BVerfG zur Verassungswidrigkeit der Verurteilung wegen Videomessungen: Versuch einer ersten (Kurz-)Analyse
von , veröffentlicht am 25.08.2009Nun ist die Veröffentlichung der BVerfG-Entscheidung (Beschluss vom 11.8.2009 - 2 BvR 941/08) zu den polizeilichen Videogeschwindigkeits- und Videoabstandsmessverfahren einige Tage her, vgl. "SENSATION! BVerfG: Geschwindigkeitsmessungen, Abstandsmessungen etc. mit Video und Film (und auch Foto?) sind verfassungswidrig". Mit etwas Abstand, nach mehrfachem Lesen und den ersten Meinungsäußerungen im www lässt sich doch schon einiges hierzu zusammentragen. Hier leitsatzartig ein paar grundsätzliche Gedanken:
- Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung liegt vor, wenn beobachtete Lebensvorgänge technisch fixiert werden. Dies ist bei Messverfahren aller Art, die durch Foto, Film oder Digitalaufzeichnung den Messvorgang/das Messergebnis dokumentieren und auch den Fahrer erkennbar machen der Fall (Abs. 15 der Entscheidung des BVerfG). Insbesondere ist dies natürlich bei den der Entscheidung des BVerfG zugrundeliegenden „filmenden“ Messverfahren (VKS/VAMA/Viram-BAMAS) der Fall.
- Ein solcher Eingriff erfordert immer eine formell gesetzliche Ermächtigungsgrundlage.
- Polizeiliche Erlasse/Verwaltungsvorschriften reichen in solchen Fällen als Ermächtigungsgrundlage nicht aus. Offenbar drängten sich dem BVerfG keine Ermächtigungsnormen hierfür auf - § 81b StPO i.V.m. § 46 OWiG etwa wurde in der Entscheidung nicht angesprochen.
- U.U. ist (Abs. 16 der Entscheidung des BVerfG) zwischen der Aufnahme des Fahrzeugführers und der Kennzeichen des von ihm geführten Fahrzeugs und Übersichtsaufnahmen des auflaufenden Verkehrs zu unterscheiden. M.E. ist dies als Wink zu verstehen: Die Feststellung des Verstoßes (incl. Messung) kann anhand der Übersichtsaufnahmen zumindest dann stattfinden, wenn das Fahrzeug und der Fahrzeugführer nicht schon durch den betreffenden Filmausschnitt „aus der Anonymität herausgeholt“ werden. War der Fahrer dann noch geständig hinsichtlich seiner Tätereigenschaft oder kann er durch andere Beweismittel (Aufzeichnungen des Kontrollgeräts/Zeugenaussagen/Fahrtenbuch) überführt werden, so können Verfahren wie bislang üblich fortgeführt werden.
- Gegen die Messung und das hierbei erhobene Datenmaterial ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zulässig (Abs. 28 der Entscheidung des BVerfG)
- Besonders problematisch kann die Lage sein, wenn nicht die eigentliche Verstoßart ohne gesetzliche Grundlage Gegenstand der Verfolgung ist, sondern ein anderer Verstoß (hier: Das durch Erlasse geregelte Abstandsmesssystem VKS wurde – wie eigentlich auch üblich - zur Geschwindigkeitsmessung genutzt) – Abs. 18 der Entscheidung des BVerfG.
- Sowohl das Amtsgericht muss sich mit der Existenz einer Rechtsgrundlage für die fragliche Datenerhebung auseinandersetzen, als auch das OLG, wenn es die Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet verwerfen will.
- Ohne formell gesetzliche Rechtsgrundlage besteht ein Beweiserhebungsverbot, welches zu einem Beweisverwertungsverbot führen kann. Dies ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen (Abs. 24 der Entscheidung des BVerfG). Hinweis: Leider hat das BVerfG keinerlei Gesichtspunkte an die Hand gegeben, die in Bußgeldsachen in eine derartige Abwägung eingestellt werden könnten.
Ich hatte bereits im Blog darauf hingewiesen, dass man für Messungen, deren Aufzeichnung erst bei Feststellung eines Verstoßes (z.B. Radargeschwindigkeitsmessung) einsetzt §§ 81b StPO, 46 OWiG für einschlägig erachten könnte. Möglicherweise sind auch in einzelnen Bundesländern Polizeigesetze oder Ordnungsbehördengesetze vorhanden, die solche Messungen/Fotodokumentationen vorsehen. Selbst wenn Rechtsgrundlagen hierfür fehlen sollten, mag aber ein Beweisverwertungsverbot in so einem Fall abzulehnen sein, da aufgrund der Geschwindigkeitsmessung, die dem Foto (Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung) vorausgeht ein überwiegendes Interesse daran besteht, nach dem (technisch) festgestellten Verstoß auch die Täteridentität zu erfahren.
Besteht ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich des Fahrerfotos des Fahrervideoausschnitts, so ist auch immer zu prüfen, ob der Verstoß sonst irgendwie festgestellt werden kann (z.B. durch die Vernehmung der eingesetzten Polizeibeamten als Zeugen).
Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
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10 Kommentare
Kommentare als Feed abonnierenFawkes kommentiert am Permanenter Link
Und noch einmal: Es ging hier um eine anlaßlose präventive Erfassung mittels optischer Aufnahme! Daher hat das BVerfG die StPO nicht übersehen, sondern sie hat hier nichts zu suchen. Sollte - wie bisher - etwa mittels Funktechnik, ohne Erfassung personenbezogener Daten, die Geschwindigkeit eines Fahrzeuges festgestellt und als überhöht eingestuft werden, wäre ein dann folgendes Foto (mit Personenbezug) kein Problem.
Auch der Hinweis, ob das Erfassen des Kennzeichens alleine hilft ist unsinnig: Nachlesen kann man das in 1 bvr 2074/05.
Helge kommentiert am Permanenter Link
http://www.lawblog.de/index.php/archives/2009/08/27/schnell-eingestellt/
Ronny kommentiert am Permanenter Link
@jessi schuhmacher
es ist zwar nur ein BILD-Artikel, aber vielleicht hilft dir auch der genannte Rechtsanwalt Kucklick weiter: http://ivym.de/BILD . Angeblich hat er bereits einige Fälle zum Scheitern gebracht :)
Viele Grüße,
Ronny
Thomas Heydn kommentiert am Permanenter Link
Rechtsgrundlage für das VAMA-Verfahren ist § 100 h StPO (i.V.m. §46 OWiG) bei Betroffenenaufnahmen, wenn ein konkretes Verdachtsmoment gegen den gefilmten Betroffenen vorliegt.
In Bayern läuft das so, dass ein geschulter Polizeibeamter den Verkehrsfluß beobachtet und bei augenscheinlich zu geringem Abstand die Aufnahme des Betroffenen durch die ID-Kamera für diesen einen "eines Abstandsverstoßes verdächtigen" Verkehrsvorgang auslöst.
klaus.p.ludwig kommentiert am Permanenter Link
Bei den VKS Nutzern in den Polizeien von Niedersachsen, Thüringen, Sachsen, Hessen, SachsenAnhalt, Bremen, NRW, Hessen wird genauso gearbeitet.
Kein Unterschied zu Bayern.
Thomas Heydn kommentiert am Permanenter Link
PS: Gesetzeslektüre und Lektüre der Entscheidungsgründe von Urteilen und Beschlüssen statt Bildlektüre vermeidet Rechtsirrtümer!
Eine Rotlichtkamera blitzt nur bei vorherigem Rotlichtverstoß, die Kamera einer Geschwindigkeitsmessanlage nur bei vorheriger Geschwindigkeitsüberschreitung.
In beiden Fällen liegt also der konkrete Verdacht einer OWi vor und § 100h StPO greift!
klaus.p.ludwig kommentiert am Permanenter Link
Ich glaube das sagt nun alles!!!!!!!!!!!!!!!!!!
ARD Ratgeber Recht
http://mediathek.daserste.de/daserste/servlet/content/2978598?pageId=487872&moduleId=312720&categoryId=&goto=1&show=
H. W. kommentiert am Permanenter Link
Also eine Begründung über § 100h StPO scheint doch sehr suspekt und ich wundere mich, dass so viele Juristen das als möglich erachten. Sieser § regelt doch zielgerichtete Ermittlungsmaßnahmen gegen Beschuldigte schwerer Straftaten. Man lese mal die Begründungen im Gesetzgebungsverfahren und in welchem Zusammenhang diese Vorschriften eingeführt worden sind. Deutlich ersichtlich wird das im § 101 StPO, der die "Handhabung" dieser Maßnahmen regelt.
In der Verkehrsüberwachung geht es um die Identitätsfeststellung eines nochb unbekannten Betroffenen. Hierfür sind meiner zugegebener Maßen nicht maßgeblichen Meinung §§ 53 u. 46 OWiG i. V.m. § 163 b StPO einschlägig. Das Beweisfoto dient der Identitätsfeststellung.
Dazu sind dies Bundesgesetze, weshalb es komisch wirkt, hier Gesetzesgrundlagen der Länder zu fordern. Ich weiß leider auch nicht, wie Güstrow und Rostock so dilletantisch argumentieren konnte. Das war die eigentliche Ohrfeige des BVerfG an die Vorinstanzen.
Wie andere schon erwähnt haben, ist hinsichtlich des Identitätsbildes/-video aber der zuvor gewonnene Verdacht einer OWi für die Rechtmäßigkeit entscheidend. Deswegen keine permanente Aufzeichnung über die Identkamera.
H. W. kommentiert am Permanenter Link
Nachtrag:
Zumindest das von Herrn Krumm angeführte und in Baden-Württemberg angewendete ViBrAM/BAMAS-Verfahren aktiviert die Identkamera nur im Verdachtsfall und zwar durch den Messbeamten, der im ständig aufmerksamen Messbetrieb die Verkehrssituationen beobachtet.
Denny Freißmann kommentiert am Permanenter Link
Hallo, gerade passend zum Beitrag gefunden:
Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot bei der Anfertigung von Lichtbildern wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung mittels der Geschwindigkeitsmessanlage eso 1.0.
Freispruch mit ausführlichen Überlegungen in der Urteilsbegründung.
AG Wurzen, Urt. v. 22.10.2009 - 3 Owi 151 Js 33023/09
www.strafrecht-online.de/inhalte/strafrechtliche-entscheidungen/aktuelle-urteile/ag-wurzen-urt-v-22102009-3-owi-151-js-3302309/
http://www.strafrecht-online.de/inhalte/strafrechtliche-entscheidungen/a...
Bin ja mal gespannt wohin sich die Thematik entwickelt.
Grüße aus Thüringen