Ehemaliger Bundesverfassungsrichter Di Fabio: Beamtenstreik ist weiterhin rechtswidrig

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 04.11.2012

 

Dürfen Beamte streiken? Diese Frage ist bis vor kurzem von der nahezu einhelligen Meinung unter Hinweis auf die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG) verneint worden. Allerdings ist vor einigen Jahren Bewegung in die Diskussion gekommen. Auslöser war eine Entscheidung des EGMR aus dem Jahre 2009 zu einem türkischen Ausgangsfall. Dieses Urteil hat klargestellt, dass es mit dem in Artikel 11 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Streikrecht nicht vereinbar ist, Angehörigen des öffentlichen Dienstes pauschal das Streikrecht zu verwehren. Das Urteil ist vielfach so verstanden worden, das das Streikverbot nur eng begrenzt für solche Beamte aufrechterhalten werden könne, die Hoheitsrechte ausübten (Polizisten, Soldaten, Finanzbeamte etc.). Seitdem ist es zu mehreren verwaltungsgerichtlichen Verfahren gekommen, die in zweiter Instanz das Streikverbot bestätigten (hierzu zuletzt der Blog-Beitrag vom 14.3.2012). Unterstützt werden die wegen ihrer Streikteilnehmer gemaßregelten Kläger (ganz überwiegend Lehrer) von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), der das Streikverbot für Beamte schon seit langem ein Dorn im Auge ist. Anders sieht dies die Standesvertretung der Beamten, der „Deutsche Beamtenbund“. „Das deutsche Berufsbeamtentum ist ein wirtschaftlicher Standortvorteil und stärkt die Demokratie. Niemand kann Streiks in Schulen, Gefängnissen, Polizeiwachen oder Finanzämtern wollen. Die Bürger nicht und die Politik auch nicht“, sagte dbb Chef Peter Heesen am 31. Oktober 2012 in Berlin. In dieser Auffassung sieht sich Heesen bestärkt durch die Ergebnisse eines vom dbb in Auftrag gegebenen Gutachtens des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Udo Di Fabio, das am selben Tag der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. „Die Eröffnung eines Streikrechts für Beamte“, so Di Fabio, „käme einer Auflösung des ausgewogenen Strukturprinzips von Rechten und Pflichten gleich.“ Gestatte man Staatsdienern in nicht-hoheitlichen Bereichen Streiks, wäre man in der Folge gezwungen, verschiedene Arten von Beamten zu unterscheiden, was mit dem deutschen Recht nicht vereinbar sei. Aus juristischen Gründen müsste der Staat im nicht-hoheitlichen Bereich somit auf den Einsatz von Beamten verzichten, sagte Di Fabio - und bewertete eine solche Konstellation als Widerspruch zum Grundgesetz. Die deutsche Verfassung gehe davon aus, dass "Beamte nicht nur im Kernbereich eingesetzt werden, sondern weit darüber hinaus gehend", sagte Di Fabio. Die Deutschen seien in ihrer Geschichte "sehr gut damit gefahren, ein aufgeklärtes Beamtentum in bestimmte, nicht-hoheitliche Positionen zu setzen". So sichere das Beamtentum beispielsweise Professoren Unabhängigkeit. Dem Grundgesetz zufolge seien auf diesem Wege sozial- und rechtsstaatliche Grundsätze besser zu verwirklichen, sagte der frühere Verfassungsrichter. Die spannende Frage ist, ob sich das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesverfassungsgericht diese Sichtweise zu eigen machen werden. 

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

1 Kommentar

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen