Zweifel an der Pflicht des Betroffenen, einen Gurt tragen zu müssen....führt zu § 47 OWiG

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 14.09.2024
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|1217 Aufrufe

So ganz kann man den Sachverhalt aus dem Beschluss des AG Saulgau nicht entnehmen. Aber: Nach dem bisherigen Ermittlungsstand zur Zeit der Entscheidung schien dem AG das Bestehen der Gurtpflicht im konkreten Fall nicht zwingend, jedenfalls aber weiter aufzuklären:

 

1. Das Verfahren wird hinsichtlich des Betroffenen ... gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt.

 2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse.

 Gründe: 

 1. Die Zustimmung zur Einstellung der Staatsanwaltschaft war gem. § 47 Abs. 2 S. 2 OWiG nicht erforderlich, da durch den Bußgeldbescheid lediglich eine Geldbuße bis zu einhundert Euro verhängt worden ist und die Staatsanwaltschaft erklärt hat, sie werde an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen.

 2. Die Ahndung des Verstoßes war nicht geboten gem. § 47 Abs. 2 OWiG. Das Gericht entscheidet dies nach pflichtgemäßem Ermessen. Die eigentliche Ermessensausübung besteht in der Ermittlung, Gewichtung und Abwägung der nach dem Zweck der Ermächtigung maßgeblichen Gesichtspunkte für und gegen die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit. Welche Gesichtspunkte einzustellen und wie diese zu gewichten sind, hängt vom Einzelfall ab. Zulässige Überlegungen sind dabei etwa der erforderliche Aufwand zur Aufklärung der unklaren Sachlage und der damit verbundene unverhältnismäßige Ermittlungsaufwand (Gassner/Seith, OWiG, 2. Auflage 2020, § 47 Rn. 49; Krenberger/Krumm, OWiG, 6. Aufl. 2020, § 47 Rn. 5). Die Gewichtung und Abwägung der nach dem Zweck der Ermächtigung maßgeblichen Gesichtspunkte sprechen im vorliegenden Fall gegen die (weitere) Verfolgung der Ordnungswidrigkeit.

 Seitens des Gerichts bestehen vorliegend Zweifel an der Verpflichtung des Betroffenen zum Tragen eines Sicherheitsgurtes. So ergibt sich bereits aus den §§ 35a Abs. 6 StVZO, 21a StVO, dass in den in § 35a Abs. 6 StVZO aufgeführten Kraftomnibussen keine Gurtpflicht besteht. Ob der verfahrensgegenständliche Bus dieser Norm unterfällt, ist derzeit nicht ausreichend klar. Hierzu wären weitere Ermittlungen erforderlich, die angesichts des Vorwurfs unverhältnismäßig erscheinen. Zudem dürfte sich aus § 21a Abs. 1 Nr. 4 StVO eine weitere Ausnahme von der Gurtpflicht auch für den Busfahrer und nicht nur für die Fahrgäste ergeben. Der Wortlaut der Norm, der keinerlei Unterscheidung zwischen Fahrgästen und Fahrer trifft, sondern nur allgemein auf „Fahrten in Kraftomnibussen“ abstellt, bildet insoweit die Grenze der Auslegung. Sämtliche Ausnahmen des § 21a Abs. 1 Nr. 1 – 6 StVO verdeutlichen, dass – entgegen der Auffassung der Bußgeldbehörde – allein die Ausstattung eines Fahrzeuges mit Sicherheitsgurten nicht immer zu einer entsprechenden Gurtpflicht führen muss.

 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 464, 467 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG.

 

AG Bad Saulgau Beschl. v. 17.7.2024 – 12 Js 12046/24, BeckRS 2024, 18080

 

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An dem aktuellen Beispiel dieses Justizskandals kann man sehen, wie wichtig ein funktionierendes Verfahren der Klageerzwingung nach den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung wäre:

Beschwerden verworfen: Keine Ermittlungen nach Antisemitismus-Eklat bei documenta (msn.com)

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KURZMELDUNGEN - Kultur: Keine Ermittlungen nach Antisemitismus-Eklat bei documenta (msn.com)

Documenta: Kunst, Justiz und Judenhass | Jüdische Allgemeine (juedische-allgemeine.de)

Jerzy Montag [ˈjεʒɨ] (* 13. Februar 1947 in KatowicePolen) ist ein deutscher Politiker (Bündnis 90/Die Grünen).

Sonderermittler

Montag war neben Manfred Nötzel einer der beiden Sonderberater des Landtags von Sachsen-Anhalt zum Fall Ouri Jallow. Bei der Vorstellung des Abschlussberichts am 28. August 2020 warf er der Polizei fehlerhafte bzw. rechtswidrige polizeiliche Maßnahmen vor, sah allerdings keine Ansätze für neue Ermittlungen.[7] Obwohl zum Zeitpunkt der Erstellung des Sonderberichts bereits durch mehrere wissenschaftliche Gutachten nachgewiesen worden war, dass Ouri Jallow sich in seinem gefesselten Zustand gar nicht selbst angezündet haben konnte und damit das staatliche Narrativ von einer Selbstentzündung nach Art eines sommerlichen Heuballens widerlegt worden war, stellte Jerzy Montag aus politischem Kalkül alle Mordvorwürfe gegen die diensthabenden Polizeibeamten wider jedes bessere Wissen in Abrede.[8]

Einzelnachweise

  1.  Christian Jakob: Jerzy Montag über Fall Ouri Jallow: „Keine zweite Anklage“. In: Die Tageszeitung: taz. 29. Oktober 2019, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 28. August 2020]).

  2.  Juristische Ausführungen zum Fall Ouri Jallow, abgerufen am 14. August 2024

In meinem Verteiler befindet sich seit letzten Herbst u.a. auch Katharina Schulze. Das Problem, dass das eMail-Postfach des Adressaten überläuft und deswegen Mails an mich zurückkommen, kenne ich gut von besagter Katharina Schulze. Das war im Fall von Katharina Schulze bisher zwei Mal der Fall, um Neujahr herum und zuletzt Ende Juni. Das einzige, was ich von Katharina Schulze höre, sind von Zeit zu Zeit automatisierte Abwesenheitsagenten ihrer Mitarbeiter, wenn sich der betreffende Mitarbeiter allgemein, offenbar an alle in seinem elektronischen Adressbuch, in den Urlaub oder sonstwohin verabschiedet. Sonst höre ich von Katharina Schulze nichts, gar nichts, und ich wüsste auch nicht, warum sich das in Zukunft nochmal ändern sollte.

Ist hier gerade die Rede von der Zeitenwende?

Der Aufsatz HRRS 2016, 29 stellt die Verfahren nach den §§ 172 ff StPO auf eine gesetzliche Grundlage.

So allmählich sieht ja auch die Justiz ein, dass die Klageerzwingung einer gesetzlichen Grundlage bedarf: VIS Berlin - 80/22 | Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin | Beschluss | Verfassungswidrige Zurückweisung eines Klageerzwingungsantrags aufgrund überspannter ...

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