 1 Ws 190/24; OLG Köln, Beschluss vom 18. Juni 2024 – 2 Ws 319/24; OLG Nürnberg, Beschluss vom 26. Juni 2024 – Ws 420/24; a.A.: LG Trier, Beschluss vom 3. April 2024 – 10 StVK 189/24 –; sämtlich bei juris bzw. BeckRS).

Zusammengefasst ergibt sich für die Zuständigkeitsfrage Folgendes:

Da für die Neufestsetzung der Strafe weder Art. 316p noch Art. 313 EGStGB eine ausdrückliche Regelung enthält, ist diese ausgehend vom objektivierten Willen des Gesetzgebers im Wege der Auslegung nach Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck des Gesetzes sowie den Gesetzesmaterialien zu klären.

Der Wortlaut („das Gericht“) trägt die Annahme der Zuständigkeit des erkennenden Gerichts. Dies auch deshalb, weil Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB bestimmen, dass die Strafe neu festzusetzen sei. Das spricht dafür, dass damit das erkennende Gericht, welches die Ausgangsstrafe festgesetzt hatte, für die neue Straffestsetzung zuständig ist, weil es sich in der Sache um eine (erneute) Strafzumessung handelt.

Die Verweisung in Art. 313 Abs. 5 EGStGB spricht nicht gegen diese Betrachtung, denn sie erstreckt sich allein auf die §§ 458 bis 462 StPO und erfasst damit § 462a StPO, welcher die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammern und des erstinstanzlichen Gerichts regelt, gerade nicht. § 462a StPO ist auch nicht etwa mittelbar heranzuziehen, weil es sich bei Entscheidungen nach Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB gerade nicht um solche nach § 458ff. StPO handelt, sondern allein deren Verfahrensregeln heranzuziehen sind. Dabei ist historisch auch zu betrachten, dass Art. 313 EGStGB geschaffen wurde, als es Strafvollstreckungskammern und die Vorschrift des § 462a StPO noch gar nicht gab und seit 1974 in seinem Wortlaut nicht verändert worden ist. Der historische Gesetzgeber hat bei dessen Schaffung ausweislich der Gesetzesmaterialien das bisherige Regelungskonzept, welches eine Zuständigkeit der Gerichte erster Instanz vorsah, fortgeführt. Seither ist diese Regelung trotz wiederholter Änderungen des EGStGB, so auch aus Anlass der Einführung des KCanG, unverändert beibehalten worden. Eine Verweisung auf § 462a StPO ist dabei unterblieben.

Entscheidend neben dieser Auslegung ist allerdings maßgeblich, dass die Strafvollstreckungskammern auch in der Sache funktional nicht zuständig sind, denn bei den Entscheidungen nach § 313 Abs. 3 und 4 EGStGB handelt es sich um solche, welche die Rechtskraft des Straferkenntnisses durchbrechen. Die Strafzumessung ist neben der Schuldfeststellung originäre Kernaufgabe des Erkenntnisverfahrens und damit dem Vollstreckungsverfahren vorgelagert. Dies gilt auch dann, wenn sich Gründe für eine erneute Strafzumessung erst im Laufe des Vollstreckungsverfahrens ergeben. Deshalb ist auch die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe nach § 460 StPO gemäß § 462a Abs. 3 StPO ausdrücklich dem Gericht des ersten Rechtszuges zugewiesen. Dem funktionalen Aufgabebereich der Strafvollstreckungskammern läuft dies nicht zuwider, denn deren Aufgabe besteht maßgeblich darin, während des auf die Resozialisierung gerichteten Strafvollzuges die diesbezüglichen Entscheidungen im Interesse der Einheitlichkeit bei einem Spruchkörper zu konzentrieren. Von diesem gesetzgeberischen Ziel ist aber die Festsetzung der Ausgangsstrafe nicht berührt, denn sie schafft erst die Grundlage der Strafvollstreckung.

Das Tatgericht wird sich bei Vorlage der Sache bei der Neufestsetzung der Strafe auch mit der Frage zu befassen haben, ob es sich bei der festgestellten Menge um eine nicht geringe Menge im Sinne von § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG handelt oder aber § 34 Abs. 1 KCanG zur Anwendung kommt (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 30. April 2024 – 6 StR 536/23 –; BGH, Beschluss vom 12. Juni 2024 – 1 StR 105/24 –, bei juris).

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