Provida/Vidista: Im Urteil stand zu wenig

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 16.09.2024
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht3|983 Aufrufe

Das AG Brandenburg hatte wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes nach Provida/Vidista-Messung verurteilt. Da es sich hierbei um ein standartisiertes Geschwindigkeitsmessverfahren handelt, muss eigentlich gar nicht viel geschrieben werden. Das AG hatte da noch weniger geschrieben. Daher hat das OLG Brandenburg das Urteil kassiert, wobei sich  die Ausführungen des OLG sich auch ein wenig so lesen, als hätte dieses auch nicht so richtig Ahnung, um welches System es sich bei dem standardisierten Messverfahren Provida eigentlich handelt. Warum etwa sollte Provida stationär betrieben werden?

 

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Brandenburg a. d. H. vom 04. März 2024 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

 Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Brandenburg a. d. H. zurückverwiesen.

 Gründe: 

 I.

 Das Amtsgericht Brandenburg a. d. H. erkannte mit Urteil vom 04. März 2024 gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 53 km/h und um 46 km/h auf eine Geldbuße in Höhe von 640,00 € und ein einmonatiges Fahrverbot. Hinsichtlich der Geldbuße räumte es dem Betroffenen die Möglichkeit ein, dieses in monatlichen Raten zu je 100,00 € zu zahlen, betreffend das Fahrverbot machte das Bußgeldgericht von der Gestaltungsmöglichkeit des § 25 Abs. 2a StVG Gebrauch.

 Den Feststellungen des Amtsgerichts zufolge hatte der Betroffene am (Datum) in der Zeit zwischen 10:53 Uhr und 10:54 Uhr mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen: …, die Bundesautobahn … auf Höhe der Anschlussstelle … in Fahrtrichtung Autobahndreieck … befahren. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit war im von dem Betroffenen befahrenen Streckenabschnitt durch beidseits aufgestellte Beschilderung zunächst auf 130 km/h und sodann auf 120 km/h beschränkt.

 Im Bereich der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 130 km/h hatte der Betroffene in der Zeit von 10:53:24 Uhr bis 10:53:34 Uhr über eine Messstrecke von 478,79 Metern eine Geschwindigkeit von mindestens 176 km/h inne, im Bereich der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 120 km/h in der Zeit von 10:53:58 Uhr bis 10:54:09 Uhr über eine Messstrecke von 522,69 Metern eine solche von mindestens 173 km/h. Messtoleranzen nennt das Urteil des Tatgerichts nicht.

 Die Geschwindigkeit war in beiden Fällen durch ein dem Pkw des Betroffenen folgendes Polizeifahrzeug (amtliches Kennzeichen: …) mittels der nach den Feststellungen des Tatgerichts zum Zeitpunkt gültig geeichten Verkehrsüberwachungsanlage ProVida 2000/Vidista gemessen worden, die konkrete Geschwindigkeit war durch eine Auswertung des Videofilms mittels der Vidista-Einheit der Verkehrsüberwachungsanlage ermittelt worden.

 Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner am 07. März 2024 bei dem Amtsgericht angebrachten Rechtsbeschwerde, die er nach unter dem 22. April erfolgter Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe mit Anwaltsschriftsatz vom 25. April 2024 begründet hat. Der Betroffene rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

 Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt mit ihrer Stellungnahme vom 23. Mai 2024, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Der Betroffene hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

 II.

 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Ziff. 1 und 2 OWiG statthaft und entsprechend §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 341,344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht und begründet worden, sonach zulässig.

 2. In der Sache hat das Rechtsmittel auf die Sachrüge (vorläufig) Erfolg.

 Die Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen den Schuldspruch nicht.

 Das Amtsgericht hat festgestellt, dass die Geschwindigkeitsmessungen durch Nachfahren mit einem Messfahrzeug unter Verwendung der Video-Verkehrsüberwachungsanlage ProVida2000/ViDista vorgenommen worden sind. Diese Messmethode ist als standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. hierzu BGHSt 39, 291 = NZV 1993, 485) anerkannt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15. November 2000 – 2 Ss OWi 1057/2000, 2 Ss OWi 1057/00; Rz. 9; OLG Köln, Beschluss vom 30. Juli 1999 – Ss 343/99 B – Rz. 17 m. w. N.; OLG Hamm, Beschluss vom 04. Dezember 2008 – 3 Ss OWi 871/08 – Rz. 19; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juni 2000 – 2b Ss (OWi) 125/00 – (OWi) 52/00 I – Rz. 20 m. w. N.; sämtlich zitiert nach juris).

 Das Urteil muss deshalb feststellen, auf welcher tatsächlichen Grundlage die Geschwindigkeitsmessung beruht. Dazu gehören insbesondere Angaben darüber, ob die Messung durch elektronische Aufzeichnungen oder durch Ablesen, durch stationäre Geräte oder aus einem fahrenden Fahrzeug heraus erfolgte, wie lang ggf. die Verfolgungsstrecke und der Abstand des Polizeifahrzeugs zu dem verfolgten Fahrzeug des Betroffenen waren und welcher Toleranzabzug bei der Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung vorgenommen worden ist (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. November 2019 – 2 Rb 35 Ss 795/19 –, Rz. 10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juni 2000 – 2b Ss (OWi) 125/00 – (OWi) 52/00 I –, Rz. 18; OLG Hamm, Beschluss vom 04. Dezember 2008 – 3 Ss OWi 871/08 –, Rz. 19; OLG Köln, Beschluss vom 30. Juli 1999 – Ss 343/99 B –, Rz. 17; sämtlich zitiert nach juris).

 Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Es enthält weder Feststellungen zum Abstand des Polizeifahrzeugs zu dem verfolgten Auto des Betroffenen noch einen bei der Geschwindigkeitsmessung berücksichtigten Toleranzabzug.

 Das Urteil unterliegt deshalb gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, § 349 Abs. 4 StPO der Aufhebung. Die Sache war an das Amtsgericht, das auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird, zurückzuverweisen.

OLG Brandenburg Beschl. v. 15.7.2024 – 1 ORbs 144/24, BeckRS 2024, 19457

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3 Kommentare

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Vidista ist weder standardisiert, noch zugelassen oder gar eichfähig. Es gehört auch nicht zur Videoüberwachungsanlage. Provida und Vidista sind sogar von unterschiedlichen Anbietern. Vidista ist ein auf mit geeichten Videonachfahrsystemen dokumentierten Videoaufnahmen aufsattelndes Auswerteverfahren. Manchmal wäre schon wünschenswert, wenn die Jura-Schuster bei ihren Leisten blieben. ;)

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Auch wenn er sich offenbar für den Highlanderält: der Ö-Buff hat recht. Es ist (außer für die, die dafür verantwortlich sind) schon ärgerlich, wenn die Jura-Schuster mit ihren Urteilen und Beschlüssen Ledersohlen unter C-Wanderschuhe tackern. Mit solch einem Ergebnis findet man einfach keinen Halt.

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Ich weise hin auf die Entscheidung des BVerfG, 21.12.2022 - 2 BvR 378/20 – dejure.org Bekanntlich hat das BverfG mit dieser Entscheidung einen ganzen Stall voll Straftatbestände erfüllt, u.a. sukzessive Beihilfe zum Mord. Die Mörder hatten von Anfang an darauf spekuliert, dass der Rechtsstaat auch in ihrem Fall nicht funktionieren würde und sie für ihren Mord nie zur Rechenschaft gezogen werden würden. Indem das BverfG durch das Zunichtemachen aller Möglichkeiten zur Aufklärung des Mordes diese Spekulation wahr werden lässt, begeht das BverfG Sukzessive Beihilfe zum Mord.

Der Mord an Ouri Jallow hätte aufgeklärt werden können, wenn das Verfahren der Klageerzwingung nach den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung geführt worden wäre: BGH kippt Freispruch im Fall C in Dessau nach dessen Tod im Polizeigewahrsam | Page 8 | beck-community

An dem aktuellen Beispiel dieses Justizskandals kann man sehen, wie wichtig ein funktionierendes Verfahren der Klageerzwingung nach den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung wäre:

Beschwerden verworfen: Keine Ermittlungen nach Antisemitismus-Eklat bei documenta (msn.com)

Gericht bestätigt: Keine Antisemitismus-Ermittlungen gegen Documenta-15-Künstler (msn.com)

KURZMELDUNGEN - Kultur: Keine Ermittlungen nach Antisemitismus-Eklat bei documenta (msn.com)

Documenta: Kunst, Justiz und Judenhass | Jüdische Allgemeine (juedische-allgemeine.de)

Jerzy Montag [ˈjεʒɨ] (* 13. Februar 1947 in KatowicePolen) ist ein deutscher Politiker (Bündnis 90/Die Grünen).

Sonderermittler

Montag war neben Manfred Nötzel einer der beiden Sonderberater des Landtags von Sachsen-Anhalt zum Fall Ouri Jallow. Bei der Vorstellung des Abschlussberichts am 28. August 2020 warf er der Polizei fehlerhafte bzw. rechtswidrige polizeiliche Maßnahmen vor, sah allerdings keine Ansätze für neue Ermittlungen.[7] Obwohl zum Zeitpunkt der Erstellung des Sonderberichts bereits durch mehrere wissenschaftliche Gutachten nachgewiesen worden war, dass Ouri Jallow sich in seinem gefesselten Zustand gar nicht selbst angezündet haben konnte und damit das staatliche Narrativ von einer Selbstentzündung nach Art eines sommerlichen Heuballens widerlegt worden war, stellte Jerzy Montag aus politischem Kalkül alle Mordvorwürfe gegen die diensthabenden Polizeibeamten wider jedes bessere Wissen in Abrede.[8]

Einzelnachweise

  1.  Christian Jakob: Jerzy Montag über Fall Ouri Jallow: „Keine zweite Anklage“. In: Die Tageszeitung: taz. 29. Oktober 2019, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 28. August 2020]).

  2.  Juristische Ausführungen zum Fall Ouri Jallow, abgerufen am 14. August 2024

In meinem Verteiler befindet sich seit letzten Herbst u.a. auch Katharina Schulze. Das Problem, dass das eMail-Postfach des Adressaten überläuft und deswegen Mails an mich zurückkommen, kenne ich gut von besagter Katharina Schulze. Das war im Fall von Katharina Schulze bisher zwei Mal der Fall, um Neujahr herum und zuletzt Ende Juni. Das einzige, was ich von Katharina Schulze höre, sind von Zeit zu Zeit automatisierte Abwesenheitsagenten ihrer Mitarbeiter, wenn sich der betreffende Mitarbeiter allgemein, offenbar an alle in seinem elektronischen Adressbuch, in den Urlaub oder sonstwohin verabschiedet. Sonst höre ich von Katharina Schulze nichts, gar nichts, und ich wüsste auch nicht, warum sich das in Zukunft nochmal ändern sollte.

Ist hier gerade die Rede von der Zeitenwende?

Der Aufsatz HRRS 2016, 29 stellt die Verfahren nach den §§ 172 ff StPO auf eine gesetzliche Grundlage.

So allmählich sieht ja auch die Justiz ein, dass die Klageerzwingung einer gesetzlichen Grundlage bedarf: VIS Berlin - 80/22 | Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin | Beschluss | Verfassungswidrige Zurückweisung eines Klageerzwingungsantrags aufgrund überspannter ...

Ist hier gerade die Rede von der Zeitenwende?

Der Aufsatz HRRS 2016, 29 stellt die Verfahren nach den §§ 172 ff StPO auf eine gesetzliche Grundlage.

So allmählich sieht ja auch die Justiz ein, dass die Klageerzwingung einer gesetzlichen Grundlage bedarf: VIS Berlin - 80/22 | Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin | Beschluss | Verfassungswidrige Zurückweisung eines Klageerzwingungsantrags aufgrund überspannter ...

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